Irgendwie rede ich mir hier den Mund fusslig. Die Diskussion
ist zäh wie Kaugummi. Ich habe immer noch kein vernünftiges
Argument gegen die Automatisierung gehört.
Hi Oliver,
ich hatte Dir weiter oben mal „Halbwissen“ unterstellt, wobei ich Dich damit nicht angreifen oder beleidigen will, ich denke nur Du machst es Dir ein bißchen einfach wenn Du der Automatisierung unkritisch den Mund redest.
Deiner Vika entnehme ich daß Du Mediziner bist/wirst. Würdest Du Dich z. B. von einem Roboter, auf den niemand mehr Einfluß nehmen kann, operieren lassen? Was passiert, wenn etwas schiefläuft und niemand kann eingreifen? Würdest Du als Arzt die Verantwortung für einen Roboter übernehmen, der z. B. Menschen operiert, der aber keinen Not-Aus-Knopf hat und auf den Du keine Einflußmöglichkeit hast?
Computer und Technik sind immer nur so gut wie ihre Erschaffer und sie beherrschen nur die Situationen, die vorher schon bedacht und programmiert wurden. Und ob wirklich jede Eventualität bedacht wird, bedacht werden konnte…? Wer garantiert dafür, daß nicht irgendwann Faktoren auftreten, die so vorher nie erwartet wurden? In einem solchen Fall hat das computergesteuerte Flugzeug keine Chance mehr, weil es das Problem nicht erkennen kann, der menschliche Pilot wird mit seiner Kreativität aber immer noch reagieren und eine Lösung zu entwickeln versuchen.
In der Theorie kannst Du zwar irgendwelche Szenarien durchspielen und „nachweisen“ daß eine reine Computersteuerung dort geholfen hätte, in der Praxis sieht’s aber so aus daß die Probleme in der Luftfahrt immer nicht nur durch einen einzigen Fehler entstehen sondern als Verkettung von außergewöhnlichen Umständen - und dann spielen Faktoren zusammen, die so eben nie vorrausgedacht wurden. Vor allem wirken auf ein Flugzeug im Laufe des Fluges so viele unterschiedliche Parameter ein, daß es ungeheuer schwer ist für jede denk- und eigentlich undenkbare Kombination von Faktoren eine Lösung parat zu haben. Solange aber ein Pilot das Kommando in der Maschine hat wird er immer auf die jeweils anliegende Gemengelage reagieren können - und da sollte ihm ein Computer dann niemals „dazwischenfunken“, gerade in einer Ausnahmesituation wäre das fatal.
Die Automatisierung sollte bisher auch nur dazu dienen, eine Arbeitserleichterung für den Piloten zu schaffen und ihnen Routineaufgaben abzunehmen, nicht aber sie komplett zu ersetzen. Somit entbindet die Konstruktion den Piloten auch nicht davon selber das Flugzeug zu steuern, der Computer soll da nur eine Hilfe sein, kein Ersatz.
Der Workload für die Piloten in einem modernen Airbus ist dabei durchaus nicht geringer als in „konventionellen“ Flugzeugen, nur ist die Anforderung verändert: werden alte Maschinen noch „handished“ bedient (die Piloten konfigurieren ihre Systeme selbsttätig) macht der Airbus vieles auf elektronischem Weg, indem er über die Auswertung von Systemkonfiguration und die Erfüllung von and-/or-Bedingungen selbsttätig bestimmte Modi setzt.
Das erspart den Piloten zwar manchmal die manuelle Einstellung von Systemen, entbindet sie aber nicht davon weiter alle Vorgänge zu überwachen. Die Konzentration wird dadurch also nicht weniger gefordert, sie verlagert sich nur - von einer aktiv handelnden zu einer geistig überwachenden Tätigkeit.
Dabei gibt es anonyme Befragungen unter Piloten, die eine erschreckend hohe Prozentzahl an Situationen verzeichnet, in denen die Piloten sagen daß ihnen für einen begrenzten Zeitraum nicht genau klar war, was das System gerade macht. Ein kurzer Moment der Unaufmerksamkeit oder der Einfluß eines ungewöhnlichen Faktors, eine kurze Ablenkung, kann dazu führen daß man „den Faden verliert“ und für einen gewissen Zeitraum nicht orientiert ist. Wenn Du mal berechnest, wie weit sich ein Flugzeug in dieser Zeit vorwärts bewegt hat, und wenn Du auch in Betracht ziehst, daß Anhalten auf dem Standstreifen naturgemäß nicht möglich ist…
Zur Verdeutlichung, wie eine unvorhergesehene Situation in die Katastrophe führen kann, ziehe ich mal Deinen Lieblingsflieger A320 ran:
14.09.1993, Warschau. Ein A320 der Lufthansa ist im Anflug auf Runway 11. Man hat eine Seitenwind-Info, in Wirklichkeit herrscht aber Rückenwind. Das führt dazu, daß die Maschine etwas später als geplant auf der Bahn aufsetzt, außerdem mit leichter Schräglage (Seitenwindlandung). An jedem der Hauptfahrwerke befindet sich nun ein Schalter, der nach der Landung die Reverser (Schubumkehr) freigibt und die Spoiler aktiviert. In diesem Fall hat, wegen der Schräglage, aber nur der rechte Schalter das Aufsetzen des Flugzeugs „erkannt“ - und über 9 Sekunden lang hat das Flugzeug, entgegen der Steuereingaben der Piloten, weder Umkehrschub noch Spoiler aktiviert, noch sprechen die Radbremsen an. In diesen 9 Sekunden hat der Airbus eine Strecke von exakt 760 Metern zurückgelegt. Als die Systeme endlich reagieren ist man aber wegen des späten Aufsetzens (wegen der nicht an die Piloten gemeldeten Rückenwind-Info) und der Weigerung der Maschine zu bremsen, schon so weit über die Runway geprescht daß man nicht mehr vor ihrem Ende zum Stillstand kommt. Erschwerend kommt hinzu, daß in Warschau Regenwetter herrschte und eine Art Aquaplaning die Bremswirkung, als sie endlich einsetzte, verschlechterte. Das Flugzeug kracht schließlich in einen Erdwall am Ende der Runway…
In diesem Fall hat die Airbus-Technik, weil sie 9 Sekunden lang und 760 Meter weit kein Bremsen der Piloten zugelassen hat einen Crash verursacht, der so mit einem anderen Flugzeug nicht passiert wäre.
MecFleih