Moin, moin zusammen,
daß diese Geschichte nicht von dem Verfasser des Joh stammt, dürfen wir als gewiß voraussetzen: die früheste Handschrift des Evangeliums, P 66, aus der Zeit um 200 und nahezu komplett, enthält diese Geschichte nicht. Ebenso fehlt sie in vielen Majuskel-Handschriften aus der Zeit zwischen dem 4. und dem 9. Jhdt. Ich will hier aber nicht zu tief in die Textgeschichte versinken.
Im vorhergehenden Abschnitt, 7, 40-52, geht es um die Frage, ob man urteilen darf, ohne den Beschuldigten gehört zu haben: Die Pharisäer verfluchen das ganze Volk, das vom Gesetz nichts weiß. Und im folgenden Abschnitt 8, 12-20 geht es wieder um Richten und Urteilen. Insofern ist die Geschichte, bei der es ja auch um Ver-Urteilen geht, in den richtigen Zusammenhang eingefügt worden.
Die Mischna (Sanhedrin 7, 4) führt jene Vergehen auf, die mit Steinigung zu ahnden sind: Inzest, Bestialität, Homosexualität, Gotteslästerung, Abgötterei. Erwaähnt werden auch Elternverfluchung, Rebellion, schwere Vergehen gegen die Eltern, Schändung des Sabbats.
Es handelt sich hier aber nicht um einen individuellen Fall von privatem Ehrebruch; dann müßte in der Tat der Mann auch vorgeführt werden. Läsen wir die Erzählung als den Bericht von einem privaten Ehebruch, wie es wohl meist geschieht, hätten wir eine frauenfeindliche Geschichte vor uns - Gernot ist der Kronzeuge.
In der Bibel, das heißt: dem Tenach oder AT ist, wenn Ehebruch zum Thema wird, fast immer der Bruch des Treueverhältnisses zwischen dem Volk Israel und seinem Gott gemeint. Der Prophet Hosea, der eine Hure heiraten mußte, ist nur das augenfälligste Beispiel.
Die Frau in der Geschichte bei Joh steht für das ganze Israel. Der Erzähler läßt keinen Zweifel, daß Israel in die Irre gegangen ist, weil es dem Messias Jesus nicht vertraute: Israel ist in flagranti erwischt! Wer urteilt nun, und wer vollstreckt das Urteil? Wer kann in diesem Fall überhaupt richten?
Die Pharisäer haben das Volk verflucht, weil es die Thora nicht kennt und also nicht tut. In 7, 19 hat Jesus gesagt: Niemand unter euch tut die Thora! Und wenn die Thora der Maßstab ist, wer ist dann ohne Sünde? Und nur, wer ohne Sünde (besser: Verirrung) ist, der darf einen Stein werfen.
Der Messias urteilt und verurteilt nicht. Die Geschichte endet mit dem Satz: Geh hin und sündige nicht wieder! Das hat Jesus auch zu dem geheilten Gelähmten in 5, 14 gesagt. Verirrung (vulgo: Sünde) ist: dem Messias nicht zu vertrauen.
Ich weiß, dies war keine leicht Kost. Aber manchmal geht es eben nicht anders.
Gruß - Rolf