Ernährung und Flächenbedarf
Servus,
auch wenn es Dir zuwider ist: Ich schreibe zu diesem Thema ziemlich engagiert, und ich greife sensationsgeile Stereotypen und Floskeln, die journalistisch im schlechtesten Sinn des Wortes sind, durchaus auch provozierend und ohne Wattebäuschelein an, weil das Thema viel zu wichtig ist, um mal eben mit hübschen Videoclips statt Argumenten zur Sache abgehakt zu werden.
Ich habe mich in einem ausschweifenden Studium der Agrarwissenschaften und auch in der Praxis, u.a. in einer ursprünglich als Selbstversorgerhof erträumten Land-WG, während meiner Lehrzeit auf einem süddeutschen Hof mit Milchvieh und Sonderkulturen, während einiger kürzerer Aufenthalte auf verschiedenen Ackerbaubetrieben in Oberschwaben und in der Nähe des Dümmer Sees und auf einem Milchviehbetrieb in der Wesermarsch und seit elf Jahren im eigenen Garten, der einen nicht unerheblichen Beitrag zu unserer Versorgung mit Gemüse leistet, mit dem Thema beschäftigt, und ich halte es für ziemlich anmaßend, wenn es ohne jede Rücksicht auf Tatsachen und Gegebenheiten abgehandelt wird. Sicherlich gibt es haufenweise Leute, die konsequenter und auch schneller von Begriff sind als ich, aber dass Du mal eben mit einer irgendwo aufgeschnappten Schlagzeile ein Thema abschließend behandeln kannst, mit dem ich mich ein halbes Leben zeitweise hauptsächlich, zeitweise en passant beschäftigt habe, müsstest Du mir erstmal beweisen. Ohne Beleg und Substanz erbost es mich ganz schlicht und einfach, wie Du hier mit ein paar modischen Schlagwörtlein gescheiter sein willst als Thünen, Liebig, Wöhler und Eyth alle zusammengenommen.
Die Behauptung, Autarkie durch Gartenbau und Aquakultur in und auf Wohnhäusern sei technisch möglich, ist von Dir. Ich habe das in Frage gestellt und begründet, warum sie technisch nicht möglich ist.
Jetzt ist es an Dir, die von mir angeführten Gründe entweder zu entkräften oder eben Deine Behauptung einzuschränken oder zu ändern.
Du könntest zum Beispiel zeigen, dass meine Behauptung, eine Ackernahrung in Mitteleuropa betrage allermindestens 2 Hektar, unter weniger günstigen Bedingungen bis etwa dreißig Hektar, falsch ist. Das wäre ein interessanter Ansatzpunkt, weil ich diese Flächenangabe nicht selbst Kultur für Kultur nachgerechnet habe, so dass ich nicht ausschließen kann, dass sich alle, die sich seit 1809 mit der Frage beschäftigt haben, getäuscht haben.
Wenn Du beschriebest, unter welchen Bedingungen eine Ackernahrung mit 150 Quadratmetern möglich ist, würde mich das auch deswegen sehr freuen, weil das gerade die Nutzfläche ist, die mir persönlich zur Verfügung steht, und ich auf diese Weise sehr von Deinem fachlichen Rat profitieren könnte. Aber Du wirst sicher verstehen, dass ich es nicht als Argument akzeptiere, dass irgendjemand in irgendeinem Videoclip irgendwas erzählt. Wenn das automatisch richtig sein soll, weil er einen Professorentitel trägt, kann ich Dir gerne die Profs aufzählen, von denen ich andere Dinge gelernt habe.
Bissel konkreter müsste dabei schon kommen, wie man z.B. außer dem notwendigen Gemüse auf der angegebenen Fläche eine Dezitonne Getreide und eine Dezitonne Kartoffeln (das ist in etwa der Jahresbedarf unseres Zweipersonenhaushaltes; Leute, die mehr tierische Produkte essen, benötigen weniger Getreide und Kartoffeln, aber deswegen viel mehr Fläche) erzeugen kann.
Wegen der Umrechnung von ha in m²: Ja, da hast Du richtig gerechnet. Eine Ackernahrung entspricht, wie ich bereits mehrfach erwähnt habe, in Mitteleuropa unter sehr guten Bedingungen 20.000 m².
Zur Illustration: Ein bäuerlicher Familienbetrieb in D nutzt bei Sonderkulturen (Gemüse, Spargel, Wein) etwa 6-10 ha je nach Region, bei intensiver Milchviehhaltung mit hohem Anteil an zugekauftem Futter etwa 30-50 ha, bei Ackerbau etwa 50-150 ha. Da passen doch einige Neubaugebiete mitsamt allen Dächern und Balkonen rein, wie man leicht ausrechnen kann.
Zur Klärung der Begriffe: Gezüchtet werden auf Dächern und Balkonen weder Obst noch Gemüse. Sie werden dort angebaut, wobei insbesondere bei Obst dabei Raubbau an natürlichen Ressourcen im Spiel ist (zum Thema Kultursubstrate hab ich schon ein bissel was ausgeführt, das Thema NPK-Düngung hab ich noch nicht angesprochen, weil ich Deinen Kenntnisstand nicht kenne). Zucht ist im engeren Sinn die Erzeugung neuer Sorten, im weiteren Sinn auch die Erhaltung und Vermehrung von Edelreisern, Saat- und Pflanzgut. Die Erzeugung von landwirtschaftlichen Produkten zum Verbrauch oder zur Fütterung nennt man Anbau.
Weiterführende Stichworte für Dich zum Einstieg in das Thema Pflanzenernährung:
- „Minimumgesetz“ von Carl Sprengel / Justus von Liebig
- Ammoniaksynthese nach Haber und Bosch
Schöne Grüße
Dä Blumepeder