Hi,
Dann ist also die Anweisung der Rettungsleitstelle „Anfahrt
mit Sonderrechten“ falsch und es müsste eigentlich „Anfahrt
mit Wegerechten“ heißen?
Jein. Ich zitiere mal die entsprechenden §§ hier auszugsweise rein, damit alle überhaupt wissen, wovon die Rede ist:
StVO § 35 Sonderrechte
(1) Von den Vorschriften dieser Verordnung sind die Bundeswehr, der Bundesgrenzschutz, die Feuerwehr, der Katastrophenschutz, die Polizei und der Zolldienst befreit, soweit das zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben dringend geboten ist.
(1a) Absatz 1 gilt entsprechend für ausländische Beamte, die auf Grund völkerrechtlicher Vereinbarungen zur Nacheile oder Observation im Inland berechtigt sind.
(…)
(5) Die Truppen der nichtdeutschen Vertragsstaaten des Nordatlantikpakts sind im Falle dringender militärischer Erfordernisse von den Vorschriften dieser Verordnung befreit, von den Vorschriften des § 29 allerdings nur, soweit für diese Truppen Sonderregelungen oder Vereinbarungen bestehen.
(5a) Fahrzeuge des Rettungsdiensts sind von den Vorschriften dieser Verordnung befreit, wenn höchste Eile geboten ist, um Menschenleben zu retten oder schwere gesundheitliche Schäden abzuwenden.
(…)
(8) Die Sonderrechte dürfen nur unter gebührender Berücksichtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgeübt werden
StVO § 38 Blaues Blinklicht und gelbes Blinklicht
(1) Blaues Blinklicht zusammen mit dem Einsatzhorn darf nur verwendet werden, wenn höchste Eile geboten ist, um Menschenleben zu retten oder schwere gesundheitliche Schäden abzuwenden, eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwenden, flüchtige Personen zu verfolgen oder bedeutende Sachwerte zu erhalten.
Es ordnet an:
„Alle übrigen Verkehrsteilnehmer haben sofort freie Bahn zu schaffen“.
(2) Blaues Blinklicht allein darf nur von den damit ausgerüsteten Fahrzeugen und nur zur Warnung an Unfall- oder sonstigen Einsatzstellen, bei Einsatzfahrten oder bei der Begleitung von Fahrzeugen oder von geschlossenen Verbänden verwendet werden.
Nun zu Deiner Frage: Es ist schon richtig, wenn die RLst. die Anfahrt „unter In Anspruchnahme von Sonderrechten“ erlaubt/anordnet, weil die RLst diejenige Instanz ist, die feststellt, daß (möglicherweise) „höchste Eile geboten ist, um Menschenleben zu retten oder schwere gesundheitliche Schäden abzuwenden“. Das ist ja die Bedingung für Sonderrechte, und ohne daß diese erfüllt ist, dürftest Du als Retter die Sonderrechte nicht in Anspruch nehmen - auf der Anfahrt zum Einsatzort kann das prinzipbedingt nur die Leitstelle entscheiden (grobe Schnitzer derer ausgenommen - „Fahren Sie zur Säuglingsreanimation, normale Fahrt“). Mit dem Wegerecht hat das zunächst nichts zu tun.
Im Falle des Rettungsdienstes ist es jedoch so, daß diese Bedingung genau dieselbe ist, die erfüllt sein muß, um das Wegerecht (in Blau mit Horn) in Anspruch nehmen zu dürfen.
Dadurch fallen diese beiden Dinge, Sonderrechte und Wegerecht, für den Rettungsdienst zusammen - aber auch NUR für den Rettungsdienst!
Bei allen anderen o.g. Institutionen ist es im Unterschied zum (nicht von der Feuerwehr durchgeführten) Rettungsdienst so, daß zum einen die Sonderrechte nicht fahrzeuggebunden sind - hier nimmt also der Beamte an sich diese Sonderrechte in Anspruch und nicht wie im RD das Fahrzeug.
Desweiteren reicht es bei den anderen Orgas aus, daß die Sonderrechte „zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben dringend geboten“ sind - das ist eine niedrigere Grenze als beim Rettungsdienst!
Formal gesehen müsste die RLst also anordnen „Menschenleben in Gefahr!“.
Letztlich ist die Formulierung, die die Leitstelle wählt, aber sekundär - es muß nur klar sein, was gemeint ist, und meist wird ja auch nicht (nur) über Funk alarmiert, sondern mindestens auch via Pieper, der durch unterschiedliche Piepstöne zwischen „Einsätzen, bei denen Lebensgefahr vermutet wird“ und anderen unterscheiden kann.
Gruß,
Malte.