Liebe Taju,
ich bin sicher, dass wir keine halbe Stunde brauchten, um unsere Übereinstimmung in nahezu allen hier verhandelten Dingen konstatieren zu müssen. Nur in einem Punkt nicht, nämlich darin, dass Fritz niemals nicht kein gutes Haar an keiner kirchlichen Einrichtung lassen wird.
Da geht es mir, wie bei den Argumenten zur Hitlerzeit
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"Das mit den Juden war natürlich ganz schlecht, aber (und dann die Autobahnen, die Vollbeschäftigung, das Abschütteln des Versailler Vertrages, usw.) … .
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und zur DDR - "Es war ja nicht alles schlecht, es gab doch die Kindergärten, niedrige Mieten, gesicherte Arbeitsplätze etc. -
und so ist mir auch bei deinem Rückzug auf die Ideengeschichte.
Ja, freilich musste man zuerst auf die Idee kommen, dass alle Menschen gleich sind. Ob das allerdings eine originäre Erfindung des Judentums ist und ob diese Idee im AT und NT und in den darauf aufbauenden Religionen am besten aufbewahrt war, kommt mir weniger plausibel vor.
Freilich hat Herr Luther die „Freiheit eines Christenmenschen“ gefordet, aber der Herr ist durch andere Äußerungen dermaßen desavouiert, dass ich gar nicht weiter über ihn reden mag.
Und wenn ich die Französische Revolution erwähne, kommst auch du mit den historischen Begleiterscheinungen und bleibst nicht „ideengeschichtlich“.
Dann hätte ich gerne einfach mal einen Namen „ohne christliche
Vorzeichen“ für diese Epoche. Viel Erfolg bei der Suche.
Du meine Güte! Ich nähme dieselben Namen wie du und zeigte, dass sie TROTZ ihrer christlichen Herkunft gewaltig am Abbau des Christentums mitarbeiteten.
Allein die Ringparabel macht Lessing antichristlich, weil er den Alleinim-Besitz-der-Wahhrheit-Seins-Anspruch widerlegt.
Kant ist
- lies doch mal wieder Heines „Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deuschland“, wo Kant über die Französische Revolution gesetzt wird, weil díe bloß einen König köpften, er aber Gott über die Klinge springen ließ; ich hab Tränen gelacht bei der Szene, da der gute Kant seinem Diener Lampe zuliebe, Gott als moralisches Postulat wieder auferstehen ließ - oh ich muss diese Stelle hier einfügen, den Forumsbestimmungen zum Trotz; der Text ist schließlich alt genug, um noch Urheberrechtsverletzungen zu bedingen:
_Ganz konfus machten mich die Mitteilungen aus der Astronomie, womit man damals, in der Aufklärungsperiode, sogar die kleinsten Kinder nicht verschonte, und ich konnte mich nicht genug wundern, daß alle diese tausendmillionen Sterne ebenso große, schöne Erdkugeln seien wie die unsrige, und über all dieses leuchtende Weltengewimmel ein einziger Gott waltete. Einst im Traume, erinnere ich mich, sah ich Gott, ganz oben in der weitesten Ferne. Er schaute vergnüglich zu einem kleinen Himmelsfenster hinaus, ein frommes Greisengesicht mit einem kleinen Judenbärtchen, und er streute eine Menge Saatkörner herab, die, während sie vom Himmel niederfielen, im unendlichen Raume gleichsam aufgingen, eine ungeheure Ausdehnung gewannen, bis sie lauter strahlende, blühende, bevölkerte Welten wurden, jede so groß wie unsere eigne Erdkugel. Ich habe dieses Gesicht nie vergessen können, noch oft im Traume sah ich den heiteren Alten aus seinem kleinen Himmelfenster die Weltensaat herabschütten; ich sah ihn einst sogar mit den Lippen schnalzen, wie unsere Magd, wenn sie den Hühnern ihr Gerstenfutter zuwarf. Ich konnte nur sehen wie die fallenden Saatkörner sich immer zu großen leuchtenden Weltkugeln ausdehnten: aber die etwanigen großen Hühner, die vielleicht irgendwo mit aufgesperrten Schnäbeln lauerten, um mit den hingestreuten Weltkugeln gefüttert zu werden, konnte ich nicht sehen.
Du lächelst, lieber Leser, über die großen Hühner. Diese kindische Ansicht ist aber nicht allzusehr entfernt von der Ansicht der reifsten Deisten. Um von dem außerweltlichen Gott einen Begriff zu geben, haben sich der Orient und der Okzident in kindischen Hyperbeln erschöpft. Mit der Unendlichkeit des Raumes und der Zeit hat sich aber die Phantasie der Deisten vergeblich abgequält. Hier zeigt sich ganz ihre Ohnmacht, die Haltlosigkeit ihrer Weltansicht, ihrer Idee von der Natur Gottes. Es betrübt uns daher wenig, wenn diese Idee zugrunde gerichtet wird. Dieses Leid aber hat ihnen Kant wirklich angetan, indem er ihre Beweisführungen von der Existenz Gottes zerstörte.
Die Rettung des ontologischen Beweises käme dem Deismus gar nicht besonders heilsam zu statten, denn dieser Beweis ist ebenfalls für den Pantheismus zu gebrauchen. Zu näherem Verständnis bemerke ich, daß der ontologische Beweis derjenige ist, den Descartes aufstellt und der schon lange vorher im Mittelalter, durch Anselm von Canterbury, in einer rührenden Gebetform, ausgesprochen worden. ja, man kann sagen, daß der heilige Augustin schon im zweiten Buche „De libero arbitrio“ den ontologischen Beweis aufgestellt hat.
Ich enthalte mich, wie gesagt, aller popularisierenden Erörterung der Kanteschen Polemik gegen jene Beweise. Ich begnüge mich zu versichern, daß der Deismus seitdem im Reiche der spekulativen Vernunft erblichen ist. Diese betrübende Todesnachricht bedarf vielleicht einiger Jahrhunderte, ehe sie sich allgemein verbreitet hat - wir aber haben längst Trauer angelegt. De profundis!
Ihr meint, wir könnten jetzt nach Hause gehn? Bei Leibe! es wird noch ein Stück aufgeführt. Nach der Tragödie kommt die Farce. Immanuel Kant hat bis hier den unerbittlichen Philosophen tragiert, er hat den Himmel gestürmt, er hat die ganze Besatzung über die Klinge springen lassen, der Oberherr der Welt schwimmt unbewiesen in seinem Blute, es gibt jetzt keine Allbarmherzigkeit mehr, keine Vatergüte, keine jenseitige Belohnung für diesseitige Enthaltsamkeit, die Unsterblichkeit der Seele liegt in den letzten Zügen - das röchelt, das stöhnt - und der alte Lampe steht dabei mit seinem Regenschirm unterm Arm, als betrübter Zuschauer und Angstschweiß und Tränen rinnen ihm vom Gesichte. Da erbarmt sich Immanuel Kant und zeigt, daß er nicht bloß ein großer Philosoph, sondern auch ein guter Mensch ist, und er überlegt, und halb gutmütig und halb ironisch spricht er: „Der alte Lampe muß einen Gott haben, sonst kann der arme Mensch nicht glücklich sein - der Mensch soll aber auf der Welt glücklich sein - das sagt die praktische Vernunft - meinetwegen - so mag auch die praktische Vernunft die Existenz Gottes verbürgen.“ In Folge dieses Arguments, unterscheidet Kant zwischen der theoretischen Vernunft und der praktischen Vernunft, und mit dieser, wie mit einem Zauberstäbchen belebte er wieder den Leichnam des Deismus, den die theoretische Vernunft getötet._
aus: Heinrich Heine, Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland, Drittes Buch.
Kant ist der gewaltigste Zermalmer christlicher und theologischer Selbstverständlichkeiten; Heine nennt ihn weiter vorne im Text einen größeren Terroristen als Robbespierre.
Oh ha, sehr interessant. Der Französischen Revolution gestehen wir also eine Geistesgeschichte zu???
Nun, so gut wie den christlichen Scholastikern muss man den Denkern der Französischen Revolution ihr gutes Recht lassen; selbst wenn da auch Abbès oder Abbés dabei waren.
Es gibt einen Unterschied zwischen IDEENGESCHICHTE und INSTITUTIONENGESCHICHTE.
Jo, freilich; aber was ist damit gewonnen? Ich kann die eine nicht von der anderen künstlich trennen.
Die Demokratie ist eine tolle Erfindung der Griechen, wenn ich aber anschaue, was damit im alten Athen angestellt werden konnte, so ist die ideengeschichtliche Erungenschaft der Demokratie mit einem Schwall von Blut und Nachgeburt geboren worden.
Kein Problem, ich erhielt hier schon lächerliche Anschuldigungen.
Du meintest „lächerlichere“?
Nun bleibt eigentlich für mich eine simple Frage:
Gibt es auch für Dich einen Unterschied zwischen Geistes- und Ereignisgeschichte (dazu gehört ja die Institution).
Ja natürlich, aber es hilft halt nicht; ich kann das eine nicht ohne das andere betrachten.
Wenn ja, verstehe ich nicht, warum wir nicht zusammenkommen.
Dazu habe ich schon am Anfang geantwortet.
Wenn nein, verstehe ich nicht, warum die Französische Revolution für Dich absolut positiv ist.
Da hast du etwas in meinen Text hineingelesen. Da wäre nun dir deine Trennung zwischen Ideen- und Ereignisgeschichte unter die Nase zu reiben. *versöhnlichblinzel*
Wenn ja, dann wird vielleicht eine Diskussion auch fruchtbar.
Ich sehe das auch so.
Denn dann könnte sie ohne Anschuldigung verlaufen.
Ich hoffe nicht, dass du meinst ich beschuldige dich etwas anderen als in manchen Dingen befangen zu argumentieren.
So wie du ja auch, die Splitter in meinem Auge genau wahrnimmst. 
Nochmals beste Grüße,
Fritz