Lieber Fritz
ich bin sicher, dass wir keine halbe Stunde brauchten, um
unsere Übereinstimmung in nahezu allen hier verhandelten
Dingen konstatieren zu müssen.
Sollten wir uns jemals auf einer Ebene des Dialogs einigen können (schrfitliche Dialoge scheinen mir da immer etwas schwieriger), würden wir wahrscheinlich länger brauchen.
Und wenn ich die Französische Revolution erwähne, kommst auch
du mit den historischen Begleiterscheinungen und bleibst nicht
„ideengeschichtlich“.
Eigentlich nur, um Dir zu zeigen, was mich an Deiner Argumentation stört…
Es gibt einen Unterschied zwischen IDEENGESCHICHTE und INSTITUTIONENGESCHICHTE.
Jo, freilich; aber was ist damit gewonnen? Ich kann die eine
nicht von der anderen künstlich trennen.
Die Demokratie ist eine tolle Erfindung der Griechen, wenn ich
aber anschaue, was damit im alten Athen angestellt werden
konnte, so ist die ideengeschichtliche Erungenschaft der
Demokratie mit einem Schwall von Blut und Nachgeburt geboren
worden.
Tatsächlich möchte ich trennen, was sicherlich auch mit meinem Splitter im Auge zu tun hat, denn mein eigentliches Historisches Interesse liegt in Transformationsprozessen, in denen die Institution zwar immer eine wichtige Rolle spielt, aber nicht unbedingt Trägerin derselben sein muss (wobei wir uns dann nach der Definition von Institution fragen müssten…).
Ja natürlich, aber es hilft halt nicht; ich kann das eine
nicht ohne das andere betrachten.
Ich selbst aber halt es für grundlegend für die kritische Hinterfragung historischer Prozesse.
Nehmen wir Erasmus, dem wir als ersten die Forderung nach einem „judenfreien“ Europa zu verdanken haben (und der witziger Weise Namenspatron unserer universitären Austauschprogramme ist): Er hat damit im Rahmen seiner Zeit nichts überraschendes gesagt (natürlich abzulehnendes).
Luthers Äußerungen waren zwar „harmloser“, aber sie sind gerade für den ideengeschichtlich arbeitenden Historiker (und Theologen) gerade deswegen erschreckender, weil er mit seinen judenfeindlichen Äußerungen seiner eigenen, sonst heftigst verteidigten theologischen Erkenntnis (die ebenfalls durch andere vorbereitet war) deutlich widersprochen hat. Das ist, was man hier lernen kann: Dass selbstgerechte Frustration zur Hass führen kann - mit einer ebenfalls erschreckenden Wirkungsgeschichte.
Das ist das, was mich an Geschichte besonders interessiert, warum handeln Menschen wider besseres Wissen?
Ich hoffe nicht, dass du meinst ich beschuldige dich etwas
anderen als in manchen Dingen befangen zu argumentieren.
Naja, deswegen habe ich mich ja auch entschieden, auf meiner Vika meinen Beruf zu schreiben.
An diesem Thread (der mir immerhin einen langen Tag des Wartens verkürzt hat:wink: hat mich gestört, dass man mit „Biegerei“ unterstellt oder die Ansicht, die Welt müsse nur wieder christlich werden (selbst wenn ich das meinte, halte ich es nicht für zu erwarten).
Die von mir vorgenommene methodische Trennung von Ideen- und Institutionengeschichte ist methodisch durchaus auch eine der allgemeinen Geschichtswissenschaft.
So wie du ja auch, die Splitter in meinem Auge genau
wahrnimmst.
Vielleicht sollte man ja die Splitter Splitter sein lassen.
Hauptsache, mir unterstellt keiner die unsäglichen unserer Ministerin.
Auch Dir beste Grüße,
Taju

