Bullshit

Moin, moin,

habe gerade das Büchlein „Bullshit“ von Harry G. Frankfurt gelesen.

Irgendwie bin ich mir nicht sicher, was ich davon halten soll. Ich verstehe auch nicht ganz den Hype um diesen Aufsatz.

Wenn ich es richtig verstanden habe, zeichnet sich Bullshit dadurch aus, dass die Bullshitäußerung der Form nach einen Wahrheitsanspruch erhebt, der Sprecher aber der Wahrheit gegenüber gleichgültig ist. Das zeichnet den Bullshitter gegenüber dem Lügner aus. Denn der Lügner respektiert die Wahrheit bzw. das, was er dafür hält, äußert aber etwas anderes als diese. Der Bullshitter kümmert sich nicht um Wahrheit und Falschheit, sondern instrumentalisiert lediglich seine Äußerung, um einen bestimmten Zweck zu erreichen, indem er nicht primär die Wahrheit verfälscht, sondern indem er bestimmte innere Überzeugungen, die evtl. auch verfälscht sind, übermittelt.

Das Problem, das ich damit habe, ist, dass dieses Phänomen bereits mit der Sprechakttheorie hinreichend erklärt werden kann, bei der zwischen dem propositionalen Gehalt, dem illokutionären Zweck und der perlokutionären Wirkung einer Äußerung unterschieden wird. Darauf geht Frankfurt aber an keiner Stelle ein.

Ist dieses Büchlein einfach nur nett zu lesen, aber ansonsten überflüssig?

Gruß Eddie.

Hallo, Eddie,

habe gerade das Büchlein „Bullshit“ von Harry G. Frankfurt gelesen.
[…]
Ist dieses Büchlein einfach nur nett zu lesen, aber ansonsten
überflüssig?

Ich finde, es ist sehr wichtig, nicht nur, weil es von einem
„hochdekorierten“ US-Philosophen stammt. Dennoch:
Vor einiger Zeit habe ich das Thema hier schon einmal vorgebracht:
http://www.wer-weiss-was.de/cgi-bin/forum/
showarchive.fpl?ArtikelID=2771492&archived=1&searchtext=bullshit&type
=beginnings&bool=or&database=Archiv&offset=20#2771492
und damals ist, wie jetzt auch, niemand darauf eingegangen.
Aus Sorge, damit nur mehr bullshit zu produzieren ? Wohl kaum.
Auch sonst habe ich nur Referierendes, nichts Weiterführendes,
Tieferdringendes dazu gefunden (Hinweise willkommen).

Frankfurt ist ja nicht prätentiös, will selbst keinen weiteren
bullshit produzieren, indem er schreibt, als habe er eine
Antwort auf das Problem bullshit. Er hat keine, will erst nur
versuchen, das vertrackte Problem zu skizzieren, das alle kennen und
kaum einer anspricht, das allgegenwärtig und doch kaum zu packen ist.

Frankfurts Essay erschien erstmals vor zwanzig Jahren und wurde,
wie es scheint, 2005 (dt. 2006) unverändert und ohne aktuelles
Nachwort des Autors nachgedruckt.
Die Produktion von bullshit hat seither, durch frenetisches
Beschicken aller Medien und dann noch durch das Internet, derart
katastrophal zugenommen, dass Frankfurt, mittlerweile 77 und längst
emeritiert, wohl endgültig resigniert hat. Offenbar ist weder er noch
sonst jemand in den vergangenen zwanzig Jahren näher an das Problem,
das er gleichwohl „zu den auffälligsten Merkmalen unserer Kultur“,
also der des Liberalismus, zählt, herangekommen.

Servus
Nescio

Hallo an dieser Stelle.

http://www.wer-weiss-was.de/cgi-bin/forum/
showarchive.fpl?ArtikelID=2771492&archived=1&searchtext=bullshit&type
=beginnings&bool=or&database=Archiv&offset=20#2771492
und damals ist, wie jetzt auch, niemand darauf eingegangen.

Logo: weil der link oben nicht funktioniert *g* : http://www.wer-weiss-was.de/cgi-bin/forum/showarchiv…

mfg M.L.

Nach dem wenigen, daß du hier beschreibst, würde ich darin eher eine krankhafte Neigung zum Pessimismus und zur Boshaftigkeit erkennen. Das aber gehört eher ins Psychologie-Brett, oder? Vielleicht ein Fall für einen Psychater.

gruß
rolf

Hallo,

…und damals ist, wie jetzt auch, niemand darauf eingegangen.

Logo: weil der link oben nicht funktioniert *g* :
http://www.wer-weiss-was.de/cgi-bin/forum/

Danke, aber „logo“ is dat nich:
Damals gab’s den Link ja nicht, und jetzt bezog sich’s darauf,
dass auf Eddies Frage hier drei Tage lang niemand reagierte.

Grüsse
Nescio

(Wahrheit vs. Lüge) vs. Bullshit
Hallo Nescio,

aus Interesse gefragt:

habe gerade das Büchlein „Bullshit“ von Harry G. Frankfurt

Ich finde, es ist sehr wichtig,
das vertrackte Problem zu skizzieren, das alle
kennen und
kaum einer anspricht, das allgegenwärtig und doch kaum zu
packen ist.

Genau dieses Problem kann ich bei ihm einfach nicht erkennen;

natürlich legt er damit eine Zeitdiagnose/Kulturkritik vor, die Interessantes sieht, aber was soll dieses mysteriöse Ding sein, das „kaum einer anspricht, das [aber] allgegenwärtig ist“?

Damit meine ich jetzt nicht den „Bullshit“ selbst (also nicht die spezifisch Frankfurt’sche Herangehensweise und Begrifflichkeit, auch nicht die Feinheiten seiner „Theorie des Bullshits“, schon gar nicht die obligatorische Pflichtübung der Angelsachsen, mit irgendwelchen Wörterbuch-Einträgen zu hantieren!), sondern die Grundidee, das Phänomen selbst, das in dieser Trinität sich zeigt:

(Wahrheit vs. Lüge) vs. Bullshit

Entweder ich sehe darin ein Phänomen, das beständig thematisiert wird, etwa in der Medienkritik, in der Analyse der Eigenlogiken sozialer Systeme, in einer Zeitdiagnose der „narzisstischen Gesellschaft“, etcetc., oder ich sehe darin eben - nichts. (Ich glaube, mir geht es hier wie Eddie :wink:

Ich verstehe Dich aber so, dass es an dieser Stelle etwas sehr Präzises geben könnte, das ungeheuer wichtig ist, das aber in den genannten Kritiken und Analysen und ähnlichen Unternehmungen gerade nicht zum Thema wird.

Aber: Was ist das?

Viele Grüße
franz

1 Like

Hallo Franz,

habe gerade das Büchlein „Bullshit“ von Harry G. Frankfurt

Ich finde, es ist sehr wichtig, das vertrackte Problem zu
skizzieren, das alle kennen und kaum einer anspricht, das
allgegenwärtig und doch kaum zu packen ist.

Genau dieses Problem kann ich bei ihm einfach nicht erkennen

Ich meine nicht, dass ihm die Skizze gut gelungen ist, aber

  • „in magnis voluisse sat“ :wink: ich finde es dennoch
    verdienstvoll und eben „sehr wichtig“, dass er eine Annäherung
    versucht, einen Anlauf gemacht hat.

Er selbst sieht ja in seinem Essay nur einen ersten Schritt.
Dem aber scheinen in zwanzig Jahren - weder von ihm noch von sonst
jemandem - nennenswerte weitere Schritte gefolgt zu sein: wohl
deshalb kein Nachwort zum unveränderten Text.

Gleichwohl hält er sicher nach wie vor das gemeinte, unsere Kultur
durchdringende „Phänomen X“ (sage ich mal, um nicht in die
semantische bullshit-Falle zu gehen; s.u.) für ein Gravamen ersten
Ranges. Sonst hätte er kaum betrieben oder zumindest zugestimmt, dass
die akademische Princeton Press seinen alten Essay unter dem
reisserischen und grell plakativen Titel „bullshit“ separat
herausbringt.

natürlich legt er damit eine Zeitdiagnose/Kulturkritik vor…

aber nur sehr rudimentär, eben, weil er letztlich nicht zu Potte
kommt und den Ansatz auch später offenbar nicht fortführte.

Damit meine ich jetzt nicht den „Bullshit“ selbst (also nicht
die spezifisch Frankfurt’sche Herangehensweise und
Begrifflichkeit, auch nicht die Feinheiten seiner „Theorie des
Bullshits“, schon gar nicht die obligatorische Pflichtübung
der Angelsachsen, mit irgendwelchen Wörterbuch-Einträgen zu
hantieren!)

Von einer Theorie sieht er selbst sich ja weit entfernt.
Ich fand, mit der Wittgenstein-Anekdote hat er schon einen passablen
Einstieg gefunden, aber mit seiner Diskussion der Wörterbuch-Einträge
und dem Ambler-Zitat macht er ihn wieder kaputt. Es wäre ja
schliesslich nicht nötig, das Phänomen als Bullshit zu bezeichnen.

sondern die Grundidee, das Phänomen selbst, das
in dieser Trinität sich zeigt:
(Wahrheit vs. Lüge) vs. Bullshit

Damit operiert Frankfurt. Aber wenn ich an all die Diskussionen
denke, die um den Begriff der Wahrheit geführt wurden, erscheint
mir das nicht gerade glücklich.

Entweder ich sehe darin ein Phänomen, das beständig
thematisiert wird, etwa in der Medienkritik, in der Analyse
der Eigenlogiken sozialer Systeme, in einer Zeitdiagnose der
„narzisstischen Gesellschaft“, etcetc.,

Mag stimmen, irgendwie. Aber ohne Resultat, das letztlich ein
politisch-praktisches sein müsste, eins, das vermutlich unter dem
Regime des Liberalismus nicht erzielbar ist.

oder ich sehe darin eben - nichts. (Ich glaube, mir geht es
hier wie Eddie :wink:

Das käme mir vor wie ein Augenverschliessen, ein Wegsehen. Ich fände
es besser - und versuche es selbst - das doch sehr aufdringliche
Phänomen zumindest in der (unbehaglichen) Wahrnehmung auszuhalten,
auch wenn es noch nicht in eine Theorie integriert werden kann.

Ich verstehe Dich aber so, dass es an dieser Stelle etwas sehr
Präzises geben könnte, das ungeheuer wichtig ist, das aber in
den genannten Kritiken und Analysen und ähnlichen
Unternehmungen gerade nicht zum Thema wird.

Wenn es sehr präzise (zu fassen) wäre… dann - wäre es bald weg.
Es ist ausgesprochen diffus, aber gleichwohl ständig wahrnehmbar,
weil ausserordentlich aufdringlich: ubiquitär, nicht nur im täglichen
Leben, sondern, für mich eigentlich noch intensiver, wenn ich in eine
(auch wissenschaftliche) Buchhandlung oder Seminarbibliothek gehe,
wenn ich (z.B. philosophische) Fachzeitschriften durchblättere usw.
usf.

Um noch an deinen andeutenden Hinweis auf das Angelsachsentum
Frankfurts anzuknüpfen: ich vermute den Grund dafür, dass weder
Frankfurt noch m.W. sonst jemand bei jenem mir sehr aus
angelsächsischen Kulturressourcen herrührenden Problem weiterkam, in
den Grenzen des angelsächsischen Denkens. Doch dieses erobert seit
Jahrzehnten mehr und mehr das „alte Europa“ - aus vielerlei Gründen,
auch aus dem, dass „wir“ dem nichts Substantielles entgegensetzen.
Woran ich denke, wirst du aufgrund unserer früheren Austausche
halbwegs erraten können.

Grüsse
Nescio

Hallo Nescio,

Zustimmung zu allem Bisherigen

Ich fand, mit der Wittgenstein-Anekdote hat er schon einen
passablen
Einstieg gefunden, aber mit seiner Diskussion der
Wörterbuch-Einträge
und dem Ambler-Zitat macht er ihn wieder kaputt.

Auch hier Zustimmung;
gegen Ende der Wittgenstein-Anekdote wird klar, um was es ihm geht:
„[This] statement is grounded neither in a belief that it is true nor, as a lie must be, in a belief that it is not true. It is just this lack of connection to a concern with truth — this indifference to how things really are — that I regard as of the essence of bullshit.“
http://web.archive.org/web/20040212054855/http://www…

Es wäre ja
schliesslich nicht nötig, das Phänomen als Bullshit zu
bezeichnen.

Auch hier wieder Zustimmung;
weshalb dieses Phänomen nun „Bullshit“ heißen muss, was Frankfurt ja durch diese dämliche Wörterbuch-Klauberei nachzuweisen sucht, ist mir mehr als rätselhaft;

in der Tat könnte der Schelm leicht meinen, Frankfurt würde diesem doch eher schlichten Aufsätzchen in einem Anfall von Humor erst den richtigen Touch geben wollen, indem er einem Fäkalausdruck philosophischen Rang verleiht (seien wir ehrlich, trotz all seiner lexikalischen Analyse des bulls gehts ihm doch um den shit!)

Die Notwendigkeit (vom infantilen Humor und einem gewissen Aufmerksamkeitseffekt abgesehen) erschließt sich mir nun, naja, eher nicht.

sondern die Grundidee, das Phänomen selbst, das
in dieser Trinität sich zeigt:
(Wahrheit vs. Lüge) vs. Bullshit

Damit operiert Frankfurt.

ja, das ist der eigentliche und einzige Punkt des Aufsatzes;

Aber wenn ich an all die
Diskussionen
denke, die um den Begriff der Wahrheit geführt wurden,
erscheint
mir das nicht gerade glücklich.

Ja, die Bezeichnung „Bullshit“ erschien uns ja bereits als nicht sehr „glücklich“;
wir stimmen aber wohl überein, dass man statt „Bullshit“ ohne viel Verlust auch „Hühnerkacke“ oder „Milf-Hunter“ sagen könnte.

Im Unterschied dazu ist aber die Struktur (Wahrheit/Lüge)/Analsex schwerlich als „nicht glücklich“ zu bezeichnen, weil sie die Grundstruktur des Denkens dieses Aufsatzes ist. Ohne diese Struktur fällt der Aufsatz restlos in sich zusammen.

Wenn es sehr präzise (zu fassen) wäre… dann - wäre es bald
weg.
Es ist ausgesprochen diffus, aber gleichwohl ständig
wahrnehmbar,
weil ausserordentlich aufdringlich: ubiquitär, nicht nur im
täglichen
Leben, sondern, für mich eigentlich noch intensiver, wenn ich
in eine
(auch wissenschaftliche) Buchhandlung oder Seminarbibliothek
gehe,
wenn ich (z.B. philosophische) Fachzeitschriften durchblättere
usw.
usf.

Ja, völlig richtig;
wobei mir dann aber ein Satz wie der:
„Thus the production of bullshit is stimulated whenever a person’s obligations or opportunities to speak about some topic are more excessive than his knowledge of the facts that are relevant to that topic.“
irgendwie gleich wieder die Freude an der ScheißBullen-Analyse verdirbt.

Mehr reden als wissen, das Nicht-Relevante sagen, jemanden reden-lassen zu einem Thema, in dem er kein Experte ist, etc.

So oder ähnlich nehme ich den Ton hier war, und ich finde ihn, auch jenseits allen liberalistischen „Just my 2 cents, und das war jetzt auch noch mein Senf dazu, es soll doch jeder was dazu sagen dürfen“ (was Frankfurt ja in der darauf folgenden Passage kritisiert, und vielleicht zu Recht kritisiert) ziemlich kakophon, ist doch gerade das Expertenwissen in einer Gesellschaft ausdifferenzierter Funktionssysteme, und in einem Wissenschaftsbetrieb der hochgradigen Disziplinisierung des Wissens der Quell von Elefantenscheiße schlechthin.

Kurzum:
1)dank Deiner Hilfe habe ich tatsächlich einen besseren Zugang zu diesem Aufsatz gewonnen, und ich finde seinen Grundgedanken (seine Ausführung aber ganz und gar nicht!) in der Tat wichtig (allerdings nicht furchtbar neu).
2) Ich glaube, man müsste auch die Termini der Klammer durch Variablen ersetzen, weil Wahrheit/Lüge den Sachverhalt nicht treffen; sie sind zwar nicht so arbiträr gewählt wie „Bullshit“, haben aber dennoch etwas Beschissenes an sich.

Ich glaube, es ist die Herausarbeitung dieser spezifischen Dreiheit selbst (drei Variablen, eine Klammer und zwei Differenzen), die den Reiz des Aufsatzes ausmacht:
(X/Y)/Z
Und ich glaube, zumindest für mich, es ist weniger die Belegung von Z mit „Bullshit“ oder Motherfucker, die den Reiz nimmt, vielmehr die intuitiv durchaus neheliegende, aber letztlich doch unbedachte Belegung von X/Y mit Wahrheit/Lüge.

Teilst Du diese Sicht, und -wenn ja- wie könnte man X/Y begrifflich anders erfassen als mit X/Y?

Viele Grüße
franz

Hallo Franz,

weshalb dieses Phänomen nun „Bullshit“ heißen muss, was
Frankfurt ja durch diese dämliche Wörterbuch-Klauberei
nachzuweisen sucht, ist mir mehr als rätselhaft…
[…]
Im Unterschied dazu ist aber die Struktur
(Wahrheit/Lüge)/Analsex schwerlich als „nicht glücklich“ zu
bezeichnen, weil sie die Grundstruktur des Denkens dieses
Aufsatzes ist. Ohne diese Struktur fällt der Aufsatz
restlos in sich zusammen.

Ich versuche, ihn nicht so „wissenschaftlich“ zu verstehen.
Also:
Am Anfang stand vielleicht „bullshit“ auf F.s Papier, als Wutausbruch
infolge einer permanenten Verärgerung über ein Phänomen, das
allgegenwärtig ist, unübersehbar, lästig bis quälend schmerzhaft,
aber auf merkwürdige Weise unantastbar - trotz der Diskussionen, die
du neulich nanntest.

„Bullshit“ - F.s Aufschrei gegen… gegen was ?
Letztlich gegen die (Meinungs-)Freiheit bzw. ihre unvermeidlichen
Auswirkungen in einer (bloss) liberalistischen Gesellschaft.
Diese Freiheit aber ist das Heilige dieser Gesellschaft, wird,
wie in den Diskussionen über/gegen den Islam derzeit überdeutlich,
wie eine Monstranz präsentiert. Und dennoch wird kaum einem
intelligenten Beobachter, also auch nicht Harry Frankfurt, entgangen
sein, wohin die einst so hoffnungsvolle Erkämpfung des „öffentlichen
Gebrauchs der Vernunft“ geführt hat: zur massenhaften Produktion von

  • bullshit.

Die so unakademische Wortwahl, die ein Princeton-Professor traf,
ruft nach einer Deutung: die Banalität des Phänomens, die Sakralität
der „Freiheit“, die Analität des Ausbruchs – ich will das hier nicht
ausführen, aber in dieser Richtung würde ich weitergehen.

Die „Grundstruktur“ des Aufsatzes scheint mir eher nebensächlich.
Auch die recht gute Stelle mit der Wittgenstein-Anekdote bleibt noch
ganz im Rahmen des „angelsächsischen“ Denkens und Philosophierens,
innerhalb dessen m.E. keine wirkliche Lösung des bullshit-Problems
zu finden ist. Frankfurt scheint auch das gespürt zu haben, weshalb
er stagnierte.

Ich bin mal deinem Link gefolgt und fand ein aktuelles Video-
Interview mit Frankfurt:
http://www.pupress.princeton.edu/video/frankfurt/
Leider fand ich keine Transskription; aber soviel ich verstanden
habe, ist er tatsächlich in dieser von ihm selbst ja als sehr wichtig
klassifizierten Frage nicht weitergekommen.

Ich glaube, es ist die Herausarbeitung dieser spezifischen
Dreiheit selbst (drei Variablen, eine Klammer und zwei
Differenzen), die den Reiz des Aufsatzes ausmacht: (X/Y)/Z
Und ich glaube, zumindest für mich, es ist weniger die
Belegung von Z mit „Bullshit“ oder Motherfucker, die den Reiz
nimmt, vielmehr die intuitiv durchaus neheliegende, aber
letztlich doch unbedachte Belegung von X/Y mit Wahrheit/Lüge.

Teilst Du diese Sicht, und -wenn ja- wie könnte man X/Y
begrifflich anders erfassen als mit X/Y?

Wie schon oben gesagt: ich würde (zunächst) nicht so
„wissenschaftlich“ vorgehen und die Wortwahl „bullshit“ nicht als
Reklamegag o.ä. auffassen, sondern… s.o.

Grüsse
Nescio

Moin Franz,

zunächst einmal freut es mich, dass nach ein paar Tagen doch noch eine Diskussion in Gang gekommen ist.

Und ich glaube, zumindest für mich, es ist weniger die
Belegung von Z mit „Bullshit“ oder Motherfucker, die den Reiz
nimmt, vielmehr die intuitiv durchaus neheliegende, aber
letztlich doch unbedachte Belegung von X/Y mit Wahrheit/Lüge.

Das ist gerade gegen Ende des Aufsatzes problematisch, besonders weil F. die starke These vertritt, dass Wahrheit objektiv erkannt werden könne, was tatsächlich ein wenig unbedacht erscheinen mag. Werde dies allerdings fallengelassen, führe dies nach F. zwangsläufig zum Bullshit.

Aber zu Deiner angesprochenen Trinität:
Vorsichtiger könnte man sich dem Thema durch die Unterscheidung zwischen Äußerungen, die nicht nur der Form nach, sondern auch substantiell Wahrheitsanspruch erheben, und Äußerungen, die lediglich der Form nach Wahrheitsanspruch erheben, aber substantiell instrumentelle Äußerungen sind, nähern.

Erstere ersetzen dann Deinen Klammerausdruck und die zweiten stehen für den Bullshit.

Oder um es mit Habermas’ Unterscheidung zu sagen: Bullshit ist kommunikatives Handeln, das sich als Diskurs verkleidet hat.

Gruß Eddie.

Hallo Eddie,

letztlich doch unbedachte Belegung von X/Y mit Wahrheit/Lüge.

Das ist gerade gegen Ende des Aufsatzes problematisch,
besonders weil F. die starke These vertritt, dass Wahrheit
objektiv erkannt werden könne, was tatsächlich ein wenig
unbedacht erscheinen mag.
Werde dies allerdings
fallengelassen, führe dies nach F. zwangsläufig zum Bullshit.

Genau das meinte ich;
Ich finde etwa diesen Satz durchaus akzeptabel:
„One response to this loss of confidence has been a retreat from the discipline required by dedication to the ideal of correctness to a quite different sort of discipline, which is imposed by pursuit of an alternative ideal of sincerity. Rather than seeking primarily to arrive at accurate representations of a common world, the individual turns toward trying to provide honest representations of himself.“

Aber F. scheint in der Passage zuvor unbedacht den „forms of skepticism“ und den „anti-realistic doctrines“ jeden Bezug auf „correctness“ abzusprechen, und übersieht damit die Problematik der Unterscheidung Wahrheit/Lüge selbst.

Aber zu Deiner angesprochenen Trinität:
Vorsichtiger könnte man sich dem Thema durch die
Unterscheidung zwischen Äußerungen, die nicht nur der Form
nach, sondern auch substantiell Wahrheitsanspruch erheben, und
Äußerungen, die lediglich der Form nach Wahrheitsanspruch
erheben, aber substantiell instrumentelle Äußerungen sind,
nähern.

Möglicherweise (wobei ich nicht sicher bin, ob ich die Unterscheidung so verstehe, wie von Dir gemeint), aber wie passt dies etwa zur Wittgenstein-Anekdote, mit der F. das Konzept des Bullshits entwickelt?:
Ist die Aussage „I feel just like a dog that has been run over“ eine Aussage, die „lediglich der Form nach Wahrheitsanspruch
erhebt, aber substantiell instrumentelle Äußerungen ist“?

Viele Grüße
franz

Hallo Nescio,

weshalb dieses Phänomen nun „Bullshit“ heißen muss, was
Frankfurt ja durch diese dämliche Wörterbuch-Klauberei
nachzuweisen sucht, ist mir mehr als rätselhaft…
[…]
Im Unterschied dazu ist aber die Struktur
(Wahrheit/Lüge)/Analsex schwerlich als „nicht glücklich“ zu
bezeichnen, weil sie die Grundstruktur des Denkens dieses
Aufsatzes ist. Ohne diese Struktur fällt der Aufsatz
restlos in sich zusammen.

Ich versuche, ihn nicht so „wissenschaftlich“ zu verstehen.
Also:
Am Anfang stand vielleicht „bullshit“ auf F.s Papier, als
Wutausbruch
infolge einer permanenten Verärgerung über ein Phänomen

ja, das ist gut möglich :wink:

„Bullshit“ - F.s Aufschrei gegen… gegen was ?
Letztlich gegen die (Meinungs-)Freiheit bzw. ihre
unvermeidlichen
Auswirkungen in einer (bloss) liberalistischen Gesellschaft.

Nicht letztlich, erstlich!
Bullshit zeigt sich für F. oberflächlich im Liberalismus, in der Demokratie, in „someone who believes it his responsibility, as a conscientious moral agent, to evaluate events and conditions in all parts of the world“.

Aber „The contemporary proliferation of bullshit also has deeper sources“ [Herv. von mir, F.B.H.], nämlich die vermeintliche Konjunktur von „various forms of skepticism“ und „anti-realist doctrines“.

Diese Freiheit aber ist das Heilige dieser
Gesellschaft, wird,
wie in den Diskussionen über/gegen den Islam derzeit
überdeutlich,
wie eine Monstranz präsentiert. Und dennoch wird kaum einem
intelligenten Beobachter, also auch nicht Harry Frankfurt,
entgangen
sein, wohin die einst so hoffnungsvolle Erkämpfung des
„öffentlichen
Gebrauchs der Vernunft“ geführt hat: zur massenhaften
Produktion von

  • bullshit.

Ok, das ist möglicherweise richtig; die Frage aber ist, ob man diese Problematik in typisch analytisch-philosophischer Manier in eine statische, die-politischen-Verhältnisse-vergessende Analyse von Aussagemustern und Wahrheitsansprüchen pressen muss oder gar kann.

Und auf der anderen Seite hat gerade das alles möglicherweise nicht besonders viel mit Skeptizismus und Anti-Realismus zu tun …

Und dass dies auch noch die „deeper source“ des obigen sein soll …

Die so unakademische Wortwahl, die ein Princeton-Professor
traf,
ruft nach einer Deutung: die Banalität des Phänomens, die
Sakralität
der „Freiheit“, die Analität des Ausbruchs – ich will das
hier nicht
ausführen, aber in dieser Richtung würde ich weitergehen.

Ja, das sehe ich genauso; als vierten Punkt würde ich die Koalition hinzufügen, die die zutiefst-akademische Philosophie (die analytische nämlich) im Wort „Bullshit“ mit dem Stammtisch eingeht. (für mich übrigens eine sehr „naturwüchsige“ Koalition)

Wie schon oben gesagt: ich würde (zunächst) nicht so
„wissenschaftlich“ vorgehen und die Wortwahl „bullshit“ nicht
als
Reklamegag o.ä. auffassen, sondern… s.o.

Ja, ich ja in gewisser Weise auch (Elefantenscheiße, ScheißBullen, Hühnerkacke, etc. sind ja „anale Wutausbrüche“), aber F. eben nicht, wenn er den Begriff „Bullshit“ nicht in der Wut, sondern im Wörterbuch findet …

Viele Grüße
franz

Hallo Franz,

Diese Freiheit aber ist das Heilige dieser
Gesellschaft, wird,
wie in den Diskussionen über/gegen den Islam derzeit
überdeutlich,
wie eine Monstranz präsentiert. Und dennoch wird kaum einem
intelligenten Beobachter, also auch nicht Harry Frankfurt,
entgangen sein, wohin die einst so hoffnungsvolle Erkämpfung des
„öffentlichen Gebrauchs der Vernunft“ geführt hat: zur massenhaften
Produktion von - bullshit.

Ok, das ist möglicherweise richtig; die Frage aber ist, ob man
diese Problematik in typisch analytisch-philosophischer Manier
in eine statische, die-politischen-Verhältnisse-vergessende
Analyse von Aussagemustern und Wahrheitsansprüchen pressen
muss oder gar kann.

Ist für mich keine Frage: geht nicht. Das ungefähr meinte ich mit der
Begrenzheit der „angelsächsischen“ Philosophie. Die „europäische“
Philosophie hat allerdings trotzdem, so mein pauschaler Eindruck, vor
ihr längst kapituliert (bis auf einige Rückzugsgefechte,
Einigelungen, Verschanzungen). So werden wir wohl auf unabsehbare
Zeit mit einer Flut von bullshit leben müssen.

Die so unakademische Wortwahl, die ein Princeton-Professor
traf, ruft nach einer Deutung: die Banalität des Phänomens, die
Sakralität der „Freiheit“, die Analität des Ausbruchs – ich will
das hier nicht ausführen, aber in dieser Richtung würde ich
weitergehen.

Ja, das sehe ich genauso; als vierten Punkt würde ich die
Koalition hinzufügen, die die zutiefst-akademische Philosophie
(die analytische nämlich) im Wort „Bullshit“ mit dem Stammtisch
eingeht. (für mich übrigens eine sehr „naturwüchsige“ Koalition)

Hmmm. Das könnte den Verdacht wecken, dass bei diesem Vorgehen der
„Stammtisch“ in ähnlicher Weise fungiert wie bei Frankfurt der
„bullshit“. Das könnte möglichwerweise ebenso leicht „in die Hose
gehen“. Auf den Anti-Stammtisch-Reflex ist kein Verlass, sonst
bräuchte man ja nur dort gut hinhören und ein negatives Vorzeichen
setzen.

Grüsse
Nescio

Hallo, Eddie, Nescio,

habe gerade das Büchlein „Bullshit“ von Harry G. Frankfurt gelesen.
[…]
Ist dieses Büchlein einfach nur nett zu lesen, aber ansonsten
überflüssig?

Ich finde, es ist sehr wichtig, nicht nur, weil es von einem
„hochdekorierten“ US-Philosophen stammt. Dennoch:
Vor einiger Zeit habe ich das Thema hier schon einmal
vorgebracht:
http://www.wer-weiss-was.de/cgi-bin/forum/
showarchive.fpl?ArtikelID=2771492&archived=1&searchtext=bullshit&type
=beginnings&bool=or&database=Archiv&offset=20#2771492
und damals ist, wie jetzt auch, niemand darauf eingegangen.
Aus Sorge, damit nur mehr bullshit zu produzieren ?
Wohl kaum.
Auch sonst habe ich nur Referierendes, nichts Weiterführendes,
Tieferdringendes dazu gefunden (Hinweise willkommen).

Servus
Nescio

Der Ausdruck „Bullshit“ demonstriert oder probiert eine eigene übergeordnete Positionierung. Es ist ein typisch provinzielles Gehabe: Man macht andere schlecht, um dadurch selbst zu glänzen.

Friedhelm

Moin Franz,

Möglicherweise (wobei ich nicht sicher bin, ob ich die
Unterscheidung so verstehe, wie von Dir gemeint), aber wie
passt dies etwa zur Wittgenstein-Anekdote, mit der F. das
Konzept des Bullshits entwickelt?:
Ist die Aussage „I feel just like a dog that has been run
over“ eine Aussage, die „lediglich der Form nach
Wahrheitsanspruch
erhebt, aber substantiell instrumentelle Äußerungen ist“?

Natürlich handelt es sich hierbei um eine Äußerung, die tatsächlich Wahrheitsanspruch erhebt - sogar auf zwei Ebenen, einerseits wörtlich und andererseits interpretiert, wie z.B. „Ich fühle mich sehr schlecht.“

Aber, um an meiner Unterscheidung festzuhalten, handelt es sich bei dem Äußern einer Aussage mit Wahrheitsanspruch in diesem Fall um den sekundären Zweck der Äußerung. Primär ist die Äußerung instrumentell. Nicht ohne Grund wählt man in einer solchen Situation so ein Bild, um den eigenen Gefühlen Ausdruck zu verleihen, z.B. um die Situation aufzulockern, damit sich der Besucher der Kranken sich nicht allzu betroffen fühlen muss.

Allerdings besteht der Bullshit für „Wittgenstein“ in der Äußerung darin (hält man sich an die wörtliche Äußerung), dass die Sprecherin gar nicht wissen könne, wie sich ein überfahrener Hund fühlt, also gar nicht weiß, worüber sie spricht, womit also kein Wahrheitsanspruch erhoben werden könne.

Da die Sprecherin aber wohl nicht wörtlich verstanden werden will, handelt es sich wohl wie oben beschrieben um eine Äußerung mit zwei Zwecken. Erstens eine Aussage mit Wahrheitsanspruch und zweitens etwas anderes (Witz, Auflockerung der Situation o.ä.), das instrumentell ist.

MfG Eddie.

Hallo, Eddie und Franz,

Allerdings besteht der Bullshit für „Wittgenstein“ in der
Äußerung darin (hält man sich an die wörtliche Äußerung), dass
die Sprecherin gar nicht wissen könne, wie sich ein
überfahrener Hund fühlt, also gar nicht weiß, worüber sie
spricht, womit also kein Wahrheitsanspruch erhoben werden könne.

Da die Sprecherin aber wohl nicht wörtlich verstanden werden
will, handelt es sich wohl wie oben beschrieben um eine
Äußerung mit zwei Zwecken. Erstens eine Aussage mit
Wahrheitsanspruch und zweitens etwas anderes (Witz,
Auflockerung der Situation o.ä.), das instrumentell ist.

So gesehen möchte ich meine anfängliche Aussage, Frankfurt habe mit
dieser Anekdote zumindest einen passablen Einstieg geschafft,
revidieren bzw. abschwächen.

Denn natürlich musste Wittgenstein solche Redeweisen kennen und auch
in dem gemeinten Sinne verstanden haben, dass sie nur irgendwie
witzig/auflockernd sein sollen; seine „ernste“ Reaktion muss aber
selbst wieder als witzig - wenn auch aus anderem Geiste - aufgefasst
werden.

Insofern -> die Anekdote ist nur bedingt bzw. nur auf den ersten
Blick zur Illustration von bullshit tauglich.

Dass Frankfurt, ein alter Hase in diesem Metier, das nicht gemerkt
hat, sagt mir, dass er schon hier - nicht erst mit seinen Wörterbuch-
Recherchen, begann, dem Problem „bullshit“ als vielleicht
aufdringlichstem Phänomen der liberalistischen Gesellschaft
auszuweichen.

Grüsse
Nescio

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Hallo Eddie,

ist etwas länglich geworden, aber ich dachte so zum Abschluss … :wink:

Ich glaube, die Tatsache, dass wir drei, Du, Nescio und ich, mit Textkenntnis und auf doch nicht sehr niedrigem Niveau, uns so durchaus unterschiedliche Lesarten bilden, sagt ja auch schon ein bißchen etwas über das Problem dieses Aufsatzes aus;

vielleicht lässt sich der Hype um ihn bzw. zumindest ein Teil dessen, dadurch erklären, dass dieser Aufsatz wegen einer gewissen Vagheit an ganz bestimmten Stellen jedem Leser die Möglichkeit bietet, seinen ganz persönlichen Ärger über all den Bullshit, dem er in seinem Leben ausgesetzt ist, hinein zu projizieren, und dabei von F., dem großen Philosophen, auch noch Recht bekommt. Ein wenig dahin weisen ja bereits die Eingangsworte:
„One of the most salient features of our culture is that there is so much bullshit. Everyone knows this“

Ist die Aussage „I feel just like a dog that has been run
over“ eine Aussage, die „lediglich der Form nach
Wahrheitsanspruch
erhebt, aber substantiell instrumentelle Äußerungen ist“?

Natürlich handelt es sich hierbei um eine Äußerung, die
tatsächlich Wahrheitsanspruch erhebt - sogar auf zwei Ebenen,
einerseits wörtlich und andererseits interpretiert, wie z.B.
„Ich fühle mich sehr schlecht.“

Aber, um an meiner Unterscheidung festzuhalten, handelt es
sich bei dem Äußern einer Aussage mit Wahrheitsanspruch in
diesem Fall um den sekundären Zweck der Äußerung. Primär ist
die Äußerung instrumentell.

Nicht ohne Grund wählt man in
einer solchen Situation so ein Bild, um den eigenen Gefühlen
Ausdruck zu verleihen, z.B. um die Situation aufzulockern,
damit sich der Besucher der Kranken sich nicht allzu betroffen
fühlen muss.

die „Situation aufzulockern“ im Sinne von „anders darstellen als sie ist“, halte ich -mit F.- aber für Lüge, nicht für Bullshit …

Allerdings besteht der Bullshit für „Wittgenstein“ in der
Äußerung darin (hält man sich an die wörtliche Äußerung), dass
die Sprecherin gar nicht wissen könne, wie sich ein
überfahrener Hund fühlt, also gar nicht weiß, worüber sie
spricht, womit also kein Wahrheitsanspruch erhoben werden
könne.

Da die Sprecherin aber wohl nicht wörtlich verstanden werden
will, handelt es sich wohl wie oben beschrieben um eine
Äußerung mit zwei Zwecken. Erstens eine Aussage mit
Wahrheitsanspruch und zweitens etwas anderes (Witz,
Auflockerung der Situation o.ä.), das instrumentell ist.

Du hast oben aber nicht nur beschrieben, dass es sich um zwei Äußerungen handelt, sondern, dass es sich um zwei hierarchisierte Äußerungen handelt, als Du schriebst: „Primär ist die Äußerung instrumentell“

Diese Hierarchisierung finde ich problematisch: Frau Pascal (so heißt sie doch, glaube ich) fühlt sich schlecht, und sie drückt dies (wie könnte es auch anders sein) als Angabe eines Schlecht-Fühl-Grades anhand einer alltagssprachlichen Schlecht-Fühl-Skala (die meinetwegen von „ich bin heute nicht ganz so gut drauf wie immer“ bis „ich werde in 10 Minuten sterben“ reicht) aus.

Ihr Schlecht-Fühl-Grad ist eben das „feel just like a dog that has been run over“ (all die ironischen, hyperbolischen und sonst witzigen Untertöne gehören zur Aussage dazu, sind nicht davon abtrennbar, weil sie ja den Ort dieser Aussage auf der Skala festlegen), und auf diese „Grad-Angabe“ bezieht sich der Wahrheitsanspruch; hier ist in keinster Weise von Bullshit zu sprechen.

Bullshit tritt erst dann an die Oberfläche, als „Wittgenstein“ diese Aussage spaßhaft (Wittgenstein) bzw. ernsthaft (Frankfurt) wörtlich nimmt, und damit ent-kontextualisiert (nicht als Grad-Angabe des Schlecht-Fühlens versteht, sondern wortwörtlich als „Aussage über das Gefühlsleben überfahrener Hunde“).

In der Tat ist diese Gradangabe in gewisser Weise selbst bereits schon Bullshit (weil sie eben immer zugleich einen Wahrheitsanspruch über das Hunde-Fühlen erhebt, der Wahrheitsgehalt aber bullshittig ignoriert wird („egal, ob wahr oder falsch“), also weder Wahrheit noch Lüge gesprochen wird).

Das Problem aber ist meines Erachtens die „Bandbreite“ des Bullshits bzw. die Abgrenzung zum Non-Bullshit:

Eine Aussage z.B. wie „Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen“ in Art 12 (1) GG, ist in einem adäquaten Zusammenhang selbstverständlich nicht als Bullshit zu verstehen (Wahrheitsanspruch: Freiheit der Berufswahl wird tatsächlich nicht gesetzlich eingeschränkt), während diese Aussage etwa in einem typischen politischen Vortrag eines Vergleichs der faktischen „Arbeitsplatzzuteilungen“ BRD-DDR dahingehend als Bullshit verstanden werden muss, weil auch dort dieser Wahrheitsanspruch (mit) erhoben wird, aber bullshittig der Wahrheitsgehalt (wie „frei“ die Berufswahl tatsächlich -jenseits des rein-formalgesetzlichen Zusammenhangs- ist) ignoriert wird, ganz im Sinne einer der Frankfurt’schen „Definitionen“ des Bullshits:
„What disgusts him [„Wittgenstein“] is that Pascal is not even concerned whether her statement is correct“

Der Politiker, der diese Aussage tätigt, lügt eben dabei nicht, sondern es ist ihm schlicht egal, er befasst sich gar nicht damit, ob die Aussage in diesem Kontext korrekt ist oder nicht …

Viele Grüße
franz

@ Nescio: Wie Du ja hier lesen kannst, verstehe ich Frankfurts Deutung der „Wittgenstein-Anekdote“ etwas anders als Eddie; ich gebe Dir Recht, dass mit Eddies Lesart Deine „Revision“ berechtigt wäre, mit meiner Lesart aber würde ich -und ich glaube, auch Du- daran festhalten, dass er die Problematik mit der „Wittgenstein“-Anekdote durchaus adäquat in den anfänglichen Blick nimmt, dann aber sehr inadäquat ausarbeitet, und mit dem völlig oberflächlichen Verweisen auf „Demokratie“ und „anti-realist doctrines“ genau dort landet, wo Du ohnehin seinen Ausgang siehst: bei der sehr unspezifischen Wut über bestimmte Dinge, die er schlicht für „bullshit“ hält, weil er sich darüber ärgert.

Klickzahlbilanz
Hallo,
Eddies Anfrage vom 1.3.:

habe gerade das Büchlein „Bullshit“ von Harry G. Frankfurt gelesen.
[…]
Ist dieses Büchlein einfach nur nett zu lesen, aber ansonsten
überflüssig?

wurde bis zum 7.3., 16 h 152 mal aufgerufen.
Fast drei Viertel (>70 %) der Leser waren so desinteressiert am
Thema, dass sie keinen der folgenden Beiträge mehr aufriefen.
Mein Versuch, nach 3 Tagen Ruhe eine Diskussion anzustossen,
wurde bis jetzt nur 43 mal aufgerufen.
Dann, als eine Diskussion anlief, ging es mit den Aufrufen steil
bergab. Zuletzt interessierte sie offenbar nur noch die aktiven
Diskutierer.
Für sie - und mit Dank an sie - ziehe ich diese grobe Bilanz des
Interesses
(die noch krasser ausfiele, zählte man die Mehrfachaufrufe ab,
die von Eddie, Franz und mir stammen)…
und weil sie doch auch „irgendwie“ zum Thema gehört.

Grüsse
Nescio

@MOD: Klicktobsuchtsanfall ?
Nach einer halben Stunde 101 (einhundertundeins) Aufrufe ?
Hat sich da einer klickend ausgetobt ?
Kannst du das sehen ?

Nescio

Hallo Nescio

Es gibt nichts langweiligeres als Pessimisten :wink:

gruß
rolf