Hallo Eddie,
ist etwas länglich geworden, aber ich dachte so zum Abschluss … 
Ich glaube, die Tatsache, dass wir drei, Du, Nescio und ich, mit Textkenntnis und auf doch nicht sehr niedrigem Niveau, uns so durchaus unterschiedliche Lesarten bilden, sagt ja auch schon ein bißchen etwas über das Problem dieses Aufsatzes aus;
vielleicht lässt sich der Hype um ihn bzw. zumindest ein Teil dessen, dadurch erklären, dass dieser Aufsatz wegen einer gewissen Vagheit an ganz bestimmten Stellen jedem Leser die Möglichkeit bietet, seinen ganz persönlichen Ärger über all den Bullshit, dem er in seinem Leben ausgesetzt ist, hinein zu projizieren, und dabei von F., dem großen Philosophen, auch noch Recht bekommt. Ein wenig dahin weisen ja bereits die Eingangsworte:
„One of the most salient features of our culture is that there is so much bullshit. Everyone knows this“
Ist die Aussage „I feel just like a dog that has been run
over“ eine Aussage, die „lediglich der Form nach
Wahrheitsanspruch
erhebt, aber substantiell instrumentelle Äußerungen ist“?
Natürlich handelt es sich hierbei um eine Äußerung, die
tatsächlich Wahrheitsanspruch erhebt - sogar auf zwei Ebenen,
einerseits wörtlich und andererseits interpretiert, wie z.B.
„Ich fühle mich sehr schlecht.“
Aber, um an meiner Unterscheidung festzuhalten, handelt es
sich bei dem Äußern einer Aussage mit Wahrheitsanspruch in
diesem Fall um den sekundären Zweck der Äußerung. Primär ist
die Äußerung instrumentell.
Nicht ohne Grund wählt man in
einer solchen Situation so ein Bild, um den eigenen Gefühlen
Ausdruck zu verleihen, z.B. um die Situation aufzulockern,
damit sich der Besucher der Kranken sich nicht allzu betroffen
fühlen muss.
die „Situation aufzulockern“ im Sinne von „anders darstellen als sie ist“, halte ich -mit F.- aber für Lüge, nicht für Bullshit …
Allerdings besteht der Bullshit für „Wittgenstein“ in der
Äußerung darin (hält man sich an die wörtliche Äußerung), dass
die Sprecherin gar nicht wissen könne, wie sich ein
überfahrener Hund fühlt, also gar nicht weiß, worüber sie
spricht, womit also kein Wahrheitsanspruch erhoben werden
könne.
Da die Sprecherin aber wohl nicht wörtlich verstanden werden
will, handelt es sich wohl wie oben beschrieben um eine
Äußerung mit zwei Zwecken. Erstens eine Aussage mit
Wahrheitsanspruch und zweitens etwas anderes (Witz,
Auflockerung der Situation o.ä.), das instrumentell ist.
Du hast oben aber nicht nur beschrieben, dass es sich um zwei Äußerungen handelt, sondern, dass es sich um zwei hierarchisierte Äußerungen handelt, als Du schriebst: „Primär ist die Äußerung instrumentell“
Diese Hierarchisierung finde ich problematisch: Frau Pascal (so heißt sie doch, glaube ich) fühlt sich schlecht, und sie drückt dies (wie könnte es auch anders sein) als Angabe eines Schlecht-Fühl-Grades anhand einer alltagssprachlichen Schlecht-Fühl-Skala (die meinetwegen von „ich bin heute nicht ganz so gut drauf wie immer“ bis „ich werde in 10 Minuten sterben“ reicht) aus.
Ihr Schlecht-Fühl-Grad ist eben das „feel just like a dog that has been run over“ (all die ironischen, hyperbolischen und sonst witzigen Untertöne gehören zur Aussage dazu, sind nicht davon abtrennbar, weil sie ja den Ort dieser Aussage auf der Skala festlegen), und auf diese „Grad-Angabe“ bezieht sich der Wahrheitsanspruch; hier ist in keinster Weise von Bullshit zu sprechen.
Bullshit tritt erst dann an die Oberfläche, als „Wittgenstein“ diese Aussage spaßhaft (Wittgenstein) bzw. ernsthaft (Frankfurt) wörtlich nimmt, und damit ent-kontextualisiert (nicht als Grad-Angabe des Schlecht-Fühlens versteht, sondern wortwörtlich als „Aussage über das Gefühlsleben überfahrener Hunde“).
In der Tat ist diese Gradangabe in gewisser Weise selbst bereits schon Bullshit (weil sie eben immer zugleich einen Wahrheitsanspruch über das Hunde-Fühlen erhebt, der Wahrheitsgehalt aber bullshittig ignoriert wird („egal, ob wahr oder falsch“), also weder Wahrheit noch Lüge gesprochen wird).
Das Problem aber ist meines Erachtens die „Bandbreite“ des Bullshits bzw. die Abgrenzung zum Non-Bullshit:
Eine Aussage z.B. wie „Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen“ in Art 12 (1) GG, ist in einem adäquaten Zusammenhang selbstverständlich nicht als Bullshit zu verstehen (Wahrheitsanspruch: Freiheit der Berufswahl wird tatsächlich nicht gesetzlich eingeschränkt), während diese Aussage etwa in einem typischen politischen Vortrag eines Vergleichs der faktischen „Arbeitsplatzzuteilungen“ BRD-DDR dahingehend als Bullshit verstanden werden muss, weil auch dort dieser Wahrheitsanspruch (mit) erhoben wird, aber bullshittig der Wahrheitsgehalt (wie „frei“ die Berufswahl tatsächlich -jenseits des rein-formalgesetzlichen Zusammenhangs- ist) ignoriert wird, ganz im Sinne einer der Frankfurt’schen „Definitionen“ des Bullshits:
„What disgusts him [„Wittgenstein“] is that Pascal is not even concerned whether her statement is correct“
Der Politiker, der diese Aussage tätigt, lügt eben dabei nicht, sondern es ist ihm schlicht egal, er befasst sich gar nicht damit, ob die Aussage in diesem Kontext korrekt ist oder nicht …
Viele Grüße
franz
@ Nescio: Wie Du ja hier lesen kannst, verstehe ich Frankfurts Deutung der „Wittgenstein-Anekdote“ etwas anders als Eddie; ich gebe Dir Recht, dass mit Eddies Lesart Deine „Revision“ berechtigt wäre, mit meiner Lesart aber würde ich -und ich glaube, auch Du- daran festhalten, dass er die Problematik mit der „Wittgenstein“-Anekdote durchaus adäquat in den anfänglichen Blick nimmt, dann aber sehr inadäquat ausarbeitet, und mit dem völlig oberflächlichen Verweisen auf „Demokratie“ und „anti-realist doctrines“ genau dort landet, wo Du ohnehin seinen Ausgang siehst: bei der sehr unspezifischen Wut über bestimmte Dinge, die er schlicht für „bullshit“ hält, weil er sich darüber ärgert.