Hallo Karin,
Ich hätte mich so gefreut, wenn Frau Schwan Bundespräsidentin
geworden wäre.
Frau Schwan stand für mich für Herzlichkeit, Lockerheit,
Freiheit des Denkens, vielleicht hätte sie ein Stück mehr
Lebensfreude in unsere pessimistische Grundeinstellung
gebracht.
diese Vorstellung gefällt mir.
Eines der Hauptprobleme im Land ist die schlechte Grundstimmung im Lande, die sich nicht zuletzt auch in zurückhaltendem bzw. zurückgehaltenem Konsum äußert. Der Ansatz, die Stimmung von oben durch einen herzlichen und lockeren Menschen zu ändern, ist interessant und ich will gar nicht mal von der Hand weisen, daß das möglich wäre.
Weiterhin bin ich einerseits der Ansicht, daß Köhler relativ klar andeutet, daß er sich aktiver in die Politik einmischen will, als die bisherigen Bundespräsidenten. Das kann man kritisch sehen.
Aber andererseits wurde es Zeit, daß der weinerliche Rentner mit der Bibel unter dem Arm verschwindet. Seine nicht vorhandene wirtschaftliche Fachkompetenz hat Rau schon viel zu lange in NRW unter Beweis gestellt. Daß er in diesen Zeiten Bundespräsident werden konnte, ist eine weitere Schurkerei der bunten Übergangsregierung, die mich immer noch wütend macht. Daß ein liebevoller, handzahmer Wanderprediger keine Impulse setzen kann, war vollkommen klar. Daß Herzog nach fünf Jahren keine Lust mehr hatte, ist vor diesem Hintergrund noch bedauerlicher.
Die Frage ist nun, welche Persönlichkeit wir als Bundespräsidenten brauchen. Brauchen wir jemanden, der - übertrieben gesagt - den Klassenclown mimt und für eine gute Stimmung auf dem Friedhof sorgt, oder brauchen wir jemanden, der ohne machtpolitischen Hintergrund - und damit nicht sofort angreifbar - die Problemfelder aufzeigt, die Parteien (also politische Parteien, Gewerkschaften, Unternehmerverbände usw.) an den Ohren zum Verhandlungstisch zerrt und den Menschen wirklich bewußt macht, daß es hier so nicht mehr weiter geht.
Die schlechte Grundstimmung, von der ich oben sprach, ist erklärbar. Sie kommt nicht daher, daß irgendwelche Leute subtile negative Energie verbreiten, sondern daher, daß die Menschen konkrete Sorgen haben. Dies betrifft die berufliche Zukunft, dies betrifft die Lage der Sozialsysteme, dies betrifft allgemeine finanzielle Sorgen (gefühlter Preisannstieg, Benzinpreis usw.), dies betrifft die Entwicklung im Ausland und inwieweit diese Entwicklung sich in Deutschland und/oder für jeden auswirken kann. Mit einem Wort: Unsicherheit.
Die Unsicherheit hat m.E. inzwischen die gesamte Bevölkerung ergriffen, nur hat sie verschiedene Auswirkungen.
Einige sehen und begreifen die Probleme und verlangen Reformen. Andere sehen die Probleme und verlangen Reformen, die sie nicht betreffen.
Die Frage ist, welche Position besser ist. Näher an der Realität ist die erste, subjektiv angenehmer die zweite. Daher eben die Wortwahl: Bewußtsein. Daß Probleme da sind, weiß irgendwie jeder, nur ist sich nicht jeder deren Existenz wirklich bewußt. Das erinnert mich an einen Artikel aus L & L. Eine Frau plante seit Monaten die Trennung, die Situation wurde immer schlimmer und sie wußte, daß sie auch nicht besser werden würde. Die Koffer aber wurden nicht gepackt. Diese Trennung von Erkenntnis und Bewußtsein lähmt dieses Land.
Die Freude über Wiedervereinigung und Wiedervereinigungsboom ist dem Katzenjammer gewichen. Der Kohlkönig kam mit der völlig neuen Situation nicht zurecht (die er im übrigen Deutschland auch mit eingebrockt hat) weil der Partei durch seine einseitige und rigide Personalpolitik die innovativen Köpfe fehlten und die Leute von der Ersatzbank mußten erst das Regieren üben und seit sie damit angefangen haben, kommt nur Mist dabei raus.
Die Teile der Bevölkerung, die sich über den Machtwechsel freuten (so auch ich), mußten erkennen, daß ein Trainerwechsel auch bei veränderter Spielweise nicht gleich einen Sieg bedeutet. Auch der letzte hat wohl begriffen, daß bei den Bunten erhoffter Anspruch und erreichte Wirklichkeit weit auseinanderklaffen.
Vielleicht - und wirklich nur vielleicht - ist ein Bundespräsident, der in vielerlei Hinsicht völlig anders ist als seine Vorgänger, wirklich eine Möglichkeit, um diesen Kutter wieder auf Kurs zu bringen. Wenn nicht, wirds gruselig, denn viele Ecken, aus denen Impulse kommen könnten, fallen mir nicht mehr ein. Außer der rechten Ecke, in der auch hier schon fleißig mit den Hufen gescharrt wird.
Gruß,
Christian