Hallo Horst,
also wenn ich, als so eine Art wandelndes Feindbild einiger Katholiken auf diesem Board, schon das Gefühl habe, das da versucht wird eine vermeintliche Tatsache als „ist“ festzustellen, also der ganze Ansatz bereits deutlich das vorgegebene Ergebnis zeigt, dann zählt das für mich eher als rethorische Übung, aber nicht unter wissenschaftliche Diskussion. Soviel mal vorne weg.
Hi.
Ich will das Thema „Christentum und Menschenrechte“
anschneiden, da deren Zusammenhang vermutlich sehr kontrovers
gedeutet wird und mich die Argumente insbesondere derer
interessieren würden, die beide Begriffe für kompatibel
halten.
Dabei solltest Du zunächst einmal anmerken, das die Menschenrechte und die Stellung der Gesellschaften dazu, sich über die Zeit entwickelten. Genauso wie die Kirche. Insofern ist bereits hier bei jedem Vergleich festzustellen, dass Du implizit etwas aus den letzten 200 Jahren gegen einen vorgeblichen Status Quo vergleichst. Mal ehrlich, was die Kirche dazu sagt, weiß ich jetzt nicht, aber der Geschichtler in mir schreit gequält auf.
Was sind Menschenrechte? Hier als Grundlage die
Wiki-Definition: „Das Konzept der Menschenrechte geht davon
aus, dass jeder Mensch von Geburt an mit gleichen Rechten
ausgestattet sein soll und diese egalitär begründeten Rechte
unveräußerlich und unteilbar sind sowie universelle Gültigkeit
haben.“
Was eigentlich eher das Axiom der Menschenrechte ist.
Die Rechte beinhalten im Detail (wieder Wiki):
„Recht auf Freiheit, Eigentum und Sicherheit der Person
Allgemeine, nur durch Gesetz beschränkbare Handlungsfreiheit
Freiheit von willkürlichen Eingriffen in die Privatsphäre
(Wohnung, Briefgeheimnis etc.)
Persönlichkeitsrechte
Meinungsfreiheit
Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit
Reisefreiheit
Versammlungsfreiheit
Informationsfreiheit
Berufsfreiheit“
Der Gedanke solcher Rechte war auch nur im Ansatz der Antike
sowie dem Mittelalter unbekannt. Erst mit der Aufklärung ab
dem 16., vor allem dann dem 17. und 18. Jahrhundert, wuchs die
Idee allmählich zu dem heran, als das wir sie heute kennen: zu
einer Selbstverständlichkeit.
Falsch. In kleineren Gesellschaften waren Dinge z.T. selbstverständlich, die in großen modernen Gesellschaften festgeschrieben werden mussten weil sich eben gerade Obrigkeiten so gerne über diesen Usus hinwegsetzten. Ein Grieche zur Zeit des Aristoteles konnte frei reisen. Der Briefverkehr war kein Thema, denn es gab keine Post. Allerdings geht man bei den wenigen Briefen, die erhalten sind, davon aus, dass das Briefgeheimnis ziemlich automatisch gewahrt war, weil die von Boten überbracht wurden. Die Meinungsfreiheit war den alten Griechen heilig und, was weniger bekannt ist, auch bereits im alten Ägypten ziemlich weit. Versammlungsfreiheit (ohne Genehmigungsverfahren wie heute in Deutschland) gab es in Sumer, Ägypten, Griechenland (inkl. Sparta), sowie beinahe die gesamte Zeit im römischen Imperium. Die Wahl eines Berufes war in der Antike allgemein durch die Möglichkeiten begrenzt. Also im Prinzip wie heute. Das Mittelalter zeigte in dieser Hinsicht allerdings eine ziemlich verblüffende Durchdringbarkeit. Und was den Schutz der Privatsphäre angeht, so hat sich schon Hammurabi darüber erste Gedanken gemacht und spätestens seit Karl dem Großen ist im fränkischen Recht erstmals „der Schutz des Hofes“ festgeschrieben.
Wie aber passt das Christentum da hinein?
Erst einmal gar nicht, weil es mit dieser Entwicklung erst im fürhen Mittelalter wirklich zu tun bekam, als es in Mittelitalien immer stärker in Form der Papststaaten zu gesetzgebenden Obrigkeit wurde. Und selbst dann bezog man sich eigentlich erst einmal auf die fränkische Rechtsprechung. Es gab ja keine katholisch-weltliche Rechtsprechung.
"Fürchtet euch vor dem“, so der biblische Jesus über seinen
Vater in Lukas 12, 5, „der nicht nur töten kann, sondern die
Macht hat, euch auch noch in die Hölle zu werfen. Ja, ich sage
euch: ‘Ihn sollt ihr fürchten’.“ In Matthäus 23, 33 schleudert
er den Pharisäern entgegen: „Ihr Nattern, ihr Schlangenbrut!
Wie wollt ihr dem Strafgericht der Hölle entrinnen?“ -
vermutlich keineswegs nur rhetorisch gemeint.
Merkwürdigerweise spricht Jesus kurz davor in Matthäus 23, 23,
also in der gleichen Ansprache, von der Tugend der
Barmherzigkeit, an der es – nein, nicht ihm, sondern: - den
Pharisäern mangele. Barmherzigkeit und ewige Höllenqual
figurieren als zwei Kernelemente der christlichen Lehre, die
eigentlich doch einander logisch ausschließen sollten und vom
ersten Christen dennoch in eine zusammenhängende
Argumentationskette hineingenommen werden.
Du übersiehst hier ein paar Gesichtspunkte:
Der Gesichtspunkt des Historikers: Was hat ein Text der aus Texten des 1.+2.Jahrhunderts nach Christus willkürlich zusammengesetzt wurde für eine Verbindlichkeit auf die Rechtsprechung 1600 Jahre später.
Der Gesichtspunkt der Religion: Wenn Du ganz genau nachliest, und den Text nicht ganz so zielgerichtet zusammensetzt, findest Du, dass Bermherzigkeit sich auf das Diesseits bezieht. Die Höllenqualen auf das Jenseits. Dadurch entsteht natürlich die Arguemntationskette: Sei hier nett, sonst könnte es Dir drüben dreckig gehen.
Der Gesichtspunkt des Rethorikers: Schaum mal auf Deinen Einschub zum Thema Barmherzigkeit. „Merkwürdigerweise spricht Jesus kurz davor in Matthäus 23, 23, also in der gleichen Ansprache, von der Tugend der
Barmherzigkeit, an der es – nein, nicht ihm, sondern: - den
Pharisäern mangele.“ Ein Tipp, gehe nie her, wenn Du zur Durchsetzung Deiner Argumentation schon rückwärts in der Quelle springst und trage dann so dick auf wie in diesem „nicht ihm sondern den Pharisäern“. Denn dann merkt auch der Latzte, dass Du hier versuchst eine Meinung zu verkaufen, aber nicht zu diskutieren.
Das beschworene Strafgericht der Hölle erscheint mir komplett
unkompatibel zur Idee der Menschenrechte. Die nämlich hängen
eng zusammen mit irdischer Gerichtsbarkeit und gewissen
prozessualen Rechten des Angeklagten. Von da führt keine
Brücke zu einer absoluten Instanz auf dem Level eines
allmächtigen Gottes. Ein Abgrund trennt beides.
Abgesehen davon, dass eine letzte Instanz immer eine letzte Instanz ist. Wohin gehst Du, wenn das Verfassungsgericht Dich auch nicht liebt? Also irgendwo ist immer Schluß. Die Vorstellung eines „Göttlichen Strafgerichts“ ist so alt wie die Geschichte der Religion. Es ist übrigens immer ein „göttliches“, kein „höllisches Strafgericht“. Und immer, das scheint ein grundlegender Zug von vielen Religionen zu sein, werden die Taten aus dem Diesseits bewertet. Mit anderen Worten, es werden vergangene Taten bewertet. Also wie im modernen Strafrecht. Man kann Dich für den verknacken, den Du letztes Jahr umgelegt hast, aber nicht für den, den Du nächste Woche umlegen wirst. Rechtssicherheit.
Letzten Endes kannst du dich rein nach Logik nur darüber beschweren, dass Gotrt nach kirchlicher Ansicht alles weiß, also auch, was Du in Deine Briefe schreibst. Er verletzt also in irgendeiner obskuren Form das Briefgeheimnis. Aber die Religionsfreiheit verletzt er zum Beispiel nicht. Weil, wenn Du an einen anderen Gott glaubst, ist der hier ja gar nicht mehr zuständig für Dich.
Bis ins 19. Jahrhundert hat die Kirche die Sklaverei
legitimiert, insbesondere die Versklavung von Afrikanern in
Nordamerika.
Eigentlich hat das die ganze Welt getan. In der Bibel steht hingegen die Aufforderung die Sklaven freizugeben. Das die Kirche sich nicht immer und in allen Fällen an die Bibel hält, bewerte ich eher auf der gleichen Ebene wie z.B. manche Aktionen unserer eigene Obrigkeit die gegen Gesetze verstoßen.
Die Wurzeln dessen liegen bereits in Statements
von Jesus und bedeutender Christen wie z.B. Paulus und
Augustinus.
Jesus sagt in Matthäus, 22, 15-22: „Gebet denn, was des
Kaisers ist, dem Kaiser und, was Gottes ist, Gott“.
siehe dazu die Diskussion an anderer Stelle zu Pontius Pilatus. Weiter unten auf diesem Board. Außerdem werden hier im Text glaich vor der Stelle, die Du ausgeschnitten hast, ausdrücklich Steuern erwähnt. Steuerfreiheit ist zwar wünschenswert für das Individuum, aber kein Menschenrecht.
Im Römerbrief 13 äußert sich Paulus über die Rechte der
Ohnmächtigen: „Jeder leiste den Trägern der staatlichen Gewalt
den schuldigen Gehorsam. Denn es gibt keine staatliche Gewalt,
die nicht von Gott stammt; jede ist von Gott eingesetzt. Wer
sich daher der staatlichen Gewalt widersetzt, stellt sich
gegen die Ordnung Gottes, und wer sich ihm entgegenstellt,
wird dem Gericht verfallen.“
„den SCHULDIGEN Gehorsam“. Außerdem zeigt sich hier natürlich das Problem des Vergleichens früher Texte mit später Jurisdiktion. Der Text stammt aus einer Zeit, als es ja allgemein anerkannt war, dass die Obrigkeit von Gott eingesetzt bzw. selbst göttlich war. Gottkaisertum in Rom beispielsweise. D.h. der Text hatte im 19.Jahrhundert seinen sozialen Kontext lange verloren. Was die Kernaussage mit der Einschränkung „SCHULDIGER“ Gehorsam nicht vom Tisch wischt. Es macht lediglich die Einschätzung zwischen „geschuldetem“ und „ungeschuldetem“ Gehorsam schwieriger.
Man lasse diese Sätze einmal auf sich einwirken, besonders den
zweiten, und bedenke, welche fürchterlichen Erscheinungsformen
des staatlichen Terrors mit ihnen vom zweitwichtigsten aller
Christen legitimiert werden.
Ja, erzähl mal …
Das Problem mit vielen Kirchengegnern wie mit genauso vielen Kirchenanhängern ist doch immer das gleiche. Da wird flüchtig gelesen und den Rest, abseits der Stelle die man gerade vor sich hat, ist vom Winde verweht. Beispiel Sklaverei: In Jer34 geht es darum keine Sklaven zu halten, was aber im weiteren Sinne trotzdem nicht die Verantwortung für sie abschafft. Jesus erklärt dem Reichen, dass es für einen Reichen schwerer ist in den Himmel zu kommen als ein für ein Kamel durch ein Nadelöhr - in einer Zeit als Reichtum oft auf Skalven beruhte. Das alleine relativiert, was „schuldiger Gehorsam“ ist. Also selbst für jemanden, der kein theologe, kein Freund der Kirche und kein wirklich religiöser Mensch ist sondern „nur“ Geschichtler, ist die Bibel so schlecht nicht, man muss aber immer das Gesamtbild betrachten. Ich kann aus dem Handbuch meines in Taiwan gefertigten Mainboards sicher auch eine Stelle heraussuchen, die, wenn ich sie nur falsch genug überstze und aus dem Kontext reisse beweist, dass der ungenannt bleiben wollende Hersteller des Boards sich für die Sklaverei einsetzt. Was macht z.B. ein Hostcontroller? Und überhaupt, in meinem Computer sitzt einer, der gibt allen den Takt vor nach dem sie arbeiten müssen …
Das System der Ein- und Unterordnung aller ´Seelen´ unter den
göttlichen Willen nennt Augustin ‘ordo’. Über den Zusammenhang
von ordo und pax, Ordnung und Frieden, äußert er sich wie
folgt: „… der Friede zwischen dem sterblichen Menschen und
Gott (ist) der in Glauben geordnete Gehorsam unter dem Gesetz,
der Friede unter den Menschen die geordnete Eintracht, der
Friede im Haus die im Befehlen und Gehorchen geordnete
Eintracht der Bewohner, der Friede im Staat die im Befehlen
und Gehorchen geordnete Eintracht der Bürger, der Friede des
himmlischen Staates die wunderbar geordnete Eintracht der
Gemeinschaft im Genuß Gottes und im wechselseitigen Genuß in
Gott; der Friede aller Dinge aber ist die Ruhe der Ordnung.“
(De civitate Dei).
Augustinus war in vieler Hinsicht ein Hardliner. Er war ein Kirchenlehrer und ein sterblicher Mensch ohne Anspruch auf Vollkommenheit. Ich hatte mal einen Deutschlehrer der war überzeugter Kommunist und irgendwie vom Marsch durch die Institutionen übrig geblieben. Deswegen glaube ich ihm trotzdem heute noch nicht, dass Kommunismus das Paradies auf Erden ist. Augustinus als 100% richtig anzusehen gibt ihm mehr Ehre als ihm zusteht.
Er hat allerdings, wenn auch sehr drastisch, das grundsätzliche Prinzip einer jeden Gesellschaft beschrieben, ganz einfach weil eine jede Gesellschaft aufgrund ihrer Größe zwangsläufig hierarchisch wird. Das Einzige, was also fehlt ist, dass er hinterhersetzt, dass Befehle getarnt werden, anders etikettiert, um politisch korrekt zu sein. Das ein gewisses Maß an Dauerrebellion trendy ist, ist ja bekannt. Aber da dabei sowieso nichts rauskommt, ist gerade Deutschland für mich ein Land in dem Augustinus doch ständig seinen Wahrheitsgehalt beweist.
Auffällig ist zunächst, daß in diesen wenigen Sätzen der
Gehorsamsbegriff gleich dreimal erscheint. Sein Pendant, der
Herrschaftsbegriff, ist im hebräischen Text des Alten
Testaments übrigens das dritthäufigste Wort.
Was ein Wunder. Da hast Du zunächst einmal einen Text von Augustinus genommen in dem es um Gehorsam geht und wunderst Dich, dass das Wort drinnen vorkommt? Und dann hängst Du gleich noch die Texte als Beispiel an, in dem es um Herrschaft und die Gesetze, denen auch sie unterliegt, geht und wunderst Dich, dass Herrschaft deutlich drinnen vorkommt? Wenn ich mir das Strafgesetzbuch vornehme, kommt bestimmt auch Freiheitsstrafe drin vor. Und wenn ich mir meine Kochbücher durchsehe, dann finde ich „Braten“. Trotzdem ist das braten von Braten unter der gegenwärtigen Herrschaft auch dem gehorsamsten Menschen erlaubt und nicht mit Freiheitsstrafe zu ahnden.
Absoluter Gehorsam gegenüber ‘Gott’ und gegenüber dem Staat -
das ist die Devise Augustins und ist generell die Devise des
christlich-katholischen Staatsdenkens schon seit Paulus, ja
schon seit Jesus.
Den „absoluten“ Gehorsam hast Du gerade eingeführt. Bei Paulus ging es noch um den „schuldigen“ Gehorsam.
All das ist weit entfernt von Menschenrechten.
Jetzt hast Du einen Spagat über 16 Jahrhunderte machen müssen, die Texte unvollständig zusammenschneiden müssen und die Schlußfolgerung ist immer noch zweifelhaft. Und ausgerechnet ich, der nicht-Kirchler finde mich in der Position wieder, die Kirche zu verteidigen? Das wird kein guter Tag, ich spüre es schon.
Ich behaupte: die Kirche hat diese Rechte als ernstzunehmende
Ideen, sofern moderne Repräsentanten diese vertreten, von
außen importiert, aus dem Lager ihrer historischen Gegner im
18. und 19. Jahrhundert. Sie hat sie übernommen, weil sie sich
in einem Rückzugsgefecht befand und gezwungen war, einige
Features sich anzueignen, die up-to-date waren. Nur so konnte
sie halbwegs den Anschluss an die philosophisch-ethische
Augenhöhe der Zeit bewahren, bis zum heutigen Tag.
Wenn Du mal über die Geschichte der katholischen Kirche, und wir reden ja fälschlich immer von „der Kirche“ wenn wir in Wirklichkeit die katholische meinen, liest, dann wird Dir auffallen, dass sie sich phasenweise entwickelt. Nicht immer uzm Guten, es gab da einen Haufen Entgleisungen, ohne Frage. Aber der signifikante Punkt ist, dass sie sich immer wieder wandelte, immer wieder innerhalb eines gewissen Spielraumes anpasste. Ein Grund für diese Anpassungsfähigkeit war immer die Tatsache, dass „die Kirche“ kein homogenes Gebilde ist. Da gab und gibt es immer wieder Fraktionen mit verschiedenen Meinungen und selbst, wenn eine Fraktion an der Macht zu sein scheint (was das kirchlich auch bedeuten mag), der Einfluss weiterer ist immer da.
Wenn ein richtiger Gedanke von außen importiert wird, wie Du es in diesem Falle behauptest, dann muss das jemand innerhalb „der Kirche“ getan haben, der ihn als richtig erkannte. Wo also liegt das Problem?
Sieht das jemand anders?
Offensichtlich. Aber nimm’s nicht zu ernst, ich neige dazu manchmal zu stark im Detail zu differenzieren.
Gruß
Peter B.