Lieber Raoul!
Mich stört es ziemlich, dass den Angehörigen der Opfer in der
medialen Berichterstattung soviel Raum gegeben wird.
Es interessiert mich nicht die Bohne, was der Buback-Sohn oder
der Schleyer-Sohn zu sagen hat … deren Wort ist für mein
Empfinden um keinen Deut wichtiger als das von Fritz Müller
aus Schwenningen.
Es besteht schon ein gewisser Unterschied. Buback, Schleyer,
Ponto, etc. waren „Stellvertretermorde“. Die Person war total
egal es ging um ihre Funktion im System. Insofern wurden den
Kindern von Buback und Schleyer stellvertretend für alle die
Väter geraubt.
So gesehen gebe ich dir Recht.
Allerdings sehe ich die beiden angesprochenen Söhne nicht unbedingt als Stellvertreter des Systems in den Medien repräsentiert, sonst hätte ich nicht die ‚Entpolitisierung‘ bedauert.
Aber, es stimmt schon, diese Perspektive kann man ein Stück weit einnehmen.
Die RAF-Verbrechen (das Wort drückt aus, dass ich sie
nicht gutheiße, auch wenn ich sie nicht
schlicht und einfach als „böse“ abtun kann) hatten definitiv
eine politische Dimension.
Ja, das hatten Hoyerswerder, Rostock und Mügeln auch. Trotzdem
waren die Taten „böse“ (wie die der RAF).
Diesen logischen Schluss habe ich gar nicht gezogen.
Ich empfinde diese Verbrechen nicht in vollem Maß als „böse“ aus denjenigen Gründen, die Didi und Anwar schon anführten, auch wenn ich mich da nicht ganz anschließen würde.
Jedenfalls habe ich nicht behauptet, eine Tat sei nicht „böse“, nur weil sie politisch wäre.
Und zum dritten unterscheide ich schon zwischen Gewalt, die an den angesprochenen „Stellvertretern“ ausgeübt wird, und der Gewalt an „Sündenböcken“.
Ein Schwarzer im Stadtpark ist kein Stellvertreter des Systems, ein Generalstaatsanwalt oder ein Arbeitgeberpräsident vielleicht schon, vielleicht auch nicht, aber ganz sicher eher als der Schwarze im Stadtpark.
Zwar war die RAF nie die „Volksbefreiungsbewegung“ als die sie
sich selbst sah, aber es gab in den 70ern Zustimmungsraten zum
bewaffneten Kampf der RAF in Höhen, mit denen Parteien in die
Parlamente einziehen könnten.
auch Hitler, Stalin und Saddam Hussein hatten bemerkenswerte
Zustimmungsraten. Macht es sie zu Wohltätern?
Auch das habe ich doch gar nicht behauptet.
Die Zustimmungsrate habe ich als Indiz für die politische Dimension verwendet, nicht für ‚Wohltaten‘.
Wenn in den Medien ständig die Angehörigen der Opfer erwähnt
werden, wird damit diese fraglos gegebene politische Dimension
verharmlost.
Mit Verlaub: Dafür, dass die politischen Dimensionen nicht
verharmlost werden hat die RAF schon selbst gesorgt. Ihre
faschistoide und menschenverachtende Haltung allem „anderen“
gegenüber machte sie keinen Deut besser als einen Himmler,
Goebbels oder Hitler.
Sehe ich nicht so, weil ich auf die Unterscheidung zwischen der gezielten Ermordung von ‚Stellvertretern‘ und einer gigantischen Vernichtungspolitik dann schon noch einen Wert lege.
Ich finde übrigens, dass ich mit dem Nachdruck auf diese Unterscheidung in keinster Weise irgendwas verharmlosen würde.
Eher wäre ich geneigt, dir diesen Vorwurf ob deiner Gleichsetzung zu machen … aber anyway.
Und ich finde es schon ziemlich
erschreckend, dass du versuchst die Taten zu rechtfertigen
(auch wenn Du sagst, dass Du sie nicht gutheißt), einzig und
allein aus der Tatsache heraus, weil sie „politisch“ waren.
Nein, siehe oben!
Beim Irakkrieg wird auch nicht ständig angeführt, was Ali C.
zur Ermoderung seines Vaters zu sagen hat, und wird gar Ali C.
bei der Erwägung zu Rate gezogen, ob man Bush nach DenHaag
(Brüssel?) laden sollte.
Naja, die Auflage von Todenhöfers Buch „Warum tötest Du Zaid?“
( ISBN:3570010228 Buch anschauen ) beweist das Gegenteil.
Aussredem ist das ja nicht wirklich Teil der deutschen
Geschichte. Aber auch das Buch der Anne Frank, Ausstellung
über KZ-Insassen und „Guido Knopp Sendungen“ über Mauertote
strafen dich Lüge.
Nein, darum gehts doch nicht.
Bei Anne Frank und bei den Mauertoten steht die politische Dimension der Verbrechen ja wohl überhaupt gar nicht in Frage;
bei der RAF schon, da sind von „politisch nur rationalisierte, stinknormale Verbrechen“ über „politisch motivierter Kampf“ bis „Widerstands- und Freiheitskampf“ alle Deutungen noch im Diskurs vertreten bzw. die endgültige Deutung ist noch offen und umkämpft.
In diesem semantischen Deutungskampf hat die stete mediale Präsenz der Kinder der Opfer (und zwar repräsentiert als Kinder, nicht als Stellvertreter des Systems) die Funktion, die RAF zu „normalen Verbrechern“ zu machen.
Das ist auch die Position der bürgerliche Mitte und insofern eine politische Position.
Nur darum ging es mir, nicht um irgendeine Rechtfertigung der RAF.
_ ℂ Λ ℕ Ð I Ð € _
@ Didi: Danke für das Biller-Zitat