Christian Klar

Lieber Tom!

Ich glaube, zwischen uns besteht eigentlich kein großer Dissens in dieser Frage, insofern nur noch ein paar Klarstellungen.

Auch aus meiner Sicht steht die politische Dimension der RAF
ausser Frage, insofern kann ich Dir voll zustimmen. Ich glaube
sogar, dass hier ein Konsens innerhalb der Gesellschaft
besteht. Selbst das bürgeliche Lager, das in der
Öffentlichkeit stets die Taten als „normale Morde“ bezeichnet
und sich peinlichst bemüht den ideologischen Hintergrund
auszublenden bzw. zu ignorieren hat doch durch eine Reihe von
Sondergesetzen dafür gesorgt, dass ein RAF Terrorist eben
nicht als normaler Mörder einsitzt.

Das ist richtig, ich wollte auch nicht behaupten, dass das ‚bürgerliche Lager‘ völlig einheitlich wäre, und ohne jede Gegentendenz die politisch-ideologischen Hintergründe völlig ausblendet, aber als Leitlinie tat und tut es dies m.E. schon:

Kay Nehms sinngemäßes Diktum „Keine Amnestie für Mord“ bringt dies perfekt auf den Punkt:
http://www.focus.de/politik/deutschland/deutschland-…

Der Begriff „Amnestie“ ist ein genuin politischer, der Begriff „Mord“ (als juristischer Begriff) ein genuin unpolitischer.
Und in dieser ‚bürgerlichen‘ Interpretation der RAF sticht eben das Unpolitische dann letzlich doch das Politische.

Selbst wenn die Tat an sich politisch war, so hat sie auch
eine menschliche Dimension.

Klar, jede politische Tat hat eine menschliche Dimension.

Darüber hinaus darf bezweifelt dass alle Taten der RAF auf dem
Fundament revolutionärer Ideologie begangen wurden. Baader
z.B. bedrohte in Stammheim beinahe täglich Vollzugsbeamte mit
dem Tod wenn er genervt war oder sich ungerecht behandelt
fühlte.

Ja, schon, auch richtig, Baader war auch zuvor ein Kleinkrimineller in den 60er Jahren, hatte vielleicht schwule Neigungen, war hypomanisch strukturiert, klaute wie ein Rabe, was weiß ich noch alles …

Aber was hat es mit der politischen Dimension zu tun, dass die Taten nicht nur auf reiner Ideologie beruhten, sondern darüber hinaus auch auf psychischen Dispositionen?

Dieses Argumentationsmuster ist so in etwas das, was ich als den ‚bürgerlichen‘ Umgang mit der RAF bezeichne.
Der Perspektivenwechsel vom Politischen zum Psychologischen wird nicht als auch eingesetzt, sondern als aber, als Schmälerung.

Um es aktuell mit Herrn Haider zu vergleichen. Sein Tun beruhte im Vergleich sogar zu Baader auf fast gar keiner Ideologie, er litt vermutlich unter bipolaren Störungen, litt unter seiner unterdrückten homosexuellen Neigung, konnte sich nie richtig von den Eltern distanzieren usw.
Trotz alledem gilt all sein öffentliches Tun völlig zu Recht als ohne Zweifel politisch und nicht als, was weiß ich, ausagierter Mutterkomplex, was es aus psychologischer Perspektive selbstverständlich auch ist.

Dennoch müssen
auch die Opfer zu Wort kommen und klar machen, dass an einem
Generalbundesanwalt eben auch liebende Menschen hängen, die
den Rest des Lebens mit dem Schicksal zu kämpfen haben den
geliebten Ehemann oder Vater durch Gewalt verloren zu haben.

Sicher richtig, ich wollte auch nicht grundsätzlich sagen, dass diese nicht zu Wort kommen sollten. Es geht mir um das Wann, in welchem Zusammenhang, mit welcher diskursiven Funktion sie in Berichten und Interviews auftauchen.

_ ℂ Λ ℕ Ð I Ð € _

Lieber Raoul!

Zum einen muss ich bestreiten,
dass eine Entpolitisierung der RAF statt findet. Schau Dir die
ganzen Filme, Dokus, Bücher, etc. über die RAF und ihre Zeit
an, ich kann nirgendwo feststellen, dass sie entpolitisiert
werden (jetzt am Sonntag bietet sich wieder die Gelegenheit um
20.15 in der ARD). Ich denke nur, dass die Diskussion
verschiedene Stoßrichtungen hat. Es gibt auf der einen Seite
das bürgerliche Lager, das trotz der dahinterstehenden Politik
einen Mord als ein „normales“ Verbrechen betrachtet und es
gibt das eher linke Lager, dass die Morde für nicht
vergleichbar hält.

Ok, darauf können wir uns einigen.

Ich empfinde diese Verbrechen nicht in
vollem Maß als „böse“ aus denjenigen Gründen, die Didi und
Anwar schon anführten, auch wenn ich mich da nicht ganz
anschließen würde.

Und dem kann ich eben nicht folgen. Weil mit dieser „Der Zweck
heiligt die Mittel“-Ansicht kann ich alles rechtfertigen.
Damit konnte die DDR die Mauer, Stalin die Gulags und Bush
Guantanamo rechtfertigen.

Das ist schon richtig, ich mag mich aber auch nicht einfach dem Gegenteil davon anschließen, der da lautet: „Kein Zweck heiligt die Mittel.“

Ich betrachte es als einen ethisch-politischen Balanceakt, darum sprach ich auch von „nicht in vollem Maß als ‚böse‘“, und ich sprach nicht einfach von „das war gut“.

Ich geh sogar noch weiter: Ich behaupte ein politisch
motivierter Mord (sei es von links oder rechts) ist sogar noch
schlimmer als ein „trivialer, alltäglicher“ Mord.

Ich nicht, u.a. wohl deshalb nicht, weil ich ‚politisch motivierte Morde‘ nicht alle in denselben Topf werfe.

Um mit einem Extremfall zu argumentieren: die Tat von Stauffenberg (fraglos politisch motiviert) ist für mich auf keinen Fall schlimmer als ein ‚normaler‘ Mordanschlag.
Gleiches gilt für mich auch ziemlich fraglos für manche Tötungen im Kampf gegen Kolonialherren, gegen das Apartheid-Regime, gegen rassistisch motivierte Unterdrückung usw.

Vermutlich siehst du dies sogar teilweise genauso, dann müsstest du eben unter den ‚politisch motivierten Morden‘ binnen-differenzieren.

Ich sagte übrigens nie, dass ich generell politisch motivierte Morde für weniger schlimm halten würde. Keineswegs.

Jedenfalls habe ich nicht behauptet, eine
Tat sei nicht „böse“, nur weil sie politisch wäre.

aber sie sei „weniger böse“

Nein, für weniger ‚böse‘, weil sie auf eine bestimmte Weise politisch ist, nicht weil sie generell politisch ist.

Und zum dritten unterscheide ich schon zwischen Gewalt, die an
den angesprochenen „Stellvertretern“ ausgeübt wird, und der
Gewalt an „Sündenböcken“.
Ein Schwarzer im Stadtpark ist kein Stellvertreter des
Systems, ein Generalstaatsanwalt oder ein Arbeitgeberpräsident
vielleicht schon, vielleicht auch nicht, aber ganz sicher eher
als der Schwarze im Stadtpark.

Nur wer bestimmt, wer Stellvertreter und wer Sündenbock ist?
Das liegt dann doch einzig und allein im Auge des
(politischen) Betrachters.

Ja, das tut es, aber nur weil die Unterscheidung Stellvertreter des Systems vs. Sündenbock interpretationsbedürftig und politisch umkämpft ist, hört sie nicht auf, eine Unterscheidung zu sein, die man ziehen sollte, wenn man RAF und braune Schläger nicht einfach gleichsetzen möchte.
Und selbst wenn man dies möchte und nicht unterscheidet, tut man dies ja auch wieder auf dem Hintergrund einer politisch-ideologischen Haltung …

Mit Verlaub: Dafür, dass die politischen Dimensionen nicht
verharmlost werden hat die RAF schon selbst gesorgt. Ihre
faschistoide und menschenverachtende Haltung allem „anderen“
gegenüber machte sie keinen Deut besser als einen Himmler,
Goebbels oder Hitler.

Sehe ich nicht so, weil ich auf die Unterscheidung zwischen
der gezielten Ermordung von ‚Stellvertretern‘ und einer
gigantischen Vernichtungspolitik dann schon noch einen Wert
lege.

Ich rede vom Grundsatz. Natürlich liegen da andere Dimensionen
dazwischen, die dahinter stehenden Vorstellungen sind aber die
gleichen.

Nein, sehe ich auch vom Grundsatz her nicht so. Mir ging es dabei auch nicht um Quantität, sondern -um den Eingangsaspekt nochmal aufzugreifen- um die unterschiedliche Balance von Zwecken und Mitteln.

_ ℂ Λ ℕ Ð I Ð € _

Hallo,

Aber sie sollen nicht einen CK härter bestrafen als den Mörder
Müller, der einen Herrn Maier getötet hat.
Denn das würde heißen, daß ein Herr Buback oder Schleier als
Mensch mehr wert war als der getötete Herr Maier.

Da sind wir einer Meinung, ein Mörder ist ein Mörder. Basta.

Gruß
Rumburak

hi

Ich verstehe Deine Argumentation, auch wenn ich ihr nicht folgen kann. Deswegen geh ich nur auf folgendes Statement von Dir ein:

Ich geh sogar noch weiter: Ich behaupte ein politisch
motivierter Mord (sei es von links oder rechts) ist sogar noch
schlimmer als ein „trivialer, alltäglicher“ Mord.

Ich nicht, u.a. wohl deshalb nicht, weil ich ‚politisch
motivierte Morde‘ nicht alle in denselben Topf werfe.

Um mit einem Extremfall zu argumentieren: die Tat von
Stauffenberg (fraglos politisch motiviert) ist für mich auf
keinen Fall schlimmer als ein ‚normaler‘ Mordanschlag.
Gleiches gilt für mich auch ziemlich fraglos für manche
Tötungen im Kampf gegen Kolonialherren, gegen das
Apartheid-Regime, gegen rassistisch motivierte Unterdrückung
usw.

Nun gut, aber das kann man doch alles nur ex-ante bewerten. Hätte Deutschland den WW II gewonnen, wäre Stauffenberg der größte Verbrecher, den Deutschland je gehabt hat. Die Moral- und Wertvorstellungen hätten sich anders entwickelt. Dann ist es aber auch so, dass wenn die RAF sich letztendlich durchgesetzt hätte, ihre Taten als richtig beurteilt worden wären (wie die Taten eines Che Guevaras, Fidel Castros oder Ben Gurion). Wenn man das akzeptiert, muss man aber auch akzeptieren, dass die Wert- und Moralvorstellungen divergieren können. So ist für den Altnazi die Tat des Neonazi eher gerechtfertigt als für einen ausländischen Mitbürger und die Taten eines Bin Laden eher für den Islamisten als für den Amerikaner. Und jetzt sind wir wieder am Anfang der Diskussion: Welche politische Tat ist „besser“ als die andere? Entscheidest Du das? Ich? Das Kollektiv? Das ist das was ich meine. Man kann das entweder nur für sich alleine entscheiden, dann würde aber das gesamte Strafrecht keinen Sinn mehr machen, oder man akzeptiert, dass es einzig und allein von der gesellschaftlichen Moralvorstellung abhängt, die aber schon vorher (und nicht ex ante) feststeht. Und nach dieser waren die RAF „einfache“ Morde, die zwar politisch motiviert waren, deren politische Motivation aber nicht höher zu bewerten ist als die des glatzköpfigen Idioten.

gruß

Hallo!

Darf ich mich kurz in Deine Diskussion mit Candide mit einem Gedanken einschalten?
Ich bin davon überzeugt, dass es spätestens seit der Aufklärung in Europa, aber nicht nur hier, einen Wertekonsens gibt, der unsere Moral und die Ethik bestimmt. Vielen Angehörigen der Wehrmacht z.B. war durchaus klar, dass sie einen verbrecherischen Krieg führen, obwohl das Regime mit Nachdruck versuchte eine neue Moral zu etablieren die Eroberungsfeldzüge und die Vernichtung von Völkern legitimieren sollte war es doch vielen klar, dass dies gegen fundamentale Menschenrechte verstiess. De jure waren die Verbrechen der Wehrmacht also legitimiert, kein Soldat oder SS Scherge hatte irgendetwas von den Richtern zu befürchten, aber tatsächlich war es vielen Menschen klar, dass hier tiefstes Unrecht geschieht. Damit will ich einfach Deine Argumentation entkräften, es käme nur auf die äusseren Umstände und die aktuelle Rechtsprechung an was wir als Recht oder Unrecht empfinden. Dem ist meiner Meinung nach eben nicht so.

Die Linke, auch die extreme, sieht am Ende ihrer erträumten politisch/gesellschaftlichen Entwicklung das befreite und selbstbestimmte Individuum. Ob es sich hierbei um eine naive, unrealistische Fiktion handelt spielt keine Rolle. Das Ziel linker Gruppierungen ist die klassenlose, befreite Gesellschaft, international und friedlich. Interessanterweise ein sehr christliches Motiv, ein Umstand der insofern eine würdigende Beachtung verdient weil viele RAFler der 1. Generation eine aktive chrisliche Karriere vorzuweisen hatten. Aber das nur nebenbei.

Die angestrebte Gesellschaftsordnung extrem rechter Ideologie beruht dagegen auf der Unterdrückung von Menschen aufgrund ethnischer, rassischer, kultureller oder was weiss ich was Merkmale. Und dies nicht als Übergangsperiode sondern anhaltend und dauerhaft.

Damit ist objektiv das linke Gesellschaftbild dem rechten moralisch überlegen, da menschenfreundlicher.

Daraus kann man nun, wenn man so will, ableiten, dass gewisse Morde moralisch gerechtfertigter sind als andere.
Auch wenn das Ergebnis das selbe ist, nämlich der tote Mensch, würden wir doch beide die Aussage unterschreiben, dass beispielsweise die egoistische Tat eines Triebtäters der sein Opfer nach der Vergewaltigung tötet, verabscheuungswürdiger ist, als die Tötung eines inflagranti erwischten Vergewaltigers im Affekt.

Die egoistische Tat ist moralisch grundsätzlich fragwürdiger als die altruistische. Unser Strafrecht sieht diesen Unterschied nur partiell. Aber diese Überlegungen sind auf die RAF übertragbar und ich schliesse mich Candides Überlegungen an, dass ein aus rechtsextremen, und damit im angestrebten Endergebnis gesellschaftlicher Entwicklung menschenfeindlichen, Motiven erfolgter Mord moralisch verdammungswürdiger ist als der Mord aufgrund altruistischer, und damit menschenfreundlicher, Motive.

Aber vielleicht wird das jetzt zu akademisch und die Tötung von Menschen ist so oder so ein grosses Verbrechen und niemals als Instrument gesellschaftlicher Entwicklung geeignet.

Gruss
Tom

Nun gut, aber das kann man doch alles nur ex-ante bewerten.
Hätte Deutschland den WW II gewonnen, wäre Stauffenberg der
größte Verbrecher, den Deutschland je gehabt hat. Die Moral-
und Wertvorstellungen hätten sich anders entwickelt. Dann ist
es aber auch so, dass wenn die RAF sich letztendlich
durchgesetzt hätte, ihre Taten als richtig beurteilt worden
wären (wie die Taten eines Che Guevaras, Fidel Castros oder
Ben Gurion). Wenn man das akzeptiert, muss man aber auch
akzeptieren, dass die Wert- und Moralvorstellungen divergieren
können. So ist für den Altnazi die Tat des Neonazi eher
gerechtfertigt als für einen ausländischen Mitbürger und die
Taten eines Bin Laden eher für den Islamisten als für den
Amerikaner. Und jetzt sind wir wieder am Anfang der
Diskussion: Welche politische Tat ist „besser“ als die andere?
Entscheidest Du das? Ich? Das Kollektiv? Das ist das was ich
meine. Man kann das entweder nur für sich alleine entscheiden,
dann würde aber das gesamte Strafrecht keinen Sinn mehr
machen, oder man akzeptiert, dass es einzig und allein von der
gesellschaftlichen Moralvorstellung abhängt, die aber schon
vorher (und nicht ex ante) feststeht. Und nach dieser waren
die RAF „einfache“ Morde, die zwar politisch motiviert waren,
deren politische Motivation aber nicht höher zu bewerten ist
als die des glatzköpfigen Idioten.

gruß

Lieber Raoul!

Ich geh sogar noch weiter: Ich behaupte ein politisch
motivierter Mord (sei es von links oder rechts) ist sogar noch
schlimmer als ein „trivialer, alltäglicher“ Mord.

Ich nicht, u.a. wohl deshalb nicht, weil ich ‚politisch
motivierte Morde‘ nicht alle in denselben Topf werfe.

Um mit einem Extremfall zu argumentieren: die Tat von
Stauffenberg (fraglos politisch motiviert) ist für mich auf
keinen Fall schlimmer als ein ‚normaler‘ Mordanschlag.
Gleiches gilt für mich auch ziemlich fraglos für manche
Tötungen im Kampf gegen Kolonialherren, gegen das
Apartheid-Regime, gegen rassistisch motivierte Unterdrückung
usw.

Nun gut, aber das kann man doch alles nur ex-ante bewerten.

Du meinst ex-post, oder?

Hätte Deutschland den WW II gewonnen, wäre Stauffenberg der
größte Verbrecher, den Deutschland je gehabt hat. Die Moral-
und Wertvorstellungen hätten sich anders entwickelt. Dann ist
es aber auch so, dass wenn die RAF sich letztendlich
durchgesetzt hätte, ihre Taten als richtig beurteilt worden
wären

Ja, das wäre doch auch tendenziell so, oder?

Wobei, um das noch abschließend anzuführen, ich die Taten der RAF vor allem deshalb größtenteils verurteile, weil auch ex-ante schon (zumindest ab einem bestimmten Zeitpunkt) für die Täter erkennbar war, dass ihre Taten gesellschaftspolitisch nichts verbessern könnten.
(‚verbessern‘ natürlich wiederum notwendigerweise perspektivisch verstanden)

Insofern war der Deutsche Herbst aus meiner Sicht natürlich eine sinnlose, ideologisch verbohrte und deshalb dumme Form von Gewalt.

Jetzt muss ich mich selbst korrigieren: Es geht mir bei der Bewertung solcher Taten nicht nur, wie von mir im obigen Posting behauptet, um eine Balance von Mitteln und Zwecken, sondern um eine Balance von Mitteln, Zwecken und der Chance, dass diese Zwecke überhaupt erreicht werden können.

Du bist Jura-Student (glaube ich mal gelesen zu haben), dann dürfte dir Max Weber was sagen:
Diese Unterscheidung zwischen Zwecken und den Chancen, diese Zwecke zu erreichen, findest du anschaulich beschrieben in Webers klassischer Unterscheidung zwischen Gesinnungs- und Verantwortungsethik.

Nun meine persönliche Abschlussformel:
Die RAF hatte aus meiner Perspektive eine teilweise gute Gesinnung, agierte auch mit verhältnismäßigen Mittel (Stichwort ‚Stellvertreter‘), hatte aber keinerlei Gefühl für Verantwortung, weil ihr Töten von vorne herein sinnlos und unnötig war.

Wenn man das akzeptiert, muss man aber auch
akzeptieren, dass die Wert- und Moralvorstellungen divergieren
können.

Das muss man wohl immer, wenn man gesellschaftspolitische und historische Sachverhalte betrachtet, erst Recht wenn man das an Hand der Unterscheidung von ex ante und ex post macht.

So ist für den Altnazi die Tat des Neonazi eher
gerechtfertigt als für einen ausländischen Mitbürger und die
Taten eines Bin Laden eher für den Islamisten als für den
Amerikaner.

Das ist doch auch faktisch so.

Und jetzt sind wir wieder am Anfang der
Diskussion: Welche politische Tat ist „besser“ als die andere?
Entscheidest Du das? Ich? Das Kollektiv? Das ist das was ich
meine.

Du, ich, ‚die Öffentlichkeit‘, der Staatsapparat … ja, jeder von uns entscheidet das und versucht, seine Sicht durchzusetzen.

Man kann das entweder nur für sich alleine entscheiden,
dann würde aber das gesamte Strafrecht keinen Sinn mehr
machen, oder man akzeptiert, dass es einzig und allein von der
gesellschaftlichen Moralvorstellung abhängt, die aber schon
vorher feststeht.

Ich sehe nicht, dass die „gesellschaftliche Moralvorstellung“ eindeutig und monolithisch wäre. Sie ist etwas stets umkämpftes und spricht mit vielen Stimmen (Stichworte: Klassenmoral, Subkulturen, Gegenöffentlichkeit usw.).

Das Strafrecht steht vorher eindeutig fest, die Moralvorstellungen der Gesellschaft keineswegs.
Moral ist aber etwas anderes als das Strafrecht, und es kann durchaus moralisch einwandfrei sein, das Strafrecht nicht zu akzeptieren.
(in dem Sinne, wie Tom das in seinem Post unter mir schön aufzeigt an Hand der Wehrmachtsverbrechen)

Und nach dieser waren
die RAF „einfache“ Morde, die zwar politisch motiviert waren,
deren politische Motivation aber nicht höher zu bewerten ist
als die des glatzköpfigen Idioten.

nach dem Strafrecht?
Ja, vermutlich, aber das finde ich für eine ethisch-politische Diskussion irrelevant.

für die moralische Mehrheitsmeinung?
Ja, darum empfindet das ‚bürgerliche Lager‘, wie ich es hier nenne, die Taten als (ideologisch motivierte) Morde, und nicht als politischen Kampf.

Ein Ziel der RAF war aber, durch ihre Taten die Mehrheitsmeinung zu verändern, weil sie die Mehrheitsmeinung moralisch und politisch für falsch hielten.

Man muss ja nicht immer der moralischen Mehrheitsmeinung nachlaufen, man kann sie doch aus moralischen Gründen heraus auch verändern wollen …

_ ℂ Λ ℕ Ð I Ð € _

Hi

Nun gut, aber das kann man doch alles nur ex-ante bewerten.

Du meinst ex-post, oder?

Ja, natürlich. Entschuldige bitte.

Wobei, um das noch abschließend anzuführen,
ich die Taten der RAF vor allem deshalb
größtenteils verurteile, weil auch ex-ante schon (zumindest ab
einem bestimmten Zeitpunkt) für die Täter erkennbar war, dass
ihre Taten gesellschaftspolitisch nichts verbessern könnten.
(‚verbessern‘ natürlich wiederum notwendigerweise
perspektivisch verstanden)

Insofern war der Deutsche Herbst aus meiner Sicht natürlich
eine sinnlose, ideologisch verbohrte und deshalb dumme Form
von Gewalt.

hmm. Dürfte ich letzten Abschnitt hinterfragen? Ab wann wären die Taten der RAF nicht sinnlos, ideologisch verbohrt und deshalb dumm gewesen? Bzw. anders herum gefragt: Wie hätte eine gesellschaftspolitische Verbesserung aussehen müssen, damit dies der Fall gewesen wäre? Ist das eine rein utilitaristische, moralische oder empirische Betrachtung und muss diese ex ante oder ex post erfolgen?

Jetzt muss ich mich selbst korrigieren: Es geht mir bei der
Bewertung solcher Taten nicht nur, wie von mir im obigen
Posting behauptet, um eine Balance von Mitteln und Zwecken,
sondern um eine Balance von Mitteln, Zwecken und der Chance,
dass diese Zwecke überhaupt erreicht werden können.

Du hast mich im vorangegangen Posting gefragt, Ob bei mir „kein Mittel den Zweck heiligen“ würde. Und für manche Mittel sehe ich das in der Tat so, da spielt auch die Chance der Zweckerreichung keine Rolle. Um beim Tyrannenmord zu bleiben: Wer sagt ob jemand Tyrann ist oder Wohltäter? War Batista ein Tyrann? Wahrscheinlich… Ist Castro ein Tyrann? Wahrscheinlich auch. Es stellt sich also die Frage, ob die Tötung eines Tyrannen durch einen Tyrannen einen eigentlich legitimen Zweck illegitim macht. Auch stellt sich die Frage, wer entscheidet, ob jemand ein Tyrann ist, oder nicht? Die „Zweck heiligt die Mittel“-Ansicht ist von so vielen (unsicheren) Faktoren abhängig, dass mir das zu riskant ist.

Nun meine persönliche Abschlussformel:
Die RAF hatte aus meiner Perspektive eine teilweise gute
Gesinnung, agierte auch mit verhältnismäßigen Mittel
(Stichwort ‚Stellvertreter‘), hatte aber keinerlei Gefühl für
Verantwortung, weil ihr Töten von vorne herein sinnlos und
unnötig war.

Was war die „gute Gesinnung“? Verwechselst Du nicht 68er und RAF? Den gewaltsamen Umsturz eines Systems kann ich nämlich nicht als „gute Gesinnung“ bezeichnen. Auch die „verhältnismäßigen Mittel“ vermag ich nicht zu erkennen. Hinsichtlich Buback, Ponto und Schleyer muss ich wahrscheinlich akzeptieren, dass es Menschen gibt, die nur das Amt, nicht aber den Menschen dahinter sehen. Was aber ist mit den ganzen Polizisten, Fahrern und „einfachen“ amerikanischen Soldaten?

Und jetzt sind wir wieder am Anfang der
Diskussion: Welche politische Tat ist „besser“ als die andere?
Entscheidest Du das? Ich? Das Kollektiv? Das ist das was ich
meine.

Du, ich, ‚die Öffentlichkeit‘, der Staatsapparat … ja, jeder
von uns entscheidet das und versucht, seine Sicht
durchzusetzen.

Eben. Und wer erteilt den „moralischen Segen“, dass die RAF besser ist als der Nazi?

Das Strafrecht steht vorher eindeutig fest,
die Moralvorstellungen der Gesellschaft keineswegs.
Moral ist aber etwas anderes als das Strafrecht, und es kann
durchaus moralisch einwandfrei sein, das Strafrecht nicht zu
akzeptieren.

Das Strafrecht ist doch nichts von der Gesellschaft Losgelöstes. Das Strafrecht folgt den gesellschaftlichen Moralvorstellungen.

Und nach dieser waren
die RAF „einfache“ Morde, die zwar politisch motiviert waren,
deren politische Motivation aber nicht höher zu bewerten ist
als die des glatzköpfigen Idioten.

nach dem Strafrecht?
Ja, vermutlich, aber das finde ich für eine ethisch-politische
Diskussion irrelevant.

Ist es das? Der Bruch von gesellschaftlich aufgestellten und akzeptierten Rechtsnormen, die für ein gedeihliches Miteinander geschaffen wurden, ist für die Bewertung mE schon relevant. So kann ich versuchen meine Ziele rechtskonform durchzusetzen oder ich geh den rechtswidrigen Weg.

für die moralische Mehrheitsmeinung?
Ja, darum empfindet das ‚bürgerliche Lager‘, wie ich es hier
nenne, die Taten als (ideologisch motivierte) Morde, und nicht
als politischen Kampf.
Ein Ziel der RAF war aber, durch ihre Taten die
Mehrheitsmeinung zu verändern, weil sie die Mehrheitsmeinung
moralisch und politisch für falsch hielten.

Und genau das versuchen Al Quaida, Horst Mahler (welch Ironie des Schicksals) und Udo Voigt auch.

Man muss ja nicht immer der moralischen Mehrheitsmeinung
nachlaufen, man kann sie doch aus moralischen Gründen
heraus auch verändern wollen …

womit wir wieder bei der Zweck-heiligt-Mittel-Diskusison wären…

gruß

Lieber Raoul!

Meine letzte Anwort (habe heute leider keine Zeit mehr), wir befinden uns ja längst im extrem Grundsätzlichen, also im falschen Brett.

Insofern war der Deutsche Herbst aus meiner Sicht natürlich
eine sinnlose, ideologisch verbohrte und deshalb dumme Form
von Gewalt.

hmm. Dürfte ich letzten Abschnitt hinterfragen? Ab wann wären
die Taten der RAF nicht sinnlos, ideologisch verbohrt und
deshalb dumm gewesen? Bzw. anders herum gefragt: Wie hätte
eine gesellschaftspolitische Verbesserung aussehen müssen,
damit dies der Fall gewesen wäre?

Abstrakt ausgedrückt ging es mir um die Tötung von Personen ohne realistische Aussicht, damit ‚das System‘ zu ‚verbessern‘*.

* dafür gibt es natürlich keinen objektiven Maßstab.

Du hast mich im vorangegangen Posting gefragt, Ob bei mir
„kein Mittel den Zweck heiligen“ würde. Und für manche Mittel
sehe ich das in der Tat so, da spielt auch die Chance der
Zweckerreichung keine Rolle.
Um beim Tyrannenmord zu bleiben …

Wirklich?
Du findest es ok, einen Diktator zu töten, selbst wenn du genau wissen würdest, damit die Diktatur nicht beenden zu können?

Ich finde das nicht.

Um beim Tyrannenmord zu bleiben:
Wer sagt ob jemand Tyrann ist oder Wohltäter? War Batista ein
Tyrann? Wahrscheinlich… Ist Castro ein Tyrann?
Wahrscheinlich auch. Es stellt sich also die Frage, ob die
Tötung eines Tyrannen durch einen Tyrannen einen eigentlich
legitimen Zweck illegitim macht.

Ja, absolut.

Auch stellt sich die Frage,
wer entscheidet, ob jemand ein Tyrann ist, oder nicht?

Ja, auch das.

Die
„Zweck heiligt die Mittel“-Ansicht ist von so vielen
(unsicheren) Faktoren abhängig, dass mir das zu riskant ist.

Ja, sie ist riskant, und es auch wahrscheinlich nie sicher und historisch gesehen ein für allemal entscheidbar, welche Mittel welche Zwecke heiligen.

Aber da waren wir doch schon.
Die Gegenposition wäre „Kein Zweck heiligt die Mittel“.
Diese Position ist dann halt auf andere Weise riskant, ich erinnere an die damit verwandte Problematik des bedingungslosen Pazifismus, der zwar eine „sichere“ Gesinnung liefert, dafür „riskante“ Folgen dieser Gesinnung.

Was war die „gute Gesinnung“? Verwechselst Du nicht 68er und
RAF?

Nein, ich verwechsele nicht, u.a. deshalb schrieb ich meiner Erinnerung nach „teilweise gute Gesinnung“.

Auch
die „verhältnismäßigen Mittel“ vermag ich nicht zu erkennen.
Hinsichtlich Buback, Ponto und Schleyer muss ich
wahrscheinlich akzeptieren, dass es Menschen gibt, die nur das
Amt, nicht aber den Menschen dahinter sehen. Was aber ist mit
den ganzen Polizisten, Fahrern und „einfachen“ amerikanischen
Soldaten?

Ja, natürlich, dein Einwand ist vollkommen berechtigt.
Darüber hat es übrigens m.W. in der Sympathisanten-Szene der RAF selbst lange Diskussion gegeben.

Das Strafrecht ist doch nichts von der Gesellschaft
Losgelöstes. Das Strafrecht folgt den gesellschaftlichen
Moralvorstellungen.

„nicht losgelöst“, ja.
„folgen“, nein, ganz sicher nicht, allein schon weil das Strafrecht „aus einem Guß ist“, während die „gesellschaftlichen Moralvorstellungen“ höchst plural und uneinheitlich sind (auch wenn eine bestimmte allgemein geteilte Wertebasis gegeben ist, wie Tom es unten ausführt).

nach dem Strafrecht?
Ja, vermutlich, aber das finde ich für eine ethisch-politische
Diskussion irrelevant.

Ist es das? Der Bruch von gesellschaftlich aufgestellten und
akzeptierten Rechtsnormen, die für ein gedeihliches
Miteinander geschaffen wurden, ist für die Bewertung mE schon
relevant.

Ja, Ethik bzw. Moral ist sicher mehr und was anders als das Strafgesetzbuch (als Begründung verweise ich abermals auf Toms Artikel).
Dass das eine mit dem anderen zu tun hat, ist schon klar.
Und dass das Befolgen der geltenden Gesetz als Aspekt ins moralischen Handeln auch einfließen muss, wollte ich auch nicht leugnen.

Ein Ziel der RAF war aber, durch ihre Taten die
Mehrheitsmeinung zu verändern, weil sie die Mehrheitsmeinung
moralisch und politisch für falsch hielten.

Und genau das versuchen Al Quaida, Horst Mahler (welch Ironie
des Schicksals) und Udo Voigt auch.

Ja, das stimmt - vielleicht. Mir ist nicht ganz klar, ob etwa die Al Quaida tatsächlich auf die „Veränderung des Mehrheitswillens“ zielt, aber das wäre eine ganze andere Diskussion.

Aber ich habe in den oberen Artikel ja auch andere Kriterien genannt, mit denen ich zwischen der RAF und den Rechten unterscheide, nicht dieses.

_ ℂ Λ ℕ Ð I Ð € _

Aber ich habe in den oberen Artikel ja auch
andere Kriterien genannt, mit denen ich
zwischen der RAF und den Rechten unterscheide, nicht dieses.

Letztendlich beruht alle Unterscheidung auf deiner eigenen Haltung. Solange das Gesetz nicht entsprechend fiormuliert wurde, ist auf solche Schlußfolgerungen für eine rechtliche, allgemeingültige Bewertung kein Bezug zu nehmen.

Ostlandreiter