Festgefahrene Meinungen
Hallo Gert,
Ich will versuchen, den Kern heraus zu schälen.
Ich darf doch bitte korrigieren: Deinen Kern.
Denn…
Zuerst muß natürlich der Begriff „Lehrmeinung“, den ich
verwende, klar gestellt werden.
Ausserdem, ist dies hier:
Wir haben ja heute die Situation, daß jede beliebige Meinung,
die jemand vertritt, das Ergebnis der so genannten
„universitären Lehre“ darstellt. Ob jetzt jemand tatsächlich
ein Studium einer Fachdisziplin absolviert hat oder nicht,
alle Meinungen kommen von dort und jeder agiert dann auf
dieser Grundlage.
schlichtweg falsch. Es entspricht weder dem temporalen (oder phänomenologischen) Vorgang, noch dem was auf der theoretischen Ebene im Zusammenspiel der Theorien abläuft.
Erstens: Der Begriff universitäre Lehre bezeichnet die Tatsache, dass XYZ als Gegenleistung für ein Salär Vorlesungen und Seminare gemäss seiner Expertise hält. Die Ausrichtung, die dem Bedarf des entsprechenden Faches und der Nachfrage des Instituts folgt, ist Sache der jeweiligen Geschäftsführung eines Instituts und der Statuten/Geschäftsordnung/Richtungspapiere etc. Der Begriff bezeichnet also einen absolut profanen Geschäftsablauf und keinen inhaltlichen Vorgang.
Wenn also z.B. ein Mediziner handelt, dann handelt er auf der
Grundlage der „Lehrmeinung“ Medizin, ein „Philosoph“ eben auf
der Grundlage der aktuellen universitären „Lehrmeinung“.
Zweitens: es gibt gerade in der Philosophie - wo es keine Ansicht gibt, die nicht ein Contra hätte - keine aktuelle, offizielle ‚Lehrmeinung‘. Wie stellst Du Dir das vor?
Da ich aber hier versuche zu verstehen, was Du etwas verschleiert sagen möchtest, sehe ich zwei Möglichkeiten, wie der Begriff angewandt werden kann, sodass er der Realität entspricht.
a) als ‚universitäte Lehrmeinung‘ kann man die Summe aller mündlichen Lehrveranstaltungen, Artikel und Bücher der Mitglieder eines Instituts einer Universtität zu einem bestimmten Zeitpunkt T bezeichnen.
b) als ‚universitäre Lehrmeinung‘ kann eine Einzelmeinung, vertreten von einem Mitglied eines Instituts einer Universität im Sinne eines pars-pro-toto verwendet werden. [Als Mitglied von XYZ vertritt er Meinung ABC]
Beide Verwendungen des Begriffs sind in ihrer Aussagekraft beschränkt und bezeichnen nur partikuläre Erscheinungen zu einem bestimmten Zeitpunkt.
Zum Begriff Lehrmeinung ist zu sagen:
- nur zu Ende Gedachtes und Geprüftes findet den Weg in die ‚Lehre‘ (so wie sie unter ‚Zweitens‘ von mir beschrieben wurde, NICHT so wie Du Dir das zurecht gelegt hast).
- Dabei handelt es sich um einen Bruchteil der ganzen ‚Denke‘ eines Lehrenden.
- wird dieser Bruchteil in Lehrveranstaltungen hervorgebracht, ist das meist ein Vorlauf zu einer Publikation. Die erste Veräusserung, die zur Diskussion stellt.
In dieser kurzen, exemplarischen (sic!) Ablaufskizze und der Begriffsklärung (im Übrigen die Hauptbeschäftigung der Philosophie…) zeigt sich, dass es sich hier um einen dynamischen Prozess handelt. Um ein ständiges Vor-und-Zurück auf der Suche nach der richtigen Formulierung und Klarheit.
Keiner steht einfach eines Morgens auf, öffenet das Fenster und schreit: ‚Hier ist die Lehrmeinung.‘
Die entsprechenden Ansichten werden also per se als richtig
voraus gesetzt…
Nein. Ich wiederhole mich: Jede Aussage ist nur so gut wie der Sprecher, der sie tätigt.
Ergo: sie ist immer nur im Zusammenhang mit dem Autor/Redner etc. verstehbar. Ergo 2: sie ist eine Momentaufnahme. Die Sicht von XYZ auf ABC.
Das Phänomen des Autoritätenzitates kann nur auf dieser Grundlage funktionieren. Und nur diese Grundlage macht Wissenschaft doch erst interessant. Oder warum gibt es nach 800 Jahren im Zeitalter der ‚reinen Information‘ übers Internet immernoch Universitäten? Weil jede Darstellung kontextualisiert, relativiert und diskutiert werden muss.
…ohne daß irgend wem der Gesellschaft bisher
die entsprechende Kritikfähigkeit zur Verfügung gestanden
wäre.
Es steht jedem frei in den Diskurs einzusteigen. Das setzt allerdings zwei Dinge voraus:
- ich bin bereit mich den inhärenten Abläufen des fachlichen Diskurses zu stellen
- ich bin bereit mir etwas sagen zu lassen: Aufrichtigkeitsbedingung jeden Dialogs
Leider kann ich bei Dir weder die eine noch die andere Voraussetzung erkennen. Im Gegenteil Du zeigst hier wieder einmal mehr, dass Du es vorziehst Deine einmal festgelegte Ansicht und Positionierung beizubehalten.
Egal ob sie nun den faktischen Zuständen enspricht, oder nicht.
Egal wieviel gegen Deine festgefahrene Meinung spricht.
Wenn es nun aber so wäre, daß diese „Lehrmeinungen“ nicht
richtig sind, ergäbe sich ja logischerweise, daß deren
Umsetzung im Sinne von „Gesetzen“ gesellschaftszerstörende
Folgen haben müssen!!
Obwohl diese Folgerung bereits wegen der falschen Bezugnahme des Begriffes ‚Lehrmeinung‘ obsolet ist, antworte ich dennoch und wiederhole mich nochmal.
Es gibt keine Lehrmeinung, die nicht auch ihr Gegenteil hätte. Keine Ansicht, die nicht auch ein negierendes Gegenbeispiel kennt. Keine Theorie, die nicht bereits kritisiert worden wäre.
[Es sei denn vielleicht, die Artikel die gestern erst erschienen sind… die spätestens bei der nächsten Ausgabe oder dem nächsten Kongress bereits eine Gegenposition offeriert bekommen.]
Gesellschaftszerstören, lieber Gert, ist die Krankheit, die sich aus Ignoranz und Faulheit zusammen setzt: unfundierte Kritiksucht.
Ignoranz, weil niemand mehr wirklich am Anderen und dessen Weltsicht interessiert ist.
Faulheit, weil die Wenigsten bereit sind, erst zu lernen und dann loszuschreien.
My 2 cents. Ich nehme mich von dieser Krankheit nicht aus. Wie schnell hat man sich aus Eitelkeit verteidigt, bevor man zugehört hat? Wie oft ist man wirklich bereit die eigene Argumentation anzupassen, wenn jemand eine Schwachstelle gefunden hat?
Das setzt alles Arbeit voraus. Der Mensch ist generell einfach nur faul.
Es tut mir leid, aber der Rest Deines Postings ist nur eine (zugegebenermassen steife) Brise leerer Worthülsen.
Warum füllst Du sie nicht, und steigst endlich richtig in den Dialog ein?
Publiziere, geh an die Uni lehren… verschaff Dir Gehör.
Wehr Dich gegen die von Dir empfundene Stille. Aber sei Dir bewusst, dass auch DU nur eine Sicht auf die Dinge präsentieren wirst.
Der objektive Gottesstandpunkt [die Ansicht, dass man hätte man Gottes Ansicht ‚von oben‘ alles objektiv sehen, alles objektiv erkennen und verstehen könnte] ist ein Konstrukt.
Auch für Dich.
Das ist etwas was die ‚Philosophen‘ längst eingesehen haben. Vielleicht ist das der wahre Fall in die Philosophie. Kein Boden unter den Füssen mehr zu haben…
Ein schönes Wochenende wünscht
Y.-
Die genau weiss, dass Du nicht auf meine Argumentation einsteigen wirst, da Du Dich den Grundlagen des Dialogs verweigerst und natürlich mir als ‚offiziellen Vertreter der Lehre‘. Das ist doch so schön praktisch…