Creatio ex nihilo? Alte Frage…
…und auf die Gefahr hin, dass das literarisch anstatt wissenschaftlich wird…
…wurde in Umrissen ein Kleidchen gezeichnet, das von niemandem angezogen worden war, und man sah immerhin seine Gestalt, auf weissem Hintergrund, und die Umrisse des Kleidchens waren nur angedeutet auf der Zeichnung, und ein leises Stimmchen sprach:
Trost für das Nichts!
Das Nichts schwebt stumm im weiten Raum
und ist so klein, man ahnt es kaum.
Es stieret ausdruckslos ins Leere
und wünscht sich, dass es etwas wäre.
Ja, könnte wenigstens es doch
so wie sein Bruder sein, das Loch,
dann hätte ringsherum es Wände
und wüsste, wo es sich befände.
Das Nichts jedoch gibt gar nichts her.
Es ist nicht leicht und ist nicht schwer,
es ist nicht Körper und nicht Geist
und ist nicht mager, ist nicht feist.
Es wählt nicht schwarz und ist nicht rot
spielt nicht lebendig, ist nicht tot.
Es ist nicht klug und ist nicht dumm,
ist nicht gerade, ist nicht krumm,
es ist kein Heide, ist kein Christ,
kein Jude, Moslem und Buddhist;
es kann nicht hören, schauen, sehen,
es kann nicht lauschen, sitzen, stehen,
es kann nicht lesen, kann nicht schreiben -
kann sich mit nichts die Zeit vertreiben!
Es kann nicht weinen, kann nicht lachen
und keine kleinen Kinder machen.
Es kann nichts fühlen, kann nichts wissen,
kann nicht lieben, kann nicht küssen.
Es kann nicht sprechen, kann nicht denken,
geschweige denn ein Pferdchen lenken.
Es kann nicht mal die Nase putzen.
Nicht schadet’s, doch kann’s auch nicht nutzen.
Ja, es ist wirklich zuzugeben:
Das Nichts, es hat ein schweres Leben.
Sein Schicksal ist bedauerlich
und philosophisch schauerlich,
da ewig es ein Nichts muss sein.
Verlassen, ungeliebt, allein…?
Jedoch: Der Schöpfer aller Welten
lässt dieses Werturteil nicht gelten,
und väterlich zum Nichts Er spricht:
"Komm, sei getrost und gräm’ dich nicht.
Bedenke, GÄBE ES DICH NICHT,
gäb es kein Leben und kein Licht.
Es gäb NICHT Wasser, gäb’ nicht Luft.
Es gäbe nicht der Blumen Duft.
Es gäbe Nähe nicht und Ferne,
gäb’ keine Sonne, keine Sterne,
auch gäb’s kein Tier und keinen Baum
und keine Liebe, keinen Traum.
Es gäb nicht Tag, Es gäb nicht Nacht
und keinen Menschen, der 'mal lacht
und keinen Raum und keine Zeit
und nicht einmal die Ewigkeit;
denn ich hab’ dieser Erde Pracht
aus Dir ja, aus dem Nichts, gemacht" -
drum ist, am Ende des Gedichts,
zufrieden und getrost das Nichts.
(von einem Schweizer Dichter, veröffentlicht im Jahr 2000)
und im nur umrisshaft erkennbaren Kleidchen erstrahlte ein kleines nach oben offenes Halbmöndchen, und Gott lächelte.