Versuch einer Antwort
Hallo Thomas,
vorweg: ich bin mir nicht immer sicher, ob ich das, was du schreibst, auch richtig verstehe (wobei wir eigentlich schon mitten im Thema sind…) und außerdem halte ich mich auch auf linguistischem Gebiet nicht für einen Experten. Auch ich habe da meist mehr Fragen als Antworten…
so ein Zufall, hier jemanden vom FF-Brett wiederzutreffen;
bzw. ist ja kein Zufall, weil dein Job, stimmt’s? Ich habe
mich nach den gröbsten Aufräumarbeiten bei der Neuen
Männerfrage den zirkelschlüssigen Flächenbränden beim
Antisemitismus-Vorwerfen gewidmet. Ein übel vermintes Gelände.
Nein, ist kein Zufall. In den Sprachbrettern fühle ich mich wohler, weil ich da auf Wissen (hoffe ich jedenfalls) zurückgreifen kann und nicht nur auf Meinungen…
Aus der Antisemitismus-Debatte in den einschlägigen Brettern halte ich mich nach einigen vergeblichen Versuchen vollkommen raus, weil ich mit dem Diskussionsstil dort nicht zurecht komme.
Aber vielleicht interessiert dich folgender link:
http://www.webwelten.de/meinungsbild.htm
Hier bei der Sprache habe ich mal einen Anlauf genommen,
((Vor)urteil und Belehrbarkeit…) die beiden
unterschiedlichen „Sprachlogiken“ die in der
Begriffsverwendung beim „Antisemitismus“ am Werk sind,
gegenüberzustellen.
Ich hatte diesen Beitrag gelesen. Ob dein Ansatz (über die Linguistik) der richtige ist, vermag ich nicht zu beurteilen. Aber da du mich jetzt hier persönlich ansprichst, versuche ich mal darauf einzugehen.
„Sprachlogiken“ nur als Arbeitsbegriff gemeint.
Ich meine folgenden Unterschied: Wenn ich sage, ich brauche,
um 10 Kartoffeln zu würzen, doppelt so viel Oregano wie für
fünf; dann heißt das keineswegs, dass ich für 10 Kartoffeln
auch doppelt so viel Kochwasser brauche, weil dieses, in
meinem Pott wenigstens, von 10 umfangreicher verdrängt wird,
als von fünfen nur. Das Wasser legt als „Medium“ ein völlig
anderes Proportionalitätsgebaren an den Tag als der „Rohstoff“
Gewürz.
Wenn man die Differenz einmal erkannt hat, ist es sofort klar.
Wenn man die aber nicht „erblickt“ und Kochwasser so
betrachtet wie Trinkwasser, also analog proportional, dann
kann man ewig aneinander vorbeireden, sich verzanken etc.
Nettes Beispiel. Und vielleicht auch nicht ganz verkehrt. Die Frage, die sich mir hier sofort stellt, ist: woher kommt es, dass darüber ein Streit ausbricht? Bei deinem Beispiel sind es mangelnde Kenntnisse der Physik, d.h., einer hat hier einen Wissensvorsprung, den der andere nicht (aus welchen Gründen auch immer…aber dazu weiter unten mehr) akzeptieren will/kann.
Wenn man in einer Streitfrage nun ein einziges Wort hat, mit
dem der eine etwas bezeichnet, was sich proportional verhält
und der andere etwas, was sich eher wie ein Medium verhält,
dann kommen die auf keinen grünen Zweig miteinander, auch wenn
sie ab und zu beschliessen, wieder nett zu sein und von vorne
anzufangen.
Genau zu dieser Frage habe ich am Mittwoch beim Friseur einen, wie ich meine, hoch interessanten Artikel in GEO gelesen. Er ist sogar online:
http://www.geo.de/themen/geoskope/02/05/linguistik.h…
Also selbst bei vermeintlich eindeutigen und unmissverständlichen Begriffen scheint es mehr Raum für eine individuelle semantische Zuordnung zu geben als wir uns vorstellen können.
Ist dir sprachwissenschaftlich dieser Unteschied für das
unterschiedliche logische Funktionieren von Begriffen ein
Begriff; ich meine weist du eine Bezeichung dafür?
Der GEO-Artikel erklärt dieses Phänomen m.E. sehr schön. Übertragen auf unseren umstrittenen Begriff „Antisemitismus“ heißt das dann doch, dass unser individueller kultureller und soziologischer Hintergrund zumindest mitbestimmen, was wir darunter verstehen.
Und da es sich dabei nicht um so einen „simplen“ Begriff wie „Baum“ handelt (wobei auch hier schon ziemlich viel Spielraum besteht, was der einzelne als „Baum“ bezeichnet), sondern um einen höchst komplexen und abstrakten Begriff, ist der Interpretationsspielraum natürlich riesig. Und was hier noch dazu kommt, ist die individuelle politische Zielsetzung, die in die Interpretation mit einfließt. Du kannst ja auch den Begriff „Demokratie“ nehmen und 10 Leute fragen, was sie darunter verstehen. Du wirst vermutlich auch 10 verschiedene Antworten bekommen, je nach Interessenlage, Bildungsstand, persönlichen Erfahrungen usw. usf.
De facto ist ja viel davon die Rede in der Kommunikation unter
der Überschrift „Zuhören“, nur wenn beim intensivsten Hinhören
der verstandene Begriff notorisch ein anderer bleibt als der
gemeinte, dann langt es mit dem klassischen „Zuhören“ nicht.
Eben. Zuhören können reicht nicht. Selbst wenn mir einer zuhört, ist meine gesendete Botschaft eine andere, wenn sie beim Rezipienten ankommt. Weil eben individuelle Bewertungsmaßstäbe mit einfließen.
Weist du…etwas unpraktisch.
Mein „Problem“, dass ich ein waches Gespür für solche
begrifflichen „Unstimmigkeiten“ in der Kommunikation habe und
dass ich die auch seit einiger Zeit (Reifung, inneres Wachtum,
Reflexion…
auseinandergedröselt kriege und sich Leute
hinterher richtig freuen, dass sie einander verstehen, und sei
es, worüber sie sich uneins sind. Nur der Freude, die die
Leute hinterher empfinden, entspricht leider keine
Bedarfswahrnehmung im Vorfeld. Die Leute verwechseln ihre
Verständnisdifferenzen mit Charakter, Temperament- oder
Meinungsunterschieden, die sie auch haben mögen; aber nachdem
ich sie in der „Mangel“ hatte, oft eher woanders sehen und
weniger drastisch sehen, als vorher.
Bist du dir da sicher, dass du durch dein „in die Mangel nehmen“ tatsächlich etwas bewirkt hast? Das mag für Einzelfälle gelten, aber einen generellen „Erfolg“ halte ich für unwahrscheinlich.
Warum? Einfach, weil Begriffe durch subjektive Erwartungen, Interessen und Erfahrungen bestimmt werden. Objektivität kann es nicht geben, sonst müssten ja bei bestimmten Fragestellungen alle immer der gleichen Meinung sein. Womit ich aber nicht ausschließen will, dass durch Reflexion wenigstens eine Mehrheit zu einer Übereinkunft kommen könnte.
Die Leute haben manchmal ein „nicht gespürtes Problem“, dass
sie mit der freien Entfaltung ihrer Persönlichkeit
verwechseln, ein Eindruck, den ja auch der eine oder andere
FF-Korrespondenzpartner nicht scheute. Was ich bei FF
geschieben habe, war natürlich nur die eine Seite der
Medaille, das diese fatale Haltung zu den Genen noch fataler
ist als die schlimmsten Gene sien können. Die andere Seite der
Medaille ist, dass man entweder feundlich verführen lernt,
oder seine Sexualität wirklich an den Nagel hängen kann als
Mann. Aber um das rüberzubringen, ist nun wieder das FF-Brett
nicht das angemessene gewesen.
Der Weg des geringsten Widerstandes, das Schuld auf andere schieben und die individuellen (negativen) Erfahrungen zu generalisieren sind halt Schutzmechanismen und damit oft das einzige, was manchen zur Verfügung steht. Und wenn du daran kratzt, können diese Menschen das nicht akzeptieren, weil das mühsam erbaute Weltbild sonst noch vollends aus den Fugen gerät. Kernfrage: ist die Welt so wie sie ist oder ist sie so, wie wir sie sehen? Warum fällt mir hier jetzt Platons Höhlengleichnis ein, wo jeder in seiner eigenen Höhle hockt?..
Also steh ich da, kann was, was auch einen schönen Nutzen tut;
doch weigert sich der Nutzen sich zuvor als knurrender Hunger
zu avisieren und nimmt statt dessen die Forrm von Meingungen
etc. an, die ja auch in einem manchmal „fatalen Sinn“ frei
sind, so dass sich Fehlverständnisse, Verwechselungen und
Verständnisdifferenzen oft freier entfalten und vertiefen
können, als Vernunft, Kooperation, Liebe, Solidarität.
Selbst diese 4 Begriffe sind von ihrem semantischen Gehalt individuell interpretierbar.
Ich hoffe, du spürst das ganze gattungsgeschichtliche Gewicht
der Frage, von der ich aus deiner Profession jetzt auf ein
Fortkommen hoffe 
Keine Ahnung, ob ich nun etwas zu deinem „Fortkommen“ beigetragen habe. Aber ich kann dir versichern, dass die Fragen, die du stellst, auch mich bewegen, weil ich mich zu den Zweiflern zähle, die immer hellhörig werden, wenn jemand auf komplizierte Fragen einfache Antworten hat.
Ich schließe mit, ich glaube Voltaire: „Verzeihen Sie Madame,
dass ich Ihnen einen langen Brief schreib, für einen kurzen
fehlte mir die Zeit.“
Da gibt es nichts zu verzeihen. Ganz im Gegenteil. Ich lese lange Beiträge, bei denen ich das Gefühl habe, hier hat jemand auch keine Patentrezepte, tausendmal lieber als selbstherrliche, kurz angebundene „Wahrheiten“.
Aber vielleicht sollten wir bei weiterem Diskussionsbedarf doch lieber in ein anderes Brett umziehen, Sozialwissenschaften oder Philosophie (welche Vermessenheit meinerseits *g*) böten sich an…
Gruß
Uschi
PS: ich habe einiges aus deinem Ursprungsartikel wegen der Übersichtlichkeit „weggekürzt“