Hallo Christian,
Das neue Testament ist dazu - auch wenn es immer
wieder anders behauptet wird - ganz eindeutig: Die Ablehnung
jeder Form von Gewalt ist ein Pfeiler der Lehre Jesu.
wie der Verlauf der Diskussion ja bereits gezeigt hat, ist es unzweckmäßig, eine Frage (wie die nach dem Verhältnis des Koran zu Gewaltanwendung) mit einer Prämisse zu verbinden, zumal wenn einem ohnehin bewusst ist, dass diese umstritten ist („auch wenn es immer
wieder anders behauptet wird“).
Von Fritz’ mE berechtigten Einwänden einmal abgesehen, zeigt alleine schon Joh.2.13, dass Jesus persönlich keineswegs „jede Form von Gewalt“ ablehnte. Vermutlich war das gewalttätige Randalieren vor dem Tempel (es ist anzunehmen, dass Jesus nicht alleine agierte, sondern seine Anhänger beim Verprügeln der Händler und Wechsler fröhlich mitmachten) eher geeignet, das Missfallen des Synhedrion zu erregen als seine Predigten. Für ein Konzept radikaler Gewaltlosigkeit, wie es Hindus, Buddhisten und Jaina kennen (‚ahimsa‘), steht Jesus jedenfalls nicht.
Doch zum Koran. Der Koran als ein Buch mit stark legislativem Charakter liefert eine Fülle von Rechtfertigungsmustern für Gewaltanwendung. Diese Rechtfertigungsmuster beruhen idR auf dem Grundsatz der Selbstverteidigung und sie begrenzen das Ausmaß erlaubter Gewalt und Vergeltung.
Nun ist es allerdings ein historischer Fakt, dass die Ausbreitung des Islam in untrennbarem Zusammenhang mit militärischer Aggression steht - ein Prozess, der zu Mohammeds Lebzeiten begann und von ihm persönlich initiiert wurde. Dabei ist allerdings zu beachten, dass wir es hier zunächst nicht mit einer Missionierung zu tun haben, sondern mit der Ausweitung des Herschaftsgebietes des Islam (was praktisch heisst: der Muslime). Der Islam war zu jenem Zeitpunkt die Religion einer elitären Kriegerkaste. Die „engen Grenzen“ die der Anwendung von Gewalt im Islam laut dem von dir angeführten Zitat gesetzt sind, waren jedenfalls schon einmal keine geographischen Grenzen …
Die Frage verengt sich also darauf, ob zwischen dieser militärischen Expansion und dem Koran eine direkte religiöse Verbindung besteht, also ob der Islam als gemeinsame Ideologie und ‚Verfassung‘ der vorher religiös und politisch stark inhomogenen arabischen Stämme lediglich eine Randbedingung ihrer Expansion war oder ob darüber hinaus Verbreitung mit dem Mittel der Gewalt Teil der Lehre des Koran ist und von ihr gefordert wird.
Der Schlüssel findet sich im Begriff des Jihad - der freilich alles andere als eindeutig ist und sehr unterschiedliche Interpretationen zulässt. Jihad lässt sich zunächst einmal übersetzen mit ‚rechter Anstrengung, rechtem Bemühen‘ - wobei zunächst offen bleibt, was damit gemeint ist, welche Formen diesem ‚Bemühen‘ angemessen sind. Von islamischen Apologeten ist häufig zu hören, die Interpretation von ‚Jihad‘ als ‚heiliger Krieg‘ sei völlig abwegig, gemeint sei damit der Kampf gegen niedere Leidenschaften, ein religiöser Kampf um persönliche (auch ethische) Vervollkommnung. Dies ist sicher nicht falsch, allerdings auch nur die halbe Wahrheit - diese Interpretation betrifft den Jihad Akbar, den ‚Großen Jihad‘. Es gibt allerdings auch den Jihad Kabir (‚mittleren Jihad‘), die (gewaltfreie) Verkündung des Islam und den Jihad Saghir (‚kleinen Jihad‘). Der Jihad Saghir ist Jihad mit dem Körper, ggf. auch mit der Waffe.
Dieser Jihad Saghir findet natürlich auch in der Form des Krieges statt, und zwar der Theorie nach in Form eines Verteidigungskrieges. Nach meinem Verständnis lehnt Pazifismus auch Verteidigungskriege ab; in diesem Sinne ist der Koran also eindeutig nicht pazifistisch.
Zur Praxis des Jihad Sanghir wäre noch anzumerken, dass die Definition, was denn nun ein ‚Verteidigungskrieg‘ ist, sehr dehnbar ist und auch der Koran in Bezug auf solche Definitionen eher vage bleibt. So vage, dass selbst für Missionierung mit Feuer und Schwert (also eine Fortsetzung des Jihad Kabir mit anderen Mitteln) eine Rechtfertigung aus dem Koran abgeleitet werden konnte (und auch wurde, z.B. aus 8.39: „Und kämpft gegen sie, damit keine Verführung mehr stattfinden kann und (kämpft,) bis sämtliche Verehrung auf Allah allein gerichtet ist. Stehen sie jedoch (vom Unglauben) ab, dann, wahrlich, sieht Allah sehr wohl, was sie tun.“
So etwas ist allerdings kein islamisches Phänomen; fast jede Kultur und Ideologie hat Rechtfertigungsstrategien für Kriege entwickelt und dabei vorrangig den Begriff der ‚Verteidigung‘ reichlich ausgedehnt - man schaue sich in dieser Hinsicht z.B. den Irakkrieg an.
Freundliche Grüße,
Ralf