"Der Platz, wo ich stand" u. 3 andere Sprach-Fragen

Hallo, unten bringe ich vier Sätze aus einem jüngeren „literarisch wertvollen“ Roman, die ich für meine Frage hier leicht vereinfacht habe. Mir kommt das verwendete Deutsch jeweils falsch vor, auch wenn ich solche Konstruktionen laufend höre oder sogar lese.

Was meint Ihr?

1. Anzügliches Männergerede störte mich erst, als ich Vater einer teenagernden Tochter wurde.

M.E. kann man „als ich Vater… wurde“ nur sagen, wenn man dann über ein Kleinkind redet. Weitere Alternative: „…als meine Tochter zur Teenagerin wurde.“ Der Satz oben klingt so, als ob die Teenager-Tochter aus dem Nichts zum Sprecher gekommen sei. Oder findet Ihr den Satz völlig i.O.?

2. Wir zwei hatten uns noch nicht vollständig aufeinander eingenordet.

Erst dachte ich, wenn sich der eine einnordet, muss sich der andere doch"einsüden" (sofern man davon ausgeht, dass beide sich aufeinander zu orientieren). Dann dachte ich, beide gemeinsam norden sich auf einen Nordpol ein (also nicht die andere Person).

3. Die Sache wollte mir nicht selbstverständlich erscheinen.

Im Sinn von „Ich hielt das nicht für selbstverständlich“. Müsste man nicht sagen, Die Sache wollte mir nicht ALS selbstverständlich erscheinen. ?

4. Der Platz, wo ich stand.

Müsste man nicht sagen, Der Platz, AN DEM ich stand. ? „wo ich stand“ finde ich nur in mündlicher Umgangssprache passend.

Oder?

Noch etwas:

Die Sätze stammen von einem Ich-Erzähler, dem man vielleicht Umgangssprache zugestehen kann. Allerdings ist dieser Ich-Erzähler ein sehr kultivierter gebildeter elaborierter Mensch, der z.B. die o.g. für mich falsch klingenden Konstruktionen verwendet, aber nie umgangssprachliche oder regionale Ausdrücke einstreut oder sonstwie betont lässig mit Sprache umgeht, sondern sehr nüchtern berichtet. Sind die Sätze oben unter diesem Aspekt eher annehmbar?

Danke für alle fundierten Meinungen, gern auch mit genauen grammatischen Erklärungen!

Zu 1 und 2 möchte ich 2 „nicht grammatische Einordnungen“ geben.

zu 1: Was stört dich daran. Es ist literarisch schön formuliert. Und natürlich hat er nicht über Nacht eine Tochter bekommen. Aber sie ist irgendwann ins Teenageralter gekommen und hat die bekannten Verhaltensweisen angenommen, die Eltern zur Raserei bringen können.
So wie geschrieben wird auf das „teenagerende“ abgehoben. Das ist nicht das Alter sondern das Verhalten.

Klar kann man das auch umschreiben, aber warum ? Es handelt sich ja nicht um einen Sachtext.

zu 2: einnorden meint sich auf eine (gemeinsame) Richtung, übertragen Art und Weise des Zusammenseins, verständigen. Und deshalb passt dein Beispiel mit Nord und Gegensatz Süd nicht.

Und allgemein darf Literatur auch umgangssprachlich verfasst sein.

MfG
duck313

Hi,

All deine zitierten Sätze enthalten Umgangssprache, und zwar an genau den Stellen, die dich stören:
Teenagernd ist ein vom Ich-Erzähler selbstgebildetes wort und dadurch Umgangssprache (genauer: in diesem Fall ein idiolekt). Alles, was nicht standardsprache ist, ist irgendeine Form von Umgangssprache, Soziolekt oder Dialekt oder, oder…
„Sich aufeinander einnorden“ ist umgangssprachlich, ich würde das einem gebildeten Menschen mittleren Alters zuordnen, der gerne etwas salopp klingen möchte (er dürfte diegeneration sein, die das „cool“ nennt und nicht „salopp“. Letzteres sagt jemand, der ca.30 Jahre älter ist. Dieses"sich einnorden" hat nichts mit Norden und Süden zu tun, sondern mit dem Kartenlesen. Wenn man mit einer analogen Karte, also einer aus Papier, unterwegs ist, muss man sie (und sich selbst) zuerst einnorden, also feststellen, wo n der realen welt norden ist und sich dann so drehen, dass man nach norden schaut, man guckt dann in die gleiche Richtung wie die Karte, die norden oben hat. Wenn man zu zweit wandert, sollte sich der partner auch so verhalten, es hilft der Orientierung, und daher kommt das sprachliche Bild.
Dein drittes Beispiel ist ungewöhnlich, aber nicht unmöglich. Der Sprecher will gebildet wirken und hat ein bisschen danebengegriffen: er wollte „realisierbar“ verwenden und hat es nicht ganz geschafft. Auch das zeichnet den guten Autor aus, er kann die Sprache so verwenden, wie sie die von ihm erfundene Figur verwenden würde, und nicht unbedingt wie die Sprache idealerweise klingen sollte. Shakespeare ist unter anderem deswegen so grossartig, weil er verschiedenste sprachvarianten beherrscht, inklusive Gossensprache, und viele wörterneu erfand, die es damals nicht gab, und die heute zum Standard gehören.

Die Franzi

Hi,

Vergessen: der Platz, wo ich stand stimmt Dialekt sehr wohl möglich. Ein Bayer kann sogar sagen: "Da Mo, dea wo do schdehd … " (der Mann, der wo da steht…)

Die franzi

Hallo,

Nein!! Bitte nicht, das ist gruselig, auch wenn man es hin und wieder hört.
„Es erscheint mir gut“ oder „Es erscheint mir als eine gute Sache“. Deswegen auch „Die Sache erscheint mir selbstverständlich“.

Und: 1) und 2) sind Stil, damit muss man in der Literatur rechnen. Kann man gelungen finden oder nicht. (Ich tendiere eher zu „nicht so gelungen“.)
Bei 1) erschiene mir passender: „…als ich Vater einer teenagernden Tochter war“. Die Neubildung „teenagernd“ gefällt mir.

„Sich aufeinander einnorden“ finde ich auch etwas seltsam, denn entweder richtet man sich nach Norden aus oder aufeinander (spielt sich aufeinander ein), aber: Stil. Miezekatze hat ja schon etwas dazu geschrieben.

@miezekatze:

Ist Dir das tatsächlich geläufig, und ich kenne es nur nicht? Ich kenne „jemanden einnorden“ im Sinne von „jemanden auf Linie bringen, auf ein gemeinsames Ziel einschwören“, aber ich kenne es weder reflexiv noch mit „sich aufeinander“. Es kommt mir etwas widersinnig vor.

Viele Grüße,
Jule

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Ein durchaus attraktives Stilmittel. Es betont eben, etwas ironisierend, daß Vater eines Teenies zu sein und Vater eines Kindes zu sein zwei sehr verschiedenen Daseinsarten sind. Und hier heißt es, unmissverständlich, „seit seine Tochter Tieenie geworden ist“.

Was der (durchaus richtig verwendete) Ausdruck bedeutet, hat @duck313 und @miezekatze schon erklärt. @miezekatze erklärt m.M.n. zu Recht, daß es etwas krampfhaft bemüht erscheint solopp zu reden.

Die Satzteilkonjunktion „als“ injiziert Attribute und Adverbiale jeder Art in den Satz, daher oft auch bloße Adverbien,. Diese sind aber oft nicht von einem Prädikativ zu unterscheiden. Es ist daher nicht in jedem Fall als falsch [korrekt, Adverbial] zu bewerten. Andernfalls aber doch. Es erscheint dann als falsch [korrekt, Adverbial] und klingt dann auch als gestelzt [falsch, Adverb]

Das interrogative Ortsadverb „wo“ kann auch standardsprachlich einen Relativsatz einleiten. Sowohl räumlich als auch zeitlich: „Der Ort, wo wir uns trafen“, „Der Augenblick, wo der Blitz einschlug.“

Gruß
Metapher .

.

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Das kenne ich auch, wird gerne von einigen Kolleginnen, oft (aber nicht nur) im Zusammenhang mit neuen Schulklassen benutzt.

Ich hab’s bislang auch noch nie gehört. Muss aber auch nicht unbedingt etwas heißen.

Viele Grüße
Christa

Hi,

Ich verstehe, was gemeint ist. Es klingt gestelzt, aber der Autor kann seine Figuren doch so reden lassen, wie er will. Wie die Figur redet, sagt etwas über die Figur ,nicht über den Autor.

Die Franzi

Servus,

das in diesem Zusammenhang ziemlich schräg wird.

Das genaue Einnorden einer topografischen Karte mit dem Kompass und dem Tabellchen am unteren Rand der Karte (ich weiß nicht, seit wann das nicht mehr mit gedruckt wird), auf dem die Abweichung von magnetisch (= Kompass-)Nord von topographisch Nord abgelesen werden kann, ist eine Sache, die nur zwischen einer Person und zwei Gegenständen abgemacht wird. Eine andere Person kann man da nicht brauchen, und das ‚aufeinander‘ enthält dabei die ziemlich eitle Vorstellung, dass sich zwei Personen für Bezugspunkte der Welt halten, die so bedeutend sind wie der Nordpol.

Schöne Grüße

MM

Hallo zusammen,

Danke für alle Kommentare!

Es ging mir wohlgemerkt um eine reine grammatische Einnordung, ups, Einordnung.

Das kenne ich so überhaupt nicht. Geläufig (u.a. von der Bundeswehr) ist mir, daß jemand eingenordet - also auf Linie gebracht bzw. zurechtgewiesen - wird. Es gibt beim Einnorden also eine dominante und eine untergeordnete Person.

Naja, das soll wohl eine ulkige Entsprechung zu „pubertierend“ sein. Kann man unter Freunden wohl so sagen, wenn man möchte, aber in einer eher sachorientierten Diskussion sollte man dieses erfundene Wort eher nicht verwenden.

Gruß
C.

Servus,

das überrascht mich jetzt, weil nur 3. und à la limite 4. der Frage überhaupt auf grammatische Sachverhalte zielen.

Schöne Grüße

MM

Servus,

auch das militärische Einnorden in diesem Zusammenhang geht auf das Einnorden der topografischen Karten zurück, mit denen seinerzeit auf Ari-Feuerleitständen gearbeitet wurde: Wenn man sich vorstellt, wie man einem Richtschützen auf der Grundlage so einer Karte die Werte angeben soll, nach denen er zu richten hat, kann man sich auch vorstellen, welche winzige Abweichung zwischen Magnet-Nord und topografischem Nord da bereits recht heftige Auswirkungen haben kann.

Schöne Grüße

MM

Ja, pardon, „rein grammatisch“ stimmt so nicht.

Hallo!
„Elaboriert“ in Bezug auf eine Person irritiert mich. Es bezieht sich m.E. auf einen Sprachcode, eine Ausdrucksform. „Eloquent“ wäre passender.
Gruß,
Eva

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Hallöchen,

ich weiß; mir ging es nur darum, daß ich das Verb nie in der Form erlebt habe, daß es sich dabei um eine partnerschaftliche Veranstaltung handelt, sondern nur so: einer nordet ein, der andere hält die Klappe.

Gruß
C.

Ich auch nicht. Auch der Duden kennt es nur in der Bedeutung:

    die Karte einnorden
    〈in übertragener Bedeutung:〉 renitente Mitarbeiter einnorden

Der zitierte Ich-Erzähler, oder vielmehr dessen Autor, ist wohl doch nicht so elaboriert → eloquent (wie von Eva korrigiert), wie von @Henrik_Meier gedacht.

Gruß
Metapher

Hi,

Wenn der Autor möchte, dass wir erkennen, dass die Figur (nennen wir sie Hans) so wirkt, als wäre er eingebildet und möchte gerne gebildet und weltgewandt wirken, dann lässt er hans gehobenemn wortschatz mehr oder weniger falsch verwenden, er lässt hans wie einen aufgeblasenen angeber reden
Das ist dann aber kein Zeichen mangelnder sprachbeherrschung des Autors, sondern mangelnder sprachbeherrschung von Hans.

Die Franzi

Tja. Das frage ich mich, wer hier nicht so elaboriert → eloquent (wie von Eva korrigiert), wie von mir gedacht, ist. Ein Autor schreibt über einen Autor als Ich-Erzähler. Vielleicht will der eigentliche Autor seinen fiktiven Autor auch durch subtile Fehler, die er ihm unterschiebt, desavouieren?

Der Ich-erzählende, moderne Autor im Roman macht noch mehr unerwartete Fehler wie "die Datenbänke " und diverses andere, ohne dass das später angesprochen wird, und es scheint auch nicht ironisch zu sein.

Vielleicht redet der fiktive Ich-Erzähler-Autor auch bewusst etwas falsch, um sich selbst als lässig über den Dingen stehend darzustellen. Es gibt diese Filmszene mit einem angeberischen Supermacker-Fuhrunternehmer, der einen neuen Jungfahrer probefahren lässt. Der Jungfahrer fährt absichtlich den Spiegel vom Brummi kaputt, obwohl er den Brummi auch kontaktlos durch die Einfahrt gebracht hätte - der Jungfahrer will dem Supermacker-Fuhrunternehmer jedoch mehr Gelegenheit geben, sich angeberisch aufzuplustern, und sich still darüber amüsieren. (Der Jungfahrer setzt eigens nochmal zurück, um den Spiegel zu ruinieren.)

Zu besagtem Roman: Ich weiß nicht, ob ein erfundener gebildeter Ich-Erzähler gelegentlich bewusst falsch redet (unelaboriert, fast schon restringiert), um sich von der Bildungshuberei anderer abzusetzen.

Ja, genau das frage ich mich:

  1. Ist es überhaupt falsch?
  2. Ist es ein Fehler des tatsächlichen Verfassers?
  3. Ist es ein Fehler, den der tatsächlicher Verfasser dem fiktiven Verfasser bewusst unterschiebt, um ihn als weniger elaboriert zu desavouiren?
  4. Ist es ein Fehler, den der tatsächliche Verfasser dem fiktiven Verfasser bewusst unterschiebt, um zu zeigen, dass der fiktive Verfasser sich betont von rigiden Sprachregeln absetzt.