"Der Platz, wo ich stand" u. 3 andere Sprach-Fragen

Ja, genau darum war es mir gegangen - ob sich zwei aufeinander einnorden können. Schließlich gibt es nur ein Norden. Sicher gibt es, wie hier diskutiert, mehrere leicht unterschiedliche figurative Bedeutungen von „einnorden“. Mir schien es aber zwingend, dass nur eine Person/Gruppe eingenordet werden kann und nicht mehrere aufeinander. Das hatte ich mit der Frage gemeint.

Ja, das war ein kleines Wortspiel gewesen. Ich dachte, wenn einer elaborierten Code redet, könnte man ihn auch gleich mal „eine elaborierte Person“ nennen - nicht in einer wissenschaftlichen Arbeit, aber im informellen Gespräch. Aber vielleicht fehlt hier auch der Blickkontakt und vielleicht hätte ich beim Sprechen der Worte „eine elaborierte Person“ etwas ironisch intoniert und Gänsefüße in die Luft gemalt.

Hi,

Es gibt keinen fiktiven Verfasser. Nicht in diesem Werk, aber undnicht in der Literaturanalyse überhaupt.
Es gibt den Autor. Das ist der, der das Buch geschrieben hat. Er hat auch alle Figuren und Ereignisse erfunden, die in dem Buch vorkommen.
Eine dieser Figuren ist der Ich-Erzähler, der im Buch wohl alle die Sätze sagt, mit denen wir
uns hierbeschäftigen
Er existiert nur auf dem Papier, er kann keine eigenen Entscheidungen treffen. Alles was er sagt, hat der Autor des Buches geschrieben. Und alles, was der Autor schreibt, schreibt er, um einen bestimmten Eindruck von der figur zu vermitteln. Alles ist Absicht des realen, existierenden Autors, der als Verfasser auf dem Titel steht.
Wir haben hier alle festgestellt, dass die Formulierungen neu oder ungewöhnlich sind. Das stützt deine Beschreibung der Romanfigur als kultiviert und gebildet, als jemand, der sich elaboriert ausdrückt. Da die Formulierungen alle etwas ungewöhnlich sind, erfahren wir auch, dass der ich-erzähler offensichtlichbesser rüberkommen möchte, als er ist: ein emporkömmling oder schleimer?
Mehr können wir hier nicht sagen, da wir weder autor noch Werk kennen. Da du aber den Begriff literarisch wertvoll in Anführungszeichen setzt und ein künstlerisches Mittel für sprachliches Unvermögen des Autors hältst, ist dir der Autor vermutlich nur als Name bekannt, und du hast geglaubt, jemand gekauft zu haben, der ahnung von seinem Job hat, und wunderstdich nun. Aber er hat einen guten Job gemacht, denn dein Eindruck vom ich-erzähler wird durch die Zitate gestützt.
Falsch oder richtig: nichts davon solltest du verwenden, wenn du mit irgendjemandem redest. sonst wirkst du genauso wie der ich-erzähler im Buch. Als Stilmittel des Autors ist es aber genau richtig.

Die Franzi

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https://books.google.de/books?id=J--RDwAAQBAJ&pg=PT11&lpg=PT11&dq=teenagernde+Tochter&source=bl&ots=PNCJy8c_BR&sig=ACfU3U2lW_qmPeNv1J1J_zjKuZjvsfyx3w&hl=de&sa=X&ved=2ahUKEwjTo6XXq4nrAhXFDuwKHRhMBjQQ6AEwA3oECAoQAQ#v=onepage&q=teenagernde%20Tochter&f=false
Zur Info für alle.
Gruß
Eva
PS Tatsächlich findet sich teenagernd in zwei weiteren Links, soweit ich das bei einer Blitzsuche feststellen konnte

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Hallo,

die modischen Vereinfachungen finde ich gut, vereinfachtes Deutsch ist mir lieber als die Vereinfachung durch Anglisierung.
Soviel zu 3. und 4.
2. finde ich sehr gut. Ich gestehe ehrlich, dass ich den Begriff genordet nicht kannte.
Für 1. müsste ich den Kontext kennen, denn es kann bedeuten, dass er Stiefvater eines Mädchens im Teenager-Alter wurde, aber auch, dass er als der ursprüngliche Vater sich gewissermaßen neu entdecken musste. So wird ja auch behauptet, dass jemand seinen zweiten Geburtrtstag erlebte, z.B. nach einem überlebten Unglück. Dass das Baby pränatal tennagernd war, also frühreif ( :roll_eyes:), dürfen wir wohl ausschließen? Kreativität in der Wortfindung finde ich wertvoller wenn sie ohne Anglismen auskommt. Es ist natürlich tolerabel.
Sagst Du uns noch was zu dem Hintergrund dieser Vaterschaft? Möglicherweise ist ja die Formulierung nur affektiert und unzutreffend, soweit man das ohne die Stellungnahme des Autors überhaupt beurteilen kann.
MfG
Wieland

Hallo Eva,

danke. Boah, was eklig - stilistisch wie inhaltlich. Hoffen wir, dass das nur für den Erzähler gilt.

Jule

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Nein, er wurde nicht plötzlich Stiefvater einer Teenagerin. Die Tochter, die schon immer bei ihm war, wurde allmählich zur Teenagerin. Für mein Empfinden kann man da nicht sagen, „Anzügliches Männergerede störte mich erst, als ich Vater einer teenagernden Tochter wurde.“ - denn der Satz klingt, wie Du schon sagst, als ob er plötzlich zu der Teenagerin gekommen sei und sie vorher nicht kannte. Ich wollte aber in die Runde fragen, ob Ihr den Satz so gesehen auch unpassend findet oder ob das mein Privatempfinden ist.
Ich hätte das genauer erklären müssen. Ich hätte auch definitiv das Wort „teenagernden“ austauschen sollen, denn um dieses einzelne Wort ging es ja erklärtermaßen nicht. Ich hätte z.B. schreiben können, „Anzügliches Männergerede störte mich erst, als ich Vater einer pubertierenden Tochter wurde“ oder „Anzügliches Männergerede störte mich erst, als meine Tochter von der Grundschülerin zur Teenagerin wurde“. Dann zieht das ungewöhnliche Wort „teenagernd“ keine Aufmerksamkeit mehr auf sich und der Ursprung des Satzes lässt sich vielleicht nicht mehr googeln.

In punkto Privatempfinden, der ich-erzählender Schriftsteller in dem Roman sagt neben vielem anderen auch „ich wägte ab“ - mir rollt das die Zehennägel hoch, aber der Duden findet es offenbar ok, also sag’ ich nicht mehr dazu. Es geht mir nicht um meinen persönlichen Geschmack, sondern um begründbare Grammatik- und Logikverstöße.
Die Frage, ob diese Fehler der Autor des Romans seiner Ich-erzählenden Autor-Romanfigur bewusst oder ungewollt in den Mund legt, ist dann eine weitere.

Hallo,
Einige hier scheinen nicht verstanden zu haben, was an dem 1. Beispiel so schräg ist. Es ist nicht der Neologismus ‚teenagernd‘, es ist das vollig schiefe Bild „Vater einer teenagernden Tochter werden“. Wenn man Vater einer Tochter wird, dann ist die erst einmal über ein Jahrzehnt nicht „teenagernd“, wenn man nicht gerade durch Adoption einer Halbwüchsigen zum Vater geworden ist. Die Wendung ist bemüht, aber missglückt.
Das Bild mit dem „aufeinander einnorden“ ist gleichermaßen daneben. Man nordet etwas (konkret eine Karte) ein oder man nordet (im übertragenen Sinn) jemanden ein, d.h. man diszipliniert ihn. Akzeptabel wäre noch „sich einnorden“ (i.S.v. sich zur Ordnung rufen) - zwei Personen, die sich aufeinander einnorden, ist schlicht Unsinn, da ist die Metapher deutlich überstrapaziert bzw. falsch angewandt.
Das dritte Beispiel mag noch angehen - elegante oder gar ästhetisch ansprechender Sprachgebrauch ist das nicht. Das vierte Beispiel ist schlicht restringierter Code.

ich verstehe nicht, warum man sich hier so bemüht, den Autor zu entschuldigen. Das ist offensichtlich schlampig verfasst und ebenso schlampig lektoriert. Die genannten Beispiele wirken schlicht unbeholfen. Sicher kann man das ganze Buch und schon gar nicht den Autor an Hand von vier herausgegriffenen Stilblüten beurteilen - aber Lust darauf, das Buch zu lesen, macht das jedenfalls nicht. Jedenfalls nicht mir.

Freundliche Grüße,
Ralf

Du bestätigst genau mein Unbehagen an den Formulierungen und hast offenbar meine Fragen zu Beginn so verstanden, wie sie gemeint (aber vielleicht nicht deutlich genug formuliert) waren. Ich stimme auch zu, dass sich nicht zwei Personen/Gruppen aufeinander einnorden können (so wie es im Zitat geschrieben steht); allenfalls könnten sich zwei Personen/Gruppen auf einen dritten Punkt „einnorden“, z.B. theoretisch „Wir zwei hatten uns noch nicht vollständig auf die Aufgabe eingenordet“ (klingt doof, aber der Satz hat zumindest nur noch 1 Nordpol).

Die Frage bleibt immer noch, ob der tatsächliche Verfasser seinem Ich-Erzähler solche „Stilblüten“ bewusst in den Mund legt, um den Ich-Erzähler bloßzustellen, oder ob sich der tatsächliche Verfasser nichts weiter dabei gedacht hat. Mittlerweile habe ich das Buch aus- und einige Hobby- und Profi-Rezensionen dazu gelesen, aber niemand äußert sich konkret zu einzelnen Formulierungen, und vom Autor gibt es online auch kein Statement dazu (nach meiner Übersicht).

Es ist ein nicht ganz unwesentliches Problem der Ich-Perspektive beim Erzählen, dass sich der Autor sprachliche Defizite seiner Figur selbst zuschreiben lassen muss - jedenfalls, wenn er ausschließlich die Ich-Perspektive verwendet. Für den Leser verschwindet da die Distanz zwischen Autor und Erzähler; gerade dies ist ja auch der Sinn der Ich-Perspektive. Auch auf der Seite des Autors fehlt da die Distanz, etwa eine ironische zu bestimmten sprachlichen Eigenheiten, wie es eine personale oder auktoriale Perspektive zuließe. Die Ich-Perspektive fordert nun einmal Identifikation von Autor und Erzähler. Wenn dann - überspitzt formuliert - der Erzähler ein Dummschwätzer ist, dann ist die Erzählung dummes Geschwätz. Was ja durchaus auch amüsant sein kann - aber allemal auf Kosten des Autors geht …

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Gilt diese Aussage nur für Textschnipsel oder meinst Du das allgemein - bis hin z.B. zu Romanen?

Das gilt sowohl für epische Kleinformen (Novellen, Erzählungen, Kurzgeschichten …) wie für Großformen, insbesondere Romane.

OK; dann möchte ich zu Protokoll geben, daß ich das ganz und gar nicht so sehe. Beweisstück A:
https://www.amazon.de/Darum-Roman-Daniel-Glattauer/dp/3442467616/ref=tmm_pap_swatch_0?_encoding=UTF8&qid=1596886007&sr=8-1

Dem stimme ich nicht zu. Der tatsächliche Verfasser kann als Ich-Erzähler einen Flachschwätzer konstruieren, den ich nie mit dem Verfasser identifizieren würde.

Hier noch ein Beispiel für einen (nicht sprachlichen, aber inhaltlichen) Fehler des Ich-Erzählers (oder des Autors?): Es geht um ein Falkennest und fliegende Falken, und der Ich-Erzähler sagt:

„Touristen mit massigen Weitwinkelobjektiven knipsten stets, was das Zeug hielt, sobald sie meinten, einen der beiden Falken zu erblicken.“

Aus zwei Gründen ist stark zu vermuten, dass nicht Weitwinkel-, sondern im Gegenteil Teleobjektive gemeint sind:

  1. Entfernt fliegende Falken fängt man nur per Teleobjektiv vernünftig ein (selbst wenn einige Handyfotografen das Gegenteil behaupten).
  2. „Massig“ sind vor allem Teleobjektive, speziell bei Tierfotografen. Zwar gibt es auch ein paar eher massige Weitwinkelobjektive, aber der Begriff „massig“ kommt vor allem bei Teleobjektiven in den Sinn.

Wer macht hier den Fehler mit dem Weitwinkelobjektiv - der Autor oder der Ich-Erzähler. (Wohlgemerkt, der Ich-Erzähler ist ein hochgebildeter Mensch mit Medienerfahrung.)

Knapp 200 Seiten später sagt der Ich-Erzähler dann in einem ganz anderen Zusammenhang an einem ganz anderen Ort:

„Was wusste ich schon über Fotografie?“

Man kann das auch auf die Spitze treiben: wer spricht denn in American Beauty? Alan Ball (Drehbuchautor), Sam Mendes (Regisseur), Kevin Spacey oder doch nur der fiktive Lester Burnham?

Ich habe noch nie Huckleberry Finn mit Mark Twain oder Oskar Matzerath mit Günter Grass oder Tschick-Kumpel Maik mit Wolfgang Herrndorf gleichgesetzt. Auch nicht Felix Krull mit Thomas Mann oder ganz erwachsene Ich-Erzähler mit ihren Erfindern. Auch keine Schlagersänger mit dem in Ich-Form besungenen Liebesschmerz.

Mein Lieber, das ist unglaublich.

Noch nie? Wann als Kind hast Du noch den Autor mit der Romanfigur identifiziert? Wann hörte dies auf? Nein, das geht so nicht durch. Du hast diese kindliche Eigenschaft irgendwann verloren. Oder?

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Hi,

Das gilt für alle Texte.

Textschnipsel sind Teile eines Ganzen und können nicht isoliert betrachtet werden, so wie dein arm eben dein arm ist und kein eigenständiges Individuum. Besser noch: ich kann einen Kranken nichtdiagnostizieren, indem ich nur den kleinen finger betrachte und sonst nichts von ihm oder ihr weiss, sehe oder höre.

Die Franzi

Hi,

Warum tust du es dann hier mit jan christopherson?
Tychiades hat recht, und so ist mark Twain ein teil von huckleberry finn, und jan christopherson kennt frauke (er hat sie schließlich erfunden)

Die Franzi