Der überschätzteste Philosoph

Hier war aber nach den „überschätztesten“
und nicht nach den „wirkmächtigsten“
Philosophen gefragt.

Die Überschätzung bestand darin, daß man seinen Ideen, eine Wirksamkeit zuordnete, die sich in der Praxis als unrealisierbar erwies.

Unter „überschätzt“ verstehe ich hier,
das im gefragten Zeitrahmen eine Art
Überschätzungs-„Trara“ oder eine Moden-
schau veranstaltet wird oder ein per se
Wert „landläufig“ zugeordnet sei, welcher
bei näherem Hinsehen keinen Bestand hat.

Genau das hat der Kommunismus 50 Jahre getan :smile:

gruß
rolf

Hier war aber nach den „überschätztesten“
und nicht nach den „wirkmächtigsten“
Philosophen gefragt.

Die Überschätzung bestand darin, daß man seinen Ideen, eine
Wirksamkeit zuordnete, die sich in der Praxis als
unrealisierbar erwies.

Das ist völlig richtig ausgedrückt.
Nur sehe ich darin keine Über- sondern eine Unterschätzung von Marx als Philosophen. Überschätzt haben sich die Leute, die vorgaben, ihn verstanden zu haben und umzusetzen versuchten (letzteres: was nach ihm nicht möglich ist).

Grüsse

Hallo,

sind denn nicht alle irgendwie daseinsberechtigt? Selbst wenn sie einst überschätzt wurden, ist es doch gut, dies als falsch enttarnt zu haben und somit werden sie wieder wichtig, um aus deren Fehlern entsprechende Schlüsse zu ziehen.
Ein Aristoteles ist heute nicht mehr aktuell, dennoch baut vierles auf seinem Denken auf. Hat man ihn daher überschätzt, weil er Jahrhunderte führend war in seinen Ausführungen?
Wann ist also ein Philosoph „überschätzt“?

Grüsse

Hi Semjon,

2in1

[Wen KANN man gar nicht überschätzen?]

[Kant]

Dadurch, daß Du das geschrieben hast,
hat meine „Hypothese“ an Kraft gewonnen …

Ja, natürlich!

Meines Erachtens liegt ja in dem Konzept des Überschätzens schon dieser paradoxale Endpunkt, an dem „Kann man gar nicht überschätzen!“ und „Ist maßlos überschätzt!“ identisch sind.

Kant war extrem wichtig - er warnte vor wildem Spekulieren und
bodenloser Geisterseherei, d.h. vor all dem, was die
Philosophie vorher so kitschig machte. Er pochte auf Empirie,
und das ist auch gut so.

Inwieweit ging Kant so über Hume hinaus,
dass es uns heute den Atem raubt?

Wenn man Descartes + Hume zusammenlegt,
was bleibt da, ausser riesigen Text-
mengen und Königsberger Original,
tatsächlich von Kant übrig?

Dies würde mich ernsthaft interessieren.

Ich versuchs mal …

  1. die Überlegung, man könne die Position Kants ja eigentlich aus der Zusammenlegung von Hume und Descartes auch erreichen, so dass Kant gar nicht nötig wäre, übersieht, dass es Kant bedarf um überhaupt zu dieser Überlegung zu kommen.

  2. Horst nennt m.E. nicht den entscheidenen Punkt bei Kant, der da ist: die Kritik als solche.

Kant macht nicht Halt am Kartesischen (methodischen) Skeptizismus, und auch nicht am Humeschen Skaptizismus, sondern geht zum Apriori zurück, anders gesagt: er ist der erste, der konsequent nach den Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis fragt; und diese Art zu fragen ist heute unhintergehbar; jede Kritik an Kant (außer der dogmatischen) ist gezwungen, in diesem Modus der „Bedingungen der Möglichkeit“ vorzugehen.

Also: gegen Hume die Insistenz darauf, dass die Bedingungen (Prinzipien) von Erfahrung nie aus der Erfahrung selbst bezogen werden können, und gegen den Rationalismus, dass es Bedingungen der Erfahrung sein müssen, und dass es nicht um Erkenntnisse selbst geht (die man methodisch-skeptizistisch bezweifeln könnte), sondern um die Art von Erkenntnis.

Einverstanden? :wink:

Viele Grüße
Franz

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‚Philosophenhatz‘
Hi Horst,

Philosophenhatz

Du bist von allen Teilnehmer dieses Threads eigentlich der einzige, der wiederholt die Überschätzungs-Kandidaten verteidigt, und mit „Philosophenhatz“ oder „Tote können sich nicht wehren“ (aus dem Gedächtnis zitiert) sogar in gewisser Weise mit moralischem Impetus verteidigt.

Da ich es bei w-w-w hin und wieder erlebe, dass Leute, die hinlänglich Kenner der Philosophie sind (die Entsprechenden werden sich erkennen, so sie es lesen), zur „Verteidigung der Philosophen“ auftreten, würde mich der/Dein Grund dahinter einmal interessieren, zumal es anderweitig abusurd wäre, angesichts einer vernichtenden Kritik des Werks von sagen wir mal Bukowski als „Verteidiger der ganzen Literatur“ aufzutreten, oder angesichts der gängigen Ablehnung Freuds als „Verteidiger der Psychologie als Ganzer“ …

Also: was macht es, dass (scheinbar?) gerade die Philosophie verteidigt werden muss? Oder ist das nur meine Fehleinschätzung?

Viele Grüße
Franz

1 Like

Hallo Yndigo
Deswegen habe ich ja auch nicht nach dem Lieblings-Philosophen
gefragt, weil das -wie Du schon andeutest- eine endlose
Hitparade und subjektive Beweihräucherung werden dürfte.

Moin auch,

ja…wo Du’s so sagst… Nach nochmaligem Hin-und-herlesen…
sehe ich, wie sehr man/ich doch zu Mißverständnissen neigt.
Und frage mich nun, ganz allgemein, wie ich/man besser die
eigene Interpretationsfreiheit von Gehörtem/Gelesenem
beurteilen, bzw. einschätzen könnte. Vielleicht mit etwas
mehr Bedächtigkeit und kurzen Rückfragen.

Aber den überschätztesten, den dürfen wir schon noch subjektiv
brandmarken :wink:… Das dürfte aus verschiedenen Gründen (die
jeder sich selber ausmalen darf) interessanter werden…

Aber klar doch! Wär’ ja Ssünde ssonst :smile:

Gruß, Yndigo

Gruß,
Branden

Hi Nescio,

…bildet doch grad die Vielfalt der
Richtungen den Gedankenreichtum.

Da widerspreche ich dir.
Ich sehe diese Vielfalt eher als eine Erscheinungsform
der
Armut der zeitgenössischen Philosophie,

Das mag sein; aber die Freiheit, sich auf allen nur möglichen
Ebenen verbal/schriftlich austauschen zu können, halte ich für
eine Unverzichtbare. Egal wie blöd das jemand finden mag; oder
ich selbst. Nur ist für alle Beteiligten wichtig zu wissen,
oder wie ich selbst grad bemerkte, zu verstehen, unter
welcher ‚Überschrift‘ das Ganze eigentlich stattfindet.

Diese Mißverständnisse machen ja leider immer wieder alles
so schwer und unerfreulich. Ich glaube, öfter mal tief
durchatmen kann uns allen weiterhelfen. Und natürlich beim
posten möglicht klar formulieren.

Sei gegrüßt, Yndigo

Hach wie schön! Hallo Andre,

welch einfache, labende, quellfrische Kühle! Ich glaube, daß
jeder Dir da recht gibt. Aber ich glaube auch, daß gewisse
Gespräche immer mal wieder geführt werden müssen/sollen. Wir
alle haben wider besseren Wissens, unsere scheinbar paradoxen
Meinungen, Meinungs-Äußerungen. Wäre nur noch komplizierter,
das alles immer gleichzeitig mit-zuerwähnen. Manche allerdings
vergessen wohl auch die Tatsache Deiner Aussage.

Mir scheint der Inhalt derartiger Gespräche weniger wichtig.
Glaube es geht hier mehr um das trainieren des Gehirns, und
um das Aufräumen und Entmisten im Keller desselben. Ist doch
gesund.

Gruß, Yndigo

[Bei dieser Antwort wurde das Vollzitat nachträglich automatisiert entfernt]

Hallo Andre

sind denn nicht alle irgendwie daseinsberechtigt?

Na klar sind sie das. Aber es gibt eben welche, die überschätzt werden, gerade in bestimmten Zeiten.

Selbst wenn
sie einst überschätzt wurden, ist es doch gut, dies als falsch
enttarnt zu haben und somit werden sie wieder wichtig, um aus
deren Fehlern entsprechende Schlüsse zu ziehen.
Ein Aristoteles ist heute nicht mehr aktuell, dennoch baut
vierles auf seinem Denken auf. Hat man ihn daher überschätzt,
weil er Jahrhunderte führend war in seinen Ausführungen?

Aus diesem Grunde habe ich ja auch in meiner Fragestellung enthalten: „der letzten 200 Jahre“. Genau an dem (Zeit-)Punkt wird nämlich deutlich, wie der sogenannte Zeitgeist der vergangenen Jahrzehnte uns das Hirn vernebelt.
Gruß,
Branden

Hi.

…, würde mich der/Dein Grund dahinter
einmal interessieren, zumal es anderweitig absurd wäre,
angesichts einer vernichtenden Kritik des Werks von sagen wir
mal Bukowski als „Verteidiger der ganzen Literatur“
aufzutreten, oder angesichts der gängigen Ablehnung Freuds als
„Verteidiger der Psychologie als Ganzer“ …

Bukowski hat viele Fans, und Freud wird ganz und gar nicht gängig abgelehnt - er ist ein Klassiker geworden, dessen Einsichten sogar in populäre Anschauungen eingegangen sind. Zudem war Freund Psychoanalytiker, nicht ´Psychologe´. Ich verstehe also dieses Argument nicht.

Also: was macht es, dass (scheinbar?) gerade die
Philosophie verteidigt werden muss? Oder ist das nur meine
Fehleinschätzung?

Meine Position dazu habe ich schon an der Re an Branden vom 14.2. angedeutet. Integratives Theoretisieren bedeutet, daß die Einsichten einzelner Denker durchaus gewinnbringend in ein komplexe Gesamttheorie eingefügt werden können. Irrelevante oder sinnlose Elemente innerhalb dieser Einsichten müssen dabei aussortiert werden (z.B. Kants generelles Mißtrauen in transzendente Erkenntnisse). Kant sagt einfach: Transzendenz ohne Empirie ist Phantasterei. Und damit damit recht. Der Umkehrschluß lautet dann: Transzendenz mit Empirie ist Wissenschaft. Das entspricht den asiatischen und mystischen Anschauungen.

Also Integration statt Ausgrenzung - wenn sinnvoll und möglich.

Gruß

Hallo Franz

Kant macht nicht Halt am Kartesischen (methodischen)
Skeptizismus, und auch nicht am Humeschen Skeptizismus,
sondern geht zum Apriori zurück, anders gesagt: er ist der
erste, der konsequent nach den Bedingungen der
Möglichkeit
von Erkenntnis fragt;

OK, aber (IMHO) ist er nicht in der Lage, diese seine
rhetorische Frage auch nur irgendwie verständlich zu
beantworten.

IIRC bemühte sich seinerzeit bereits Nietzsche, aus
Kant eine Antwort darauf zu extrahieren.

==> „Vermöge eines Vermögens“ JGB 1HS/11

 ...
 Wie sind synthetische Urtheile a priori möglich? 
 fragte sich Kant, — und was antwortete er eigentlich? 
 Vermöge eines Vermögens: leider aber nicht mit drei 
 Worten, sondern so umständlich, ehrwürdig und mit einem 
 solchen Aufwande von deutschem Tief- und Schnörkelsinne,
 dass man die lustige niaiserie allemande überhörte, 
 welche in einer solchen Antwort steckt. 
 Man war sogar ausser sich über dieses neue Vermögen, 
 und der Jubel kam auf seine Höhe, als Kant auch noch ein 
 moralisches Vermögen im Menschen hinzu entdeckte: — denn 
 damals waren die Deutschen noch moralisch, und ganz und 
 gar noch nicht „real-politisch“.
 ...

und diese Art zu fragen ist heute unhintergehbar; jede Kritik
an Kant (außer der dogmatischen) ist gezwungen, in diesem
Modus der „Bedingungen der Möglichkeit“ vorzugehen.

Letztendlich sehe ich auch hier nichts als die Reaktion
auf Hume. Denn: war *das* nicht die drohende Frage, die
immer um Hume herumwaberte?

Also: gegen Hume die Insistenz darauf, dass die Bedingungen
(Prinzipien) von Erfahrung nie aus der Erfahrung selbst
bezogen werden können,

OK. Er äussert eine „Vermutung“, die er letztlich
nicht belegen kann. Das schreibt er aber (imho)
nicht so. Er tut so (afaik!), als *hätte* er
dieses Problem „im Griff“.

und gegen den Rationalismus, dass es Bedingungen
der Erfahrung sein müssen, und dass es
nicht um Erkenntnisse selbst geht (die man
methodisch-skeptizistisch bezweifeln könnte),
sondern um die Art von Erkenntnis.

Auch das ist (imho) wieder Hume (Umwelt wird von
den „Sinnen erzeugt“ -> als das, was sie uns scheint).

Letztendlich habe ich immer noch nicht verstanden,
inwieweit Kant über Hume hinauskommt (der Punkt,
an dem er nicht „überschätzt“ wird ==> Thread)

Danke & Grüße

CMБ

Hi Semjon,

Kant macht nicht Halt am Kartesischen (methodischen)
Skeptizismus, und auch nicht am Humeschen Skeptizismus,
sondern geht zum Apriori zurück, anders gesagt: er ist der
erste, der konsequent nach den Bedingungen der
Möglichkeit
von Erkenntnis fragt;

OK,

das ist mein Punkt!

aber (IMHO) ist er nicht in der Lage, diese seine
rhetorische Frage auch nur irgendwie verständlich zu
beantworten.

es ist keine rhetorische Frage, sondern es ist schlicht eine andere Art des Fragens (statt zu fragen: „Was ist dieses Ding?“ nun „Was ist die Bedingung dafür, dass dieses Ding möglich ist?“).

IIRC bemühte sich seinerzeit bereits Nietzsche, aus
Kant eine Antwort darauf zu extrahieren.

==> „Vermöge eines Vermögens“ JGB 1HS/11


Wie sind synthetische Urtheile a priori möglich?
fragte sich Kant, — und was antwortete er eigentlich?
Vermöge eines Vermögens: leider aber nicht mit drei
Worten, sondern so umständlich, ehrwürdig und mit einem
solchen Aufwande von deutschem Tief- und Schnörkelsinne,
dass man die lustige niaiserie allemande überhörte,
welche in einer solchen Antwort steckt.
Man war sogar ausser sich über dieses neue Vermögen,
und der Jubel kam auf seine Höhe, als Kant auch noch ein
moralisches Vermögen im Menschen hinzu entdeckte: — denn
damals waren die Deutschen noch moralisch, und ganz und
gar noch nicht „real-politisch“.

Anstatt diese Stelle zu kommentieren (m.E. ist sie sehr viel mehr gegen die Deutschidealisten gerichtet, die in den Tübinger Stiftsbüschen Vermögen suchen, als gegen Kants „eigentliche Antwort“), möchte ich daraufhin weisen, dass Nietzsche doch selbst (z.B. in der Genealogie) nach folgendem Muster fragt: Was ist die Bedingung von dieser und jener Moralvorstellung? die Herrenmoral! die Sklavenmoral! Was ist die Bedingung des Subjekts? die Falschmünzerei der Ohnmacht! Was ist die Bedingung des Rechts? das Bestehen einer Relation von Gläubigern und Schuldnern!, etcpp.

und diese Art zu fragen ist heute unhintergehbar; jede Kritik
an Kant (außer der dogmatischen) ist gezwungen, in diesem
Modus der „Bedingungen der Möglichkeit“ vorzugehen.

Letztendlich sehe ich auch hier nichts als die Reaktion
auf Hume. Denn: war *das* nicht die drohende Frage, die
immer um Hume herumwaberte?

Letztendlich habe ich immer noch nicht verstanden,
inwieweit Kant über Hume hinauskommt (der Punkt,
an dem er nicht „überschätzt“ wird ==> Thread

Könnte Nietzsche diese Fragen als „Neo-Humianer“ stellen, käme er mit Hume etwa jemals auf die „Herrenmoral“, den „Willen zur Macht“, etc. (die als solche unmöglich jemals „in den Sinnen“ sein könnten …)?

Als „Neo-Kantianer“ m.E. sehr wohl, und zwar dann, wenn er Kants Ansinnen zurückweist, nach der Bedingung der Möglichkeit aller Erkenntnis, aller Dinge zu fragen, aber eben wohl nach der Bedingung der Möglichkeit dieser Erkenntnis, dieses Dings fragt.

Kant fragt: Was kann ich wissen? Was kann ich tun? etc.
Nietzsche fragt: Wie kann ich Ja sagen zum Leben unter diesen (heutigen) Bedingungen?, etc.

Kann man mit Hume nach den Bedingungen der Sinneseindrücke fragen, oder ist gerade das das große Ausgeschlossene bei ihm?

Die wirkmächtige Differenz Kants zu Hume ist m.E. also diese Ebene der Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit von etwas; und diese Ebene motiviert die ganze Arbeit bei Hegel, Marx, Nietzsche, Apel, Rawls, Habermas, Foucault, etc., wenn auch deren sehr verschiedene „Antworten“ sicherlich andere sind als die Kantische Antwort „Vermöge eines Vermögens“, aber die Ebene des Fragens ist die gleiche, nämlich eine kritische, und eben keine radikal-skeptizistische wie bei Hume, die sich z.B. auch in der Frage des „Selbst“ zeigt, das es für ihn einfach nicht geben kann: „It cannot, therefore, be from any of these impressions, or from any other, that the idea of self is deriv’d; and consequently there is no such idea. (Treatise 1, 4, 6), während alle die eben Genannten sehr unterschiedlich die Bedingungen eines Selbsts/Ichs/Subjekts denken, ohne deshalb „hinter“ Hume zu einem einfachen „Selbst an sich“ zurückzukehren.

Viele Grüße
Franz

2 Like

Also einer meiner Favoriten für diesen Titel wäre Ernst Bloch.
Einer der UNTERschätztesten (grausiges Deutsch) Sloyterdieck (hoffe, ich habe ihn richtig geschrieben)

Natürlich von MIR abgesehen :wink: