Hallo Ulf,
du meinst, man könnte diese Beeinträchtigung auf der
kognitiven Ebene lösen? Also bewusst zu lernen, die
„Schwerfälligkeit“ aufzugeben und sich stattdessen auch mehr
anzustrengen (anstrengen zu wollen), die authenischen
(wahrheitsgemäßen) Bedürfnisse zu äußern?
Ich bin davon überzeugt, daß man das kann. Nicht nur das. Es ist auch möglich, die Leistungen
anderer, die zu einem gerechten Geben und Nehmen wichtig sind, der Wahrheit entsprechend,
nicht nur unseren egozentrischen Gefühlen und Vermutungen entsprechend wahrzunehmen! Dieser
zweite Teil des fundamentalen Handicaps ist genauso wichtig und wird genau dort
vernachlässigt, wo sich Probleme und Konflikte entwickeln.
Ja, dazu müsste man das egoistische (egozentrische) Prinzip
aufgeben, durch das andere sozusagen als Objekte zur Erlangung
nicht authentischen Bedürfnisse wahrgenommen werden.
Das egoistische Prinzip werden wir niemals aufgeben können, aber unsere allzu egoistische
Tendenz, uns was einzubilden, wo wir genauso gut und besser für unsere Partner und dann auch
für uns, die Wahrheit erkennen könnten.
Es gibt da einen starken Spruch, der unser Urhandicap auf den Punkt bringt und der eigentlich
auf jeder Seite stehen müßte, die sich mit Kommunikation oder Konfliktmanagement beschäftigt:
DEPPEN ERGÄNZEN FEHLENDE INFORMATIONEN DURCH EINBILDUNGEN,
IDIOTEN LIEFERN DIE GELEGENHEITEN DAZU.
An die Stelle müsste die Fähigkeit zur selbst-kritischen
Reflexion treten können… All die trügerischen Wahrnehmungen
und Annahmen davon, man sei ja nicht selbst verantwortlich,
sondern andere… man könnte ja nichts dafür, dass man nicht
ausreichend informiert sei, nicht partnerschaftlich agiere…
all die nicht authentischen Wohlgefühle, die u.a. dem Zweck
dienen, sich selbst „in Unschuld zu waschen“.
Wer also nichtpartnerschaftlich agiert, müsste sich seines
Handicaps bewusst werden und daraus das Bedürfnis entwickeln,
eine andere Positionierung einnehmen zu wollen… Das kann
aber auch bedrohlich wirken, oder? Den eigenen egozentrischen
Standpunkt aufzugeben und sich zu „öffnen“, auch dafür, dass
man bisher falsch lag.
Natürlich ist selbstkritische Reflektion sehr wichtig, aber das Vermögen dazu verbessert sich
durch Beachtung der Mißverständnisse, die uns daran hindern, klar zu denken. Damit meine ich
alles, was uns erschwert, die Wahrheit zu erkennen und uns oder andere durch Trugbilder und
Selbsttäuschungen ins Unrecht zu setzen.
Was Du als schwierig beschreibst, ist bereits die Folge der Mißachtung des fundamentalen
Handicaps! Die meisten der von Dir befürchteten Schwierigkeiten entstehen nicht, …
… wenn wir darauf achten, unsere Bedürfnisse anderen der Wahrheit entsprechend zu vermitteln
…
… wenn wir uns bemühen, ihre Bedürfnisse der Wahrheit entsprechend zu erkennen, …
… wenn wir uns bemühen, unsere Leistungen nicht höher zu bewerten, als sie in Wahrheit sind,
…
… und wenn wir uns bemühen, die Leistungen unserer Partner der Wahrheit entsprechend
wahrzunehmen.
Das hört sich jetzt viel schwieriger an, als es ist, denn in der Regel sind es nur kleine
Fehler, die wir dabei machen, weil wir von all dem und vor allem von deren Bedeutung für die
gemeinsame Zufriedenheit nichts wissen. Selbst erfolgreiche Menschen bemühen sich bei der
Überwindung des fundamentalen Handicaps mehr unbewußt als bewußt, und landen deshalb auch
immerwieder selbst in Problemen und Konflikten mit Partnern, die konflikttreibendes Verhalten
so gut draufhaben, daß sie selbst nicht mehr merken, wie unpartnerschaftlich sie sich
benehmen.
Das Bedürfnis nach mehr Partnerschaftlichkeit ist sicher bei den meisten vorhanden, könnte
aber noch wichtiger werden, wenn man begreift, wie einfach es ist, sich partnerschaftlicher zu
verhalten. Es ist ja nicht viel Mühe, auf das fundamentale Handicap zu achten, auch wenn es
ein bißchen dauert in der Phase der Umgewöhnung. Ich erlebe aber immer wieder, wie schnell
damit Erfolge realisiert werden, sodaß sich jedes bißchen Mühe rasch lohnt und zu weiteren
Erfahrungen motiviert.
Warum vermutest Du Bedrohlichkeit durch Verlassen eines Verhaltens, das mehr für Probleme und
Konflikte sorgte, als den meisten bewußt ist? - Von Problemen und Konflikten haben nur die
jeweils Profitierenden was. Dummerweise nicht viel und nicht lange, weil Betrogene über kurz
oder lange gegenreagieren und letztlich ja nur ein Kampf mit enormen Reibungsverlusten
resuliert. Auch Winnern egostischer Strategien ist klar, daß das Anhäufen von Erfolgen
langfristig mehr zu Unzufriedenheit führt als zu dauerhaftem Glück, das nach den
Lebenserfahrungen der meisten Vernunftwesen im steten, maßvollen Zuwachs liegt, nicht in der
Hatz in ekstatische Gefilde mit zwangsläufigen Abstürzen, bösen Ernüchterungen und
aggressivierenden Kontakten.
Zu erkennen, daß man bisher falsch lag, dürfte nicht allzu belastend sein, wenn damit das
Bewußtsein verknüpft ist, daß man zwar das Gute wollte, es aber aufgrund des fundamentalen
Handicaps nicht erreichen konnte.
Meine „glücksbringenden Ideen“ gelten auch für die Fälle von Unzufriedenheit, in denen nicht
die Anhäufung von kleinem Unrecht Frustrationen verursacht, sondern bewußtes Stören der
Balance des Gebens und Nehmens durch drastische Eingriffe. Beispielsweise aufgrund von
Machtpositionen. In diesen Fällen spielen die gleichen banalen Mechanismen
menschlich-unmenschlichen Handelns genauso wie in allen anderen die entscheidende Rolle. Auch
bei den Köpfen mächtiger Interessen gibt es Deppen, die Informationen verhindern oder
ignorieren oder Wahrgenommenes verschwinden lassen (z. B. mithilfe „dynamischer Erinnerung“),
um die entstehenden Lücken durch Einbildungen zu ersetzen. Auch sie haben Partner, die sich
wie Idioten benehmen und zulassen, daß Informationslücken entstehen oder daß sich ihre Partner
nur an Negatives erinnern oder sie Erinnerungen schön- oder häßlich färben beim Hervorkramen
aus dem Archiv.
Denkst du, dass man diese Bedrohlichkeit durch kognitive
Strategien in den Griff bekommen kann?
Vielleicht durch Bewusstwerdung der eigenen Unzufriedenheit,
also damit über den Weg des fühlbar gemachten Empfindens in
z.B. der Form einer unerträglichen Leere dabei, andere als
bloße Objekte wahrzunehmen? Der Einsicht, selbst auch nur
Objekt zu sein?
So tief in Unwohlgefühle muß man sich, glaube ich, gar nicht begeben. Was sicher nicht
vernachlässigt werden darf ist der Umstand, daß wir unsere Partner sorgfältig auswählen
sollten! Es gibt nämlich Partnerschaften, die können gar nicht funktionieren, weil Partner zu
viele Schwierigkeiten haben, ihr Geben und Nehmen gerecht zu managen. Es empfiehlt sich auch,
Partner zu wählen, deren Kommunikationsvermögen in etwas unserem entspricht.
Selbstverständlich kann man auch Zwangspartnerschaften, von denen es sehr viele gibt, mithilfe
mächtiger Partner so gestalten, daß die Beteiligten zufrieden werden. Ich denke hier vor allem
an offensichtliche Rechtsverletzungen, die wir mit Anwälten, Gutachtern und Richtern aus der
Welt schaffen können, sofern wir diese Helfer der Rechtsverwirklichung als Partner erkennen,
sie umfassend über die Wahrheit aufklären und sie dazu anhalten, auch wirklich das zu leisten,
was sie leisten müssen für ihr Geld. Hierbei sind schon sehr viele Menschen verzweifelt, weil
sie Idioten waren, die Sachverständige und Juristen Deppen sein ließen.
Mit einem Bemühen um ein gerechtes Geben und Nehmen kann niemand zu einem Objekt werden, denn
dann wären wir ja alle nur Objekte, was Wertungsunterschiede ausschließen würde.
Das würde vielleicht auch heißen, dass man anderen eine sehr
hohe Toleranzgrenze an (zunächst einmal) unerträglichen
Gefühlen zumutet?
Eben nicht. Womit sollten denn unerträgliche Gefühle entstehen? Beim Erkennen, daß man seinen
Partner nicht wirklich befriedigen kann? - Ich denke jetzt mal an Stalker. Meist ist
verschmähte Zuneigung der Grund für systematisches Drangsalieren von Menschen, denen man
eigentlich sehr zugeneigt ist. Die Ablehnung entsteht durch die Einbildung, die Gefühle des
anderen wären so, daß wir uns diese anderen als Partner einbilden. Mit genug Nüchternheit und
klarem Verstand, seine eigenen Bedürfnisse und die des potentiellen Partners zu erkennen,
würden viele schmerzhaften Gefühlsduseleien erst gar nicht entstehen.
Nun hat die Natur freilich ein gerüttet Maß an Blindheit eingebaut in unsere unersättliche
Gier nach Wohlgefühlen, die besonders dann Probleme machen kann, je stärker die erwartbaren
Wohlgefühle werden. Man kann aber durch entsprechende Erziehung dafür sorgen, daß Menschen
öfter auf dem Teppich bleiben. Je mehr das passiert, desto weniger Deppen und Idioten gibt es,
die was unter den Teppich kehren oder mit ihm davonfliegen.
Die Kognition greift dann über das Empfinden von darüber
wahrnehmbaren nicht authentischen Gefühlen und umgekehrt
korrigiert man damit auch Annahmen, Einstellungen, Haltungen
des Denkens über sich und andere?
Davon bin ich überzeugt.
Das müsste wohl eine Aufklärung sein, die sowohl in der
Therorie als auch über die Praxis programmmäßig aufklärt?
Ja, und die Theorie müßte mit dem entsprechenden Hintergrund vermittelt werden, der die Angst
vor der Ursachenkomplexität nimmt und genug Durchblick ermöglicht, um die Mechanismen unseres
Miteinanders, Gegeneinanders und Aneinandervorbeis zu erkennen und damit dann auch das
mächtigste Werkzeug der Welt zu beherrschen.
Aber würde dies greifen bei Menschen, die nicht an
existentiellen Punkten stehen und zugleich durch viele ihrer
Erfahrungen - von Kindheit an - hinweg zu der tiefsten
Überzeugung gelangten, sie müssten sich selbst behaupten,
gerade indem sie ihrer (egozentrischen) Sichtweise treu
bleiben?
Ich denke schon, denn die müßten sich nur mal vergegenwärtigen, wieviel Unrecht es gibt um sie
herum, und daß das egoistische Prinzip bei allen anderen Lebewesen vernünftiger funktioniert
als bei der Spezies, die sich mit ein bißchen mehr Hirn über alle anderen erhoben hat und oft
dumm und dreist mit dem bißchen Denkbeule um sich schlägt und dabei Gut und Böse in zwei
ekelhafte Extreme trennt. Ein bißchen Gut und Böse im vernünftigen fairen Wechsel wäre alles,
worauf wir achten müßten …
Wenn die Bereitschaft zur Einsicht nicht gegeben ist, weil die
subjektiv empfundene Bedrohlichkeit, diese Haltung aufzugeben,
zentral ist, muss doch sehr viel Arbeit getan werden, um diese
„Mauer“ zu durchbrechen?
Gruß - iceage
Ich sehe diese Bedrohlichkeit nur unter dem Irrtum der nicht existierenden Autonomie mit zu
viel Ignoranz des alles beherrschenden Partnerschaftsprinzips. Menschen, die ihre
Machtpositionen und ihren Habitus nicht aufgeben wollen tun dies aus der Angst heraus, daß sie
das umgebende Ellenbogengewusel erdrücken wird, sobald sie sich rücksichtsoller,
partnerschaftlicher verhalten. Hätten sie die Gewißheit, daß an allen Ecken und Kanten an
einer Umkrepelung unserer Verständigungsgewohnheiten gearbeitet wird, könnten sie sich auch
locker auf Versuche einlassen. Sie können ja jederzeit wieder wie bisher egoistisch handeln,
wenn sie Nachteile spüren.
Da Menschen mehr Grips haben als Tiere, dürfte es kein Problem sein, mit Partnern all das vor
dem Schaukeln mit ihnen abzuklären, damit die Gewichte und Abstände und die Kräfteeinsätze so
gemanaged werden können, daß genug Wohlgefühle für beide bei geringstem Unwohlgefühleinsatz
herauskommen. Die Vorstellung, sich immer einem Partner gegenüber zu sehen, der mit einem auf
einer Balkenschaukel sitzt, ist für ein gerechtes und zufriedenstellendes Interessenmanagement
sehr hilfreich.
Grüße vom
Weissbisselwas