corpus mysticum
Hi Hanna
(sorry - ist mal wieder lang, ist aber nur eine winzige *g* Einführung ins Thema)
Zunächst einmal: Deine Fragestellung piekst mittenhinein in eines der komplexesten Themen der christlichen Theologiegeschichte und außerdem in ein dahinterliegendes allgemeineres Grundthema mythentheoretischer bzw. religionsphilosophischer Untersuchungen: Das Grundthema heißt „Religion & Sexualität“, das in jeder historisch gewordenen religiösen Erscheinung eine wesentliche Rolle spielt.
Zuerst ein paar Sätze zu deinen Postings:
Ich kenne zwar viele Stellen, wo die Gemeinde mit einer Braut (meist: „Jungfrau“) verglichen wird - aber andere Hinweise deuten darauf, dass die Gemeinde in Wirklichkeit NICHT die Braut Jesu ist.
Da sagt Paulus aber, dass das hier sein persönliches Gleichnis ist … wobei in der Offenbarung nicht steht, dass die dort erwähnte Braut nur gleichnishaft zu verstehen sei…
Was heißt hier „in Wirklichkeit“? Alle religiösen Texte (und nicht nur in christl. Tradition) sind Deutungen, Interpretationen, Auslegungen ihrer jeweils historischen Vorgänger und vor allem auch der Frage, was der Kern der jeweiligen Lehre sei usw. Woran sollte das „ist“ anders festgemacht werden, als daß eine als charismatisch anerkannte Person irgendwann einmal gesagt hat „so sehe ich es“. Und wie sollten religionssprachliche Metaphern je etwas anderes als Gleichnisse sein? Was sollte „Braut Christi“ - egal was darunter zu verstehen ist - denn anderes sein?
Und für die spezielle historisch gewordene Form des Christentums sind nun mal in vielen Hinsichten die paulinischen Schriften eine der Quellen für das, was in dieser Tradition als das „was ist“ angesehen wurde. Aber Quellen für Lehrinhalte und sprachliche Formeln sind nicht nur die kanonischen Texte selbst, sondern die gesamte Auslegungstradition und die Streitgeschichte um Formulierungen: Das sind im Christentum 1. die Auseinandersetzungen mit den sog. „Kirchenvätern“ und 2. die Konziliengeschichte…
Der Prototyp für den Ausdruck "Kirche = Braut Χi " liegt - abgesehen davon, daß die Grundfigur ein allgemeines, also internationales, Mythem ist - bereits in älteren israelitischen Traditionen: Nämlich in der Metapher für die Beziehung bzw. das Bündnis zwischen Jahwe und Israel… (Jesaiah 54.5-8, 62.4-5, Jeremiah 2.2, Hoschea 1.ff)
Die christliche Quelle liegt tatsächlich in Paulus Epheser 5.21-33, dieser für die Frauenrolle in chr. Traditionen so überaus problematischen Stelle. Die Apokalypse kommt dafür nicht so sehr in Frage, denn sie kommt aus anderen Schulen und das „Neue Jerusalem“ ist selbst wieder - bedeutungsschwanger - nicht eindeutig die „ekklesia“…
Was an der Paulus-Stelle auffällt, ist, daß er hier einerseits die Analogie herstellt
Christus/Ekklesia = Mann/Frau
aber zugleich wird die Ekklesia als Χi eigener Leib (σωμα soma) ausgesprochen (5.23), bzw. das Verhältnis Χ-Ekklesia in Analogie zum Mann und seinem eigenen Körper (soma, corpus) gestellt (5.29). Diese zweite Nuance an der Paulusstelle entspricht nämlich dem viel häufiger bei ihm anzutreffenden Konzept von der Ekklesia als dem σωμα = corpus Christi zu sprechen.
Das ist einer der Ansatzpunkte für eine jahrhundertelange Auseinandersetzung um den Begriff „corpus mysticum“ (mystischer Leib) - der zweite Ansatzpunkt liegt im Johannes-Ev. mit seiner sich von den synoptischen Evangelien leicht unterscheidenden Brot&Blut-Rede Joh. 6.52-58, der Metapher vom Weinstock und den Reben Joh. 15.1-8 und der für die johanneische Lehre so fundamentalen Rede in den „esoterischen“ Lehrgesprächen Joh. 14-16 und dem Christus-Monolog Joh. 17 mit den Formen „ich in euch und ihr in mir wie der Vater in mir und ich in ihm“.
Die Begriffsgeschichte um corpus mysticum ist deshalb so komplex, weil sie sich um das ganze Spektrum dreht zwischen
- der Form „Kirche = mystischer Leib Christi“ und
- der Form "Eucharistie (also die rituelle Einverleibung von Brot und Wein, mystisch identifiziert mit σαρξ „Fleisch“ und αιμα „Blut“ Christi) = Vereinigung von Mann & Frau (womit mythologisch korrekt immer der Koitus gemeint ist, was aber in christlichen Traditionen verdrängt wurde und nur in Schulen der Frauenmystik deutlicher zum Ausdruck kam)
Hier nur einige Stichworte zu der Begriffsgeschichte (bei Interesse gerne mehr), die sich - um nur ein paar namen zu nennen - zwischen Eusebius, Klemens, Origenes, Basilius, Ambrosius, Hieronymus, Augustinus bis hin zu Wilhelm von Auxerre, Thomas v. Aquin, Meister Eckhart und dann den Mystikerinnen Hildegard v. Bingen, Mechthild v. Magdeburg, Theresa v. Avila … Therese v. Lisieux abgespielt hat…
- in welchem Sinne ist d. eucharistische Brot&Wein mit Χ identisch und d. rituelle Einverleibung eine Identifizierung mit Χ?
- wie hängt dies wiederum mit a. dem Tod, b. der Auferstehung Χi zusammen?
- soll unter corpus mysticum die Ekklesia (also die Gemeinde) in ihrer historischen Realität verstanden werden, oder ist es ein eschatologischer Begriff für deren Auferstehung?
- soll unter corpus mysticum die rituelle Identifizierung der Ekklesia mit Christus verstanden werden? (im Sinne von „ihr sollt ein Fleisch werden“ Genesis 2.24)
- geht es bei der Vereinigung (Eucharistie bzw. mythologisch Koitus) um die Vereinigung/Identifizierung von Christus und Ekklesia oder um die Intergation des Individuums in der Gemeinde?
- soll das eucharistische Fleisch und Blut verstanden werden als das, was in den Texten bzw. Worten Jesu als αληθεια Wahrheit bzw. als λογος Logos ausgesprochen wird? (wegen "ich bin die Wahrheit… und Logos a. = Christus b. = seine Lehre = Wort Gottes) Das hieße: Die Vereinigung (metaphorisch von Mann und Frau oder eucharistisch durch Brot und Wein) wäre die rituelle bzw. symbolische Identifizierung mit der Lehre?
- Inwiefern ist das Verhältnis Jesus/Maria Prototyp für das Verhältnis Christus/Kirche? (Dazu steht z.B. in den kanonischen texten gar nichts!). Denn im Begriff „Maria“ konkretisieren sich verschiedene Mytheme:
a. Maria = leibliche (= „fleischliche“) Mutter, Gebärerin. Hier schließt sich das Thema „Ekklesia = Mutter“ an…
b. Maria = transzendiert als „unverheiratete Frau“, „Jungfrau“, womit sie zugleich auch (Ehe- bzw. Liebes-)Partnerin ist. (Hierzu enthält das Joh.-Ev. eine interessante Message)
c. Maria = hebr. chokma, griech. sophia. Das gibt den Link zu dem Thema „Maria Himmelkönigin“ (wo auch „heidnische“ Vorstellungen reinkommen) und das interessante Akrostichon SOMA = so phia m undi a nima = Weisheit (Maria) ist die Weltseele, womit die Gestalt Maria als Inbegriff (= mythologisch „Herrin“) der real-historischen Menschheit symbolisiert wird.
Daß der Ausdruck „Braut Christi“ sowohl für die Kirche als auch für das rituelle Verständnis der Nonne (Initiation = Hochzeit mit Christus) verwendet wurde/wird hängt mit diesen ganzen Fragen zusammen…
Also, man sieht, das Thema ist nicht ohne weiteres als Kurzrefrat abzuhandeln - die gesamte Kirchengeschichte ist damit verflochten.
Zum Schluß noch ein Hinweis auf die fundamentale historische Studie zum Thema:
Henri de Lubac: Corpus Mysticum. Kirche und Eucharistie im Mittelalter
Johannes-Vgl. Einsiedeln 1969
und diesen Link zum Thema „Maria - Sophia“, das für die Ursprünge des „Braut Christi“-Mythems, wie gesagt, nicht unbedeutend ist:
http://www.wer-weiss-was.de/cgi-bin/forum/showarchiv…
Gruß Metapher