Moin Alex,
Alles spricht von der Schere zwischen arm und reich.
Dann muss man sich mal genauer anschauen, was mit dieser „Schere“ eigentlich gemeint ist. Ob das Größerwerden der Schere zwischen Arm und Reich in einer Gesellschaft bedrohlich ist oder nicht, lässt sich nicht allein aus dem Median ablesen. Ein Beispiel:
Zwei Orte I und II haben eine Einkommensverteilung in jeweils tausend Euro von:
I: 1 1 1 2 3 5 7 9 10 10
Median: 4
„Arm“: (weniger als 60% von 4 = 2,4) 4 Personen
II. 2 3 3 4 4 4 5 6 8 8
Median: 4
„Arm“: 1 Person
Jetzt zieht in jeden dieser Orte ein Schwerreicher dazu.
I: 1 1 1 2 3 5 7 9 10 10 20
Median: 5
„Arm“: (weniger als 60% von 5 = 3000) 4 Personen
(man sieht, die Armutsgrenze hat sich schon nach oben verschoben)
II: 2 3 3 4 4 4 5 6 8 8 20
Median: 4
„Arm“: 1 Person
Jetzt zieht in jeden dieser Orte noch ein Schwerreicher dazu.
I: 1 1 1 2 3 5 7 9 10 10 20 20
Median: 6
„Arm“: (weniger als 60% von 6 = 3600) 5 Personen
II: 2 3 3 4 4 4 5 6 8 8 20 20
Median: 4,5
„Arm“: (weniger als 60% von 4,5 = 2700) 1 Person
Was erkennen wir aus diesem Beispiel?
Zum einen erkennen wird, dass der Median allein nichts darüber aussagt, wie viel Menschen einer Gesellschaft arm oder reich sind. Bei beiden Beispielen beträgt der Median anfänglich 4. In Ort I galten dabei 4 Personen als „arm“, in Ort II hingegen nur 1 Person.
Was passiert nun, wenn eine sehr reiche Person zusätzlich in den Ort zieht? Entscheidend ist hier, wie sich die Einkommen der Personen verteilen. Ballen sich sehr viele Einkommen im mittleren Bereich, aber nur sehr wenig an den beiden Enden, wie in Ort II, hat diese Zuwanderung kaum einen Einfluss darauf, wie viele in dem Ort als „arm“ gelten.
Liehen aber sehr viele Einkommen an den jeweiligen Enden des Einkommensgerade, so hat der Zuzug von „Schwerreichen“ die Folge, dass die Anzahl der „Armen“ an dem Ort steigt.
Wenn man den Begriff „Einkommensschere“ nun so verwendet, dass er nicht nur den Ärmsten und Reichsten einer Gesellschaft kennzeichnet, sondern auch die Anzahl der Einkommen in den untersten und obersten Schichten berücksichtigt, dann kann man aus dem Beispiel sehr leicht erkennen, dass je „dünner“ das Mittelfeld, desto mehr „Arme“ gibt es in einer Gesellschaft. Wenn nun durch welche Umstände auch immer die Zahl der Einkommen an beiden Enden wächst, dann „dünnt“ das Mittelfeld immer weiter aus und Anzahl der Armen in der Gesellschaft wächst.
In unserem Beispiel II steht die Gesellschaft an der Kippe. Sollten noch 2 Personen in den Ort ziehen mit einem Einkommen über 6 würde sich die Anzahl der Armen in dem Ort von verdoppeln (allerdings nur von 1 auf 2, was immer noch sehr viel weniger wäre als in Ort I). Somit gilt ein Größerwerden der „Schere“ in einer Gesellschaft als nicht strebendwert, weil dann tatsächlich der Anteil der „Armen“ wächst.
Keine der Personen ist, gleichbleibende Kaufkraft durch 0% Inflation vorausgesetzt, bei diesen Beispielen übrigens absolut gesehen „ärmer“ geworden.
Gruß
Marion