Moin,
wenn ich dich richtig verstanden habe, sollen sich europäer
nicht mehr als deutsche und franzosen fühlen, sondern als zb.
als christen bzw. vertreter der christlich geprägten
abendlandes. das wäre bespielsweise EINE „kulturelle
gemeinsamkeit“ (die die türkei ausschließt).
ist das nicht widersprüchlich? hier wird ein nationalismus
durch einen anderen ersetzt.
Das ist schlicht und ergreifend falsch. Das beste Gegenbeispiel dafür ist doch das Judentum. Es gibt eindeutig ein Judentum, dass Bestandteil der europäischen Kultur ist, und ein Judentum, dass nicht Bestandteil der europäischen Kultur ist. Die Religionszugehörigkeit ist also auch in diesem Fall unerheblich.
Gleichermaßen bildet sich langsam aber sicher in Europa eine türkisch/islamische Richtung heraus, die ich mittlerweile als Bestandteil der Europäischen Kultur betrachte. Dazu gehören z.B. Filmemacher wie Fatih Akin, Schriftsteller wie Feridun Zaimoglu oder auch Politiker wie Cem Özdemir, deren Arbeit vom europäischen Kontext lebt. (Ähnliches gilt vermutlich für arabisch/islamische Anteile in anderen Ländern wie Frankreich)
Letztendlich dürfte das Kriterium sein, ob man tatsächlich kulturell auch zu etwas zugehören möchte, bereit ist, sich in gewissen Dingen entsprechend anzupassen (z.B. an das Rechtssystem, Schulsystem etc.) und seine eigenen Eigenarten innerhalb eines bestehenden Systems einzubringen, durchaus auch, um dieses zu bereichern und zu verändern.
Somit dürfte es in Istambul vermutlich sogar viel mehr Menschen geben, die ich kulturell als euroäisch einordnen würde, als z.B. in Kreuzberg. Allerdings dürfte es schwierig sein, das europäisch angehauchte Bildungsbürgertum ohne den Rest der Türkei in die EU zu holen.
Die Religonszugehörigkeit ist in sofern völlig unerhebenlich für diesen Prozess, als dass die europäische Gesellschaft und Kultur Religon als Privatsache versteht. Solange jemand also nicht aufgrund seiner Überzeugung mit dem Rechtssystem, Schulsystem etc. kollidiert, interessiert es keine Sau, ob du in deinen vier Wänden trockenes Brot knusperst, vor Kreuzen kniest, nackt um irgendwelche Feuer tanzt oder dich auf deinem Teppich verbeugst. Sprich: jemand, der seine Religon auch selbst als Privatsache versteht, wird in dieser Kultur keine Probleme haben.
Die fundamentalistischen Christen, die ihre Kinder nicht zur Schule schicken, treffen hier jedenfalls bei der Allgemeinheit nicht auf mehr Verständnis, als die Moslems, die ihre Mädchen nicht am Sportunterricht teilnehmen lassen.
Wenn jemand dies selbst jedoch nur durch die christliche Brille betrachtet, dann ist das vielleicht ein Zeichen dafür, dass er auch nur durch das Christentum geprägt ist. Genau wie andere, die Kultur nur an einem bestimmten Aspekt, wie z.B. Bildung, Musik, Essen etc. festmachen ebenfalls ein etwas eingeschränktes Weltbild haben dürften. Der Begriff Kultur ist nunmal komplexer.
Gruß
Marion