Doppelter Verb-Bezug auf Singular- und Plural-Hauptwörter

Hallo, manchmal fallen mir falsche Formulierungen auf wie zum Beispiel:

Die Fassade wurde geschmückt und viele Gäste eingeladen.

Das Verb „wurde“ bezieht sich hier zugleich auf einen Singular („die Fassade“) und getrennt davon auf einen Plural („viele Gäste“). Das geht ja wohl nicht? M.E. muss das zwingend so formuliert werden (das korrekte, aber unschöne Passiv ignorieren wir mal):

Die Fassade wurde geschmückt und viele Gäste wurden eingeladen.

Wie beschreibt man diesen doppelten Bezug im oberen Beispielsatz auf getrennte Hauptwörter im Singular und Plural korrekt? Gibt es dafür einen Grammatik-Fachausdruck? Oder einen eingängigen allgemeinsprachlichen Ausdruck?

Mir fiel nichts Besseres ein als:

Der Autor verbindet ein Singular-Hauptwort und ein Plural-Hauptwort mit einem einzigen Verb, das jedoch nicht zugleich im Singular und Plural stehen kann, so dass der Satz falsch wird.

Aber das geht doch besser, oder?

Danke!

Hi,

der grammatische Terminus, um den es hier geht, heißt → Kongruenz. Das heißt zunächst: Es müssen Subjekt und Prädikat in Numerus und Person übereinstimmten. Das gilt natürlich auch, wenn zwei durch eine nebenordnende Konjunktion (hier: „und“) verbundene Hauptsätze ein gemeinsames Prädikat haben. In solch einem Fall kann man manchmal auf die Wiederholung des Prädikates verzichten. Aber natürlich nur, wenn die Semantik es zuläßt.

„Sie legte das Buch auf den Tisch und den Brief daneben“

Aber nicht z.B.
„Sie stellte Blumen auf den Tisch und sich ans Fenster“
„Er holte einen Knüppel und dann zum Schlag aus“

Das gilt ebenso, wenn nur das Hilfsverb sich auf beide Prädikate der Teilsätze bezieht.

„Es wurde laut gefeiert und jede Menge Bier getrunken“

Aber nicht z.B.
„Es wurde laut gefeiert und der Nachbar wütend“

Ein ebenso skurriler semantischer Fauxpas wäre ein Beispiel, das dem deinen ähnelt:

„Es wurden Bliumen auf die Tische gestellt und die Gäste begrüßt“

Aber in jedem Fall muss natürlich mindestens der Numerus des Prädikates mit dem der Subjekte der Teilsätze kongruent sein.

Sofern es dir um die Formulierung des Fehlgriffs geht:

„Der Autor missachtet die unabdingbare Numerus-Kongruenz zwischen den Subjekten der nebengeordneten Teilsätze und ihrem gemeinsanen Prädikat“

Gruß
Metapher

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Ganz so einfach ist es nicht. Denn die deutsche Grammatik erlaubt sehr wohl, eines der beien Hilsverben wegzulassen, selbst wenn die beiden Subjekte einen unterschiedlichen Nzmerus haben. Tendenziell folgt der Numerus des verblebenden Hilfsverbs dem Numerus des Subjekts, der näher steht.

Die Fassade wurde geschmückt und viele Gäste eingeladen.
Viele Gäste wurden eingeladen und die Fassade geschmückt.

(Mein Gefühl ist, dass die zweite Variante für viele Sprecher deutlich akzeptabler ist als die erste, also wenn der Plural den Singlar ersetzt und nicht umgekehrt.)

Der Duden listet reinige schöne Beispiele auf, von der Bibel bis Walter Jens. (Bd. 9., 6. Auflage, 282)

Das das ganze semantisch stimmen muss und man z.B. Vollverb und Modalverb nicht elliptisch verkürten kann (außer als bewusste Komik), bleibt davon unbenommen.

*Sie ist Ärztin und schon oft hier gewesen.

Gruß,
Max

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Metapher und Max, Danke für genaue Erörterungen, Formulierungen und Beispiele! Sehr interessant.

Metapher, Danke für die

Numerus-Kongruenz zwischen den Subjekten der nebengeordneten Teilsätze und ihrem gemeinsamen Prädikat

.

Zu den Beispielen von Max:

Viele Gäste wurden eingeladen und die Fassade geschmückt.

Ich finde auch, dass diese Umformulierung meines Beispiels eingängiger klingt als mein ursprünglicher Satz. Sie klingt aber für mich immer noch falsch.
Und auch wenn der Duden schöne Beispiele von der Bibel bis Walter Jens auflistet, dann ist das interessant, ich empfinde die fehlende Numerus-Kongruenz zwischen den Subjekten der nebengeordneten Teilsätze und ihrem gemeinsamen Prädikat (Danke, Metapher) gleichwohl immer noch als klaren Fehler. Wenn der Duden das für zulässig erklärt, würde ich mich doch weiterhin daran stoßen. Auch wenn das womöglich dickköpfig ist.

Danke nochmal!

Wenn der Duden das für zulässig erklärt

Ja und nein. Auerhalb von „Rechtschhreibregeln“, die im Grunde eine Vereinfachung der Grammatik für den Hausgebrauch ist (einschließlich einiger Fehler), gibt es in der Sprache nicht nur „richtig“ und „falsch“, sondern auch so Kategorie wie „üblich“ und „unüblich“ oder „markiert“. Es fällt mir als Germanisten schwer, etwas als komplett „falsch“ zu deklarieren, was sogar in der Hochsprache anstandslos akzeptiert wird. Es ist aber sicher kein allgemeiner oder üblicher Sprachgebrauch - obwohl mir dieser Beispielsatz aus dem Duden sehr üblich klingt.

Ich nehme die gelben Figuren und ihr die roten.

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Ich denke nicht!
Wie Metapher es geschrieben hat:

In deinen Beispielen ist das nicht der Fall.

Grüße

Diese Ausdrucksweise hat doch Heinz Erhardt gerne verwendet und gar meisterlich beherrscht :slight_smile:

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Hallo!

meisterhafte Beherrschung von Erhardt hat aber mit grammatikalischer Korrektheit nichts zu tun. Hier gilt die Faustregel:

Grüße

Eben, er sprach so, auf dass man sich darüber amüsierte.

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Genau! Ein bewundernswerter Meister gerade dieses rhetorischen Tricks. Bei meinen Beispielen oben versuchte ich mich auch an solche von ihm zu erinnern, hatte aber keine parat.

Jetzt hab ich wenigstens einige wiedergefunden:

Ich brach mir nicht nur 'nen Arm, sondern auch den Urlaub ab.

Es grenzt nicht nur ein Zimmer an das andere, sondern auch an Wahnsinn, wie viele Bilder an den Wänden hängen.

Sie trägt die Kleider und er die Kosten.

Nicht nur meine Eltern, auch der Ofen war ausgegangen.

Und die beiden berühmtesten und von ihm öfter wiederholten:

Ich heiße nicht nur Heinz Erhardt, sondern Sie auch herzlich willkommen.

Es ist leichter den Mund zu halten als ein Rede.

Überhaupt also der Trick, einerseits realistische und andererseits metaphorische Bedeutungen von Redewendungen gleichen Wortlauts in einen einzigen grammatischen und damit in einen uberraschenden, kuriosen semantischen Kontext zu verschmelzen. Wie die „Hymne der Müllmänner“.

Auf! Auf!
Lasst uns von Tonne zu Tonne eilen!
Lasst uns dem Müll eine Abfuhr erteilen!

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Da fällt mit noch ein

Nun ergreife ich ausser der Gelegenheit auch noch das Wort, um es an Sie zu richten.

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Wie die Hinweise und Beispiele von @Denker_a_D zeigen, ist meine Behauptung, es gelte „in jedem Fall“ nicht korrekt. Man kann offenbar tatsächlich ggf. von diesem Grundsatz abweichen, wie der Sprachgebrauch beweist.

Und, wie ich selbst schon öfter hinwies, läßt sich die Grammatik (und nicht nur die der deutschen Sprsche) nicht immer in die Dichotomie „richtig/falsch“ zwingen. Ist also in dieser Hinsicht nicht mit Mathematik und Logik vergleichbar. Grammatiken sind so etwas wie eine abstrahierende (und verallgemeinernde) Rekonstruktion des Sprachgebrauchs.

Gruß
Metapher

Ja, Metapher. Du hast das mehrmals erwähnt, es spricht nichts dagegen und ich stimme dir zu. Die Grammatiken sind nicht Gott gegebene Regeln, sondern „Rekonstruktion“ der gegebenen täglichen Anwendungen. Trotzdem kann man die Richtung einfrieren und daraus Gesetzmäßigkeit herleiten . Nimm doch meine Probleme mit „es“. Ich kann dieses „es“ überall einsetzen und damit tun, was ich will. Trotzdem muss ich einige Regeln beachten. Auch wenn du deine Aussage zurücknimmst oder relativierst, bleibe ich dabei:

Grüße

Danke dir für den Hinweis! Du hast unumwunden Recht. Aber auch hier hab ich Bedenken, ob das verallgemeinerbar ist. Nicht nur wegen des Ausschlusses eines grammatischen (und daher auch semantischen) Fauxpas wie in deinem Beispiel

Sie ist Ärztin und schon oft hier gewesen

(Das ist ja genau der Trick, mit dem Heinz Erhardt arbeitete, wie unten ergänzend gezeigt).

Im Prinzip gelten ja bei der gleichgeordneten Kopplung kompletter Hauptsätzen ähnliche Regeln (bzw. Sprachgebräuche) wie bei mehrfachen Subjekten, bei denen es allerdings nur um den Numerus geht.

Anna und Ihre Eltern kamen zu Besuch.
Aber
„Anne kam zu Besuch und auch ihre Eltern“

Ebenso wie das Beispiel von Erhardt:

„Nicht nur die Eltern, auch der Ofen war ausgegangen“
auch mit der Umstellung:
„Nicht nur der Ofen war ausgegangen, auch die Eltern“
Aber
„Nicht nur die Eltern waren ausgegangen, auch der Ofen“
Oder eben kompakt
„Der Ofen und die Eltern waren ausgegangen“

Bedenken (und zwar nur stilistische) hätte ich, wenn aus den gekoppelten kompletten Hautsätzen (d.h. solche mit unterschiedlichen Prädikaten) nur das Hilfsverb (z.B. für Futur oder Perf. Pass,) ausgeklammert wird, Auch wenn es dabei nicht um den Numerus geht:

„Es wurden Blumem auf die Tische gestellt und die Göste begrüßt“
halte ich für stilistisch sehr schief, weil hier dem Hilfsverb das Gewicht eines Hauptprädikates zugeteilt wird.

Gruß
Metapher

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Jaaaa, hihi :wink:

Keineswegs! Es gibt zwar in manchen Fällen Varianten, die zur verfügung stehen. Aber ansonsten auch eindeutiges richtig oder falsch.

Das „in jedem Fallmuß ich jedenfalls zurücknehmen :slight_smile: Wie → hier erwähnt: Im Falle mehrfacher Subjekte z.B. (von denen eines Sing. und eines Plur. ist) ist die stringente Kongruenz ja sogar unmöglich :slight_smile: Und das gilt dann ebenso bei der Kopplung von Hauptsätzen, wenn das Hillsverb des Prädikats ausgeklammert wird.

Hier erzwingt es sogar die Logik, dass die Kongruenzregel durchbrochen werden muß :slight_smile:

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Ich kenne und verwende - wie die meisten Leute - „unumwunden“ nur als Adverb; Beispiel: „Da gebe ich Ihnen unumwunden recht!“ Oder sagt man auch, wenn der Maibaum nicht von Girlanden umwunden ist: „Der unumwundene Maibaum“?

Eher selten. Weitere Anmerkung: Wir haben früher unterschieden zwischen einer präskriptiven Grammatik und einer deskriptiven Grammatik. Die Redaktion des Verlags des Duden hat sich meines Wissens einer deskriptiven Grammatik verschrieben - sie sammelt, was gesprochen und geschrieben wird, und aber einer gewissen Häufigkeit hievt er es in sein Buch.

Die Leser nun, allen voran die Lehrer und die Scrabble-Spieler, die sich nach einer klaren Richtschnur sehnen - auch um zu gewinnen und zurechtzuweisen und zu benoten -, nutzen nun diese deskriptive, also zunächst nur beschreibende, Grammatik gerne als präskriptive, also vorschreibende Grammatik - auch, weil sie sonst nicht weiterkämen.

Und wo es Konsens ist, dass Nummerus und Sexus eines Prädikats mit denen des Subjekts übereinstimmen muss, ist es eben falsch, wenn es das nicht tut!

Nun noch meine Frage, ob es sich bei der missbräuchlichen Verwendung eines einzigen Verbs für zwei völlig unterschiedliche Handlungen um die rhetorische Form des Zeugma handelt. Beispiele aus dem Sachwörterbuch der Literatur, Stuttgart 1964) (zitiert nach http://www.lawitzky.de/index_ie.htm):

„Er hob den Blick und e. Bein gen Himmel“ (Sterne) oder als Hilfs- und zugleich Vollverb: „Als Viktor zu Joachime kam, hatte sie Kopfschmerzen und Putzjungern bei sich“ (J. Paul).

Gruß aus Berlin, Gerd

Was ist Zeugma?

Bedeutung

Info

syntaktisch oder semantisch ungleichartige Beziehung eines Satzgliedes, meist des Prädikats, auf zwei (oder mehr) andere Satzglieder (z. B. nimm dir Zeit und nicht das Leben!; sie reist mit Ehemann und Regenschirm)

Grüße

Und als welche Wortart steht es in meinem Satz? :wink:

Klar, „unumwunden“ zählt (auch laut Duden) als Adjektiv, weil es flektiert werden kann. Aber in beiden Beispielen hat es die Funktion des Adverbials. In meinem synonym zu „zweifellos“ (das eh zweifellos Adverb ist), in deinem synonym zu „ohne Zögern“, „ohne Bedenken“.

Ich nehme an, du meinst Numerus und Genus?

Das war doch vorausgesetzt und gar nicht in Frage gestellt, daß Kongruenz obligatorisch ist bei singulären Subjekten. Es geht hier aber doch um Konstruktionen einerseits mit mehreren Subjekten mit unterschiedlichem Numerus und andererseits um Konstruktionen mit gleichrangig gekoppelten Hauptsätzen - und ganz speziell (wie im UP) um solche, in denen zusätzlich die Subjekte in unterschiedlichem Numerus stehen. Deshalb doch die zahlreichen Beispiele dazu! Worum soilte es denn sonst gehen?

Und in diesen Fällen ist die Kongruenzregel eben nicht einhaltbar, so daß man angepasste Formulierungen im Sprachgebrauch hat.

Ja, diese rhetorische Figur nennt man Zeugma. Und sie wird in der Regel nicht „missbräuchlich“ verwendet, sondern gezielt. Wie es die zahlreichen Beispiele oben von Heinz Erhardt zeigen.

Gruß
Metapher

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