Während eines Kuraufenthaltes in Bad Ems wurde dem preußischen
König eine diplomatische Note Frankreichs überreicht. Bismarck
bekam diese Nachricht in die Finger und strich gewisse Teile
heraus, so dass dieses Schreiben wie eine Beleidigung wirken
musste (siehe Stichwort „Emser Depesche“). Der preußische
König konnte nun nicht anders als Frankreich den Krieg zu
erklären.
Hallo Heinrich,
das ist - mit Verlaub - einfach haarsträubend falsch. Wenn ich ein wenig korrigieren darf …
Leopold von Hohenzollern-Sigmaringen war auf Grund der französischen Kammererklärung vom 6. Juli 1870 - die allgemein als mehr oder weniger offene Kriegsdrohung verstanden wurde - aus eigenem Entschluss von der spanischen Thronkandidatur zurückgetreten (bzw. sein Vater Anton hatte diesen Entschluss stellvertretend für ihn erklärt). Als König Wilhelm am Morgen des 13. Juli auf der Brunnenpromenade in Bad Ems dem französischen Botschafter Benedetti (sicher nicht zufällig) begegnete, sprach er ihn an und äußerte seine Erleichterung darüber, dass die Krise mit dem Rücktritt überstanden sei. Daraufhin präsentierte Benedetti (von Außenminister Gramont instruiert) mündlich zwei neue Forderungen - nach den diplomatischen Usancen der Zeit ein unerhörter Vorgang. Das Vorgehen Benedettis (in aller Öffentlichkeit!) würde man heute salopp als „dumm von der Seite anquatschen“ bezeichnen. Es ist bezeichnend für die stümperhafte Diplomatie der aus aussenpolitischen Amateuren bestehenden Regierung Ollivier.
Zum einen sollte König Wilhelm öffentlich seine Zufriedenheit über den Kandidaturverzicht aussprechen (was er ohne weiteres zusagte; er sei mit dem Verzicht genau so zufrieden, wie er es vorher mit der Anmeldung der Kandidatur gewesen sei) und zum anderen sollte er öffentlich erklären, er würde eine eventuelle zukünftige erneute Kandidatur untersagen. Diese ‚Garantieerklärung‘ lehnte König Wilhelm ab - davon abgesehen sei eine solche Erklärung unnötig, seine sigmaringischen Vettern seien Ehrenmänner; wenn sie den Verzicht auf die Kandidatur versprochen hätten, würden sie auch nicht später wieder darauf zurück kommen.
Zum einen hatte König Wilhelm gar keine rechtliche Handhabe, die Kandidatur eines entfernten Verwandten für den spanischen Thron zu untersagen. Leopold von Hohenzollern-Sigmaringen kandidierte als Privatmann. Bismarck war zwar frühzeitig eingeweiht und befürwortete die Kandidatur, aber es gab keine offizielle Unterstützung Preussens. König Wilhelm war als Haupt des Hauses Hohenzollern (somit ebenfalls als Privatmann, nicht als König von Preussen) um Genehmigung der Kandidatur gebeten worden und hatte diese erteilt - erforderlich war eine solche Genehmigung allerdings nicht.
Zum anderen hätte die Garantieerklärung im Nachhinein die (stets zurückgewiesene) Beschuldigung der französischen Regierung bestätigt, hinter der Kandidatur stecke ein antifranzösisches Komplott zwischen Preussen und dem spanischen Machthaber Marschall Prim. Damit würde nun der Eindruck erweckt, Preussen ziehe angesichts des entschlossenen Auftretens Frankreichs den Schwanz ein. Der Rückzug der Kandidatur allein hätte dies - das war Gramont klar - nicht glaubhaft genug gemacht.
Um genau diesen Propagandaerfolg auf Kosten einer diplomatischen Demütigung Preussens ging es Frankreich. Das sowohl national wie international kritisierte Säbelrasseln der französischen Regierung sollte damit nachträglich (vor allem im eigenen Land) gerechtfertigt werden - wobei man bedenkenlos bereit war, einen Krieg zu riskieren.
König Wilhelm lehnte also die Garantieforderung höflich, aber strikt ab. Als Benedetti am Nachmittag selbigen Tags (diesmal offiziell) bei ihm vorsprechen wollte, wurde ihm gesagt, wenn es um die Garantieforderung ginge, werde er nicht empfangen.
Diese Vorgänge wurden am Abend Bismarck von Geheimrat Heinrich Abeken routinemäßig per Depesche mitgeteilt (die sog. ‚Emser Depesche‘) - mit der Autorisierung, den Inhalt an die Öffentlichkeit weiterzugeben. Die Depesche war nicht als Bulletin verfasst und damit auch nicht ohne weiteres zur Veröffentlichung in der Presse geeignet; sie musste redigiert werden - auch dies war üblich. Bismarck tat dies in einer Weise, die die französische Regierung bloßstellte - indem deutlich gemacht wurde, dass man sich gegenüber weiteren Zumutungen Frankreichs verwahre. Insbesondre vermittelte die redigierte Fassung den Eindruck, König Wilhelm lehne es vollständig ab, Benedetti weiterhin zu empfangen. Die Ablehnung bezog sich jedoch tatsächlich nur auf Verhandlungen über die Garantieerklärung. Dies hatte König Wilhelm noch am Abend des 13.07. gegenüber Benedetti durch seinen Adjutanten Fürst Radziwill ausdrücklich klarstellen lassen, so dass die nachmittags abgelehnte Audienz von französischer Seite nicht falsch - als Abbruch der diplomatischen Beziehungen - aufgefasst werden konnte.
Die redigierte Emser Depeche hatte ein wichtiges Anliegen Gramonts durchkreuzt - Bismarcks Schachzug nahm der französischen Regierung die Möglichkeit, den Kandidaturverzicht nun noch als einen der Einschüchterung Preussens zu verdankenden aussenpolitischen Erfolg zu verkaufen. Man wollte sich mit dem Kandidaturverzicht allein nicht zufrieden geben und hatte dann mit der Garantieforderung den Bogen überspannt. Weniger wäre mehr gewesen.
Daraufhin (Heike hatte es schon richtiggestellt) erklärte Frankreich (nicht Preussen) den Krieg. Auch hier wird häufig behauptet, Napoleon III. sei gar nichts anderes übriggeblieben, was natürlich unhaltbar ist. Die (redigierte) Emser Depesche war sicher ein (allerdings wohlverdienter) diplomatischer Affront - aber selbst nach den Gepflogenheiten der Zeit war sie kein akzeptabler Kriegsgrund. Die französische Regierung hatte einen empfindlichen, aber selbstverschuldeten Gesichtsverlust erlitten. Das hatte Bismarck nach der französischen Kammererklärung vom 06.07. und der Rücknahme der Kandidatur auch - aber die preussische Regierung war im Gegensatz zur französischen bereit, die Kritik der Öffentlichkeit (und des Parlaments) wegen einer diplomatischen Schlappe einzustecken. Die Kriegserklärung vom 19.07. war nicht unvermeidlich - man zog sie lediglich der Übernahme der Verantwortung für ein (nicht einmal besonders schwerwiegendes) aussenpolitisches Versagen vor. Das hätte allerdings das Ende des ohnehin nicht sonderlich sattelfesten Kabinetts Ollivier bedeuten können. Es ging um verletzte persönliche Eitelkeiten (wie immer, wenn von der ‚Ehre der Nation‘ die Rede ist); nicht um eine tatsächliche nationale Bedrohung.
‚Krieg‘ war spätestens seit dem Vorabend der Kammererklärung (also seit dem 05.07.) für Frankreich eine akzeptable Option. Dass der Stein des Anstoßes - die Kandidatur einer unbedeutenden Hohenzollen-Nebenlinie für den spanischen Thron - bereits weggefallen war, störte am 13.07. niemanden mehr. Es hatte ja schon nicht gestört, dass die spanische Thronfolge innere Angelegenheit eines souveränen Staates war, die Frankreich absolut nichts anging. So hatte man keine Hemmungen, nach dem nächsten sich bietenden Kriegsgrund zu greifen - ob plausibel oder nicht. Man hatte sich auf französischer Seite so weit aus dem Fenster gelehnt, dass der Fall unvermeidlich wurde.
Freundliche Grüße,
Ralf