Dt.-Frz. Krieg 1870

Ich schreibe gerade ein Referat über Bismarcks Außenpolitik. Was mir noch nicht so ganz klar ist:

  1. Weshalb wollte Bismarck den Deutsch-Französischen Krieg? Wusste er, dass das zur Einigung der Kleinstaaten führen würde?
  2. Warum war Frankreich über die Mithilfe der süddeutschen Staaten überrascht? Wusste Napoleon III nichts von den Bündnissen des Norddeutschen Bundes mit diesen Staaten?

Hallo Discordia,

Wusste er, dass das zur Einigung der Kleinstaaten führen
würde?

nicht ganz unter dem Blickwinkel des 70er Krieges, aber vielleicht ganz wichtig, bevor es in Vergessenheit gerät:

Zuerst das Kgr. Hannover und etwas später die süddeutschen Kleinstaaten haben „sich“ genauso wenig geeinigt wie 1990 die neuen Bundesländer. Preuszen hat die genannten Staaten mit Waffengewalt unterworfen, eine deutsche Einigung hat weder damals noch heute auf Inititative der Beteiligten stattgefunden. Dass es nicht zu einem deutschen Bürgerkrieg kam, liegt formal am Begriff (einen deutschen Staat gab es in diesem Sinne nicht) und faktisch an der haushohen militärischen Überlegenheit Preuszens und der nicht sehr robusten Haltung Österreichs 1866. Später im Volksmund wurde die Situation der durch Preuszen angegriffenen Württemberger charakterisiert mit dem Spruch „Manne kommet mr ganget se kommet“ - „Leute, kommt, wir gehen, sie kommen!“

Mitte der 1860er Jahre gab es eine diplomatische Initiative des Königreichs Württemberg betreffend die Möglichkeit eines Anschlusses an Frankreich - immerhin scheint dieser nicht viel ferner gelegen zu haben als der dann erfolgte an Preuszen.

Noch in den nächsten Krieg gegen Frankreich 1914 wurden meine beiden Großväter nicht unter der schwarz-weiß-roten Fahne des deutschen Reiches, sondern unter der schwarz-roten des Königreiches Württemberg geschickt. Das Reich machte sich dabei insofern bemerkbar, als einer von beiden sächsischer Reservist mit Wohnsitz am Bodensee war und auf diese Weise nicht in Sachsen, sondern in Württemberg einberufen wurde.

Bismarcks Idee, sein kleindeutsches Konzept eines deutschen Reiches unter preuszischer Führung und ohne Böhmen und Österreich in „einem Bad aus Blut und Eisen“ zu verwirklichen, kann m.E. mit Blick auf die bis heute ideologisch erhaltene Kleinstaaterei und auf die zwischendurch stattgefundene Pervertierung des Begriffes der Deutschen Nation (in zwei Extremen) nur mit einem deutlichen „zwar, aber“ als durch den 70er Krieg erfolgreich verwirklicht betrachtet werden. Einen vollwertigen Ersatz für die 1849 verpasste Chance hat der Krieg gegen Frankreich keinesfalls gebracht.

Schöne Grüße

MM

Hallo,
ob Bismarck wusste, dass die Einigung über den Krieg mit Frankreich führen würde, das habe ich noch nie wirklich belegt gefunden. Zwar entsprach die Einigung wohl Bismarcks langfristigen Zielen, aber über die Krise, die relativ schnell zum Kriegsausbruch führte, war er selber sehr überrascht. In dem Komplott, das den Krieg auslöste, kann man aber Bismarcks Rafinesse und Zielstrebigkeit erkennen, Krisen zu meistern und zum eigenen Vorteil zu nutzen.

Bismarck musste einen Krieg mit Frankreich einkalkulieren, wenn Preußens Expansionspolitik nicht an der Mainlinie halt machen würde. Zugleich knüpfte er nicht nur wirtschaftliche Bande mit den süddeutschen Staaten, die im „Zollparlament“ vertreten waren, sondern schloss konkrete militärische Geheimverträge, die für den Kriegsfall eine Waffenbrüderschaft mit Preußen vorsahen.

Die Tür zum Krieg öffnete sich einen kleinen Spalt, als Bismarck den preußischen König dazu bewegte, der spanischen Thronkandidatur des Prinzen Leopold von Hohenzollern-Sigmaringen zuzustimmen. Frankreich erfuhr von den geheimen Verhandlugngen und stellte unmissverständlich seine Ablehnung klar. Das Antworttelegramm des Königs aus Bad Ems (Emser Depesche) ging durch Bismarcks Hände und wurde von ihm so gekürzt, dass der Inhalt nunmehr in einer unerträglich scharfen Zurückweisung und dem Abbruch der Verhandlungen bestand. Als die Antwort veröffentlicht wurde, wurde das Tor zu den nationaler Emotionen auf beiden Seiten weit aufgerissen. Hatte nicht Frankreich die Deutschen demütigen wollen bzw. umgekehrt? So sah es jedenfalls aus …

Grüße

Kira

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Ich schreibe gerade ein Referat über Bismarcks Außenpolitik.
Was mir noch nicht so ganz klar ist:

  1. Weshalb wollte Bismarck den Deutsch-Französischen Krieg?
    Wusste er, dass das zur Einigung der Kleinstaaten führen
    würde?

Der Deutsch-Französische Krieg war in gewisser Hinsicht unvermeidlich, da sowohl die Politik Napoleons III. als auch die Politik Bismarcks darauf zu steuerten.

Man darf dabei aber auch nicht die innenpolitischen (innerdeutschen) Aspekte ausser acht lassen: bereits 1866 wurde Bismarck von den führenden Schichten (vor allem der Militärs) in Preußen, aber auch in den übrigen deutschen Staaten, für seinen Krieg gegen Österreich und die anderen deutschen Staaten heftig kritisiert, da diese als natürliche Verbündete gegen den „Erbfeind“ Frankreich galten. Von daher war es schon abzusehen, daß es bei einem Krieg Preußens gegen Frankreich zu starken nationalistischen Strömungen in Deutschland kommen würde, die vielleicht nicht zwangsläufig in die Einigung führen mussten, aber zumindest mal den Boden dafür bereiten würden.

Was an Bismarcks Politik zwischen 1864 (dem Krieg gegen Dänemark) und 1871 (der Reichseinigung) weise Vorrausplanung und was geschickte Ausnutzung des Tagesgeschehens war, ist heute nicht mehr zu rekonstruieren. In jedem Fall war Bismarck ein Politiker, der günstige Gelegenheiten beim Schopf packen konnte und aus jeder Situation politisches Kapital schlagen konnte.

  1. Warum war Frankreich über die Mithilfe der süddeutschen
    Staaten überrascht? Wusste Napoleon III nichts von den
    Bündnissen des Norddeutschen Bundes mit diesen Staaten?

Napoleon III. war in der Hinsicht das genaue Gegenteil von Bismarck. Er ließ sich aussenpolitisch von seinen Launen (oder den Launen seines Volkes) treiben und machte dabei nur wenig richtig.

Seine Sprunghaftigkeit wird am deutlichsten in seinem Verhältnis zu Österreich:

Im Krimkrieg (ein für Frankreich völlig überflüssiges Unterfangen) baute er auf Österreich als Verbündeten gegen Russland.

Danach (1859) unterstützte er die italienische Einheit gegen Österreich (was dazu führte, daß Österreich stark geschwächt wurde und in Italien ein Nationalstaat entstand, auf den Napoleon III. keinen Einfluß mehr hatte).

1866 dann trat er wieder als Freund Österreichs auf - und damit aber auch als Feind des von ihm selbst ins Leben gerufenen Italiens. Nur der schnelle Sieg Preussens verhinderte, daß Frankreich sich militärisch in diesen Krieg einmischte.

In dem Sinne hat Napoleon III. 1870 die Quittung für seine chaotische Außenpolitik erhalten: ohne Verbündete hatte er sich in den letzten 15 Jahren alle europäischen Staaten zum Feind gemacht und stand jetzt allein gegen die größte Militärmacht auf dem Kontinent.

Hallo,
zunächst einmal - eine Anfrage mit einer Grußformel (und wenn’s nur ein ‚Hi‘ ist) einzuleiten, wäre nett. Und ‚Discordia‘ mag ja ein netter Nick sein, aber eine Anfrage sollte man ruhig auch mit einem Namen unterzeichnen. Ein Minimum an Höflichkeit kann nie schaden - vor allem nicht, wenn man von anderen etwas will - und seien es nur Antworten.

Zunächst einmal der Einfachheit halber Deine zweite Frage.

  1. Warum war Frankreich über die Mithilfe der süddeutschen
    Staaten überrascht? Wusste Napoleon III nichts von den
    Bündnissen des Norddeutschen Bundes mit diesen Staaten?

Totale Fehleinschätzung auf Grund von Arroganz und Selbstüberschätzung. Selbst ohne formale Bündnisse hätte man wissen müssen, dass es sich keine süddeutsche Regierung innenpolitisch hätte erlauben können, in diesem Krieg auch nur neutral zu bleiben.

  1. Weshalb wollte Bismarck den Deutsch-Französischen Krieg?
    Wusste er, dass das zur Einigung der Kleinstaaten führen
    würde?

Gegenfrage: Weshalb wollte Helmut Kohl den Zusammenbruch der Sowjetunion? Wusste er, dass das zur Einigung Deutschlands führen würde?

Die Behauptung, Bismarck habe den Krieg mit Frankreich gewollt und bewusst betrieben (womöglich sogar mit dem Ziel, dadurch die deutsche ‚Einigung‘ zu erreichen), ist eine gern verbreitete, aber kaum belegte Legende. Diese Legende wird nicht dadurch richtiger, dass sie von den unterschiedlichsten Seiten gepflegt wurde. Zum einen von deutschnationalen Bismarckverehrern, die ihrem Idol im Nachhinein eine geniale politische Strategie und nahezu hellseherische Kräfte zuschreiben wollten - und zum anderen von Leuten, für die Deutsche sowieso an jedem Krieg, an dem sie jemals beteiligt waren, automatisch auch schuld sind. Nach dieser Theorie, die von Parteien vertreten wird, die ansonsten einander spinnefeind sind, hat Bismarck die dummen Franzosen schlicht und einfach reingelegt - die waren zu dämlich um zum merken, worauf Bismarck eigentlich hinauswollte … So stellt sich klein Erna die Polletick vor.

Es ist in der Geschichte eigentlich eher selten der Fall, dass jemand einen Krieg will - in dem Sinne, dass er relativ frühzeitig einen entsprechenden Entschluss fasst und konsequent darauf hinarbeitet. Krieg ist die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Zum Krieg kommt es, wenn die Politik versagt.

Man könnte in Bezug auf den Kriegsausbruch von 1870 fragen, zu welchem Zeitpunkt die Politik bzw. die Diplomatie versagte und wer für dieses Versagen die Verantwortung trug. In diesem Zusammenhang wird immer wieder die Lancierung der ‚Emser Depesche‘ durch Bismarck genannt - zu einem guten Teil aus den oben von mir genannten Gründen. Dagegen tritt die Kammererklärung der französischen Regierung vom 6. Juli deutlich in den Hintergrund - ebenfalls aus den genannten Gründen. Wenn man sich die ganze Vorgeschichte der spanischen Hohenzollernkandidatur anschaut, so wird deutlich, dass die französische Regierung in grober Fehleinschätzung ihres militärischen Potentials bewusst einen Kollisionskurs mit Preußen steuerte - mit allen (auch militärischen) Konsequenzen. Bismarck hatte lediglich eine zutreffendere Einschätzung des Kräfteverhältnisses und wenig Anlass, einer Konfrontation mit Frankreich auszuweichen. Ob da schon Fragen der Reichseinigung eine Rolle spielten, ist zumindest nicht bewiesen.

Einseitige Schuldzuweisungen bei militärischen Konflikten sind häufig (nicht immer) problematisch. Wer für den Ausbruch des Krieges die größere Verantwortung trägt - Bismarck oder seine Gegenspieler Gramont, Ollivier und Napoleon - ist zumindest strittig. Das Problem ist, bei der Beantwortung solcher Fragen zunächst den Ausgang des Konfliktes zu ignorieren und sich der Fragestellung wirklich ohne Parteilichkeit zu nähern.

Freundliche Grüße,
Ralf

Empfohlene Literatur:

Eberhard Kolb
Der Kriegsausbruch 1870

Politische Entscheidungsprozesse und
Verantwortlichkeiten in der Julikrise 1870

Vandenhoeck&Ruprecht, Göttingen1970
(ohne ISBN)

Nachtrag

  1. Warum war Frankreich über die Mithilfe der süddeutschen
    Staaten überrascht? Wusste Napoleon III nichts von den
    Bündnissen des Norddeutschen Bundes mit diesen Staaten?

Ich hatte das nicht eindeutig beantwortet.

Die ‚Schutz- und Trutzbündnisse‘ waren so wenig geheim wie die Zollvereinsverträge - und selbstverständlich in Frankreich bekannt. Es gab allerdings speziell in Bayern und Württemberg eine starke Opposition gegen diese Verträge, die evt. auf französischer Seite grob überschätzt wurde - wahrscheinlich aber betrachtete man die Süddeutschen einfach als eine quantité négligeable.

Gruß,
Ralf

Hi!

Ich schreibe gerade ein Referat über Bismarcks Außenpolitik.
Was mir noch nicht so ganz klar ist:

  1. Weshalb wollte Bismarck den Deutsch-Französischen Krieg?
    Wusste er, dass das zur Einigung der Kleinstaaten führen
    würde?

Meines Wissens hat Bismarck 1870 einfach die Gunst der Stunde genutzt. Bimsarcks Bestreben war es, einen deutschen Nationalstaat unter preußischer Führung zu gestalten. Dazu musste er zunächst den größten Widersacher Preußens innerhalb der alten Reichsgrenzen ausschalten: Österreich (und dessen Verbündete). Mit der Niederlage Österreichs in der Entscheidungsschlacht von Königgrätz (erstmaliger Einsatz von Truppenverlagerungen durch Eisenbahntransporte, was u.a. zu Moltkes Spruch führte „Getrennt marschieren, vereint zuschlagen“) wurden Preußens unmittelbare Nachbarn wie das Königreich Hannover und Sachsen entweder aufgelöst und in das preußische Staatsgebiet aufgenommen oder politisch gleichgeschaltet.

Als Folge des Krieges von 1866 kam für einen deutschen Nationalstaat nur noch die „kleindeutsche Lösung“, also ein Deutsches Reich ohne Österreich in Frage. Offen war noch die Situation der süddeutschen Staaten wie Bayern, Baden, Württemberg usw.

Während eines Kuraufenthaltes in Bad Ems wurde dem preußischen König eine diplomatische Note Frankreichs überreicht. Bismarck bekam diese Nachricht in die Finger und strich gewisse Teile heraus, so dass dieses Schreiben wie eine Beleidigung wirken musste (siehe Stichwort „Emser Depesche“). Der preußische König konnte nun nicht anders als Frankreich den Krieg zu erklären. Und Frankreich galt damals als „Erzfeind der Deutschen“, u.a. wegen der Eroberungszüge der französischen Könige zu Lasten Süd- und Südwestdeutschlands und der Kriege Napoleons. Einem Krieg gegen den „Erzfeind“, an dem zwei Drittel Deutschlands teilnahm, konnten sich die süddeutschen Staaten ohne Gesichtsverlust nicht verweigern. In einem Erfolgsfalle wäre aber die Gründung eines deutschen Nationalstaates unter Führung des preußischen Königs als deutscher König bzw. deutscher Kaiser von den süddeutschen Staaten nicht mehr zu verhindern gewesen (siehe dazu auch den Konflikt zwischen dem preußischen König Wilhelm und Bismarck über den zukünftigen Titel. Während Bismarck einen „deutschen Kaiser“ anstrebte, wollte Wilhelm nur „Kaiser von Deutschland“ werden - letzteres hätte die definitive Ausgrenzung Österreichs aus dem neuen Reich verhindert).

  1. Warum war Frankreich über die Mithilfe der süddeutschen
    Staaten überrascht? Wusste Napoleon III nichts von den
    Bündnissen des Norddeutschen Bundes mit diesen Staaten?

Vermutlich ist Napoleon III. davon ausgegangen, dass die süddeutschen Staaten nach dem Krieg von 1866 in Opposition zu Preußen stehen und sich einem Krieg Preußens gegen Frankreich nicht anschließen würden (siehe „Großdeutsche Lösung“ gegen „Kleindeutsche Lösung“). Ganz offensichtlich hat Napoleon III. die Stimmung in den süddeutschen Ländern falsch eingeschätzt. In der Pfalz, in Baden und Württemberg hat sich die Bervölkerung wohl noch sehr gut an die französischen Feldzüge erinnert.

Just my 2 cents!

Grüße
Heinrich

Hallo,

„Der preußische König konnte nun nicht anders als Frankreich den Krieg zu erklären.“

Falsch! Frankreich hat Preußen am 19.07.1870 den Krieg erklärt.

Gruß

Heike Berg

Während eines Kuraufenthaltes in Bad Ems wurde dem preußischen
König eine diplomatische Note Frankreichs überreicht. Bismarck
bekam diese Nachricht in die Finger und strich gewisse Teile
heraus, so dass dieses Schreiben wie eine Beleidigung wirken
musste (siehe Stichwort „Emser Depesche“). Der preußische
König konnte nun nicht anders als Frankreich den Krieg zu
erklären.

Hallo Heinrich,
das ist - mit Verlaub - einfach haarsträubend falsch. Wenn ich ein wenig korrigieren darf …

Leopold von Hohenzollern-Sigmaringen war auf Grund der französischen Kammererklärung vom 6. Juli 1870 - die allgemein als mehr oder weniger offene Kriegsdrohung verstanden wurde - aus eigenem Entschluss von der spanischen Thronkandidatur zurückgetreten (bzw. sein Vater Anton hatte diesen Entschluss stellvertretend für ihn erklärt). Als König Wilhelm am Morgen des 13. Juli auf der Brunnenpromenade in Bad Ems dem französischen Botschafter Benedetti (sicher nicht zufällig) begegnete, sprach er ihn an und äußerte seine Erleichterung darüber, dass die Krise mit dem Rücktritt überstanden sei. Daraufhin präsentierte Benedetti (von Außenminister Gramont instruiert) mündlich zwei neue Forderungen - nach den diplomatischen Usancen der Zeit ein unerhörter Vorgang. Das Vorgehen Benedettis (in aller Öffentlichkeit!) würde man heute salopp als „dumm von der Seite anquatschen“ bezeichnen. Es ist bezeichnend für die stümperhafte Diplomatie der aus aussenpolitischen Amateuren bestehenden Regierung Ollivier.

Zum einen sollte König Wilhelm öffentlich seine Zufriedenheit über den Kandidaturverzicht aussprechen (was er ohne weiteres zusagte; er sei mit dem Verzicht genau so zufrieden, wie er es vorher mit der Anmeldung der Kandidatur gewesen sei) und zum anderen sollte er öffentlich erklären, er würde eine eventuelle zukünftige erneute Kandidatur untersagen. Diese ‚Garantieerklärung‘ lehnte König Wilhelm ab - davon abgesehen sei eine solche Erklärung unnötig, seine sigmaringischen Vettern seien Ehrenmänner; wenn sie den Verzicht auf die Kandidatur versprochen hätten, würden sie auch nicht später wieder darauf zurück kommen.

Zum einen hatte König Wilhelm gar keine rechtliche Handhabe, die Kandidatur eines entfernten Verwandten für den spanischen Thron zu untersagen. Leopold von Hohenzollern-Sigmaringen kandidierte als Privatmann. Bismarck war zwar frühzeitig eingeweiht und befürwortete die Kandidatur, aber es gab keine offizielle Unterstützung Preussens. König Wilhelm war als Haupt des Hauses Hohenzollern (somit ebenfalls als Privatmann, nicht als König von Preussen) um Genehmigung der Kandidatur gebeten worden und hatte diese erteilt - erforderlich war eine solche Genehmigung allerdings nicht.

Zum anderen hätte die Garantieerklärung im Nachhinein die (stets zurückgewiesene) Beschuldigung der französischen Regierung bestätigt, hinter der Kandidatur stecke ein antifranzösisches Komplott zwischen Preussen und dem spanischen Machthaber Marschall Prim. Damit würde nun der Eindruck erweckt, Preussen ziehe angesichts des entschlossenen Auftretens Frankreichs den Schwanz ein. Der Rückzug der Kandidatur allein hätte dies - das war Gramont klar - nicht glaubhaft genug gemacht.

Um genau diesen Propagandaerfolg auf Kosten einer diplomatischen Demütigung Preussens ging es Frankreich. Das sowohl national wie international kritisierte Säbelrasseln der französischen Regierung sollte damit nachträglich (vor allem im eigenen Land) gerechtfertigt werden - wobei man bedenkenlos bereit war, einen Krieg zu riskieren.

König Wilhelm lehnte also die Garantieforderung höflich, aber strikt ab. Als Benedetti am Nachmittag selbigen Tags (diesmal offiziell) bei ihm vorsprechen wollte, wurde ihm gesagt, wenn es um die Garantieforderung ginge, werde er nicht empfangen.

Diese Vorgänge wurden am Abend Bismarck von Geheimrat Heinrich Abeken routinemäßig per Depesche mitgeteilt (die sog. ‚Emser Depesche‘) - mit der Autorisierung, den Inhalt an die Öffentlichkeit weiterzugeben. Die Depesche war nicht als Bulletin verfasst und damit auch nicht ohne weiteres zur Veröffentlichung in der Presse geeignet; sie musste redigiert werden - auch dies war üblich. Bismarck tat dies in einer Weise, die die französische Regierung bloßstellte - indem deutlich gemacht wurde, dass man sich gegenüber weiteren Zumutungen Frankreichs verwahre. Insbesondre vermittelte die redigierte Fassung den Eindruck, König Wilhelm lehne es vollständig ab, Benedetti weiterhin zu empfangen. Die Ablehnung bezog sich jedoch tatsächlich nur auf Verhandlungen über die Garantieerklärung. Dies hatte König Wilhelm noch am Abend des 13.07. gegenüber Benedetti durch seinen Adjutanten Fürst Radziwill ausdrücklich klarstellen lassen, so dass die nachmittags abgelehnte Audienz von französischer Seite nicht falsch - als Abbruch der diplomatischen Beziehungen - aufgefasst werden konnte.

Die redigierte Emser Depeche hatte ein wichtiges Anliegen Gramonts durchkreuzt - Bismarcks Schachzug nahm der französischen Regierung die Möglichkeit, den Kandidaturverzicht nun noch als einen der Einschüchterung Preussens zu verdankenden aussenpolitischen Erfolg zu verkaufen. Man wollte sich mit dem Kandidaturverzicht allein nicht zufrieden geben und hatte dann mit der Garantieforderung den Bogen überspannt. Weniger wäre mehr gewesen.

Daraufhin (Heike hatte es schon richtiggestellt) erklärte Frankreich (nicht Preussen) den Krieg. Auch hier wird häufig behauptet, Napoleon III. sei gar nichts anderes übriggeblieben, was natürlich unhaltbar ist. Die (redigierte) Emser Depesche war sicher ein (allerdings wohlverdienter) diplomatischer Affront - aber selbst nach den Gepflogenheiten der Zeit war sie kein akzeptabler Kriegsgrund. Die französische Regierung hatte einen empfindlichen, aber selbstverschuldeten Gesichtsverlust erlitten. Das hatte Bismarck nach der französischen Kammererklärung vom 06.07. und der Rücknahme der Kandidatur auch - aber die preussische Regierung war im Gegensatz zur französischen bereit, die Kritik der Öffentlichkeit (und des Parlaments) wegen einer diplomatischen Schlappe einzustecken. Die Kriegserklärung vom 19.07. war nicht unvermeidlich - man zog sie lediglich der Übernahme der Verantwortung für ein (nicht einmal besonders schwerwiegendes) aussenpolitisches Versagen vor. Das hätte allerdings das Ende des ohnehin nicht sonderlich sattelfesten Kabinetts Ollivier bedeuten können. Es ging um verletzte persönliche Eitelkeiten (wie immer, wenn von der ‚Ehre der Nation‘ die Rede ist); nicht um eine tatsächliche nationale Bedrohung.

‚Krieg‘ war spätestens seit dem Vorabend der Kammererklärung (also seit dem 05.07.) für Frankreich eine akzeptable Option. Dass der Stein des Anstoßes - die Kandidatur einer unbedeutenden Hohenzollen-Nebenlinie für den spanischen Thron - bereits weggefallen war, störte am 13.07. niemanden mehr. Es hatte ja schon nicht gestört, dass die spanische Thronfolge innere Angelegenheit eines souveränen Staates war, die Frankreich absolut nichts anging. So hatte man keine Hemmungen, nach dem nächsten sich bietenden Kriegsgrund zu greifen - ob plausibel oder nicht. Man hatte sich auf französischer Seite so weit aus dem Fenster gelehnt, dass der Fall unvermeidlich wurde.

Freundliche Grüße,
Ralf

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Nachtrag zum Nachtrag

  1. Warum war Frankreich über die Mithilfe der süddeutschen
    Staaten überrascht? Wusste Napoleon III nichts von den
    Bündnissen des Norddeutschen Bundes mit diesen Staaten?

Ich habe etwas gesucht und bin tatsächlich auf die Information gestoßen, die sog. „Schutz- und Trutzbündnisse“ Preussens mit den Süddeutschen seien Geheimverträge gewesen. Bezeichnenderweise bei Leuten, die eine Kriegsschuld Preussens zumindest suggerieren möchten (nach dem Motto: Bismarck hat das arglose Frankreich in eine Falle gelockt).

Ein schönes Beispiel dafür, wie man mit Halbwahrheiten Geschichtsklitterung betreiben kann. Noch 1866 hatte Napoleon III. Preussen ein Schutz- und Trutzbündnis vorgeschlagen. Preis dafür sollte die preussische Zustimmung zur Annexion Luxemburgs durch Frankreich sein (das Vorspiel zur Luxemburgaffäre). Preussen zog es dagegen vor, Militärbündnisse mit Baden, Württemberg und Bayern zu schließen - in der Tat zunächst als Geheimverträge. Was solche ‚Quellen‘ dann häufig verschweigen ist die Tatsache, dass diese Geheimverträge bereits 1867 öffentlich gemacht wurden. Übrigens auf Wunsch Bayerns - nach dem fehlgeschlagenen Luxemburgprojekt wandte sich Napoleons Interesse nämlich der bayerischen Rheinpfalz zu.

Freundliche Grüße,
Ralf

‚Krieg‘ war spätestens seit dem Vorabend der Kammererklärung
(also seit dem 05.07.) für Frankreich eine akzeptable Option.
Dass der Stein des Anstoßes - die Kandidatur einer
unbedeutenden Hohenzollen-Nebenlinie für den spanischen Thron

  • bereits weggefallen war, störte am 13.07. niemanden mehr. Es
    hatte ja schon nicht gestört, dass die spanische Thronfolge
    innere Angelegenheit eines souveränen Staates war, die
    Frankreich absolut nichts anging. So hatte man keine
    Hemmungen, nach dem nächsten sich bietenden Kriegsgrund zu
    greifen - ob plausibel oder nicht. Man hatte sich auf
    französischer Seite so weit aus dem Fenster gelehnt, dass der
    Fall unvermeidlich wurde.

Freundliche Grüße,
Ralf

Aber Hallo!

Endlich mal ein fachlich guter Aufsatz aufbauend auf empfehlenswerter Literatur. Findet man allgemein in Sachen Geschichte und besonders im Internet eher selten. Da überwiegt doch die Verbreitung von ungewissen Gewissheiten mit Vorurteilen, Halbwahrheiten und Falschinformationen. Habe aber weder Zeit noch Lust, da überall zu widersprechen. Käme sonst zu nichts anderem mehr. Muss mich daher auf das Wesentliche beschränken.

Gruß, Heike