Eine kleine Geschichte aus dem Alltag

Hallo!

Folgende Situation: Ein junger Mann (nennen wir ihn mal Michael) trifft sich mit ein paar Freunden, darunter ein orthodoxer Jude (nennen wir ihn mal Robert), den Michael aber zum ersten Mal trifft. Als alle auseinander gehen, kommt Michaels Freundin hinzu und sie laufen noch ein Stück weit mit Robert, bis sie sich verabschieden. Michael und Robert reichen sich zum Abschied die Hand, Michaels Freundin streckt Robert auch ihre Hand entgegen, dieser jedoch weigert sich, ihr die Hand zu geben mit der Begründung, seine Religion erlaube es ihm nicht, weil sie eine Frau sei. Das Ganze ereignet sich in Deutschland.

Michaels Freundin war vor den Kopf gestoßen und empfand Roberts Verhalten als unhöflich. Ebenso sieht das eine andere, orthodox-jüdische Freundin - als Akt der Unhöflichkeit, weil das Reichen der Hand in der deutschen Kultur Respekt gegenüber dem Mitmenschen ausdrückt. Dieser Respekt wurde durch Robert zwar gegenüber Michael erwiesen, gegenüber Michaels Freundin aber nicht.

Wie seht ihr die Situation? Würdet ihr in der Situation von Michaels Freundin das Verhalten von Robert als eine unhöfliche Zurückweisung empfinden? Robert hat sich freiwillig dafür entschieden, in einem überwiegend christlichen Land zu leben, anstatt auszuwandern in einen Staat, in dem die jüdische Religion vorherrscht. Wie weit sollte seine Anpassung an Deutschland eurer Meinung nach reichen?

Grüße,
Anja

Im Westen nichts Neues!
Hallo, Anja,

ganz dieselbe Situation erlebte ich an einer Sprachschule am Bodensee.

Wir hatten Schüler aus arabischen Ländern die Menge. Da erschien eine Delegation aus dem Jemen, um zu sehen, ob auch sie ihre Söhne zum Deutschlernen an diese Schüle schicken könnten.

Großer Empfang; Wäsche vorn, Damen im kleinen Schwarzen.

Dickster Benz fährt vor. Ich als Portier weise den Weg.

Chef und Vizechefin, wie Honigkuchenpferde, gehen den Burnusträgern entgegen. Scheff schäkt Händs ausführlich, stellt dann Vizescheffin vor.

Auch sie streckt die Hand aus.

Aber eisig: We donnt shakke hannds with wimin!

So weit ich weiß, kam nur eine Gruppe probeweise aus dem Jemen.

Orthodoxe sind überall gleich … (hier mag man ruhig ein böses Wort ergänzen). Sie sollten deshalb zur Warnung die jeweiligen Abzeichen tragen; Kippa, Fes oder Kopftuch (nicht das für Frauen), Kreuz

Gruß Fritz

Hi,

Wie weit sollte seine Anpassung an
Deutschland eurer Meinung nach reichen?

Unabhängig von dieser Geschichte und auch unabhängig von der jeweiligen Religionszugehörigkeit sollte man stets die nationalen/regionalen Höflichkeitsregeln einhalten. Natürlich umgekehrt auch als Deutscher im Ausland.
Das hat nichts mit Anpassung zu tun, sondern mit Respekt einer anderen Lebensweise gegenüber.
Wer hier lebt, sollte natürlich auch Frauen die Hand geben, wenn es die Gegebenheiten erfordern. Eine Religion oder sonstige Ideologie, die dieses verbietet bzw. derjenige, der diese „Vorschriften“ anwendet, kann nicht ernst genommen werden.
Wenn umgekehrt ich mich in einem Land bewege, wo es nicht gern gesehen wird, dass ich z.B. der Dame des Hauses die Hand gebe, dann unterlasse ich das natürlich. Das erfordert schon der Respekt dem Gastgeber/der Gastgeberin gegenüber.
Kurzum: man sollte hierzulande auch Religionsgebräuchen nicht immer alles durchgehen lassen, vor allem dann nicht, wenn es grob unhöflich ist oder zumindest so erscheinen muss oder wenn es sonstwie gegen die sog. guten Sitten verstößt.

Viele Grüße
WoDi

Im Osten auch nix Neues
Hallo,

orthodoxer Jude (…) dieser jedoch weigert sich, ihr die
Hand zu geben mit der Begründung, seine Religion erlaube es
ihm nicht, weil sie eine Frau sei. Das Ganze ereignet sich in
Deutschland.

Wie seht ihr die Situation?

altbekanntes Kommunikationsproblem.

Würdet ihr in der Situation von Michaels Freundin das Verhalten von
Robert als eine unhöfliche Zurückweisung empfinden?

Jein. Ich weiß grob um den Hintergrund, daher ist es keine Respektlosigkeit gegen Frauen, aber in meinen Augen Fanatismus gepaart mit Respektlosigkeit gegenüber den hierzulande üblichen Bräuchen.

Wie weit sollte seine Anpassung an Deutschland eurer Meinung nach
reichen?

Das ist allein seine Sache. Im gesetzlichen Rahmen darf Robert sich frei bewegen. Er muß allerdings – wie jeder – die Folgen seiner Entscheidungen selbst tragen. Es steht ihm also nicht zu, sich darüber zu beklagen, sein Verhalten würde mißverstanden oder seine Religion nicht respektiert. Wenn er dann eben Integrationsprobleme hat, dann ist das persönliches Pech. Mir wäre er genauso suspekt wie krasse Katholiken, Moslems oder sonstwer, der Religion über gesunden Menschenverstand (bzw. das, was ich dafür halte) stellt.

Insgesamt also: No big deal.

Gruß,

Malte

Hallo Fritz,

Orthodoxe sind überall gleich … (hier mag man ruhig ein
böses Wort ergänzen). Sie sollten deshalb zur Warnung die
jeweiligen Abzeichen tragen; Kippa, Fes oder Kopftuch (nicht
das für Frauen), Kreuz

wobei aber Kippa und Kreuz z.B. nicht unbedingt auf Orthodoxalität (im Sinne eines sturen, ausnahmslosen Befolgens sämtlicher religiöser Regelungen) hinweisen.

Die Situation mit den Jemeniten, die du beschrieben hast, stelle ich mir ja wirklich sehr unangenehm vor…

Grüße,
Anja

Hallo wodi,

ich sehe es genauso wie du.

Allerdings besteht das (für mich nicht nachvollziehbare) Dilemma darin, dass es für Robert nicht bloß eine Höflichkeitsregel, sondern ein religiöses Gebot ist, das zu umgehen bedeuten würde, gegen Gottes Regeln zu verstoßen und Gott nicht mehr „richtig“ zu dienen. Für uns mag es eine Lappalie sein, für ihn wäre das Ausdruck der Missachtung Gottes.

Wie dem auch sei, in meinen Augen bleibt Roberts Verhalten trotzdem eine Respektlosigkeit.

Schöne Grüße,
Anja

Die Situation mit den Jemeniten, die du beschrieben hast,
stelle ich mir ja wirklich sehr unangenehm vor…

Zurecht, Anja, der versammelten Lehrerschaft, wie stets mehr Frauen als Männer, fiel die Kinnlade ganz schön runter.
Es wurde eine gequälte Stunde und dann zogen die wieder ab.
Und wie gesagt, statt mehreren hundert Leuten, die gutes Geld gebracht hätten, kam nur eine Gruppe von etwa zehn Leuten.

Gruß Fritz

Hallo,

einmal abgesehen davon, daß mir das beispiel einfach zu klein und unbedeutend wäre, um mich groß darüber aufzuregen:

Das Hand geben mag weitstgehend üblich sein in Deutschland - ein „Muß“ indes ist es eigentlich nicht. Im Alltag beschränkt man sich oft auf den mündlichen gruß - besonders gegenüber Kollegen und Freunden. Wäre ja z.B. in einem Großbetrieb auch etwas schwierig, wenn sich die 100 Leute einer Abteilung jeden morgen alle per Handschlag begrüßen würden.

Natürlich würde ich das getrennte und unterschiedliche Verhalten gegenüber einer frau und einem Mann als extrem unzeitgemäß empfinden. Und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wäre das dann niemand, um dessen Freundschaft ich mich sonderlich bemühen würde.
Da,mit muß der gute Mann dann leben - wie es ind en Wald hineinruft, so schallt es heraus. Also muß er damit rechnen, daß viele sein verhalten als unhöflich empfinden werden und keine weitere Bekanntschaft mit ihm wünschen. Aber damit muß er dann selber klarkommen.

Gernot Geyer

hi Anja,

abgesehen davon, dass ich manchen Leuten (geschlechtsunabhängig) auch nicht gern die Hand gebe, zumal ich zum Beispiel ahne, dass sie sich nach Absolvieren gewisser Bedürfnisse nicht die Hände waschen (was ich als Mann gar nicht so selten auf Herrentoiletten beobachte), würde ich wie manche meiner Vorrede folgendes sagen:

  1. Unhöflich ist es allemal. Aber Leute verhalten sich so oft unhöflich, obwohl sie nicht von ihrer Religion dazu gezwungen werden, sondern weil sie gedankenlos sind oder einfach frech. Der von dir geschilderte Herr hat das aber, so vermute ich, nicht aus Respektlosigkeit getan, sondern vielleicht aus einer gewissen unaufgeklärten, vielleicht falschen Auffassung seiner religiösen Gebote. Das finde ich allemal verzeihlicher, als die unhöflichen Menschen, die in der Straßenbahn rauchen, einem auf die Füße treten, ohne um Verzeihung zu bitten, einem ins Gesicht husten usw.

  2. Mit dem Anpassen an fremde Sitten in einem anderen Land ist das so eine Sache. Jeder versteht etwas anderes als Mindestmass an Anpassung. Es kommt immer auf die Definition an. In Italien z.B. empfinden es viele Katholiken z.B. als unpassend in kurzen Hosen eine Kirche zu betreten, aber tausende von Touristen scheren sich darum überhaupt nicht (obwohl sie wahrscheinlich zuhause niemals in kurzer Hose zum Sonntagsgottesdienst gehen würden…) Wie weit muss/soll man sich tatsächlich an örtliche Sitten anpassen müssen? Die Diskussion um die Einbürgerungstests zeigt doch, wie leicht man Massstäbe setzt, die vielleicht ein Großteil der „Inländer“ noch nicht einmal erfüllen würde.

Gruß

Oliver

Hi,

Für uns mag es eine
Lappalie sein, für ihn wäre das Ausdruck der Missachtung
Gottes.

Er sollte sich dann aber mal fragen, was das für ein Gott sein soll, der es verbietet, Frauen die Hand zu geben. Bzw. wenn es nicht Gott war, wer dann und warum.
Er sollte also einfach mal etwas tun, was für Orthodoxe sicher schwer, aber wahrscheinlich nicht unmöglich ist: einfach mal nachdenken, sich die richtigen Fragen stellen und diese für sich auch beantworten.
Wer seine lt. Religion von Gott gegebene Vernunft und Denkfähigkeit nicht einsetzt, ist ein Gotteslästerer, denn immerhin verschmäht er eine der wertvollsten Gaben, die der Mensch bekommen hat.
Tz tz tz…Und diese Worte von mir Ungläubigem…:smile:

Viele Grüße
WoDi

Hallo,

ein paar Fragen:
Robert ist Deutscher oder anderer Nationalität?
Seine Religionszugehörigkeit sagt darüber ja erstmal
nichts aus.

Robert hat sich freiwillig dafür
entschieden, in einem überwiegend christlichen Land zu leben,

Nochmal: ist er (gebürtiger) Deutscher oder nicht?
Das würde schon mal entscheiden, ober er sich „dafür entschieden“
hat, in einem überwiegend christlichen Land zu leben oder
ob er einfach hier geboren wurde.

anstatt auszuwandern in einen Staat,

also ist er Deutscher (das wäre die allfällige
Interpretation dieses Satzes). Wieso soll er auswandern,
nur weil er einer Minoritätenreligion zugehört?
Wenn ich mich recht erinnere, haben wir immer noch
Religionsfreiheit in Deutschland.

in dem die jüdische
Religion vorherrscht.

Warum sollte er das?

Mir geht es gar nicht darum, ob er mit dem vermiedenen
Händeschütteln nun „deutsche“ Werte außen vorgelassen hat,
sondern wie einfach hier von Auswandern etc. geredet wird.

Mir grausts da schon.

Gruß
Elke

Hallo Anja,

eine andere – etwas größere – Geschichte aus dem Alltag:
Freunde von mir, liberale Juden, haben sich eine Kindertagesstätte ausgesucht deren Mitarbeiter und Mit-Eltern Interesse und Bereitschaft zeigten, sich auf andere kulturelle Prägungen einzulassen. In den zwei Jahren, die das Kind diese Tagesstätte besuchte, fanden die Elterntreffen immer am Freitagabend statt und es wurde von den anderen Eltern beklagt, dass das jüdische Ehepaar nicht teilnahm. Das jüdische Ehepaar seinerseits hat immer wieder Interesse bekundet, deutlich gemacht, dass der Freitagabend wegen Schabbat nicht infrage kommt, aber jeder Abend o.k. wäre. Während dieser Zeit war es nie möglich zu einer anderen Verabredung zu kommen, wobei nicht von vorneherein klar war, dass Elterntreffen immer nur am Freitagabend stattfinden würden.

Die Frage ist einfach, wer mit wem in welchem Ausmaß etwas zu tun haben möchte oder eben auch nicht. Und es muß dann eben immer wieder darüber gesprochen werden, was möglich ist und was nicht. Ich denke, Robert hätte noch etwas mehr dazu sagen können.

Zu den Standards der meisten orthodoxen Juden gehört es, erwachsene Menschen des anderen Geschlechts sofern sie nicht zur engsten Familie gehören, nicht zu berühren. Um ein altes deutsches Wort zu verwenden: Es gilt als unschicklich. Er würde auch mir als liberaler Jüdin nicht die Hand geben. Und wenn ich auf seiner Hochzeit eingeladen wäre, wäre klar, dass Frauen bei Frauen sitzen und Männer bei Männern. Frauen würden mit Frauen tanzen und Männer bei Männern. Und wenn er erklärt, was er warum tut oder nicht tut, kann man damit umgehen.

Ihr wart zu dritt. Eine andere Situation wäre, wenn Robert vor versammelter Mannschaft – also in größerem Kreis – so mit Dir umgegangen wäre. Solche Situationen wären einfacher zu bewältigen, wenn in Schulen auch interkulturelle Kompetenz vermittelt würde.

Wenn ich weiß, dass das Verhalten von Robert nach seinen kulturellen Standards was anderes bedeutet als das, was ich von meinen Standards her vermute (Unhöflichkeit), wo liegt dann das Problem?

Ich bin schon erstaunt, wie schnell Juden hier (wieder) zu Fremden gemacht werden nach dem Motto: Wenn er sich nicht so weitgehend anpasst, wie ich mir das denke, warum lebt er dann hier? Er und ich haben das gleiche Recht in diesem Land zu leben wie Du. Und ich finde es unglaublich sich im Jahre 2006 aufgrund eines solchen Pipifax – anders kann ich die Händegeschichte so wie Du sie schilderst nicht einordnen – die Auswanderung als Option nahegelegt zu bekommen.

Und selbst wenn Robert in einem Staat auswandern würde, wo „die jüdische Religion vorherrscht“ – also wohl Israel: Die meisten Israelis sind säkular. Auch hier wäre er als Orthodoxer in der Minderheit.

Viele Grüße

Iris

Nun… eine realistische Einschätzung von mir: Er soll nach Israel auswandern. Hier eckt man als Orthodoxer zwar auch an, wenn man einer nichtreligiösen Frau die Hand nicht gibt, aber dafür hat man als nichtreligiöse Frau eben keine derartigen orthodoxen „Freunde“.

Sorry leider ist das die Wahrheit! Bestimmte Lebensformen vertragen sich nicht. Es ist eine Illusion und Utopie, daß so unterscheidliche Lebenskonzepte wie Religion-Nichtreligion glücklich in alle Ewigkeit miteinander auskämen. Das Maximum an Integration ist in so einem Fall ein Nebeneinander und kein Miteinander. Und ich wäre froh, wenn wenigstens DAS friedlich abliefe.

Gruß
dataf0x

Hi,

Auch Hei,

Er sollte sich dann aber mal fragen, was das für ein Gott sein
soll, der es verbietet, Frauen die Hand zu geben. Bzw. wenn es
nicht Gott war, wer dann und warum.

Ich finde es - ich sags mal freundlich - erstaunlich, wie genau Du weißt, was er sich fragen sollte. Vor allem bin ich auch verblüfft, daß Du schon die Antwort weißt, noch bevor er sich die Frage gestellt hat.
Könntest Du möglicherweise den Gedanken zulassen, daß er sich das schon gefragt hat? und die Antwort darauf gefunden hat?

Er sollte also einfach mal etwas tun, was für Orthodoxe sicher
schwer, aber wahrscheinlich nicht unmöglich ist: einfach mal
nachdenken, sich die richtigen Fragen stellen und diese für
sich auch beantworten.

Das ist im Grunde nur die Wiederholung dessen, was Du schon einmal gesagt hast, aber das machts es auch nicht besser.

Wer seine lt. Religion von Gott gegebene Vernunft und
Denkfähigkeit nicht einsetzt, ist ein Gotteslästerer, denn
immerhin verschmäht er eine der wertvollsten Gaben, die der
Mensch bekommen hat.

Du bist offenbar ein unglaublich kluger Mensch: Du definierst mal schnell den Inhalt der Religion, das Verhältnis von Gott bund Vernunft und erledigst nebenbei auch noch die Schwierigkeit mit der Gotteslästerung.

Tz tz tz…Und diese Worte von mir Ungläubigem…:smile:

Und was lernt uns das? Nicht einmal Unglaube schützt vor Dummheit.

Gruß - Rolf

9 „Gefällt mir“

Schlechte Manieren
Moin,

vorab möchte ich darauf hinweisen, dass automatisches Händeschütteln keineswegs zu diesem Kulturkreis gehört.

Händeschütteln ist (und war) immer ein kann , nie ein muss.

Manieren dienen dazu, den Umgang miteinander zu erleichtern und nicht, ihn zu erschweren. Sie sollen helfen, Peinlichkeiten zu vermeiden und andere (oder sich selbst) nicht in unangenehme Situationen zu bringen. Wenn nun jemand mit ausgestrecktem Arm auf jemanden zu geht mit der Absicht, diesem die Hand zu schütteln, und diese Geste wird nicht erwiedert (aus welchem Grund auch immer) ist das eine für alle Beteiligten unangenehme Situation. Aus diesem Grund gilt in unserem Kulturkreis (auf den hier ja soviel Wert gelegt wird):

Es zeugt von schlechten Manieren, wenn man mit ausgestreckter Hand auf jemanden zugeht. Gute Manieren zeigt derjenige, der abwartet, ob der Gesprächspartner die Hand zum Gruß anbietet. Grundsätzlich ablehnen können hierarchisch Höhergestellte und Damen.

Wer also meint, es gehört zum Guten Ton jedem und überall seine Flosse hinzuhalten, der irrt nicht nur, sondern benimmt sich auch noch daneben. Die meisten Leute werden seine Hand ergreifen, um ihm die Peinlichkeit zu ersparen, aber ein Recht darauf hat er keinesfalls.

Aber wir sind hier ja nicht im Brett „Manieren“ sondern im Brett „Religion und Ethik“ und die Ursache (die für den Punkt „Händeschütteln“ wie oben ausgeführt im Grunde völlig unerheblich ist, jemand der nicht Händeschüttelt, muss sich nicht rechtfertigen), war ja religiös motiviert.

Religionen bringen nunmal häufig eine gewisse Vorstellung von Verhaltensweisen mit sich, auch, was den Umgang der Geschlechter untereinander angeht. Im Allgemeinen geht es hier um sehr stark empfundene Grenzen, die häufig noch stärker sind, als die der „allgemeinen“ Manieren, da im Zweifel nicht nur gesellschaftliche, sondern auch religiöse Tabus berührt werden. Wie geht man nun mit diesen Grenzen um?

Ich möchte dazu gerne Asfa Wossen-Asserate aus seinem Buch „Manieren“ zitieren:

„Die Unverschämtheit, die Unfähigkeit, Grenzen zu akzeptieren, ist vielleicht der eigentliche Charakterkern der Vulgarität“.

Wer also meint, er würde hier „deutsches Kulturgut“ verteidigen, wenn er darauf besteht, jedem die Hand schütteln zu wollen, der irrt. Hier wird nicht guten Manieren Vorschub geleistet, sondern Vulgarität.

Gruß
Marion

Moin,

ganz dieselbe Situation erlebte ich an einer Sprachschule am
Bodensee.

Chef und Vizechefin, wie Honigkuchenpferde, gehen den
Burnusträgern entgegen. Scheff schäkt Händs ausführlich,
stellt dann Vizescheffin vor.

Auch sie streckt die Hand aus.

Dann war die Dame auf dem Job wohl eine Fehlbesetzung. Wer viel mit Menschen aus anderen Kulturkreisen zutun hat, sollte es eigentlich besser wissen. Mit dieser Aktion hat sie nicht nur sich selbst, sondern auch den Herrn in eine unmögliche Situation gebracht.

Gruß
Marion

6 „Gefällt mir“

hallo Anja,

ich kenne diese situation auch, allerdings eher mit arabern und weniger, aber auch, mit frommen juden.

es ist nicht möglich, sich vollkommen auf eine andere kultur, selbst oder gerade wenn sie die mehrheit darstellt, einzulassen, da man sonst seine eigenen werte und vorstellungen verraten würde.
wer von euch frauen würde sich im jemen (wenn sie dort einen job, sagen wir mal in einer deutschen schule) hätte schwarz verschleiern oder seine töchter, weil es die dortige sitte (nicht aber das gesetz) gebietet? jede würde dies verweigern und einen kompromiss suchen.
aus dieser sicht kann ich robert verstehen, seine begründung ist für eine ahnungslose person allerdings sehr brüskierend und kann als frauenfeindlich erscheinen.

ansonsten: mit bricht als frau kein zacken aus der krone der gleichberechtigung, wenn ich bei begrüssung und abschied warte, ob der andere mir die hand reicht oder es nur ein mündliches „tschüss“ gibt. ich kann es als roberts individuelle oder kulturelle eigenheit akzeptieren, wie jeder andere solche eigenheiten auch hat.

wenn beide stur bei ihren vorstellungen bleiben, wird es nicht mal ein nebeneinander sondern nur ein gegeneinander geben.

robert wird sich im alltag genug anpassen und jonglieren müssen, um sein leben nach seinen vorstellungen zu leben. es fängt damit an einen job zu finden, an dem er im winter am freitag schon früh feierabend machen kann und an den diversen feiertagen frei hat bis dahin, für koshere lebensmittel ein schweinegeld ausgeben zu müssen und nicht einfach im aldi das schnitzel für 1 euro kaufen kann, von den irritierten blicken seiner mitmenschen mal abgesehen…und trotzdem scheint ihm deutschland heimat zu sein, warum sollte er also gehen?

soll jeder auswandern, der ein leben führt und ideen hat, die nicht dem der mehrheitsgesellschaft entsprechen? kinderreiche nach kenia? fromme katholiken nach italien? kommunisten nach kuba? orthodoxe juden nach israel? armes, verarmtes deutschland!

in deiner vita steht, du bist nicht immer parteikonform, also gestatte es anderen auch, es nicht zu sein.

gruss, sama

[Bei dieser Antwort wurde das Vollzitat nachträglich automatisiert entfernt]

BS"D

Folgende Situation: Ein junger Mann (nennen wir ihn mal
Michael) trifft sich mit ein paar Freunden, darunter ein
orthodoxer Jude (nennen wir ihn mal Robert), den Michael aber
zum ersten Mal trifft. Als alle auseinander gehen, kommt
Michaels Freundin hinzu und sie laufen noch ein Stück weit mit
Robert, bis sie sich verabschieden.

Mh, da es in Deutschland ja nicht so viele orthodoxe Juden gibt, wundere ich mich schon etwas alleine über die Einleitung.

Michael und Robert reichen
sich zum Abschied die Hand, Michaels Freundin streckt Robert
auch ihre Hand entgegen, dieser jedoch weigert sich, ihr die
Hand zu geben mit der Begründung, seine Religion erlaube es
ihm nicht, weil sie eine Frau sei.

Ja, aus Respekt vor der Freundin tut er dieses nicht.

Das Ganze ereignet sich in
Deutschland.

Nu, warum auch nicht in Deutschland?

Michaels Freundin war vor den Kopf gestoßen und empfand
Roberts Verhalten als unhöflich. Ebenso sieht das eine andere,
orthodox-jüdische Freundin - als Akt der Unhöflichkeit, weil
das Reichen der Hand in der deutschen Kultur Respekt gegenüber
dem Mitmenschen ausdrückt. Dieser Respekt wurde durch Robert
zwar gegenüber Michael erwiesen, gegenüber Michaels Freundin
aber nicht.

Nu, ich hatte bislang hiermit noch keine Probleme, gerade im Freundeskreis wo man das offen und locker ausgleichen kann.

Wie seht ihr die Situation? Würdet ihr in der Situation von
Michaels Freundin das Verhalten von Robert als eine unhöfliche
Zurückweisung empfinden?

Nein, es haben sich hier nur zwei Kulturen berüht, welche darüber ganz unterschiedliche Auffassungen haben. Somit kann es in diesem Bereich auch keine Qualität von Höflichkeit geben, da diese in beiden anderes definiert ist.

Was sicherlich nicht richtig ist, dass der orthodoxe Freund hier kein Respekt gezeigt hat oder unhöflich war, aus seiner Sicht.

Robert hat sich freiwillig dafür
entschieden, in einem überwiegend christlichen Land zu leben,
anstatt auszuwandern in einen Staat, in dem die jüdische
Religion vorherrscht.

LOL. Das ist nun der Witz zum Schluss? Wahrscheinlich lebt ausgerechnet Robert schon länger hier, als die meisten anderen Freunde von Michael.

Wie weit sollte seine Anpassung an
Deutschland eurer Meinung nach reichen?

Wieso muss sich aus deiner Sicht hier Robert anpassen? Ich sehe nicht, dass ausgerechnet er sich hier anpassen sollte, da er hier nicht unbedingt fremder ist als andere. Und von den anderen erwarte ich doch etwas mehr Offenheit, um zu lernen, dass es verschiedene Formen von Resepkt und Anstand gibt und das manche hier Grenzen haben, wo hierzulande das Leben erst anfängt.

So wird Robert Michael nie die Freundin ausstammen. Bei den anderen wäre ich mir da so sicher nicht. Was ist hier also wichtiger? Die Freundin oder die Hände?

Kol tuw,
Eli

BS"D

Hallo Fritz.

Orthodoxe sind überall gleich … (hier mag man ruhig ein
böses Wort ergänzen). Sie sollten deshalb zur Warnung die
jeweiligen Abzeichen tragen; Kippa, Fes oder Kopftuch (nicht
das für Frauen), Kreuz

Ehrlich gesagt ich verstehe die Aufgeregtheit nicht ganz. Sollen jetzt auch Orthodoxe zu mit einander umgehen, wie es hier leider immer mehr Alltag wird? Ist es nicht gerade Zeichen von Respekt, nicht alles gleich zu machen? Na ja, die Diskussion hatten wir hier schon einmal und ich verstand damals schon die Befindlichkeit nicht, dass Händeschulten offensichtlich wichtiger ist, als zum Beispiel schlechte Rede in der Öffentlichkeit, Lügen, Hintergehen, Ausspannen usw.

Kol tuw,
Eli

Hi!

Wenn das Nicht-Hände-Schütteln Zeichen der Achtung der Frau (man(n) greift keine fremde Frau an) sein soll, hätte zumindest ich sicher kein Problem damit. Anders, wenn es Zeichen der Nichtachtung oder Ausdruck der Minderwertigkeit der Frau wäre.

Einem Angehörigen einer Minderheit das Auswandern nahezulegen, zeugt allerdings von massiver Intoleranz!

alien

P.S.: Grundsatzfrage am Rande: sind es deutsche Juden oder jüdische Deutsche? Macht es einen Unterschied, ob orthodox oder nicht? Können vielleicht nur nichtorthodoxe Juden jüdische Deutsche sein?