Endlichkeit in Liezi - Buch vom quellenden Urgrund

In Liezi, Buch I, wird gleich anfangs die „Schöpfung“ als grundsätzlich endlich beschrieben. Die Kräfte, die sich verzopfen zur Wandlung aller Dinge, könnten eines Tages aufhören, aus dem TAO auszustroemen.
In Buch V wird, wiederum im ersten Kapitel, die Frage nach der Endlichkeit aller Dinge in einer kantisch anmutenden Antinomie grundsätzlich verneint.
Können diese beiden Kapitel in einem Zusammenhang gesehen werden, oder fehlt hier dem philosophischen Taoismus die Einheit? Vielen Dank

Die Wissenschaft hat alle philosophischen Interpretationen der Schöpfung zunichte gemacht. Es bleibt uns nur die Frage zu lösen. wer den Urknall gesetzt hat und wohin wir nach unserem Tode gehen.

Das ist schon deshalb Quatsch, weil das eine mit dem anderen nur entfernt zu tun hat.
Gruß
damals

Guten Tag. Mich würde ohne Anspruch auf Wahrheit die Ansicht dieser spezifischen Schule interessieren.

Wir leben in einem nahezu vollständig erforschten Universum.
Wer dazu parallel ein Märchen-Universum aufbaut, der müsste in einem Forum "Wer-fantasiert-was die Fragen stellen.

Interessant. Von Wissenschaft hast du also genauso viel Ahnung wie von Philosophie.

Jetzt müsstest du nur noch erklären, was Philosophie mit Märchen zu tun haben könnte. Dann wäre der Unsinn perfekt.

Dieter Nuhr?

Gruß
damals

Guten Tag. Mir ist bei der Lektüre der entsprechenden Kapitel bei Kant nun der Begriff der Antinomie wirklich aufgegangen, und ich bedaure, diese in sich widersprüchliche Frage heute morgen gestellt zu haben. Sie hat sich mir nun beantwortet.

ursprung nein, ende nein?

konsequent?

pasquino

Erstes Beispiel: Anfang Ja, Ende Ja.
Zweites Beispiel: Anfang Nein, Ende Nein.
„Ich weiss es nicht“ ist dann aber die Erkenntnis des Weisen.

Hi,

du hast zwar unten bereits deine Frage als geklärt erklärt. Seh ich gar nicht so :smile:
Daher wenigstens kurz zu den Hintergründen:

Zunächst: Du liest ja, wie auch in deinem anderen Thread zur Bedeutung von 子 erwähnt, den Lie Zi in der Übertragung von Richard Wilhelm. Damit steckst du voll in der generellen Problematik der Übertragung antiker chinesischer Texte, wie sie im 19. Jhdt. und Anfang des 20. Jhdts versucht wurden. Es wurden dabei meist Terminologien bzw. Begriffe aus den europäischen Philosophien verwendet, und zwar diese nur so, wie sie von den Übersetzern verstanden wurden. Unter den klassischen Übersetzern, allemal Sinologen, war aber kein einziger, der mit der europäischen Philosophiegeschichte vertraut war. Die Frage, wieweit diese Begriffsgebräuche den chinesischen überhaupt angemessen bzw. analog waren, wurde meist gar nicht gestellt.

Und das trifft insbesondere auf Richard Wilhelm zu - so verdienstlich seine Übersetzungsbemühungen auch gewesen sein mögen. Wenn man mit dem antiken Chinesisch also nicht vertraut ist und die Übertragungen mit den Originalen vergleichen kann, empfiehlt sich immer, zumindest mehrere Übersetzungen, soweit vorhanden, gleichzeitig zu lesen. Dann erkennt man leicht, wie problematisch das Ganze ist. Und daß die Übersetzungen bzw. Begriffsverwendungen meist lediglich aus Plausibilitätsargumenten der Übersetzer resultieren.

So wäre z.B. zu dem von Wilhelm im Lie Zi I.1 und I.2 (und auch weiterhin) verwendeten Begriff „Schöpfung“ zu bemerken, daß es diesen Begriff (auch nichts Analoges) in der gesamten antiken daoistischen Literatur gar nicht gibt. Denn das ist ein theistischer Begriff, der auf eine Tätigkeit eines Schöpfers rekurriert. Das aber widerspricht ganz fundamental dem daoistischen Denken.

Dagegen spielt aber eine Hauptrolle (zumindest in der Kosmologie) das Hervorgehen - z.B. 生 shēng = Geburt, Gebären usw. (als Substantiv), hervorgehen, entstehen usw. (als Verb), und entsprechend das Untergehen, Vernichtet werden (verschiedene Ausdrücke dafür).

So z.B. im Dao De Jing des Lao Zi in dem fundamentalen Kap. 42 :

道生一
一生二
二生三
三生萬物
usw.

wo die „Mannigfaltigkeit der individuellen Dinge im Kosmos“ (萬物) aus dem 道 hervorgeht. Und welche dem 道 immanente Logik dazu führt.

Der Lie Zi ist ja zusammen mit dem Lao Zi und dem Dschuang Zi (den Guan Yin Zi zähle ich mit dazu, aber von dem weiß man nicht, wann er geschrieben wurde: irgendwann zwischen 4. Jhdt. v. Chr. und 10. Jhdt. n. Chr.) die grundlegende Literatur des Daoismus. Und im 1. Kap. wird keineswegs gesagt, daß irgendetwas „endlich“ ist, sondern daß alles indivuelle Sinnliche (also alles, was ein bestimmtes „Dieses“ ist) kein Seiendes, sondern ein Werdendes ist, also zugleich mit dem Entstehen im Vergehen begriffen ist. Und daß das Woher und das Wohin, nämlich das 道 dao, bezüglich Sein und Nichtsein gar nicht unterscheidbar ist. Diesen Unterschied gibt es nur bezüglich der Einzeldinge. Und bei denen nicht in einem Nacheinander, sondern in einem Zugleich.

Entstehen und Vergehen ist dabei - und das ist für Lie Zi sehr entscheidend - ein Kreislauf zwischen fundamentalen Elementen. Hier nur kurz angedeutet: a geht unter in b, b geht unter in c … usw. und letztlich wieder in a. Und - das ist wichtig! - ebenso umgkehrt: b geht hervor aus a, c geht hervor aus b … usw. Im Guan Yin Zi (aus dem nach Meinung einiger Interpreten im Lie Zi bereits zitiert wird, wodurch ein sehr hohes Alter des Textes gegeben wäre) wird dieser Kreislauf ganz dezidiert beschrieben. Entstehen und Vergehen ist einunddasselbe! Und deshalb sind die individuellen Dinge eben gerade nichtendlich“.

Und genau dasselbe wird im Kap. V des Lie Zi in Form eines raffinierten Dialoges nocheinmal auf andere Weise abgehandelt. Nämlich indem hier nicht die Natur der Dinge zur Debatte stehen, sondern vielmehr die Begriffe, mit denen wir über sie sprechen. Hier zeigt sich, daß dort weniger Antinomien (im Sinne Kants) diskutiert werden, als vielmehr die Dialektik sowohl der Begriffe als auch der Dinge. Und diese Dialektik ist der Kern der Aussagen sowohl des Lao Zi (bzw, Dao De Jing) als auch des Dschuang Zi.

Gruß
Metapher

Hallo Metapher

Ich möchte kurz herleiten, weshalb ich Kapitel 1-3 trotzdem als die Beschreibung einer „Schöpfung“ betrachte, um Dir, der Du mir wohl bildungsmässig weit überlegen bist (und ich danke Dir sehr für Deine Bemühungen), Gelegenheit zu geben, meine Ansichten zu widerlegen:

In Buch I, Kapitel 1 wird ein Zitat des „Herrn der gelben Erde“ angeführt:

„Der Geist der Tiefe stirbt nicht. Er ist das ewig Weibliche. Beim Ausgang des Ewig Weiblichen liegt die Wurzel von HImmel und Erde.“

Ich verstehe hier „Weiblich“ im Sinne von: Gebärend. Himmel und Erde werden vom Tao „geboren“, gehen aus ihr hervor.

In Kapitel 2 scheint mir diese Geburt konkret beschrieben zu sein:

„Die Urwandlung ist der Zustand, da die Kraft noch nicht sich äussert“.

Meinung: Das Tao existiert schon, die im folgenden erwähnten drei Kräfte strömen aber noch nicht aus ihm aus.

„Der Uranfang ist der Zustand, da die Kraft entsteht. Die Urentstehung ist der Zustand, da die Form entsteht. Die Urschöpfung ist der Zustand, da der Stoff entsteht. Den Zustand, da Kraft, Form und Stoff noch ungetrennt durcheinander sind, nennt man Dasein. Dasein bedeutet … das Wandelbare“.

Nun scheinen die drei Kräfte, die durch Wandel alle Dinge formen, hervorgebracht. Sofort geschieht der erste Wechsel / Wandel, die „Schöpfung“:

„Die Neun ist der Endpunkt dieses Wechsels. Aber sie wechselt noch einmal und wird wieder zur Eins. Diese Eins ist die Entstehung der wechselnden Formenwelt. Das Reine und Leichte steigt empor und wird zum Himmel. Das Trübe und Schwere senkt sich herab und wird zur Erde“.

Die erste Wandlung ist die Schöpfung. Die zweite bewirkt die Trennung in Himmel und Erde. Nun geht es immer weiter mit den Wandlungen. Die dritte Wandlung, stelle ich mir vor, mag bereits Leben als Bindeglied zwischen Himmel und Erde (verstanden als Geist und Materie) hervorgebracht haben.

Und dann für mich entscheidend, im Kapitel 4 bei den „Totengebeinen“:

„Die Form ist etwas, das notwendig endet; Himmel und Erde werden vergehen, zusammen mit uns vergehen. Ob es dann ganz zu Ende ist? Wir wissen es nicht.“

Hier wird meiner Ansicht nach die Endlichkeit dieser „Schöpfung“, der den von Dir beschriebenen, ewigen Kreislauf beinhaltet, beschrieben.

Zusammengefasst drängt sich mir also die Interpretation auf: Das Tao ist ewig. Es hat irgendwann einmal begonnen, den ewigen Wandel und damit das Entstehen aller Dinge zu gebären. Der Muttermund könnte sich aber irgendwann verschliessen, und damit wäre mindestens die „Schöpfung“ zu Ende, während das Tao nach wie vor, unsere spezifische Existenz zwar nicht mehr hervorbringend, existieren würde. Alles Existierende, auch der durch die abendländische Vorstellung der Ursünde verklärte, von uns wesentlich überschätzte Geist, ist banale „Schöpfung“.

Oder mit Kant, den von ihm verworfenen Lösungsweg zur ersten Antinomie: Das Endliche im Unendlichen.

Ich würde mich über eine Kritik meiner Gedanken freuen :slight_smile: Thomas

PS: Da meine Schulzeit nach der 9. Klasse zu Ende ging, bin ich nicht fähig, diese meine Theorie in angemessener Form darzustellen. Dies mag dabei berücksichtigt werden.

Hi,

das hört sich so an, als tätest du mir damit einen Gefallen :wink:
Mitnichten :smile:

Aber es gibt da auch gar nichts zu „widerlegen“, sondern vielmehr darum, daß Wilhelm in seinen Übersetzungen Wörter/Begriffe benutzt, die dem daoistischen Denken völlig fremd sind. Und dazu gehört eben der Begriff „Schöpfung“. Ein viel katastrophaleres Beispiel ist „Sinn“, mit dem er den Zentralbegriff 道 (Dào) wiedergibt. So in seiner Übersetzunge des Dao De Jing des Lao Zi („Das Buch vom Sinn und Leben“). Mit solcher unsinnigen „Privatphilosophie“ führt er Leser, die mit der Materie noch nicht vertaut sind, in die Irre.

Um es nochmal zu wiederholen: Da, wo Wilhelm von „Schöpfung“ spricht, ist im Lie Zi durchgängig von „Hervorgehen“ die Rede. In manchen Zusammenhängen kann man auch mit dem metaphorischen „gebären“ bzw. „geboren werden“ wiedergeben. Das ist etwas anderes als „Schaffen/Schöpfung“!

Desalb schrieb ich ja:

So wäre z.B. zu dem von Wilhelm im Lie Zi I.1 und I.2 (und auch
weiterhin) verwendeten Begriff „Schöpfung“ zu bemerken, daß es diesen
Begriff (auch nichts Analoges) in der gesamten antiken daoistischen
Literatur gar nicht gibt. Denn das ist ein theistischer Begriff, der auf
eine Tätigkeit eines Schöpfers rekurriert. Das aber widerspricht ganz fundamental dem daoistischen Denken.

Der Begriff „Schöpfung“ setzt einen tätigen Schöpfergott voraus (so wie im 1. Buch Mose 1.1). Im Daoismus gibt es aber keinen Gott, und erst recht keinen Schöpfergott! Wenn du also bei Wilhelm „Schöpfung/schaffen“ liest, dann steht im chin. Text ein Begriff, der mit „Hervorgehen“ adäquat wiederzugeben ist. Aber ich widerhole mich.

Und das sollte nur ein Beispiel sein. Generell muß man sagen: Aus den deutschen Übersetzungen von Wilhelm allein kann man sich nicht adäquat mit dem Daoismus vertraut machen.

Nur nochmal das Beispiel aus Lie Zi I.1 , das du ja selbst zitierst;
黄帝书曰 …
Das Buch des Gelben Kaisers sagt …
Aber Wilhelm schreibt:
Im Buch des Herrn der gelben Erde steht …“

Das Buch des (mythischen) 黄帝 Huáng Dì (der Gelbe Kaiser) ist ein zeitgenössisches Lehrbuch (hauptsächlich Medizin), in dem sehr viel aus dem Dao De Jing zitiert wird. Im Lie Zi gibt es sehr viele Zitate daraus, die allesamt mit „Das Buch des Gelben Kaisers sagt“ eingeleitet sind, bei denen es sich aber (mit einigen Ausnahmen) in Wirklichkeit um direkte Zitate aus dem Dao De Jing (Tao Te King) handelt.

So auch an der von dir angeführten Stelle. Es ist nämlich das Kap. 6 des Dao De Jing (!):
Zum Vergleich mal Wilhelms Übersetzung:

Wilhelm: Der Geist der Tiefe stirbt nicht.
谷神不死 gǔ shén bù sǐ
Der Geist des Tales(!) stirbt nicht
(und es gibt einen guten Grund, weshalb bei Lao Zi „Tal“ steht. Es hat mit 陰 Yīn als Gegensatz zu 陽 Yáng zu tun.)

Wilhelm: Er ist das ewig Weibliche.
是謂玄牝 shì wèi xuán pìn
das ist der Begriff für das unfaßbare Weibliche.
(玄 xuán ist, wie in Lao Zi Kap.1 V. 10 und 11, „dunkel, geheimnisvoll, mystisch, unbegreiflich, unfaßbar“. Mit „ewig“ hat das nichts zu tun)

Wilhelm: Beim Ausgang des Ewig Weiblichen
玄牝之門 xuán pìn zhī mén
Das Tor (!) des unfaßbaren Weiblichen

Wilhelm: liegt die Wurzel von HImmel und Erde.
是謂天地根 shì wèi tiān dì gēn
das ist der Begriff für die Wurzel von Himmel und Erde."

Gruß
Metapher

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Danke für die Erklärungen. Da muss ich wohl auch mal andere Übersetzungen beiziehen als nur die von Wilhelm. Würdest Du mir bei meiner Interpretation des „ewig Weiblichen“ als das „ewig Gebärende“ recht geben, oder wie lautet Deine Erklärung dafür?

Wie oben bereits aus dem Dao De Jing Kap. 42 zitiert
道生一 …
dào shēng yī …
Dao / hervorbringen / Eins …
三生萬物
sān shēng wàn wù
Drei / hervorbringen / zehntausend Dinge

gehört mit „hervorbringen, erzeugen“ selbstverständlich auch „gebären“ zur Begriffsextension von 生 shēng. Das ist auch im modernen Mandarin noch so.

Und bereits Kap. I, Vers 6 eröffnet ja „Mutter“/„Mütterlichkeit“ (neben „Anfang“) als eine der wesentlichen Metaphern für Dao:

有名萬物之母
yŏu míng wàn wù zhī mŭ.
haben, es gibt / Begriff, Name / zehntausend Dinge / von (Subordinator) / Mutter

Aber mit 母 mú, Mutter, und 牝 pìn, weiblich, ist weit mehr attribuiert als „gebären“. Es ist vielmehr eine Art Allegorie, oder auch Anthropomorphismus, für „dunkel, unergründlich, mystisch“, wie es eben in Kap. 6 duch 玄 xuán (siehe oben) zu erkennen ist. Vor allem aber auch z.B. in Kap. 1 Vers 14

玄之又玄
xuán zhī yòu xuán
Noch Dunkleres/Unergründlicheres des Dunklen/Unergründlichen

Mir ging es oben vielmehr um eine Demonstration für die Willkürlichkeit, mit der Wilhelm deutsche Wörter für seine Übertragung verwendet. 玄 xuán ist eben nicht synonym zu
常 cháng = „ewig, lange dauernd“ (siehe Kap. I Vers 2 und 4)

Gruß
Metapher

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Deine Ausführungen sind sehr interessant, aber ich stelle fest, dass sich meine Interpretation der ersten Kapitel von Buch 1 auch mit den Begriffen Deiner originalgetreuen Übersetzung nicht verändert. Ich habe wohl in der Tat ein Hermeneutikproblem. Zugegeben, eine Synthese einzelner Texte des Liezi ist vermutlich auch nicht sinvoll, da es sich nicht um einen Kanon handelt.