Engel aus dem Lettner von Chartres

Hallo,

dieser Engel wohnt bei mir. Dass er aus dem Lettner der Kathedrale von Chartres kommt, weiß ich inzwischen. Kann jemand was zum Kontext sagen, gehört er zu einer Szene? Was hält er in der Hand, einen Granatapfel?

Himmlische Grüße,
Jule

Hat wenigstens jemand einen Literaturhinweis speziell zu den Fragmenten der ursprünglichen Chorschranke? Zu Chartres ist so unendlich viel zu finden, ich gehe in der Recherche zu meiner Detailfrage in dem vielen anderen unter…

Ich habe vor nicht langer Zeit die Kathedrale von Chartres besichtigt, habe allerdings in der unfassbaren Fülle der Figuren außen und innen deinen Engel leider nicht vor Augen!

Woher hast du den Begriff „Lettner“? Ein Lettner ist meines Wissens und nach Wikipedia eine Abtrennung zwischen Hauptschiff und Chor, oder? Fachleute hier mögen mich berichtigen. So eine Abtrennung hat Chartres jedenfalls nicht. Wohl aber eine Chorschranke, die hufeisenförmig um den Chor läuft und den Chor vom Chorumgang trennt.
Diese Chorschranke aus hellem Stein entstand innerhalb von 200 Jahren und enthält ebenfalls eine gewaltige Fülle von Szenen und Figuren.
Du kannst auf Wikipedia viele Fotos dieser Chorschranke sehen (im Artikel zu der Kathedrale von Chartres) und schauen, ob dein Engel dabei ist.
Das wäre vielleicht ein erster Schritt, um weiterzukommen.
Karl

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Hallo,

Gemini (Ki von Google) meint, dass sich die Wissenschaft einig sei, dass es sich um ein liturgisches Gefäß handelt und einiges auf ein Weihrauchschiffchen hindeutet.

Mit dem Begriff suchend,fand ich zumindest Bestätigungen für diese Aussage.

Gruß
C.

P.S.

​Ein Weihrauchschiffchen ist ein bootsförmiges Gefäß, in dem der Weihrauch aufbewahrt wird, bevor er in das eigentliche Weihrauchfass (Thuribulum) gegeben wird.

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Das kennst du?

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Aber doch nicht aus Stein? Lithurgische Gefäße sind aus Metall, eventuell mit Holzeinlagen. Der Engel sieht, wenn man sich die beschädigte Schulter anguckt, doch wie eine Steinfigur aus.
Vielleicht liege ich ja daneben, aber für mich klingt das nach „KI-Unsinn“.

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Hallo Karl,

Chorschranke ist wohl der richtige Begriff, ich hatte französisch jubé gefunden und dafür zunächst die Übersetzung Lettner. Wobei, auch die Seite von Chartres selbst benutzt im Deutschen „Lettner“: „Der Lettner (eine Abtrennung zwischen Chor und Kirchenschiff) wurde im 18. Jahrhundert zerstört und nicht viel später wurde der Chor völlig umgestaltet.“ Es gibt offenbar Fragmente davon; Du wirst sie nicht gesehen haben, sie sind für die Öffentlichkeit nicht zugänglich (Quelle).
Mein Engel scheint ein Fragment des ursprünglichen Lettners/ Chorschranke zu sein. Gefunden habe ich inzwischen außer dem Engel die vier Evangelisten, die Geburt Jesu und die sich davonschleichenden drei Weisen.
Nun wüsste ich gern mehr über das Bildkonzept, soweit man es noch kennt.

Viele Grüße,
Jule

Danke, das nutzt mir leider nichts (aber toll ist es!), denn wie ich mittlerweile weiß, sind die Fragmente des ursprünglichen Lettners nicht öffentlich in der Kathedrale zu sehen.

Meinst Du bzw. Gemini das, was der Engel hält? Dafür finde ich es eigentlich zu unregelmäßig geformt.

Genau.

Es handelt sich doch nur um die Darstellung in der Hand eines nachgebildeten Engels aus Marmor oder so. Da würde ich jetzt kein anderes Material erwarten.

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Inzwischen wohl doch, hier der Anfang eines Artikels. Ich werde zur chapelle Saint-Piat reisen müssen!

Gefunden: alles rund um die Geburt Jesu von der Verkündigung an Maria bis zur Darbringung im Tempel.

Hallo Jule,

Ich nehme aber an, nicht als reales, materiales Bruchstück des im 18. Jhdt zerstörten Lettners :wink: Es sieht aus nach einer Reproduktion der (nicht ganz unbekannten) Photographie von Auguste Allemand

der 1930 alle damals zugänglichen Bruchstücke des zerstörten Lettners fotographiert haben soll.

Es gibt wohl zahlreiche Literatur, die sich mit den Lettner-Bruchstücken befasst, aber das hast du ja längst gefunden.
Hier noch ein JSTOR artikel

Weiter zu empfehlen:
Anne Prache et al.: Chartres : la cathédrale Notre-Dame, Paris, 2000 (worin vermutlich alle Skulpuren beschrieben werden). Eebenso:
Louis Grodecki: „Chartres“, Paris, 1963.
Er gilt als einer der profiliertesten Kunsthistoriker für die frz. Gotik

Was der Engel in der Hand hält, was am ehesten wie ein Stück Wassermelone aussieht

scheint mir durchaus in die spezielle mittelalterliche Ikonographie zu passen, in der Engel - die Szene am Rande begleitend - der Maria Gaben bringen, und zwar speziell zu Verkündigungs-Szenen oder dem Maria-Himmelkönigin Motiv, wo die gekrönte Maria auf einem Thron sitzt, mit oder ohne Jesus auf dem Schoß: Zu den Gaben solcher Engel gehören Früchte (ein Apfel, ein Granatapfel), einen Brotlaib (als Symbol für die Eucharistie), manchmal auch ein Weihrauchgefäß (aber nicht direkt in der Hand, es hängt natürlich dann zum Schwenken an einer Kette, die der Engel in der Hand hält).

Oder aber: Der Engel bringt eine Schale mit Hostien (also geweihte Oblaten). Und diese Schalen sind oft cartoon-artig verfremdet gezeigt: Sie enthalten die Hostien als kleine nebeneinanderliegende Kreise mit Kreuzen drin.

Und genau soetwas dürfte auch hier vorliegen. zumal ja die Oberfläche der Sandstein-Skulptur auch reichlich korrodiert ist.

Jedenfalls ein schönes Bild.

Gruß
Metapher

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Servus,

die Gliederung innerhalb der angeschnittenen Frucht weist - finde ich - eher auf einen aufgeschnittenen Granatapfel als auf eine Wassermelone. Dass die einzelnen Kammern der Frucht unverhältnismäßig groß sind, kann damit erklärt werden, dass der Bildhauer vielleicht nie einen leibhaftigen Granatapfel gesehen hat, sondern - wie zu seiner Zeit nicht unüblich - nach Vorlagenbüchern gearbeitet hat.

Der Granatapfel findet sich mit vielen Verzweigungen in der Symbolik christlicher Kunst.

Schöne Grüße

MM

Das ist aber keine Wassermelone. Da passt die Form doch nicht. Außerdem stehen Engel für das Himmlische und Früchte grundsätzlich für das Irdische. Die Früchte bei der Mariengabe sind da Ausnahmen und da passt der Granatapfel. Allenfalls noch von der Symbolik her ein Apfel als Sieg über den Sündenfall. Aber auch da wäre die äußere Form eher ungewöhnlich.

Das sieht sowieso am Ehesten aus wie eine Cherimoya oder Stachelannone und ist damit ein Wunder. :smiling_face_with_sunglasses:

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Ich meinte damit auch lediglich die grobe Gesamtform. Die Wassermelone kommt m.E. in der gesamten Ikonographie überhaupt nicht vor, erst recht nicht in der Gabeengel-Ikonographie. An „Patene mit Hostien“ auf dem Foto von Auguste Allemand glaube ich inzwischen auch nicht mehr. Es ist ein einzelnes kompaktes Objekt, das der Engel in der Hand hat. Die Tradition zeigt als Engel-Gabe hier entweder ein ganzes Brot (ein berühmtes Beispiel findet sich im Prado) als liturgisches Symbol, oder eine einzelne Hostie.

Es kommt daher nur der aufgeschnittene Granatapfel in Betracht - und zwar, wie du vermutest, hier von einem Bildhauer, der nie einen solchen leibhaftig gesehen hat, sondern nur das „Malum granatum“ interpretiert hat.

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Ja, aber warum?!

Danke für Literaturnennungen und Wassermelonen-Patenen-Cherimoya-Überlegungen! (Es wird ein peruanischer Engel sein, das erklärt alles.)

Hostien hätten inhaltlich schon gut gepasst, aber dann bleiben wir mal beim Granatapfel, die Symbolik kommt ja auch hin. Und ich sehe den Engel gedanklich bei Verkündigung oder Geburtsszene - was mich freut, weil ich die Geburtsszene hinreißend finde!

Viele Grüße,
Jule

Ich könnte mir sogar vorstellen, dass jemand eine Zeichnung oder andere Darstellung gesehen hat, vielleicht auch auf Stoff oder dergleichen. Also etwas ohne Detailreichtum. Gestickt?

Ich finde dann nicht abwegig die Vorstellung, dass man den Kelch anders interpretiert. In der Darstellung sieht man einen Granatapfel ja üblicherweise nicht.

Servus,

gegen ein Weihrauchschiffchen spricht, dass diese bereits als sie aufkamen (12. Jahrhundert, würde zu Chartres passen) mit einem Fuß versehen waren und damit nicht in der hohlen Hand gehalten wurden, sondern eben bei diesem Fuß. Hier ist ein hübsches Exempel aus der frühen Zeit der Weihrauchschiffchen:

Schöne Grüße

MM

Sag ich doch, Wunder :joy: