Epiphaenomenalismus

Hallo

Einem aufmerksamen Beobachter ist wohl aufgefallen, dass ich immer
mal wieder den freien Willen abstreite und fuer eine
deterministisch-materialistische Theorie unseres Handelns, Denkens
und Fuehlens eintrete. Jetzt lese ich gerade „Wie frei sind wir?“ von
Ted Honderich. Dort bin ich auf das komplizierte Wort im Titel dieser
Frage gestossen. Es bezeichnet die Auffassung, dass all unser
Handeln, Fuehlen und Denken von neuronalen Prozessen allein gesteuert
werde und dass unsere Bewusstseinsinhalte diese Prozesse nur
begleiten, nicht aber beeinflussen.
Der Autor behauptet, dass der Epiphaenomenalismus heute kaum noch
Anhaenger habe und als widerlegt gelte, gibt aber kaum Gruende dafuer
an. Nur einen: Mein bewusster Wunsch (etwas Nichtmaterielles, also
Geistiges), ein Glas Wein zu trinken, ist zumindest Teilursache, dass
ich dies dann auch tue, also handele, denn ohne den Wunsch wuerde ich
diese Handlung nicht vollziehen.
Das ist fuer mich aber ueberhaupt kein Argument, denn es wiederholt
ja nur die Behauptung, dass der Epiphaenomenalismus falsch sei.
Der Epiphaenomenalismus besagt fuer dieses Beispiel, dass der Wunsch
„Wein trinken“ und die Handlung „Wein trinken“ dieselbe Ursache
haben. Die Abwesenheit des Wunsches zeigt, dass auch seine Ursache
fehlt und deshalb bleibt die Handlung aus und nicht etwa deshalb,
weil der Wunsch fehlt.
Ich habe mir die Argumente im Wikipedia-Artikel durchgelesen, die
eigentlich nur besagen, dass diese Auffassung unseren Gefuehlen und
Denkgewohnheiten zuwiderlaufe. Na ja, das trifft auf die moderne
Physik auch zu.

Koennt ihr den Epiphaenomenalismus widerlegen?

Danke fuer Antworten, Tychi

Hallo Tychi,

Der Anspruch aller Varianten materialistischer Theorien
also auch der E. werden durch zwei gewichtige
Ueberlegungen widerlegt:

  1. Nirgends in den Gesetzen der Physik, Bilologie oder
    Chemie gibt es irgendeine Beziehung zum Bewusstsein
    oder zu geistigen Vorgängen. Trotz aller Komplexität
    der elektrischen, chemischen oder biologischen
    Apparatur gibt es keinen Hinweis auf ein nichtmaterielles
    Ding namens Bewustsein. Es wurde also von den
    Materialisten unbegründet als vorhanden angenommen.

  2. Es gibt unbestreitbar eine biologische Evolution
    des Bewusstseins. Alle materialistischen Theorien
    des Geistes stehen aber im Konflikt mit
    dieser Evolution.
    Da ist das Auftauchen des Bewusstseins und dann seine
    allmähliche Entwicklung mit wachsendem Gehirn.
    Gemäss der Evolutionstheorie werden in der natürlichen
    Selektion nur diejenigen Prozesse und Strukturen
    entwickelt, die fürs Ueberleben wichtig sind.
    Sollte das Bewusstsein aber „kausal“ ohnmächtig sein,
    kann seine Entwicklung durch die Ev. nicht begründet
    werden. Entsprechend der biologischen Ev. konnten
    solche geistigen Strukturen und Prozesse aber nur
    entwickelt werden, wenn sie kausal wirksam waren.
    Dies kann nur geschehen, wenn das Gehirn offen
    ist gegenüber geistigen Vorgängen und Einflüssen.
    (s. dualistisch-interaktionistische Theorie)

Gruss
Walden

Hallo Walden

Danke fuer diese beiden Argumente.

Der Anspruch aller Varianten materialistischer Theorien
also auch der E. werden durch zwei gewichtige
Ueberlegungen widerlegt:

Nicht widerlegt, sondern in Frage gestellt.

  1. Nirgends in den Gesetzen der Physik, Bilologie oder
    Chemie gibt es irgendeine Beziehung zum Bewusstsein
    oder zu geistigen Vorgängen. Trotz aller Komplexität
    der elektrischen, chemischen oder biologischen
    Apparatur gibt es keinen Hinweis auf ein nichtmaterielles
    Ding namens Bewustsein. Es wurde also von den
    Materialisten unbegründet als vorhanden angenommen.

Unbegruendet angenommen? Das Bewusstsein ist ein empirischer Fakt.
Da muss man nichts annehmen. Die Frage ist, wie es aus der Materie
hervorgeht. Dass diese Frage nicht schluessig beantwortet werden
kann, heisst nicht, dass es keinen Prozess gaebe, der aus der Materie
ein Bewusstsein hervorbringt. Aus irgendeinem unbekannten Grund gibt
es ein Bewusstsein, also eine Art inneren Bildschirm, der einen Teil
der neuralen Prozesse grafisch darstellt. Wie gesagt: Wir koennen
zwar nicht sagen, wie dieser Bildschirm funktioniert, aber das
bedeutet nicht, es gaebe ihn nicht, oder er koenne nicht existieren.

2.Gemäss der Evolutionstheorie werden in der natürlichen
Selektion nur diejenigen Prozesse und Strukturen
entwickelt, die fürs Ueberleben wichtig sind.
Sollte das Bewusstsein aber „kausal“ ohnmächtig sein,
kann seine Entwicklung durch die Ev. nicht begründet
werden. Entsprechend der biologischen Ev. konnten
solche geistigen Strukturen und Prozesse aber nur
entwickelt werden, wenn sie kausal wirksam waren.
Dies kann nur geschehen, wenn das Gehirn offen
ist gegenüber geistigen Vorgängen und Einflüssen.
(s. dualistisch-interaktionistische Theorie)

Das ist ein schwierigeres Gegenargument. Eine Entkraeftung waere, zu
behaupten, das Evolutionsaxiom „Nur Nuetzliches ueberlebt“, sei
falsch und die Evolutionstheorie unvollstaendig. Man kann vielleicht
sogar die Existenz des Bewusstseins als Argument fuer die
Unvollstaendigkeit der ET anfuehren.
Die zweite Moeglichkeit der Entkraeftung ist, dass die ET in Ordnung
ist, wir aber den Nutzen eines kausal unwirksamen Bewusstseins nicht
erkennen, obwohl er durchaus vorhanden ist.
Du kannst einen Computer auch bedienen, ohne einen Bildschirm zu
haben. Das ist aber sehr schwierig, weil du dir dann genau vorstellen
musst, wo der Mauszeiger oder der Cursor gerade ist und welche Tasten
du gedrueckt hast. Der Bildschirm macht die Wechselwirkung zwischen
Nutzer (=Umwelt) und Computer (=Gehirn) einfacher. Trotzdem ist der
Bildschirm kausal wirkungslos. Vielleicht hat die Evolution das
Bewusstsein (=Bildschirm) immer mitgeschleift, weil so die
Wechselwirkung zwischen Gehirn (+Koerper) und Umwelt effektiver
laeuft.

Gruss, Tychi

Hallo Tychi,

Nicht widerlegt, sondern in Frage gestellt.

ich fürchte doch…:smile:

Unbegruendet angenommen? Das Bewusstsein ist ein empirischer
Fakt.
Da muss man nichts annehmen.

Du argumentierst aber aus einer materiellen Sicht heraus,
weshalb kannst du dir denn dann erlauben ein
nichtmaterielles Phänomen unbegründet anzunehmen?
Du stellst dich selbst in Frage.

Die Frage ist, wie es aus der
Materie hervorgeht. Dass diese Frage nicht schluessig beantwortet
werden kann, heisst nicht, dass es keinen Prozess gaebe, der aus der
Materie ein Bewusstsein hervorbringt.

Dann kannst du aber Materie und Bewusstsein nicht trennen!
Es ist eins, wie kannst du dann behaupten, es hätte keinen
Einfluss? Genau so gut könnte man behaupten, ein aus
einem Körper gewachsenes Krebsgeschwür hätte keinen
Einfluss auf seinen Schöpfer.
Wenn du mir diese drastische Analogie verzeihen magst.

…zwar nicht sagen, wie dieser Bildschirm funktioniert,
aber das bedeutet nicht, es gaebe ihn nicht, oder er
koenne nicht existieren.

Das sagt auch niemand. Du stellst per se den Materialismus
in Frage, da widerspreche ich dir nicht.

Eine Gegenfrage:
Hältst du denn die Annahme, dass gemäss diesem starren
Determinismus auch moralische Verantwortlichkeit
und rationale Argumentation ausgeschaltet werden
für richtig?

Das Geist-Leib-Problem ist aber immer wieder ein interessantes
Feld.

Gruss
Walden

2 Like

Hi Tychi,

Koennt ihr den Epiphaenomenalismus widerlegen?

Danke fuer Antworten, Tychi

leider (oder zum Glück?) kann man ja keine Theorie widerlegen, zumindest nicht wirksam, denn es gibt immer wieder Leute, die daran festhalten oder in ein überholtes (ist ja auch ein subjektiver Begriff) Denken zurückfallen. Aber das ist nicht das Thema.

Ich persönlich denke, dass das gewichtigste Argument gegen die These, dass das Bewusstsein ein Epiphänomen ist, die Tatsache ist, dass es moralisches Handeln gibt.

Moralisches Handeln hat nicht oder zumindest nicht immer eine physische Ursache, denn eine reine physische Ursache kann m.E. nicht wirken, was die Existenz des Systems oder - biologisch gesprochen - das Überleben des Individuums oder seiner Art bedroht. Moralisches Handeln kann aber durchaus zur Vernichtung der eigenen Existenz führen. Moralisches Handeln ist aber nur möglich, wenn Bewusstsein der eigenen Existenz und der anderen Existenz vorhanden ist. Insofern als Bewusstsein ein moralisches Handeln auslöst, hat es eine Wirkung und ist somit eben kein Epiphänomen.

Zugegeben, meine These ist weniger ein gewichtiges Argument als vielmehr ein Denkanstoss.

Grüße,

Oliver

Hallo, Tychi,

ein Hauptargument, das gegen den Epiphanömenalismus ins Feld geführt wird, ist die Frage: Warum haben sich systematische und mit Hirnaktivität einhergehende Bewusstseinsprozesse in der Evolution gebildet, wenn diese Prozesse den Lebewesen, bei denen sie auftreten, nichts nützen?

Viele Grüsse

Albert

Determinismus ausführlich
Hallo Walden

Eine Gegenfrage:
Hältst du denn die Annahme, dass gemäss diesem starren
Determinismus auch moralische Verantwortlichkeit
und rationale Argumentation ausgeschaltet werden
für richtig?

Ja. Ich glaube, dass unser traditioneller Schuldbegriff irreführend ist und von einem falschen Menschenbild ausgeht. Warum der Determinismus rationales Argumentieren unmöglichen machen soll, sehe ich jetzt nicht.

Hier habe ich erst vor kurzem mit Friedhelm über die materialistischen Grundlagen unseres Handelns diskutiert:
http://www.wer-weiss-was.de/cgi-bin/forum/showarchiv…

Zu deinem ersten Einwand:
Du nimmst offenbar an, dass die Aussage „es gibt etwas Geistiges“ oder „es gibt Bewusstsein“ mit dem Materialismus unvereinbar sei.
Das ist aber nach meinem Verständnis nicht der Fall. Die Immaterialität des Geistes ist nicht etwa, dass er etwas Ätherisches wäre, sondern Geist ist Information, oder spezieller: Sinn. Der Mensch erkennt in
bestimmten Sinneswahrnehmungen Muster, d.h. Strukturen, die er einordnen kann.
Materialistisch gesehen ist Goethes Faust nur Papier und Druckertinte. Für Hunde oder andere Lebewesen ist er auch nur das. Für Menschen ist er außerdem noch mit Sinn behaftet. Die, die kein Deutsch können,
wissen, dass der Text für andere Mensche sinnvoll ist, wenn auch nicht für sie selbst. Die, die Deutsch lesen können, erkennen mehr oder weniger Sinn in dem Text, je nachdem, wie gebildet sie auf diesem Gebiet sind, d.h. je nachdem wie viele spezielle Schaltkreise in ihrem Gehirn angelegt wurden.
Sinn ist mit den Sinnen nicht wahrnehmbar, aber er existiert wie jede andere Information auch.
Bewusstsein schließlich ist eine spezielle Form von Sinn, und zwar Mustererkennung in bestimmten neuralen Vorgängen, nämlich vornehmlich jenen, die mit Erinnerungen und Gefühlen zu tun haben.
Kann dieser Sinn, die Information, auf die neuronalen Vorgänge, d.h. auf die Materie zurückwirken?
Das kann man bejahen oder verneinen. Der Epiphänomenalismus verneint dies. Ich weise hier ausdrücklich darauf hin, dass eine Ablehnung des Epiphänomenalismus keineswegs einer Ablehnung des Determinismus gleichkommt. Der Epiphänomenalismus ist keine Voraussetzung für den
Determinismus.
Das ist mein Argument gegen den Epiphänomenalismus:
Wenn ich etwas lese oder ein Bild ansehe oder Musik höre, dann erkenne ich Sinn und erst dieser löst Gefühle und Gedanken aus. Der rein physikalische Reiz kann dies noch nicht. Insofern ist es wohl doch so,
dass Sinn, also Bewusstsein und Wille, Ursachen für Handlungen sein können, nämlich Handlungen, die den Gefühlen und Gedanken folgen, die das Bild oder die Musik verursacht haben.
Fraglich bleibt aber immer noch, ob ich anders handeln würde, wären das Bewusstsein und der Wille nicht vorhanden, sonst aber alle physischen Gegebenheiten gleich.
Ich denke, dass ich den Epiphänomenalismus fallenlassen kann, ohne an meiner deterministischen Theorie irgendetwas zu ändern. Das soeben genannte Argument (Wenn ich etwas lese …, dann erkenne ich Sinn
und erst dieser löst Gefühle und Gedanken aus. Der rein physikalische Reiz kann dies noch nicht) finde ich einigermaßen überzeugend.

Ich kopiere mal meine Formulierung der deterministischen Theorie hier rein. Ich bin jedem dankbar, der sie kommentiert:

DER FREIE WILLE IST EINE ILLUSION.

All unsere Gedanken und Gefühle haben eine physische Grundlage. Der Geist kann ohne die Materie nicht sein, wohl aber die Materie ohne den Geist.
Geeignete elektrische, magnetische, chemische (Psychopharmaka, Drogen) oder mechanische (Stöße, Verletzungen) Veränderungen des Körpers (besonders des Gehirns) oder der Umwelt führen zu einer Veränderung unserer Gedanken, Gefühle, unseres Willen, ja u.U. sogar zu einer Veränderung unserer Persönlichkeit.
Dass unsere Psyche von physischen Gegebenheiten abhängt, ist unbestritten. Fraglich ist, ob sie von der Physis eindeutig determiniert ist, oder ob es psychische Prozesse gibt, die unabhängig von physischen Vorgängen sind. Sollte es eine solche reingeistige Komponente geben, dann stellt sich das bisher ungelöste Problem, wie diese entstehen und wie sie auf den Körper wirken kann (Leib-Seele-Problem). Aber selbst wenn es sie gäbe, so müsste auch für sie gelten, dass sie sich entweder kausal oder zufällig verhält. Beides wäre aber nicht das, was wir unter Freiheit verstehen.
Wenn wir sagen, wir entscheiden uns frei, dann meinen wir damit, dass die Entscheidung weder die notwendige Folge einer oder mehrerer Ursachen, noch dass sie zufällig entstanden ist. Da es aber außer
Kausalität und Zufälligkeit (=Nicht-Kausalität) nichts geben kann, gibt es keine Freiheit.
Daraus ergibt sich folgendes konsistentes Bild:

Alles in der Welt ist entweder zufällig oder bestimmt (die Wirkung von Ursachen). Das gilt auch für die Psyche (Menge aller Gedanken, Gefühle, Erinnerungen, Prägungen und Verhaltensimpulsen). Sofern die
Psyche bestimmt ist, sind die Ursachen das genetische Erbe, Erlebnisse, aktuelle Sinnesreize und der chemisch-physikalische Zustand des Körpers (das Gehirn ist Teil des Körpers). Jede dieser Ursachen kann selbst wieder zufällig oder das Ergebnis von Ursachen sein.
Dass die Handlungen eines Menschen von Bewusstsein begleitet sind, bedeutet nicht, dass sie frei sind, d.h. dass der Mensch durchaus auch hätte anders handeln können. Das Gefühl frei zu wählen ist eine Illusion, denn diese Wahl wäre dann weder bestimmt noch zufällig. Die Gründe, die man selbst für die Ursachen eigener Taten hält, sind oft nicht die wahren Gründe und sind selbst wieder bestimmt oder zufällig.
Die Psyche ist, anders ausgedrückt, das Ergebnis von genetischer Veranlagung und von Wechselwirkungen mit der Umwelt in Gegenwart und Vergangenheit. Die Wechselwirkungen sind materielle (d.h. von
physikalischen Objekten übertragene) Wechselwirkungen des Körpers mit anderen Psychen, die ebenfalls über die zu ihnen gehörenden Körper nach außen wirken, und anderen Reizen (Wetter, andere Körper,
Düfte etc.).
Es ist eine weitere Rückführung möglich: Alles, was in uns relativ stabil ist, ist eine Folge der Vergangenheit. Jeder hat eine kollektive Vergangenheit, nämlich die Evolution des Menschen, eine familiäre, die sich in seinen Genen niederschlägt und eine persönliche, die seine eigenen Erfahrungen beinhaltet. Die kollektive Vergangenheit wirkt auf die familiäre und auf die persönliche und die familiäre auf die persönliche.
So wie unter dem Einfluss geologischer und atmosphärischer Kräfte unendlich viele verschiedene Landschaften möglich sind, bilden sich unter dem Einfluss genetischer und sozialer (Wechselwirkungen
mit anderen Psychen) unendlich viele verschiedene Menschen heraus.

Selbststeuerung ist möglich, hängt aber ebenso wie alles von Ursachen oder Zufall ab.
Kreativität äußert sich in der Entstehung neuer Muster im komplexen System Psyche, so wie auch in anderen komplexen bzw. chaotischen Systemen neue Muster entstehen, z.B. Wetter.
Die Motivation, Dinge zu tun oder zu lassen, kann zufällig entstehen oder von außen (d.h. durch Sinnesreize, also Worte, Bilder, dieser Text, etc.) erzeugt werden.
Motivation kann nur spontan entstehen oder als Folge eines geeigneten Sinnesreizes. Insbesondere lässt sie sich nicht willentlich herbeiführen (Schopenhauer: „Man kann zwar tun was man will, aber nicht wollen, was man will.“)
Aus dieser Annahme folgt, dass es Schuld im traditionellen Sinn nicht gibt, sondern nur insofern, als dass ein Vorfall auf das Wirken eines Menschen zurückgeführt werden kann, dem dann je nach Bewusstsein der
Konsequenzen seiner Tat und je nach Fähigkeit zur Selbststeuerung mehr oder weniger Schuld gebührt.

Wer wir sind,
wählen wir nicht.
Schuld gibt es nicht.
Die Taten der Menschen
und das Fallen des Steins
haben dieselbe Ursache.
Erforsche die Menschen,
aber verurteile sie nicht.

Alle Vorgänge sind zufällig oder die Folge von Ursachen, d.h. spezieller: von Naturgesetzen. So sind auch die Taten der Menschen Naturvorgänge, die zufällig oder gesetzmäßig geschehen. Eine gute Tat ist wie der Sonnenschein, eine schlechte wie der Regen, ein Mord wie ein zerstörerisches Erdbeben. Wenn es auch tragisch ist, so ist die Frage nach der Schuld irrelevant.
Keiner hat sich selbst zu dem gemacht, der er ist. Keiner hat sich selbst erschaffen. Jeder ist das Ergebnis seiner Geschichte. Unmittelbare Ursache für viele Taten, Gedanken oder Gefühle ist der Charakter. Diesen jedoch hat sich keiner gewählt. Auch jene, die ihren Charakter selbst mitformen, indem sie z.B. Tugenden einüben, nahmen die Motivation dafür nicht aus sich selbst, sondern diese kam aus der Umwelt (Ermahnungen, erbauliche Bücher, Umgang mit Menschen).
Gedanken und Gefühle sind entstehende und vergehende Muster, die im komplexen System Psyche erscheinen und für die wir nicht verurteilt werden können, weil sie nur in geringem Maße unserer Kontrolle unterliegen und diese Kontrolle auch nur scheinbar die unsere ist.
Der Gute verdient so wenig Lob für seine Güte wie der Schlechte Tadel für seine Schlechtheit. Beide sind das Ergebnis von Naturvorgängen (zu denen auch die zwischenmenschliche Wechselwirkung zählt) und
Zufällen.
Die Unterschiedlichkeit der Menschen ist völlig natürlich und jemanden für seine psychische Gestalt zu verurteilen, zeugt von Unkenntnis ihrer Notwendigkeit, setzt also voraus, dass ein Mensch sich selbst
bestimmen könne, was nach dem hier Gesagten aber nicht zutrifft.

Eine weitere praktische Konsequenz ergibt sich aus folgender Überlegung:
Bin ich mit meiner heutigen Situation unzufrieden, dann leide ich daran viel mehr, wenn eine scheinbar freie Entscheidung mich in sie geführt hat als wenn Umstände schuld an ihr sind, die ich nicht beeinflussen konnte. Diese Fehlentscheidung bedaure ich mit: „Ach hätte ich damals doch nur anders gewählt“. Mit nicht selbstverschuldeten Schwierigkeiten finde ich mich leichter ab. Halte ich mir nun aber vor Augen, dass meine vermeintlich freie Entscheidung ebenso wenig frei war wie ein unbeeinflussbarer Umstand, dass sie also genau wie dieser aus Zufall und Notwendigkeit folgte, dann wird mein Ärger geringer werden und ich kann die Situation so gelassen akzeptieren, weil meine Entscheidung nur Zwischenglied einer Kausalkette war und nicht erste Ursache.

Gruß, Tychi

Hallo Oliver

Dein Argument kann man umformulieren zu: Der Mensch kann Selbstmord begehen und das ist etwas, was aus materieller und evolutionaerer Sicht sinnlos bzw. verboten (gegen die Grundprinzipien) ist.

Wahrscheinlich ist meine Antwort etwas oberflaechlich, aber als Versuch mag sie genuegen:

  1. Der Materie ist es egal, wie sie sich umwandelt, ob die Atome also so zusammenwirken, dass der Mensch lebt oder so, dass er tot ist. Es gibt auf materieller Ebene keinen Grund gegen den Selbstmord.
    Natuerlich kann man auf materieller Ebene die Entstehung des Lebens nicht begruenden, denn energetisch scheint mir ein Lebewesen unguenstiger zu sein als ein toter Gegenstand. Aber wenn auch unguenstiger, so doch aber nicht unmoeglich.

  2. Suizid muss nicht im Konflikt mit der Evolution stehen. Das Aussortieren depressiver (=lebensverneinender) Individuen kann zum Arterhalt beitragen.

Gruss, Tychi

Hallo Albert

Dies ist tatsaechlich ein starkes Argument, aber Walden hat es auch schon genannt und deshalb wiederhole ich meinen Widerlegungsversuch einfach:

Eine Entkraeftung waere, zu behaupten, das Evolutionsaxiom „Nur Nuetzliches ueberlebt“, sei falsch und die Evolutionstheorie unvollstaendig. Man kann vielleicht sogar die Existenz des Bewusstseins als Argument fuer die Unvollstaendigkeit der ET anfuehren.
Die zweite Moeglichkeit der Entkraeftung ist, dass die ET in Ordnung
ist, wir aber den Nutzen eines kausal unwirksamen Bewusstseins nicht
erkennen, obwohl er durchaus vorhanden ist.
Du kannst einen Computer auch bedienen, ohne einen Bildschirm zu
haben. Das ist aber sehr schwierig, weil du dir dann genau vorstellen
musst, wo der Mauszeiger oder der Cursor gerade ist und welche Tasten
du gedrueckt hast. Der Bildschirm macht die Wechselwirkung zwischen
Nutzer (=Umwelt) und Computer (=Gehirn) einfacher. Trotzdem ist der
Bildschirm kausal wirkungslos. Vielleicht hat die Evolution das
Bewusstsein (=Bildschirm) immer mitgeschleift, weil so die
Wechselwirkung zwischen Gehirn (+Koerper) und Umwelt effektiver
laeuft.

Gruss, Tychi

[Bei dieser Antwort wurde das Vollzitat nachträglich automatisiert entfernt]

Hallo Tychi,

Dein Argument kann man umformulieren zu: Der Mensch kann
Selbstmord begehen und das ist etwas, was aus materieller und
evolutionaerer Sicht sinnlos bzw. verboten (gegen die
Grundprinzipien) ist.

also an Selbstmord habe ich eigentlich weniger gedacht, eher schon an eine Opferhandlung, um etwa das Leben eines anderen zu retten, wobei ich nicht grundsätzlich daran gedacht habe, dass ein moralisches Handeln die eigene Existenz vernichten muss, sondern höchstens kann. Es reicht schon die Einschränkung der Bequemlichkeit der eigenen Existenz.

Wahrscheinlich ist meine Antwort etwas oberflaechlich, aber
als Versuch mag sie genuegen:

  1. Der Materie ist es egal, wie sie sich umwandelt, ob die
    Atome also so zusammenwirken, dass der Mensch lebt oder so,
    dass er tot ist. Es gibt auf materieller Ebene keinen Grund
    gegen den Selbstmord.
    Natuerlich kann man auf materieller Ebene die Entstehung des
    Lebens nicht begruenden, denn energetisch scheint mir ein
    Lebewesen unguenstiger zu sein als ein toter Gegenstand. Aber
    wenn auch unguenstiger, so doch aber nicht unmoeglich.

Was soll das überhaupt heißen: energetisch guenstiger bzw. unguenstiger? Du koenntest hoechstens sagen, da nach dem Energieerhaltungssatz die Energiemenge ohnehin gleich bleibt, ist die Tatsache, ob es Leben gibt oder nicht, gleichgültig. Nur, wer bewertet das denn? Erfüllt das Universum als totes überhaupt einen Zweck? Doch das führt uns vom Thema weg.

  1. Suizid muss nicht im Konflikt mit der Evolution stehen. Das
    Aussortieren depressiver (=lebensverneinender) Individuen kann
    zum Arterhalt beitragen.

Das moralische Handeln als Opfer wäre ja, auch wenn es zur Vernichtung der eigenen Exietnz führt, eben kein Aussortieren depressiver (=lebensverneinender) Individuen, sondern im Gegenteil: ein Lebewesen gibt sein Leben für ein anderes.

Ich habe das Gefühl, du hast mich oder wir haben uns, gründlich missverstanden. Ich wollte zeigen, dass Bewusstsein als einzige Ursache für moralisches Handeln kein Epiphänomen sein kann.

Gruß,
Oliver

Hallo Tychi,

Warum der Determinismus rationales Argumentieren unmöglichen
machen soll, sehe ich jetzt nicht.

Wenn du das ganz ausführlich beantwortet haben willst, dann
lies Lucas, J.R. The freedom of the will.

Eine nette und aktuelle Zusammenfassung kannst du aber auch
hier lesen:

http://www.tu-cottbus.de/techphil/Publikation/zoglau…

Hier habe ich erst vor kurzem mit Friedhelm über die
materialistischen Grundlagen unseres Handelns diskutiert:
http://www.wer-weiss-was.de/cgi-bin/forum/showarchiv…

Werde ich mir durchlesen.

Zu deinem ersten Einwand:
Du nimmst offenbar an, dass die Aussage „es gibt etwas
Geistiges“ oder „es gibt Bewusstsein“ mit dem Materialismus
unvereinbar sei.

Nein, das ist aber einer der Knackpunkte mittels denen
die verschiedenen Varianten mat. Theorien kritisiert
worden sind. Es waren ja gerade die Materialisten,
die behaupteten und großen Aufwand damit trieben,
ihre Theorien in Übereinstimmung mit den bekannten
Naturgesetzen zu bringen. Und das ist eben daran
gescheitert, dass es in den Naturgesetzen keinen Hinweis
auf dieses seltsame Ding Bewusstsein oder Geist
gibt.
Wenn du dir scharfe Kritiken hierzu einverleiben möchtest:
Popper/Eccles. z.B. The human psyche.

Das ist aber nach meinem Verständnis nicht der Fall…

Innenansichten eines Artgenossen, war mein erster Gedanke,
als ich deine Ausführungen las.
Ich schwanke noch, ob ich das Gelesene kommentieren
oder nicht doch besser unkommentiert stehen lasse.
Vor solchen Einschätzungen habe ich viel Respekt,
jeder Kommentar versinkt da irgendwie in
Banalität.
Vielen Dank dafür!

Eine kleine Frage zum besseren Verständnis:
Was genau verstehst du unter „Sinn“?

Sei mir gegrüßt :smile:
Walden

1 Like

Hallo, Tychi,

Eine Entkraeftung waere, zu behaupten, das Evolutionsaxiom
„Nur Nuetzliches ueberlebt“, sei falsch und die
Evolutionstheorie unvollstaendig.
Man kann vielleicht sogar die Existenz des Bewusstseins als Argument fuer die
Unvollstaendigkeit der ET anfuehren.

sorry, es ist kein gutes Argument auf die Kritik, der Epiphänomenalismus stehe nicht im Einklang mit der Evolutionstheorie, zu antworten, die Evolutionstheorie stehe nicht im Einklang mit dem Epiphänomenalismus. Sicherlich ist die Darwinsche Evolutionstheorie noch verbesserungsfähig, aber du müsstest zeigen, wieso sie trotz ihres überwältigenden Erfolges gerade in diesem Punkt zu verbessern ist und warum es keine Schwachstelle der Epiphänomenalismus ist.

Die zweite Moeglichkeit der Entkraeftung ist, dass die ET in
Ordnung ist, wir aber den Nutzen eines kausal unwirksamen Bewusstseins
nicht erkennen, obwohl er durchaus vorhanden ist.

Wenn das Bewusstein keine Wirkungen auf die physikalische Welt hat, wie kann es dann einen Nutzen haben? Dein Vergleich mit einem Computer und einem Bildschirm finde ich ein Argument gegen den Epiphänomenalismus: Wenn der „Nutzer“ (Umwelt: andere Personen beispielsweise) vermittelt über den „Bildschirm“ (Bewusstsein) mit dem „Computer“ (Gehirn) in Verbindung tritt, dann gibt es eine kausale Wirkung des Bildschirms auf den Nutzer und damit auf die physikalische Welt. Das, was man am Bildschirm sieht, das beeinflusst einen in der Interaktion mit dem Computer. Einen solchen Einfluss bestreitet der Epiphänomenalismus aber für Bewusstsein und physikalische Welt.

Trotzdem ist dein Beispiel gut: So ähnlich, wie mit dem Computer und dem Bildschirm, erklären sich manche nämlich die Evolution des Bewusstseins: Man ist sich seiner inneren Zustände bewusst (z.B. Gefühle der Zuneigung zu einer Frau oder Gefühle des Unwohlsseins) und kann diese an die Umwelt (Frau bzw. die Gruppenmitglieder) mitteilen (auf den Bildschirm projizieren). Die Umwelt in Form der Mitmenschen reagiert dann tendenziell so, dass die eigene Fitness steigt. Wenn an dieser Hypothese etwas Wahres ist, dann spricht dies gegen den Epiphänomenalismus, denn das Bewusstsein müsste Lebewesen, die darüber verfügen, keinen zusätzlichen Nutzen bringen.

Viele Grüsse

Albert

2 Like

Gut, Sternchen. OwT.
.

Hallo Oliver

Da faellt mir jetzt erstmal nichts ein.
Danke fuer deinen Beitrag, Tychi

Hallo Walden

http://www.tu-cottbus.de/techphil/Publikation/zoglau…

Danke, werde ich mir ansehen.

Wenn du dir scharfe Kritiken hierzu einverleiben möchtest:
Popper/Eccles. z.B. The human psyche.

Dazu wird mir wohl die Zeit fehlen.

Das ist aber nach meinem Verständnis nicht der Fall…

Innenansichten eines Artgenossen, war mein erster Gedanke,
als ich deine Ausführungen las.
Ich schwanke noch, ob ich das Gelesene kommentieren
oder nicht doch besser unkommentiert stehen lasse.
Vor solchen Einschätzungen habe ich viel Respekt,
jeder Kommentar versinkt da irgendwie in
Banalität.

Nein nein. Willst du denn, dass ich mit meinen Irrtuemern weiterlebe?

Eine kleine Frage zum besseren Verständnis:
Was genau verstehst du unter „Sinn“?

Besser als ich es bereits geschrieben habe, kriege ich es jetzt so
ohne weiteres nicht hin.

Gruss, Tychi

Determinismus und Rationalitaet
Hallo
Ich habe mir den Vortrag von Thomas Zoglauer „Rationalitaet und
Willensfreiheit“, den Walden in einem seiner Beitraege verlinkt hat,
durchgelesen.
Das darin vorgetragene Hauptargument fuehrt er auf Kant zurueck, doch
ist es schon von Epikur formuliert worden:
Der Determinist gibt rationale Gruende fuer seine Ueberzeugung an,
dass der Determinismus richtig sei und damit, also mit der Tatsache,
dass er rational argumentiert, widerlegt er selbst den Determinismus.
Warum? Nun, er wird doch wohl nicht zugeben, dass seine
Ueberlegungen, seine Abwaegungen, sein Verwerfen von Argumenten usw.
die Folge von Ursachen ausserhalb seiner Macht seien.

Sofern es mich als Befuerworter des Determinismus betrifft, kann ich
das Argument leicht entkraeften, indem ich sage: Doch, all meine
Denkprozesse sind determiniert oder zufaellig. Ich kann nicht anders
als so denken, wie ich es tue.

Was ist ein rationaler Grund ueberhaupt? Ein rationaler Grund, oder
allgemeiner Rationalitaet, ist ein Gefuehl. Wenn ich sage, ich habe
keine Angst vor dem Fliegen, weil die Gefahr eines Ungluecks gering
ist, dann bin ich rational (vernuenftig). Jemand, der sich vor dem
Fliegen fuerchtet, nicht aber vor dem Autofahren, ist irrational.
Aber in beiden Faellen geht es um Gefuehle.
Wenn uns ein logisches Argument ueberzeugt, haben wir auch ein
besonderes Gefuehl.

Antonio Damasio („Descartes Irrtum“) hat recht gut dargelegt, dass
rationale Gruende keine Handlungsgrundlage sind. Selbst der
rationalste Mathematiker ist auf Gefuehle angewiesen, wenn er
Entscheidungen trifft, auch wenn er meint, er handele allein der
Vernunft folgend.
Die Wahrheit ist wohl eher, dass wir immer aufgrund von Gefuehlen
entscheiden und dann, wenn die Entscheidung steht (uns aber noch
nicht unbedingt bewusst ist), konstruieren wir vernuenftige Gruende,
um sie zu rechtfertigen. Dies ist auch kulturbedingt, glaube ich.
Orientalische oder gar schamanische Kulturen sind nicht so auf Logik
und rationale Argumente aus.
Vielleicht gibt es keine Rationaliaet, sondern nur Rationalisierungen
im Freudschen Sinne.

So ist es schliesslich auch mit meiner Verteidigung des
Determinismus: Ich habe mir eine Theorie zusammengereimt, bin stolz
auf sie und will sie beschuetzen. Deshalb versuche ich Gegenargumente
zu widerlegen und nicht etwa, weil mich die Wahrheit interessiert.

Dann gab es in dem Vortrag noch folgendes Gedankenexperiment: Jemand
hat von Philosophie keine Ahnung und nimmt eine Pille, die dazu
fuehrt, dass er besser argumentieren kann als jeder andere. Die Pille
hat ihn zu einem grossen Philosophen gemacht. Aber weil nicht er
selbst es ist, der argumentiert, sondern die Pille ihn dazu bringt,
kann man nicht sagen, er sei tatsaechlich ein vernueftig
argumentierender Philosoph.
Der Determinist, der sich fuer einen Philosophen haelt, ist nun aber
wie derjenige, der nur aufgrund der Pille Philosoph zu sein scheint,
denn auch der Determinist muss einraeumen, dass seine Argumente
nicht aus ihm selbst kommen, sondern externe Ursachen haben. Da ein
Determinist wohl nicht einraeumen will, dass er kein Philosoph ist,
muss er dem Determinismus abschwoeren.

Das widerlege ich aehnlich, wie das Argument Epikurs, denn es handelt
sich hier ja um dasselbe Argument:
Der Mensch ist eine Maschine, die in zwei Modi arbeiten kann: Mit
Pille und ohne. Entsprechend sind die Aktionen der Maschine
verschieden: als Philosoph auftreten und nicht als Philosoph
auftreten.
Ersetze ich jetzt die Pille durch „philosophische Bildung“, dann ist
voellig klar, warum manche Menschen philosophisch argumentieren
koennen oder wollen und andere nicht.

An manchen Stellen des Vortrages schien der Autor Rationalitaet
einfach so zu definieren, dass Determinismus unmoeglich ist, z.B.
wenn er sagt „rationale Ueberlegungen sind nur solche, die nicht
deterministisch sind“ (so aehnlich Mitte S. 5) und daraus dann so
schliesst: Es gibt rationale Ueberlegungen, also ist der
Determinismus falsch.

Ich denke, es ist so: Fuer und gegen die Willensfreiheit gib es gute
Gruende. Letztlich ist es Geschmackssache, also wieder eine
emotionale Entscheidung, was man glaubt. So ist es ja bei allen alten
philosophischen Fragen.
Manche dieser alten philosophischen Fragen sind heute keine mehr,
weil die empirischen Wissenschaften eine Antwort gefunden haben. Die
Neurowissenschaften sind drauf und dran dies auch in der Frage nach
der Willensfreiheit zu tun.
Und es sieht ganz so aus, als wuerde der Determinismus gewinnen.

Gruss, Tychi

Hallo, Tychi,

wie ich sehe, bleibst du am Thema dran. Schön! Dieses und ähnliche Themen interessieren mich auch. Deshalb möchte ich deine Argumentation an einigen Stellen aufgreifen und meine Gedanken zu ihnen mitteilen.

Sofern es mich als Befuerworter des Determinismus betrifft,
kann ich das Argument leicht entkraeften, indem ich sage: Doch, all
meine Denkprozesse sind determiniert oder zufaellig. Ich kann nicht
anders als so denken, wie ich es tue.

Das ist gerade die Crux für den Deterministen, wenden die Gegner des Determinismus ein: Falls der Determinismus zutrifft, sind Argumentationen für oder wider den Determinismus nicht aussagekräftig. Der Determinist wird unter dieser Bedingung für den Determinismus argumentieren, sein Kontrahent wird dagegen argumentieren, ohne dass je einer die Wahl hatte und haben wird, aufgrund rationaler Gründe sich für die eine oder die andere Position zu entscheiden. Die Entscheidungsfreiheit für eine der beiden Position aufgrund rationaler Gründe wäre aber notwendig, damit die Diskussion überhaupt Sinn für die Beantwortung der Frage „Ist der Determinismus wahr?“ macht. Wenn man diese Entscheidungsfreiheit annimmt, entscheidet man gegen den Determinismus.

Was ist ein rationaler Grund ueberhaupt? Ein rationaler Grund,
oder allgemeiner Rationalitaet, ist ein Gefuehl.

Ich kann deiner Aussage, rationale Gründe seien Gefühle, nicht zustimmen. Du führst an, dass das Zustimmen zu logischen Argumenten mit Gefühlen zusammenhängt: Ja, die Entscheidung für die Annahme oder die Ablehnung eines rationalen Arguments ist sicherlich auch von Gefühlen beeinflusst. Deshalb bin ich der Meinung, dass die Entscheidung für den Rationalismus letztlich nicht auf rationalen Gründen fundiert werden kann. Die logische Notwendigkeit eines logischen Arguments selbst, besteht aber unabhängig von dem, welches Gefühl ich demgegenüber habe. Ich kann die Gültigkeit des Arguments nicht wahrhaben wollen, weil es mir nicht passt. Ich kann dem Argument zustimmen, weil es meinen Zwecken nützt, ohne das Argument verstanden zu haben. Aber die logische Gültigkeit (der Wahrheitswert) des Arguments hängt davon nicht ab.

Antonio Damasio („Descartes Irrtum“) hat recht gut dargelegt,
dass rationale Gruende keine Handlungsgrundlage sind. Selbst der
rationalste Mathematiker ist auf Gefuehle angewiesen, wenn er
Entscheidungen trifft, auch wenn er meint, er handele allein
der Vernunft folgend.

Damasio ist nicht der erste, der so argumentiert. Schon Popper (z. B. in Die offene Gesellschaft und ihre Feinde) hat zugestanden, dass der Rationalismus eine Variante des Irrationalismus ist und dass die Entscheidung für den Rationalismus mit rationalen Argumenten nicht letztendlich begründet werden kann. Dennoch gibt es gute Gründe, sich für den Rationalismus und gegen die anderen Varianten des Irrationalismus zu entscheiden.

So ist es schliesslich auch mit meiner Verteidigung des
Determinismus: Ich habe mir eine Theorie zusammengereimt, bin
stolz auf sie und will sie beschuetzen. Deshalb versuche ich
Gegenargumente zu widerlegen und nicht etwa, weil mich die Wahrheit
interessiert.

Welchen Sinn haben dann Diskussionen über deine Ansichten z. B. hier im Forum, wenn dich die Wahrheit nicht interessiert? Willst du andere zu deinen eigenen Ansichten bekehren? Oder willst du

Und es sieht ganz so aus, als wuerde der Determinismus gewinnen.

auf der Seite der vermeintlichen Gewinner sein, weil es sich besser anfühlt, ein Gewinner zu sein?

Ich hoffe, du nimmst mir diese direkten Fragen nicht übel, sie drängen sich mir nur geradezu auf, wenn ich einem bekennenden Vertreter des Irrationalismus begegne.

Viele Grüsse

Albert

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Hallo Tychi,

Ich habe mir den Vortrag von Thomas Zoglauer „Rationalitaet
und
Willensfreiheit“, den Walden in einem seiner Beitraege
verlinkt hat,
durchgelesen.

Fein!

Sofern es mich als Befuerworter des Determinismus betrifft,
kann ich das Argument leicht entkraeften, indem ich sage: Doch, all
meine
Denkprozesse sind determiniert oder zufaellig.

Siehst du denn da keinen Widerspruch in sich selbst?
Determiniert oder zufällig?
Wenn du sagst: kausal oder zufällig, dann bekommt das Sinn.
Kann es in einem determinierten Weltbild den Zufall geben?

Ich kann nicht anders als so denken, wie ich es tue.

Aber natürlich kannst du das! Du kannst und wirst dein
Denken verändern! Da spreche ich aus Erfahrung. :smile:
Bloss weil du etwas noch nicht erlebt hast, heisst das doch
nicht, dass es nicht existiert!?
Waren nicht so ähnlich deine eigenen Worte weiter unten?

Wenn uns ein logisches Argument ueberzeugt, haben wir auch ein
besonderes Gefuehl.

Du kannst aber deine Angst überwinden, durch freie Entscheidung.
Oder du kannst in deiner neurotischen Welt gefangen bleiben.

Antonio Damasio („Descartes Irrtum“) hat recht gut dargelegt,
dass rationale Gruende keine Handlungsgrundlage sind. Selbst der
rationalste Mathematiker ist auf Gefuehle angewiesen, wenn er
Entscheidungen trifft, auch wenn er meint, er handele allein
der Vernunft folgend.

Und wenn er das Gefühl hat, 4 + 4 = 9, dann wird er seinem
Gefühl folgen?

Die Wahrheit ist wohl eher, dass wir immer aufgrund von
Gefuehlen entscheiden…

Die Wahrheit? Kannst du denn deine subjektiven Einschätzungen
dem kollektiven „wir“ unterstellen?

und dann, wenn die Entscheidung steht (uns aber
noch nicht unbedingt bewusst ist), konstruieren wir vernuenftige
Gruende, um sie zu rechtfertigen. Dies ist auch kulturbedingt, glaube
ich.

Evaluieren heisst das Neudeutsch :wink: Man prüft die Wirksamkeit
oder Richtigkeit einer These oder Massnahme nach.
Ein praktisches Beispiel:
Wenn ein neues Medikament nicht wirkt oder unvorhersehbare
Nebenwirkungen hat, wird es vom Markt genommen, oder glaubst du
dass sich die Pharmazeuten um Rechtfertigung bemühten?

Orientalische oder gar schamanische Kulturen sind nicht so auf
Logik und rationale Argumente aus.

Tja, dann vergleiche einmal die beiden Kulturen, vielleicht wirst
du einen kleinen Unterschied bemerken? Z.B. bei der
Säuglingssterblichkeit etc.

So ist es schliesslich auch mit meiner Verteidigung des
Determinismus: Ich habe mir eine Theorie zusammengereimt, bin
stolz auf sie und will sie beschuetzen. Deshalb versuche ich
Gegenargumente zu widerlegen und nicht etwa, weil mich die Wahrheit
interessiert.

Das mag gut sein, wenn du das aber selbst erkennst, bist du dann
nicht auf dem besten Wege?

Ich denke, es ist so: Fuer und gegen die Willensfreiheit gib
es gute Gründe?

Ja und wenn nun beides stimmt? Du bist so lange determiniert,
solange du dein Weltbild danach ausrichtest. Wenn du das
erkennst, dich erweiterst, befreist…

Letztlich ist es Geschmackssache, also wieder eine
emotionale Entscheidung, was man glaubt.

Bis es schmerzt oder eben rational bis man erkennt.
Die Geschmackssache wird eine temporäre Erscheinung sein.

Und es sieht ganz so aus, als wuerde der Determinismus
gewinnen.

Es ist ein Zeichen eines deiner Irrtümer, dass du glaubst
hier würde ein Kampf stattfinden.
Das Wahre suchen heisst nicht, dass Wünschenswerte suchen,
hat Camus einmal gesagt.
Und selbst sein Sysyphus wird seinen Stein irgendwann entnervt
in die Ecke schmeissen. Wer nach der Wirklichkeit sucht,
muss seine Prämissen danach ausrichten, also ein möglichst
objektives Weltbild anstreben, da können solche vorprogrammierten
Vorstellungen nur hindernd sein, selbst wenn sie wahr wären.
Denn das subjektive Interpretieren wird mit solchen
Vorwegnahmen von eigentlich noch Unbekanntem
immer falsch liegen.

Gruss
Walden

Hallo Walden

Sofern es mich als Befuerworter des Determinismus betrifft,
kann ich das Argument leicht entkraeften , indem ich sage:
Doch, all meine
Denkprozesse sind determiniert oder zufaellig.

Siehst du denn da keinen Widerspruch in sich selbst?
Determiniert oder zufällig?
Wenn du sagst: kausal oder zufällig, dann bekommt das Sinn.
Kann es in einem determinierten Weltbild den Zufall geben?

Ich meine mit determiniert dasselbe wie mit kausal. Vielleicht sollte
ich die Begriffe unterscheiden. In meinem Weltbild geschehen die Dinge
aus bestimmten Gründen oder sie geschehen nicht aus bestimmten
Gründen. Wenn letzteres zutrifft, dann nenne ich es zufällig.
Außer Zufall und Notwendigkeit gibt es nichts. Die Welt ist also teilweise determiniert (=kausal) und teilweise ist sie es nicht.

Ich kann nicht anders als so denken, wie ich es tue.

Aber natürlich kannst du das! Du kannst und wirst dein
Denken verändern! Da spreche ich aus Erfahrung. :smile:

Natürlich wird sich mein Denken ändern. Aber nur zufällig oder
weil bestimmte Gründe dafür vorliegen.
Selbst wenn ich von heute an meinen Determinismus über Bord werfe, dann
weil mein Charakter, meine physiologischen Gegebenheiten und das Lesen
deiner Antwort (=Sinnesreiz, der Veränderungen im Gehirn bewirkt) dazu
führen.

Wenn uns ein logisches Argument ueberzeugt, haben wir auch ein
besonderes Gefuehl.

Du kannst aber deine Angst überwinden, durch freie Entscheidung.
Oder du kannst in deiner neurotischen Welt gefangen bleiben.

Angst, neurotisch? Wovon sprichst du?
Im Übrigen, falls dir dies nicht bewusst sein sollte: Nicht nur
ich habe keinen freien Willen, sondern du auch nicht.

Antonio Damasio („Descartes Irrtum“) hat recht gut dargelegt,
dass rationale Gruende keine Handlungsgrundlage sind. Selbst der
rationalste Mathematiker ist auf Gefuehle angewiesen, wenn er
Entscheidungen trifft, auch wenn er meint, er handele allein
der Vernunft folgend.

Und wenn er das Gefühl hat, 4 + 4 = 9, dann wird er seinem
Gefühl folgen?

Dieses Gefühl wird sich aufgrund seiner Vergangenheit nicht einstellen.
Geschieht dies trotzdem, z.B. wegen einer Krankheit, dann wird er, wie immer das tun, wobei er das beste Gefühl hat, in diesem Fall also falsch rechnen.

Die Wahrheit ist wohl eher, dass wir immer aufgrund von
Gefuehlen entscheiden…

Die Wahrheit? Kannst du denn deine subjektiven Einschätzungen
dem kollektiven „wir“ unterstellen?

Ich lege meinen Aussagen nicht mehr Wahrheitsgehalt bei als du den deinen. Und ich verallgemeinere im selben Maße wie du.

und dann, wenn die Entscheidung steht (uns aber
noch nicht unbedingt bewusst ist), konstruieren wir vernuenftige
Gruende, um sie zu rechtfertigen. Dies ist auch kulturbedingt, glaube
ich.

Evaluieren heisst das Neudeutsch :wink: Man prüft die Wirksamkeit
oder Richtigkeit einer These oder Massnahme nach.
Ein praktisches Beispiel:
Wenn ein neues Medikament nicht wirkt oder unvorhersehbare
Nebenwirkungen hat, wird es vom Markt genommen, oder glaubst du
dass sich die Pharmazeuten um Rechtfertigung bemühten?

Das Medikament erweist sich als schädlich. Zuständige Leute
treffen daraufhin emotional die Entscheidung, das Medikament
zurückzuziehen. Im Wesentlichen steckt Angst dahinter: vor Klagen,
vor Image-Schaden, vor schlechtem Gewissen.
Ein Computer, der nichts als rational sein kann, hätte vielleicht anders entschieden.

Orientalische oder gar schamanische Kulturen sind nicht so auf
Logik und rationale Argumente aus.

Tja, dann vergleiche einmal die beiden Kulturen, vielleicht wirst
du einen kleinen Unterschied bemerken? Z.B. bei der
Säuglingssterblichkeit etc.

Ich sage nicht, dass Vernunft der Schamanenkultur unterlegen oder eben-
bürtig sei, wenn es darum geht, richtige Entscheidungen zu treffen.
(Richtig=zum Wohl der Menschen.) Ich sage, dass wir ein anderes System
von Emotionen haben, nämlich eines, das positive Emotionen auslöst, wenn wir ein logisches Argument hören. Deshalb handeln wir oft so, wie es logisch ist.

So ist es schliesslich auch mit meiner Verteidigung des
Determinismus: Ich habe mir eine Theorie zusammengereimt, bin
stolz auf sie und will sie beschuetzen. Deshalb versuche ich
Gegenargumente zu widerlegen und nicht etwa, weil mich die Wahrheit
interessiert.

Das mag gut sein, wenn du das aber selbst erkennst, bist du dann
nicht auf dem besten Wege?

Auf dem besten Wege wohin? Es kann durchaus sein, dass sich meine Gedanken ändern. Aber das hat nichts mit Freiheit zu tun.

Ich denke, es ist so: Fuer und gegen die Willensfreiheit gibt
es gute Gründe.

Ja und wenn nun beides stimmt? Du bist so lange determiniert,
solange du dein Weltbild danach ausrichtest. Wenn du das
erkennst, dich erweiterst, befreist…

Ich unterliege wie du der Illusion, frei entscheiden zu können. Der Unterschied zwischen uns ist nur, dass ich glaube, dass dies nur eine Illusion sein kann, während du die Einbildung für die Wahrheit hältst. Glaube ich dem Determinismus, dann bin ich nicht mehr und nicht weniger determiniert als jemand, der ihn für falsch hält.

Letztlich ist es Geschmackssache, also wieder eine
emotionale Entscheidung, was man glaubt.

Bis es schmerzt oder eben rational bis man erkennt.
Die Geschmackssache wird eine temporäre Erscheinung sein.

Möglich.

Und es sieht ganz so aus, als wuerde der Determinismus
gewinnen.

Es ist ein Zeichen eines deiner Irrtümer, dass du glaubst
hier würde ein Kampf stattfinden.
Das Wahre suchen heisst nicht, dass Wünschenswerte suchen,
hat Camus einmal gesagt.
Und selbst sein Sysyphus wird seinen Stein irgendwann entnervt
in die Ecke schmeissen. Wer nach der Wirklichkeit sucht,
muss seine Prämissen danach ausrichten, also ein möglichst
objektives Weltbild anstreben, da können solche vorprogrammierten
Vorstellungen nur hindernd sein, selbst wenn sie wahr wären.
Denn das subjektive Interpretieren wird mit solchen
Vorwegnahmen von eigentlich noch Unbekanntem
immer falsch liegen.

Ich bemühe mich um Objektivität. Gerade deshalb lasse ich mich nicht
vom Schein der Willensfreiheit täuschen. Vorprogammiert ist vielmehr
die Auffassung, es gebe einen freien Willen.

Ich verteidige hier keine Überzeugungen. Ich versuche nur, deine Argumente und Aussagen zu widerlegen. Selbst wenn ich auf alles eine Erwiderung finde, bedeutet das nicht, dass deine Aussagen unwahr seien und schon gar nicht, dass der Determinismus wahr sei.

Gruß, Tychi

Hallo Albert

Ich hoffe, du nimmst mir diese direkten Fragen nicht übel, sie
drängen sich mir nur geradezu auf, wenn ich :einem bekennenden
Vertreter des Irrationalismus begegne.

Nein, übel nehme ich dir nichts. Ich bin dir sogar dankbar.
Ich sehe mich nicht als Irrationalist. Im Gegenteil. Der Rationalist ist jemand, der sich nicht auf seine Sinneswahrnehmungen verlässt, sondern auf Logik und vernüftige Argumente. Letztere führen mich zum Determinismus. Meine Wahrnehmung hingegen sagt mir „Meine Entscheidungen sind frei.“ Also kann ich nur als Rationalist den Determinismus vertreten.

So ist es schliesslich auch mit meiner Verteidigung des
Determinismus: Ich habe mir eine Theorie zusammengereimt, bin
stolz auf sie und will sie beschuetzen. Deshalb versuche ich
Gegenargumente zu widerlegen und nicht etwa, weil mich die Wahrheit
interessiert.

Welchen Sinn haben dann Diskussionen über deine Ansichten z. B. hier
im Forum, wenn dich die Wahrheit :nicht interessiert? Willst du
andere zu deinen eigenen Ansichten bekehren? Oder willst du
auf der Seite der vermeintlichen Gewinner sein, weil es sich besser
anfühlt, ein Gewinner zu sein?

Ich sehe mich wie du als wahrheitsliebend und objektiv. Gleichzeitig glaube ich aber, dass die wahren Motive nicht so nobel sind. Wir handeln aus Eitelkeit, Eigennutz, Machtlust u.s.w.
Diese Motive sind uns jedoch nicht bewusst, sondern wir bilden uns ein, Wahrheitsliebe oder Edelmut trieben uns an.
Generell gilt für fast alle meine Beiträge, sofern sie keine Informationen geben, dass sie Essays sind. Meistens entwickele ich meine Aussagen erst beim Schreiben. Ich weiss nichts, sondern habe bald
diesen bald jenen Gedanken und kenne viele Theorien. Die Wahrheit zu kennen, beanspruche ich nicht.
Deshalb kann ich auch gar nicht bekehren.

Sofern es mich als Befuerworter des Determinismus betrifft,
kann ich das Argument leicht entkraeften, indem ich sage: Doch, all
meine Denkprozesse sind determiniert oder zufaellig. Ich kann nicht
anders als so denken, wie ich es tue.

Das ist gerade die Crux für den Deterministen, wenden die Gegner des
Determinismus ein: Falls der Determinismus zutrifft, sind
Argumentationen für oder wider den Determinismus nicht
aussagekräftig. Der Determinist wird unter dieser Bedingung für den
Determinismus argumentieren, sein Kontrahent
wird dagegen argumentieren, ohne dass je einer die Wahl hatte und
haben wird, aufgrund rationaler Gründe sich für die eine oder die
andere Position zu entscheiden. Die Entscheidungsfreiheit für eine
der beiden Position aufgrund rationaler Gründe wäre aber notwendig,
damit die Diskussion überhaupt Sinn für die Beantwortung der
Frage „Ist der Determinismus wahr?“ macht. Wenn man
diese Entscheidungsfreiheit annimmt, entscheidet man gegen den
Determinismus.

Die Diskussion ist sinnvoll, weil die Argumente den Gehirnzustand der Diskussionsteilnehmer verändern.
Er kann sich dahingehend verändern, dass jemand sich für oder gegen den Determinismus entscheidet.
Keiner kann sich aufgrund rationaler Argumente entscheiden, aber trotzdem können diese Argumente Entscheidungen bewirken.

Was ist ein rationaler Grund ueberhaupt? Ein rationaler Grund,
oder allgemeiner Rationalitaet, ist ein Gefuehl.

Ich kann deiner Aussage, rationale Gründe seien Gefühle, nicht
zustimmen. Du führst an, dass das Zustimmen zu logischen Argumenten
mit Gefühlen zusammenhängt
Ja, die Entscheidung für die Annahme oder die Ablehnung eines
rationalen Arguments ist sicherlich auch von Gefühlen beeinflusst.
Deshalb bin ich der Meinung, dass die Entscheidung für den
Rationalismus letztlich nicht auf rationalen
Gründen fundiert werden kann. Die logische Notwendigkeit eines
logischen Arguments selbst, besteht :aber unabhängig von dem, welches
Gefühl ich demgegenüber habe. Ich kann die Gültigkeit des Arguments
nicht wahrhaben wollen, weil es mir nicht passt. Ich kann
dem Argument zustimmen, weil es meinen Zwecken nützt, ohne das
Argument verstanden zu haben. Aber die logische Gültigkeit (der
Wahrheitswert) des Arguments hängt davon nicht ab.

Das ist alles richtig. Ich räume ein, dass es rationale Gründe im eigentlichen Sinn gibt. Ich bleibe aber dabei, und dem stimmst du ja zu, dass unsere Entscheidungen nicht rational sein müssen. D.h. ob ein
Argument rational oder irrational ist, hat je nach unserem Charakter und unserer Vergangenheit und aktuellen physiologischen Gegebenheiten verschieden großen Einfluss auf unsere Entscheidungen.

Antonio Damasio („Descartes Irrtum“) hat recht gut dargelegt,
dass rationale Gruende keine Handlungsgrundlage sind. Selbst der
rationalste Mathematiker ist auf Gefuehle angewiesen, wenn er
Entscheidungen trifft, auch wenn er meint, er handele allein
der Vernunft folgend.

Damasio ist nicht der erste, der so argumentiert. Schon Popper (z. B.
in Die offene Gesellschaft und ihre Feinde) hat zugestanden, dass der
Rationalismus eine Variante des Irrationalismus ist und dass die
Entscheidung für den Rationalismus mit rationalen Argumenten nicht
letztendlich begründet werden kann. Dennoch gibt es gute Gründe, sich
für den Rationalismus und gegen die anderen Varianten
des Irrationalismus zu entscheiden.

Der Unterschied zwischen Damasio und Popper ist aber, dass Popper von logischer Seite argumentierte und Damasio von empirischer. Er untersuchte Leute, bei denen bestimmte „Gefühlszentren“ im Gehirn beschädigt waren, woraufhin sie zu keinen vernüftigen (!) Entscheidungen mehr fähig waren.

Gruß, Tychi