Erinnerungskultur in der DDR

„Der kommunistische Widerstand nimmt in der staatlich gelenkten Erinnerungskultur breiteren Raum ein als der Holocaust.“

Auf diesen Satz bin ich heute in einem Artikel der ZEIT gestossen. der blieb hängen.
Er bezieht sich auf die DDR.

Nun möchte ich gerne erfahren, was da dran ist.
Er würde mir eine weitere mögliche Erklärung sein, warum im Osten die Unsäglichen so breit sich aufstellen konnten. Nicht die einzige Erklärung, natürlich, aber auch eine interessante.
Ich erinnere, dass die intensive Beschäftigung mit der Shoah mit Sicherheit Spuren in meiner Seele hinterlassen haben, eine zutiefste Abscheu vor dem Faschismus besonders dem dieser Art, wie er gerade wieder aktuell wird. Und den enorm großen Willen, das nie wieder haben zu wollen, alles weniger schlimm, als das.
In der Schule kam da nicht so viel, das mag an einem Schulwechsel gelegen habe , dass ich das dort verpasst habe. Trotzdem ist das Thema seit ich denken kann ein zentrales , das mir überall begegnet ist, ich musste mich nicht groß anstrengen, um mich damit beschäftigen zu wollen.

Wie war das in der DDR?

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Das wird mit Sicherheit eine interessante und kontroverse Diskussion.

Was heißt „breiteren Raum“? 51% zu 49% oder 90 zu 10?

Ich weiß nicht, was die unter „kommunistischem Widerstand“ verstehen.

Vermutlich, weil die, die in der DDR sozialisiert worden für einige gesellschaftliche Begriffe andere Definitionen haben, als die, die in der alten BRD sozialisiert wurden.

Falls damit der antifaschistische Widerstand gemeint ist, ja, der nahm einen breiten Raum ein. Aber ich kann nicht behaupten, dass er breiter war als der des Holocaust. Ja, es wurden einige Namen wie der Ernst Thälmanns, heroisch überhöht - vermutlich braucht sowas eine Staatsführung, als Legitimation und um die Moral zu lenken. Aber die ermordeten Sozialisten, Kommunisten, Antifaschisten waren eben auch Opfer der nationalsozialistischen Vernichtungsmaschinerie geworden wie Juden, die Personengruppen, die man als Zigeuner bezeichnete, Homosexuelle, Kranke, geistig und/oder körperlich eingeschränkte… Sie war im Verständnis der DDR wohl die zahlenmäßig größte Gruppe, aber nicht die einzige.

Der wichtigste Unterschied zu heute ist, dass das sozialistische Regime jegliche Religion, auch die jüdische, mit Verachtung gestraft hat. Es gab auch damals Schändungen jüdischer Friedhöfe. Es gab auch damals antisemitische Übergriffe. Aber sie fanden Erwähnung erst „auf Seite drei, unten rechts am Rand“. Mir wurde in der DDR das Verständnis vermittelt, dass der Holocaust an Schrecklichkeit, Monstrosität, Menschenverachtung (mir fallen keine besseren Worte ein) mit seiner deutschen Gründlichkeit und Effizienz singulär und unvergleichlich war. Aber ab 1945 waren die Juden nur eine unter vielen Glaubensgemeinschaften.

Ich kenne niemanden persönlich, bei dem ich solche Gefühle bemerkt hätte.

Exakt das sind auch meine Gefühle.

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Dein ganzer Post hätte von mir sein können.
Ich könnte es nicht besser ausdrücken, volle Zustimmung.

Der Osten hatte seinen Thälmann, der Westen den Stauffenberg.
Letzterer wird m.M.n. zu sehr überhöht. Im Gegensatz zu ihm und seinen Mitverschwörern waren die kommunistischen Widerstandskämpfer weit in der Mehrheit. Was wohl auch in der Geschichte vor der Machtergreifung seinen Grund hatte.

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Der eine war Arbeiter, der andere gehörte zur Elite.

Die Wahl der Helden sagt vermutlich viel über das Selbstverständnis einer Gesellschaft aus, bzw. über die jeweiligen Lenker, die die politische und mediale Macht haben, die Heldenposten zu besetzen.

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Nur mal so: wir haben in der Schule den Nationalsozialismus spätestens der 7. Klasse mehrmals jährlich thematisiert: zum 9. November, zum 27. und/oder 30. Januar und/oder zum 1. September und irgendwann am Ende der Mittelstufe, als wir durch die Geschichte bis zur Weimarer Republik und zum 3. Reich „gereist“ waren.

Auch über den Attentatsversuch wurde natürlich gesprochen, aber als Held wurde uns Stauffenberg mit seinen Mitverschwörern nie verkauft und gesamtgesellschaftlich für die Bundesrepublik war er das sicherlich auch nicht. Wenn überhaupt, würde ich das so bezeichnen, dass er zusammen mit der Weißen Rose als Lichtblick in all dem Elend und dem Mitläufertum wahrgenommen bzw. so vermittelt wurde.

Ich würde sogar so weit gehen, dass in Westdeutschland niemanden gab, der dort als Held aufgebaut oder gar verehrt wurde. Oder anders: zum Persönlichkeitskult neigte man im Westen ganz und gar nicht (bis heute übrigens).

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Das erlebe ich anders. Vielleicht, weil ich aufgrund meiner Vergangenheit diesbezüglich sensibler bin.

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Ich verstehe nicht ganz. Wie kannst Du erleben, was in den 80ern in den westdeutschen Schulen unterrichtet wurde?

Das, was dort zu sehen ist - was auch immer das ist - spiegelt die gesellschaftliche Wahrnehmung eines im Nachhinein nahezu bedeutungslosen Ereignisses oder der Person Stauffenbergs doch nicht wieder. Genauso könnte man behaupten, Disneyland stünde für die gesellschaftliche Bedeutung von Micky Maus in den USA.

Hervorhebung von mir.

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Ich verstehe es trotzdem nicht. Wenn in einem Ministerium eine Ausstellung einen Eindruck vermittelt/vermitteln will, entspricht das doch nicht dem, wie eine ganze Gesellschaft einen Sachverhalt oder ein Ereignis oder eine Person beurteilt. Wenn es in den 80ern Personen aus Deutschland gab, die einen gewissen Kultstatus hatten, waren das Boris Becker, Michael Groß, Jürgen Hingsen und Horst Schimanski (und ich erwähne extra die Figur und nicht den Schauspieler).

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Ich denke, darunter wird der kommunistische Widerstand während der NS- Zeit angeschaut. (Was Du auch vermutest.) Der auch Opfer gekostet hat. Habe noch das gefunden:

" Gibt es in Ost- und Westeuropa verschiedene Erinnerungen an den Widerstand?
In Westeuropa wird der Widerstand sehr inklusiv erinnert, etwa im Fall der französischen Résistance oder italienischen Resistenza, wo es neben kommunistischen auch jüdische Gruppen in der nationalen Widerstandsbewegung gab. Hier werden gewissermaßen jüdische Gruppen unter die nationalen Widerstands­bewegungen subsumiert – ganz anders als im Osten, wo es eine klare Trennung etwa zwischen polnischem und jüdischem Widerstand gibt. DDR und Bundesrepublik erinnerten auch unterschiedlich: In Ersterer dominierte – kaum überraschend – der kommunistische Widerstand; im Westen war gerade der tabuisiert und der Fokus lag stark auf Stauffenberg und seinen Mitverschwörern. Mit Jüdinnen und Juden taten sich beide deutsche Staaten aus diesen verschiedenen Gründen schwer – sie wurden weniger als Juden im Widerstand, sondern eher als KPD- oder SPD-Mitglieder erinnert, die sich dem Regime widersetzten."

Das finde ich sehr interessant.
Danke für Deine Eindrücke und Erfahrungen und auch danke an @Bernd54, der um die Relevanz des kommunistischen Widerstandes ergänzt, das war mir jetzt gar nicht so klar wie ich hätte denken wollen.

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Wohl aber zur hie und da überzogenen Betonung der Bedeutung Einzelner (und nicht von deren gesellschaftlichem Kontext, der in der DDR vielleicht im Gegenzug ein wenig überbetont worden ist).

Im Zusammenhang „Widerstand im 3. Reich“ ist das wohl eindrücklichste Exempel die Legende, die Geschwister Scholl seien „Einzeltäter“ gewesen.

Bei Paulus Buscher („Das Stigma“), wie Hans Scholl in der bündischen Jungenschaft dj 1 11, kann man viele Einzelheiten über die Bündischen lesen. Wegen der Nähe zur KPD wurde dj 1 11 in der Ära Adenauer „totgeschwiegen“, mithin die Geschwister Scholl zu Einzeltätern gemacht, da man über ihren Bund auf gut rheinisch-katholisch „nit so jään“ redete.

Schöne Grüße

MM

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… ganz zu schweigen von einem Solitär wie Georg Elser, der sich trotz zeitweiliger Nähe zur KPD durch seine geistige Unabhängigkeit den stereotypen Schubladenkategorisierungen verweigerte und deswegen gleich in beiden deutschen Staaten ignoriert, z.T. diffamiert, aber zuerst mal „vergessen“ wurde.
Für die DDR war er kein ganz richtiger Kommunist und verübte sein Attentat leider in der Zeit des Hitler/Stalin-Paktes.
Für die BRD-Gesellschaft war er eine ständige Bedrohung der Nachkriegs-Selbstgerechtigkeit, weil ein einfacher Schreiner mehr Mut, Hellsichtigkeit und Konsequenz bewiesen hatte als der größte Teil der angeblichen „Eliten“, die nach dem Krieg ihre Karrieren bruchlos fortsetzen konnten.

&tschüß
Wolfgang

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  • ja, Georg Elser ist in diesem Zusammenhang weder vor diesen noch vor jenen Karren zu spannen. Ich halte aber auch ihn für ein zwar ganz inidividuell und unabhängig denkendes und handelndes, aber dennoch ein „Kind der Weimarer Republik“ und - nicht persönlich, aber im Geiste - auch des ersten Weltkriegs: Dass jeder Einzelne einen Wert hat und einen Standpunkt ganz unabhängig von seiner sozialen Stellung haben und vertreten kann, war eine persönliche Erfahrung zuerst aus den Schützengräben, in denen die Herren Offiziere ohne die Mannschaftsdienstgrade völlig verloren gewesen wären und sich unter Mannschaftsdienstgraden Männer verschiedenster Herkunft als Kameraden grau in grau, alle gleich, begegneten, und dann aus der endlich doch gegründeten Republik, dem freiesten deutschen Staat, den es überhaupt je gegeben hat, die während ihres ganzen Bestehens geprägt war durch die Suche „ja, wohin denn nun?“, bei der jeder Einzelne angesprochen war.

Beiläufig: Nicht organisierte, der KP nahestehende und sicherlich auch durch die Agitation von KP, USPD und anderen linken Organisationen zu politischem Bewusstsein gelangte Arbeiter gab es in sichtbarer Zahl - anekdotisch hierzu aus „meinem“ Mannheim, dass Hitler zum Leidwesen Albert Speers nie dort war, weil es dort zu viele nicht gewerkschaftlich oder in KPD, SPD oder linken Splitterparteien organisierte, aber klar links und anti-nationalsozialistisch orientierte Arbeiter gab, die man bei Sicherheitsdienst und GeStaPo nicht konkret verorten konnte, weil sie in keiner beschlagnahmten Mitgliederkartei auftauchten, so dass Hitlers Schlapphüte ihm davon abrieten, sich an diesen Ort zu begeben, wo sie für seine Sicherheit nicht garantieren konnten…

Schöne Grüße

MM

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DDR-Spielfilme mit Shoah-Bezug waren auch eher selten. Mir fällt da nur „Jakob, der Lügner“ ein.
Israel war auch nicht so angesehen. Da lieferte man lieber den Palöstinensern Waffen.
Wenn es dem Regime passte, wurden auch Nazi-Verbrechen unter den Teppich gekehrt, auch wenn es nicht so viele fragwürdige Karrieren wie in. der Bundesrepublik waren.

Ja, genau so ist es.

Überdies hat die ständige Rotlichtbestrahlung einen angekotzt.

In der DDR nahm die Shoah tatsächlich keinen so großen Raum ein. Ernst Thälmann kannten wir alle, die Judenverfolgung nahm einen kleineren Raum ein. Allerdings wurde sie trotzdem thematisiert. Es gab auch in der DDR eine Reihe von Kinderbüchern, die sich mit dem Holocaust beschäftigten. „Wo ist Ruth“ war damals ein sehr eingängiges Buch, aber es gab darüber hinaus noch viele andere.

Das sich die AfD im Osten so breit aufstellen kann, hat viel mehr mit der Wende als mit der DDR zu tun.

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Ja, stimmt. Ich hatte (und habe) ein Buch, dessen Titel mir nicht einfällt, worin sich ein Junge in ein Mädchen namens Miriam Wasserstein verguckt und in seiner Vorstellung mit ihr „zusammen“ ist; sie in Wirklichkeit aber mitsamt ihrer Familie eines Tages abgeholt wird. Den Kindern macht man weis, dass die Juden forthin in Madagaskar wohnen werden.

Andererseits waren in der so genannten „DDR“ inoffizielle Kontakte zu Ausländern unerwünscht und wurden möglichst unterbunden. Und ich bin überzeugt, dass man Gerüchte über Vietnamesen, Mosambik- und Angolanern gezielt streute, um Misstrauen zu säen und die Leute aus den Bruderländern sollten sich auch besser mal nicht so heimisch fühlen, sondern still halten und arbeiten.

Bist du doof?

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Was du meinst, war de facto eine Kolonie der UdSSR.
Die DDR war weder demokratisch, noch war sie eine Republik. Allenfalls lebten in ihr mehrheitlich Deutsche mit Deutsch als Amtssprache.

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