Hallo Martinus,
Das Verhältnis von Kirche und Staat ist in Deutschland schon
ein sehr besonderes. Kirche und Staat profitieren
davon, dass die Kirche als sozialer Dienstleister auftritt.
Diesen Umstand sollte man auch in den nächsten Absätzen nicht
aus dem Blick verlieren.
Ein Sozialarbeiter
(gilt natürlich auch für andere Berufsgruppen) im kirchlichen
Dienst bekommt nämlich in der gleichen Gehaltsgruppe weniger
als der Sozialarbeiter, der kommunal bezahlt wird.
An dieser Stelle würde ich mir nun Belege wünschen, denn
meines Wissens trifft das so nicht zu - erst recht nicht in
der Generalisierung.
Ich schlage Dir vor, daß Du Dir eine Gehaltsabrechnung von einem Dir bekannten kirchlichen Sozialarbeiter geben läßt und das dann mit dem „öffentlichen Tarif“ vergleichst. Die Tabellen sind in vielen öffentlichen Bibliotheken oder bei der Gewerkschaft verdi einsehbar.
Die Kirche veröffentlicht ihre Tabellen nicht, aber wenn ein Mitarbeiter es merkt und nachfragt, bekommt er die Antwort seine Bezahlung nach Tarif sei angeglichen an den öffentlichen Tarif (damals BAT heute TvöD). Und da Gehälter im kirchlichen und im öffentlichen Dienst nicht individuell verhandelt werden, sondern nach einem vorgegebenen Gefüge, ist das zu generalisieren.
Ich bitte um Verständnis, dass ich hier keine individuellen Materialien posten kann, denn mein Wissen resultiert aus Supervisions- und Organisationsberatungsprozessen. Und die unterliegen der Vertraulichkeit.
Kirchliche Sozialarbeit, egal ob von Diakonie oder Caritas
wird nämlich zum großen Teil aus öffentlichen Mitteln bezahlt.
Auch das hatten wir schon - für die laufenden Kosten trifft
das zu (und es bleibt auch bei den kleinen Beiträgen die
Frage, warum die Kirchen aus ihren Mitteln etwas bezahlen
sollen, wofür Krankenkassen und Staat Beiträge erhalten
haben). Übergangen wird dabei die Vorleistung, die häfig von
den Trägern alleine erbracht wurden.
Wenn die Kirche beispielsweise ein Jugendzentrum betreibt, dann reicht sie ihre Anträge vorher bei den öffentlichen Geldgebern ein. Es werden dann mit den Geldgebern Verträge abgeschlossen und Bestandteil des Vertrages ist auch, in welcher Stückelung und zu welchen Zeiten die Fördermittel ausbezahlt werden. Ob und inwieweit da eine Vorleistung erbracht wird, ist also auch Verhandlungssache.
Beispiel: Kirchengemeinde St. XY „vermietet“ Räume an
den Diakonieverein Z. Real geht kein Euro über den Tisch, aber
der Diakonieverein weist das als „Eigenmittel“ aus, wenn er
Anträge bei öffentlichen Geldgebern stellt.
Und wer bezahlt dann Strom, Heizung, Instandsetzung dieser
Räume? Die Kirchengemeinde, die dafür in diesem Beispiel kein
Geld sieht.
Das stimmt nicht. Auch für Unterhaltskosten, Renovierung und alles was gemacht werden muss, dass die Räumlichkeiten den Nutzungszweck zugeführt werden und erfüllen können, können Fördermittel beantragt werden.
Da die Diakonie im Gegensatz zu einem
privatwirtschaftlichen Träger, der ähnliche Zuschüsse
beantragen kann, keine Gewinne erwirtschaftet, die in privaten
Taschen landen, ist die Frage, wo die Allgemeinheit besser
fährt.
Du vergleichst Äpfel mit Kohlköpfen. Diakonie / Cariatas „konkurrieren“ nicht mit der Privatwirtschaft, sondern mit den anderen in der LIGA zusammengeschlossenen Wohlfahrtsverbänden, also AWO, Rotes Kreuz, Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband und ZWST. Auch die dürfen keine „Gewinne einfahren“.
Abgesehen davon, ist gerade am Beispiel der Diakonie sehr deutlich, daß man bestimmte Formen sozialer Arbeit „auslagert“ (outsourcing) in andere Betriebsformen überführt und dann sehr wohl Gewinne machen kann.
Da, wo diese Strukturen aufgeweicht werden, wird deutlich, daß die kirchliche Trägerschaft nicht deshalb preisgünstiger ist, weil es die Kirche macht (z.B. Altenpflegeheime).
Dann wäre noch darüber zu reden, daß theologische Fakultäten,
Mit welchem Recht sollte der Staat dann andere
Weltanschauungen (wie sie an philosophischen FAkultäten
gelehrt werden) unterrichten? Müßte er sich nicht aus allem
heraushalten?
Eine andere Baustelle! Für mich ist nur die Frage der Gleichbehandlung relevant, das andere muss eine Gesellschaft grundsätzlich entscheiden. Wenn katholische Priester und evangelische Pfarrer an von der Allgemeinheit finanzierten Institutionen ausgebildet werden, dann auch das Personal anderer Religionsgemeinschaften. Erste Schritte in diese Richtung gibt es ja bereits.
Militärseelsorge u.a. über öffentliche Gelder finanziert
werden
…und die dafür den Staat bei der Betreuung der Soldaten, die
durch mehr Psychologen erfolgen müßte, entlastet. Sicher kann
ein Pfarrer keinen Psychiater ersetzen, wenn dessen Kenntnisse
gebraucht werden - im Gegenzug hilft aber der Psychiater auch
wenig, wenn das Problem mit einem Seelsorgegespräch gelöst
werden kann.
Wissen wir nicht - ist eher spekulativ.
- und auch schulischer Religionsunterricht zu großen
Teilen wenn nicht gar ganz.
Wie gesagt, so zu tun, als sei alles eins (was in LER
geschieht), ist eine weltanschauliche Entscheidung. Sie ist
nicht dezidiert christilch, nicht dezidiert antichristlich,
aber sie ist auch nicht neutral, da sie eindeutig die Position
„alle sind gleich“ bezieht. Der Staat kommt aus diesem Dilemma
kaum heraus - auch nicht, wenn er allen konfessionellen
Unterricht abschaffen würde.
Durch das Konzept des Laizismus in Frankreich sieht man sehr wohl, dass es auch anders geht. Im französischen Ganztagsschulsystem ist ein Nachmittag - früher war es der Mittwoch - frei. Da kann dann jeder zu seiner religiösen Unterweisung in die Kirche, Synagoge, Moschee oder was auch immer gehen.
Aber das würde einen Systemwechsel voraussetzen.
Für einen Pfarrer oder eine Religionspädagogin, die an öffentlichen Schulen Religionsunterricht erteilen, bekommt die Kirche Gelder von der öffentlichen Hand.
Ein ökumenisches Frauenzentrum in Berlin, das es seit nach der
Wende gibt, beklagt seit genau dieser Zeit, daß sich die
Kirche bei diesem Projekt, das mehrere hauptamtlich
angestellte Mitarbeiterinnen hat, nicht bei der Finanzierung
beteiligt, d.h. die christlich-religiösen Angebote, die da
laufen, werden staatlich finanziert.
Überhaupt keine Spenden? Es ist ein wenig einseitig, nur die
Gelder als „kirchlich“ anzuerkennen, die unmittelbar aus
kirchlichen Haushalten stammen.
Über eine Vereinsstruktur gibt es Mitgliedsbeiträge und Spenden.
Nur weiß ich nicht, was Du damit sagen willst, daß nur das, was aus kirchlichen Haushalten kommt kirchliche Gelder seien.
Was wäre denn das Äquivalent bei AWO- oder Rotkreuzeinrichtungen.
Die Gelder, die von der öffentlichen Hand kommen, sind „öffentlich“, die von der Kirche kommen „kirchlich“ und ansonsten Stiftungen, Spenden, Vereinsbeiträge, sogenannte „Lottomittel“.
Ich halte mich an die üblichen Unterscheidungen, wie sie in Etataufstellungen verwendet werden.
Ich denke, an diesen paar Beispielen ist hinreichend deutlich
geworden,…
Es gibt, wie bereits erwähnt, immer Beispiele für die eine
oder für die andere Seite. Solange stets eins gegen das andere
gereiht wird, statt einen repräsentativen Überblick zu bieten,
wird sich nie ein objektives Bild ergeben.
Ich argumentiere aber nicht „individuell“, sondern „strukturell“ und belege mit Einzelbeispielen. Und da ich in mehreren Bundesländern zugange war und sowohl Einblicke in den katholischen und den evangelischen Bereich hatte, ist das mehr als nur ein individueller
Eindruck.
Abgesehen vom kirchlichen Auftrag im Hinblick auf das
Engagement für soziale Gerechtigkeit, finde ich es deshalb
infam, wenn es in dem von Dir zitierten Artikel heißt:
Blum argumentierte: «Schließlich nehmen auch
Nicht-Kirchensteuerzahler häufig soziale Dienste oder
Seelsorger in Anspruch.»
Wieso ist das infam? Stimmt es etwa nicht? wie viele
Nichtkirchenmitglieder lassen sich denn von kirchlichen
Beratungsstellen z.B: zum Schwangerschaftsabbruch helfen? Der
angedrohte Ausstieg der kath. Kirche vor ein paar Jahren hat
deutlich gemacht, daß der Staat diese Lücke gar nicht
schließen könnte.
Auch diese Beratungsstellen werden aus öffentlichen Geldern mitfinanziert. Die Struktur der katholischen Schwangerschaftskonfliktberatung hat sich übrigens einiges geändert.
Und ob diese Angebote von Pro Familia oder anderen Trägern bei gleicher Finanzierung übernommen werden könnten, ist müssig zu diskutieren.
Ich habe auch nichts dagegen, dass es kirchliche Sozialarbeit gibt. Wer mag, soll auch katholische oder evangelische Sozialarbeit in Anspruch nehmen. Mir geht es nur um die Heuchelei, die den Eindruck erweckt, kirchliche Sozial- und Kulturarbeit würde überwiegend oder ganz aus Kirchensteuern bezahlt und die nicht-kirchlichen Leute, die das in Anspruch nehmen, seien Trittbrettfahrer.
Im Sinne der Vielfältigkeit finde ich es wünschenswert, wenn möglichst viele unterschiedliche Angebote gemacht werden können.
Problematisch wird das Ganze aus meiner Sicht dann, wenn keine Alternativen zur Verfügung stehen, also in der bayrischen Provinz eine Frau faktisch keinen Schwangerschaftsabbruch in der vorgegebenen Zeit über die Bühne bringen kann, weil für sie nur katholische Einrichtungen in erreichbarer Nähe sind, die sich an die Vorgaben der katholischen Kirche halten.
Viele Grüße
Iris