Hallo Kate,
vielen Dank für deine Ergänzung.
Meinst du denn, dass die Leute, die in die entsprechenden
Tempel gehen, sich selbst überhaupt als praktizierende
Buddhisten bezeichnen würden?
Das ist unterschiedlich. Generell bezeichnen sich die wenigsten Chinesen gerne als irgendwas, denn Religion wird geächtet. Nur die Volksreligionen werden von staatlicher Seite nicht verfolgt, die anderen nur geduldet. Momentan scheint es zwar so, das man relativ religionsfrei ist- du DARFST jede Religion annehmen die du möchtest, aber was wird daraus?
Es sieht momentan so aus, dass jemand, der sich aktiv zu einer Religion zählt - v.a. Christentum und Buddhismus- als *schwach* gilt. Und das ist unbedingt zu vermeiden. Oft werden diese Personen geächtet oder sogar geärgert, so trug mir ein Informant meiner Feldforschungsarbeit zu, das sein Chef ihm besonders dann Schichten zuteilte, wenn er in die Kirche gehen wollte.
Umgekehrt ist es überraschend, das der Buddhismus sich vor allem unter wohlhabenderen Chinesen ausgebreitet hat, evtl. weil diese es sich leisten können.
„Echte“ Chinesen die sagen „Jawohl, ich bin Buddhist“ wirst du außerhalb der Tempelklöster wenig finden.
Das ist mehr eine Traditionssache, wo man da reingeboren wird.
Die einen gehen zum Daoistischen Tempel, also tun das die Kinder auch.
"Meine Eltern gingen immer zum buddhistischen Tempel, also tu ich das auch… "
„Meine Eltern halten nichts von Religion, das Rote Buch ist ihre Bibel.“
Allerdings muss man sagen, das der Buddhismus ein Allround-Paket ist. Während die einen für dies oder das zum daoistischen oder volksreligiösen Tempel laufen, um dann bei Konfuzius für das Bestehen des Examens zu beten, könnten die Familien mit buddhistischer Tradition einfach in einen Tempel gehen und dort alles abbeten, was ihnen auf dem Herzen liegt, auch wenn das etwas flapsig ausgedrückt ist.
Kann das von dir beobachtete „Durcheinander“ auch ein Ergebnis
der Kulturrevolution und der systematischen Zerstörung der
eigenen kultur und insbesondere ihrere religiösen Aspekte in
China sein, so dass das von dir Beobachtete eigentlich gar
nicht mehr authentisch, sondern eher eine Zusammensammlung und
Vermischung von Überresten aller möglichen religiösen und
spirituellen Ausrichtungen sein, die vor der Kulturrevolution
bestanden?
Die Kulturrevolution hat sicherlich ihre Spuren hinterlassen, aber so würde ich das nicht sehen. Die Chinesen haben von je her ihre Religionen intensiv miteinander vermischt, man nennt das San Jiao, je nach Übersetzung Drei Wege/Drei Weisen (Handlung).
Das sagt aus, dass egal ob Konfuzianismus, Daoismus oder Buddhismus, das alles führt zum selben Ziel. Und wenn man bedenkt wie anders Buddhismus eigentlich zu den beiden anderen … ethischen Richtungen ist, heißt das schon was.
Die Vermischung von Daoismus und Buddhismus geht ja etwaige Jahrhunderte zurück, als für die Übersetzung der buddhistischen Begriffe daoistische Termini benutzt wurden.
Der Konfuzianismus hat auch einiges aufgenommen, bis die Neokonfuzianer aufkamen und 1530 sämtliche Statuen verbannten. Seitdem war der Konfuzianismus eher Staatsinstrument, bis er Ende der Ming- bis in die Qing-Dynastie hinein wieder eine mehr ethische Identität bekam.
Nein, ich denke trotz der Kulturrevolution hat viel einfach überlebt. Die Generation der von Mao Unterdrückten ist jetzt langsam zuende und die jüngeren interessieren sich entweder gar nicht für Religion, da sie ohne diese aufgewachsen sind, oder sie folgen der Tradition ihrer Eltern, die ihre jetzt langsam wieder ausleben, was sie vorher nicht ohne weiteres konnten.
Wie resistent das ist, sieht man am konfuzianischen Kult. Dieser Kult, der das einzig religiöse am Konfuzianismus ist, war eigentlich schon um 1900 recht tot. Aber jetzt fangen die Leute plötzlich wieder an für die Prüfungen ihrer Kinder bei den Gelehrten zu beten (!), Wunschzettel aufzuhängen und lassen ihre Kinder wie verrückt Qin-Blöcke reiben (das sind Glücksbringer, die in den meisten wichtigeren Wen Miao, also Schultempeln des Konfuzianismus, stehen).
Gibt es Publikationen dazu, wie sich Religion und religiöse
Praxis in China nach der Kulturrevolution entwickelte?
Ein spezielles Buch kenne ich dazu jetzt nicht, aber die meisten neueren Geschichtsbücher haben Kapitel dazu.
Hans van Ess „Der Konfuzianismus“ etwa geht weitt in die Moderne. Auch „Das Tao des Himmels“ von Roman Malek.
Ansonsten hilft es die Geschichte von einzelnen, zentralen Tempeln zu studieren und Kontakt mit den Menschen selbst aufzunehmen. Das geht aber nur im stillen Kämmerlein und so inoffiziell wie möglich. Bestimmt gibt es ein Buch, das sich mit der Zeit von 1900 bis jetzt befasst, ich habe nur aktuell keins da, das sich nur damit befasst.
lg
Kate