Grundsatzproblem
Hallo Max,
Das Dumme an dieser Diskussion ist, dass keiner der Teilnehmer
jemals diese Situation einer Geisel oder die eines
ausführenden Polizeibeamten erlebt hat. Wenn die Befürworter
einer Strafe für die beiden Beamten mal selbst entscheiden
müßten, was zu tun ist, um einen kleinen Jungen zu retten,
würden sie Rechtstaat, Rechtstaat sein lassen. Vor allem mit
dem Gedanken an den finalen Todesschuß, der erlaubt ist.
Du sagst es. Eben weil man als Geisel oder Polizeibeamter nicht objektiv und gesellschaftlich weitblickend entscheiden kann, sollten solche Entscheidungen auch nicht bis in die letzte Instanz allein den Betroffenen überlassen werden.
Aber - wenn sich etwas nicht öffentlich abspielt, wird ein
Beamter (sowieso Prügelknabe der Nation) schnell zum
Übeltäter. Wäre der Junge auf Grund der Schmerzdrohung
gerettet worden, wären die beiden Polizisten die großen
Medienhelden und kein Mensch würde über das Thema weiter
reden.
Das glaube ich aber nicht.
Folter sollte natürlich verboten bleiben, aber einen
verbrecherischen Kidnapper, der allein wegen der Drohung schon
alles ausplaudert, zeigt doch, dass Drohung erlaubt sein
sollte.
Du übersiehst, daß ein konsequent verantwortungsvoll, ethisch und gerecht entscheidender und handelnder Staat und dessen Behörden eine besondere Achtung und Akzeptanz erreichen könnten. Gerade durch das absolute und uneingeschränkte Bekenntnis zur sühnelosen Rechtsstaatlichkeit der Vernunft wird eine Einstellung aufgezeigt, die widerspruchsfrei und argumentativ quasi unanfechtbar ist. Androhung und/oder Anwendung von Folter aus pragmatischen Motiven (also nicht aus Rache) ist damit unvereinbar.
Als kleines Beispiel mag gelten, daß es z. B. nicht unüblich geworden ist, kleinere Steuerbetrügereien als Kavaliersdelikt damit zu rechtfertigen, daß die Finanzbehörden in bekannt gewordenen Fällen Ungerecht gewesen sind oder daß der Staat vielfach Steuern verschwendent hatte. Übertragen auf den vorliegenden Fall hieße das, daß man den Respekt vor den Polizeiorganen und deren Maßnahmen verliert, sobald die erweiterten Befugnisse (Drohungen, Folterungen, verdachtslose Kontrollen oder prophylaktische Festnahmen) zu bekannt gewordenen Irrtümern geführt haben.
Was ich hiermit meine wird deutlich wenn man bedenkt, daß die Todesstrafe in den USA meiner Meinung nach hierzulande unverhältnismäßig kritisch diskutiert wird, während meist unerwähnt bleibt, daß die Todesurteile von einer völlig inkonsistenten und stellenweise klar ungerechten Justiz ergehen und sich deren Ermittlungen einiger wachsweicher Bestimmungen und der gewollten Behördenwillkür bedienen. Das Resultat: In den USA ist es mitunter wichtiger, irgendeinen Täter zu fassen und abzuurteilen, als den wahren Täter zu belangen.
Der Staat und seine Behörden müssen also gerade in Dingen, die das unmittelbare körperliche Wohl seiner Bürger betrifft, unbedingt unangreifbar bleiben resp. wieder werden. Dies ist ein Grundprinzip des zivilen Zusammenlebens.
Ich räume allerdings ein, daß eine Ausführung des Angeklagten Beamten mich nachdenklich gestimmt hat; er fragte, was zu tun sei, wenn man denjenigen verhaftet hätte, der den Code zur Entschärfung einer in Köln plazierten Atombombe besitzt und diesen nicht nennen will. Trotzdem auf die Folter als ultima ratio verzichten?
Aber genau deshalb finde ich es höchst bedenklich, daß Du nicht dafür eintrittst, daß pragmatische Folter künftig in die Gesetze aufgenommen wird, sondern daß die hier bereits angewandte (psychische) und angedrohte (körperliche) Folter von unserer Justiz durch Freispruch abgesegnet werden soll, obgleich sie den Gesetzen zum Tatzeitpunkt klar widerspricht! Das ist Anarchie.
Ich hoffe, dass man die beiden Beamten nicht verurteilt.
Ich hoffe, daß bei der Verhandlung die Verfassung der BRD einschließlich ihrer einzelnen Gesetzeswerke beachtet und umgesetzt werden. Wenn dann noch Spielraum bleibt, die Beamten nicht zu verurteilen, kann ich damit leben.
Grüße
R o b.