Hallo Paul,
Ich wollte mein ganzes Posting eigentlich gleich wieder löschen, weil es wahrscheinlich mehr Mängel hat als Nutzen, aber auf der anderen Seite genügt vielleicht schon diese Vorwarnung… 
Das Paradebeispiel sind mathematische Beweise. Diese sind im
Regelfall extrem leserunfreundlich und didaktisch ein
Unverschämtheit: Am Anfang werden Prämissen aufgelistet und
Annahmen gemacht (wobei man noch keine Ahnung hat, was die
eigentlich sollen. Die Ordnung der Darstellung hat nichts mit
dem Prozess zu tun, den der Mathematiker beim Finden des
Beweises durchlaufen hat – das macht es meist so schwierig
ihn nachzuvollziehen. Ein guter Lehrer würde einen Beweis nie
in dieser Form zu vermitteln versuchen).
Trotzdem sind mathematische Beweise im relevanten Sinn
idealtypisch klar.
Kann ich Dich hier so verstehen, dass Du unter „Klarheit“ in erster Linie „Eindeutigkeit“ verstehst?
Dazu gäbe es nun natürlich viel zu sagen: Eindeutigkeit (eine Deutung) setzt aus meiner Sicht eine Trias voraus von Zu-Deutendem, Deutendem und Deutung(sergebnis).
Bezogen auf die (zumindest traditionelle) Mathematik wäre das aus meiner Sicht: die Axiome, der Beweisende und die Beweise.
In den Beweisen bilden sich die Axiome eindeutig ab.
Ich finde in der Mathematik drei Charakteristika:
- Das Zu-Deutende ist stabil, wird nicht durch die Deutung beeinflusst; kein Beweis modifiziert die Axiome
- der Deutende ist ebenfalls stabil, wird nicht durch die Deutung beeinflusst; kein Beweis modifiziert den Beweisenden
- Die Deutung ist stabil, kann beliebig oft wiederholt werden; jeder Beweis ist beliebig oft nachzuvollziehen
Wird nun dies Trias von der Mathematik in die Erkenntnistheorie verlagert, dann müsste man aus meiner Sicht festhalten:
- die (ontische) Welt ist stabil, wird nicht modifiziert durch ihre Deutung, durch das Weltwissen
- das Subjekt ist stabil, weil (quasi-)transzendental; es wird nicht modifiziert durch empirisches Weltwissen
- das Weltwissen ist stabil, es kann in Experimenten, etc. beliebig oft wiederholt-geschaffen werden, d.h. es lassen sich zeitlose Naturgesetze aufstellen
Kann man aber von dieser Trias ausgehen, kann also die Struktur der Mathematik in die Erkenntnistheorie verlagert werden?
Der Kürze wegen nur drei Kritik-Schlagwörter:
- Logozentrismus
- Subjekt/Objekt-Schema
- Präsenzphilosophie
- Der Witz einer Aussage ist, dass sie verstanden wird.
Klarheit hilft da oft.
Kann eine Aussage nur wirken, wenn sie verstanden wird in dem Sinne, dass die Deutung des Deutenden eindeutig das Zu-Deutende erfasst?
- Je klarer (im angedeuteten Sinn) eine Aussage ist, desto
mehr sagt sie.
Sagt nicht die mehrdeutige Aussage mehr als die eindeutige?
- Klarheit scheint notwendige Voraussetzung für
wissenschaftlichen Fortschritt.
Ok, dass es aber überhaupt einen „wissenschaftlichen Fortschritt“, welcher nicht von Rahmen erst erzeugt wird, wie „von Kant zu Hegel“ oder „innerhalb dieses oder jenes Paradigmas“, etc. geben kann, benötige ich da nicht unabdingbar die besagte Trias?
Damit aber wäre „Klarheit“ eben an ein philosophisches Programm gebunden, beispielsweise an dasjenige, welches Descartes’ begründet hat.
Die „Forderung“ nach Klarheit wäre dann aber keine unbedingte, sondern eine durch das Programm bedingte, kann demnach als Forderung nicht an andere Programme (Theorien) sinnvoll gestellt werden.
Der Witz der Einführung der
Mathematik besteht zum großen Teil in ihrer Klarheit.
BTW: Da würde ich widersprechen, möchte das aber in solcher Kürze nicht ausführen;
jedenfalls benutzen noch die Griechen in Hinblick auf die Gewinnung und Sammlung von Erkenntnis die Mathematik völlig anders als wir es seit Galilei machen (laut Husserls Krisis-Schrift begründet Galilei die Methode der „indirekten Mathematisierung“, welche jedem Welt-Ding einen mathematischen Index zuweist, um es erkennbar und verrechenbar zu machen…).
- Wer unklar schreibt tut das zumeist nicht, weil es ihm an
didaktischen Geschick mangelt oder er einen schlecht Stil hat.
Sondern weil er unklar denkt, und das mündet meist in
(hochtrabendem) Unsinn.
(Wer ein schönes Beispiel möchte, der lese: Alan Sokal
‚Eleganter Unsinn‘)
Auch hier ganz kurz, weil ich das Werk nicht, wohl aber die Diskussion kenne:
die von ihm als Unsinns-Beispiele angeführten Autoren sind samt und sonders solche, die, anders als Sokal, diese skizzierte Trias zurückweisen…
Insofern zeigt sich an diesem Beispiel tatsächlich sehr schön, dass die Forderung nach Klarheit Programm-bedingt ist (abgesehen davon, dass man die inkrimierten Autoren im Normalfall recht „sinnig“ finden kann, wenn man sie ausreichend gelesen hat).
Viele Grüße
franz