Wissenschaftlich nicht gesichert …
… aber Erfahrungen und irgendwie mitbekommen.
Hallo Chris,
bei verschiedenen Gelegenheiten habe ich aufgeschnappt, daß Hitler die Sütterlinschrift für „jüdisch“ hielt und deshalb zu Beginn der 40er den Umstieg auf die lateinische Schrift anordnete. Das www dürfte dazu mehr hergeben.
Es ist übrigens ganz interessant, daß die Briten gerne auf Sütterlinähnliches zurückgreifen, wenn sie Tradition schriftlich dokumentieren wollen. Sie ist wohl weniger jüdisch als „adlig“.
Ich selbst bin, abgesehen von einer Familienbibel von 1863 in Sütterlin, noch im Besitz folgenden Buches aus der Übergangszeit:
„Deutsches Lesebuch für Volksschulen, vierter Band“
einer Schülerin T. S. (Name natürlich vollständig vorhanden, aber sie könnte noch leben).
Handschriftlicher Eintrag in blauer Tinte: Name, Anschrift, Gau Westmark, Kreis Saarlautern (heute Saarlouis). 1943, Satz und Druck von Oscar Brandstetter in Leipzig, Druck der Kunstdruckbilder von Förster & Borries in Zwickau/Sa. Herausgegeben von der Reichsstelle für Schul- und Unterrichtsschrifttum in Zusammenarbeit mit der Reichsverwaltung des Nationalsozialistischen Lehrerbundes.
Einstieg: Eine mittelalterlich anmutende Grafik mit Andeutung eines Burgdaches und -balkons, mit zwei Burgfräuleins oben, links und rechts von ihnen mir unverständlichen Symbole von vermutlich Fruchtbarkeit und Herkunft, darunter offenbar ein männliches Wesen, das sich an Tüchern zu ihnen hinaufhangelt, umgeben von Ritterschilden, unten links ein bürgerliches Ehepaar mit Kindern, rechts unten ein tanzendes Bauernpaar. Dazwischen Bücher, vielleicht ein runder Schild und Waffen (sehr symbolüberladen insgesamt, daher meine diletantische Interpretation).
Gemischte Bildunterschrift in lateinischer Schrift mit Sütterlin-S (*) „Deuts(*)che Art (neue Zeile) und deuts(*)ches Wes(*)en“. Ca. 48 point.
Es scheint, daß sich der Duden damals auch nicht so sicher war und Uneinigkeit über das S herrschte.
Bestell-Nr. 1014. Vermutlich nicht mehr beim Verlag zu kriegen
))
Interessanterweise, das Buch kam 1961 in meinen Besitz, hat jemand wohl lange davor (ich fand das Buch mit 10 Jahren auf einem Speicher) unter den obigen Zweizeiler mit Bleistift ein UN gesetzt und eine Linie vor Wesen gezogen, wodurch daraus Unwesen wird.
Ich kann nicht nachvollziehen, ob, wann oder wer da vielleicht jemand einen Ansatz von intellektuellem Widerstand äußern wollte.
(Puuh, schweißvonderstirnwisch bei soviel Schreiben, diente der Vollständigkeit)
Der handschriftliche Eintrag ist eine Mischung aus vorwiegend lateinischer Schrift und Resten von Sütterlin. Beim S und A. Auch das R wackelt. Also Verunsicherung total bei einem damals vermutlich 10jährigen Mädchen.
Das Buch ist bereits zu 70% in lateinischer Schrift und zu 30% in Sütterlin geschrieben (das mir gedruckt überraschend leicht lesbar scheint).
Was den Umstieg angeht, dürfte es der ganz normale Wahnsinn gewesen sein und die Akzeptanz abhängig vom Alter. Unsere Eltern und Großeltern hatten bloß keine Diskussion, weil gerade mal wieder eine stabile Kriegswetterlage in der Wettervorhersage angesagt war. Und weil demokratische Diskussion damals nicht gerade Volkssport war.
Meine Schwiegereltern, beide 1925 geboren, hatten mit dem Umstieg überhaupt keine Probleme. Sie mochten ihn nicht, weil man sich von Gewohntem nur ungern trennt (ihre Aussage). Aber sie haben ihn hingenommen.
Es war ja tatsächlich eine Erleichterung, aus zwei Formen des „S“ nur eine Form zu machen.
Mein Vater, Jahrgang 1905, hat dagegen bis an sein Lebensende Sütterlin geschrieben - und die Postboten haben es verstanden. (Wie auch ich mich nicht mehr der letzten Rechtschreibreform anschließe - und doch verstanden werde
)) )
Also reichte die Kenntnis des geschriebenen Sütterlin bis in die 60er oder 70er.
Rühr Dich, wenn du Scans brauchen solltest. Mehr kann ich nicht beitragen.
Beste Grüße
Otto