Diese Spekulationen gibt es ja schon seit dem Libetexperiment. Viele Seminare an vielen philosophischen Fakultäten haben sich bisher damit befasst - unter anderem meine und ich war dabei.
Ich kopiere Euch mal mein Referatssheet hier rein zur Diskussionsunterstützung. Es ist für einen dreiteiligen Vortrag konzipiert worden, bei dem ich den mittleren Teil (Vorbereitung der Gruppe auf die Diskussion, nachdem im ersten Teil die Erklärung des Libetexperiments erfolgte) übernommen habe.
Vielleicht könnt Ihr ja was damit anfangen, vielleicht bringt es ja neue Gesichtspunkte in der Diskussion…
"Trifft es denn das, was plakativ behauptet wird?
was wird denn behauptet?
es wird ja behauptet, dass der Mensch – wie wir gehört haben – 100 Millisekunden bevor er sich für eine Handlung entscheidet, der Motorkortex schon aktiviert ist.
dass der Handlungswunsch also die Aktivierung des Motorkortex nicht kausal verursachen könne – dass der Entschluss zu handeln von unbewussten Prozessen im Gehirn gefällt wird, bevor der Handlungswunsch an sich vorgenommen wird, der Mensch also gar keinen freien Willen haben könne bzw. ebenfalls keine Verantwortung für sein Handeln haben könne.
das Problem ist, dass der Moment des Handlungswunsches, den die Probanden ja äußern mussten, kein zeitlich exakt bestimmbarer Punkt ist und daher bei Libet und auch bei den Nachfolgeexperimenten von Haggard und Eimer starke Schwankungen in den Messungen auftraten
um zu erläutern, warum die Konsequenzen so, wie sie gezogen werden, gar nicht daraus gefolgert werden können.
welche Konsequenzen? wie werden sie gezogen?
Libet zieht daraus nun weiterhin die Schlussfolgerung, dass der Mensch in diesem Fenster von 100ms noch die Möglichkeit hätte, sich umzuentscheiden, die Handlung quasi zu stoppen.
das geschieht laut Libet wiederum bewusst
hier gibt er dem Menschen also seinen freien Willen wieder zurück – begründen tut er diesen freien Willensentschluss damit, dass alles andere – also wenn die Umentscheidung unbewusst abliefe – er für unbefriedigend hält.
so funktioniert wissenschaftliches Arbeiten nicht, 1. weil er alles andere für unbefriedigend hält und 2. weil seine Probanden schon vorher wussten, dass sie sich umentscheiden sollten – wo ist hier ein Beweis für die Existenz bzw Nicht-Existenz eines freien Willens?
was in den Versuchen von den Probanden gefordert wurde, war eine einfache dualistische Entscheidung – bei Libet das Handgelenk zu drehen, bei Haggard und Eimer entweder die rechte oder die linke Hand zu heben
beiden Varianten geht die eindeutige Handlungsanweisung des Testleiters voraus, der Proband muss also keine Entscheidung darüber treffen, was er macht und ob er es macht, er muss sich lediglich für einen Zeitpunkt bzw. und für eine Hand entscheiden.
das Experiment an sich ist also keine bewusste Entscheidung über eine Handlung, sondern das Auslösen eines Bewegungsaktes einer Handlung, die schon von vorneherein feststeht.
der beobachtete Anstieg des Bereitschaftspotentials ist darauf zurückzuführen, dass durch die bis zu 40mal wiederholte gleiche Handlung der Körper schon in einer Erwartungshaltung ist.
Komplexere Handlungen erfordern aber eine gewisse mentale Vorarbeit, bei denen zu dem Zeitpunkt ganz sicher noch keine Muskelaktivierung vorhanden ist.
die freie Willensentscheidung hat bestimmte charakteristische Merkmale, anhand derer man sie erkennt: zum einen der unbedingte Wunsch des Menschen, und dessen Kontrolle über die Handlung, zum anderen rationale und emotionale Abwägungen
daher kann man von diesen Experimenten keine Rückschlüsse auf den freien Willen ziehen
woher nehmen wir unsere Freiheit?
Die Frage ist doch: Sind wir überhaupt frei? also frei im Sinne von komplett freier Entscheidungsgewalt? Wenn man mal das Libet-Experiment außer Acht lässt.
Wir sind doch eigentlich zuallererst mal an Gesetze gebunden. Die schränken uns in unserer individuellen Freiheit ein.
Dann gibt es auch noch gesellschaftliche Normen und Werte – die sich durchaus unterscheiden – je nachdem wo wir leben – in welcher Gesellschaft wir aufgewachsen sind und in welchem direkten Umfeld wir groß geworden sind.
Eine christliche Gesellschaft beispielsweise hat andere Werte als ein Buschstamm.
Somit ist unsere Freiheit ja eigentlich das, inwieweit wir in unserem Lebensumfeld bzw. in unserem Lebensrahmen agieren können, um uns zu entfalten.
Freiheit an sich ist somit ein Kulturgut – unterschiedlich von Kultur zu Kultur – wie ich schon erwähnt habe.
Und der freie Wille ist ebenso ein Kulturgut. Es gibt Kulturen, in denen der Mensch weitaus freier entscheiden kann – weitaus freier nach seinem Willen also handeln kann als in anderen Kulturen.
Diskussionspunkt!
Es geht ja wieder nur um ein Beispiel dafür, wie man viel Wind machen kann, um dann allen Ernstes zu behaupten, wir könnten für rein gar nichts verantwortlich sein, weil wir ja immer schon entschieden wurden, bevor wir uns entschieden haben. Und stellen Sie ruhig den Bruch in der Argumentation vor, also:
Wie müßte es sein, wenn die These wirklich zutreffen würde?
dass wir keinen freien Willen haben, alle unsere Handlungen in gewissem Sinne unbewusst, vielleicht instinktiv erfolgen,
Rechtsprechung – also speziell Strafrecht – wäre hinfällig. Denn wie kann ein Mensch für etwas verantwortlich gemacht werden, das er gar nicht selbst zu verantworten hat? Er war ja nicht frei in seiner Entscheidung, der alten Frau die Handtasche zu stehlen.
Was müßte dann konsequenterweise daraus folgen?"
Gruß
Sarah (cand. phil.)