Liebe Grilla,
ich beantworte deine Fragen gerne, möchte aber gleichzeitig noch einmal betonen, dass die Thematik für wer-weiss-was zu komplex ist (was man leider auch an der Länge meines Postings sehen kann).
vorab möchte ich um Nachsicht bitten, wenn meine Gedankengänge
ein wenig naiv sind.
Nur nebenbei: Naive Gedankengänge sind eigentlich positiv, wenn man damit komplexe Antworten, die sowieso niemand versteht, als Angeberei entlarvt werden können. Man darf nur nicht zu schnell versuchen, Antworten zu geben, sondern sollte sich lange beim Fragen aufhalten.
Ich bin mit dem Fach Philosphie als Wissenschaft nicht
vertraut. Dennoch möchte ich ein paar Fragen stellen.
… wieso „dennoch“ ???
Gibt es denn einen menschlichen Willen, der sich von allen
anderen Lebewesen unterscheidet?
Es gibt zumindest viele Versuche, einen solchen menschlichen (freien) Willen nachzuweisen oder mindestens plausibel zu machen - ob zu Recht, ist sehr umstritten.
In wie weit unterscheidet sich die Willensfreiheit, ein
Produkt unserer Gehirnaktivität, von der Handlungsfreiheit,
der Entscheidungsfreiheit oder der (freien) Selbstbestimmung?
Spielt dabei die Ursache für den Willen oder/und das Ziel des
Willens eine Rolle oder nicht?
Selbstbestimmt bin ich, wenn ich nicht fremdbestimmt bin, wenn ich also - von außen - nicht daran gehindert werde.
Entscheidungsfreiheit besitze ich, wenn ich zwischen zwei (möglicherweise gleichwertigen) Dingen frei entscheiden, das heißt wählen kann.
Handlungsfreiheit ist dann gegeben, wenn ich tun kann, was ich will. Handlungsfreiheit wird in den meisten Fällen
prinzipiell bejaht. Grundsätzlich kann man also tun, was man will, wenn man nicht daran gehindert wird.
Die Willensfreiheit stellt philosophisch das eigentliche Problem dar. Im Rahmen der Willensfreiheit fragt man nicht nur danach, ob ich tun kann, was ich will, sondern danach, ob ich das, was ich will auch frei wollen kann, ob ich also nicht vielleicht durch meine Vorlieben, Instinkte, Triebe oder anderes (du nennst „Bedürfnisse“) nicht so stark in meinem Wollen eingeschränkt bin, dass man von einer eigentlichen „Freiheit“ gar nicht mehr sprechen kann.
Das Problem hängt damit zusammen, wie man „Kausalität“ versteht. Die meisten Naturwissenschaftler sehen in der Kausalität ein Prinzip, das sich in der Natur auffinden lässt. Viele Philosophen sehen in der Kausalität ein Prinzip, das wir als Menschen der Natur überstülpen, um sie zu verstehen. Das funktioniert so: Ich frage nach der Ursache einer Tatsache und beantworte die Frage, indem ich die Ursache zur Tatsache erkläre. Nun muss aber diese „neue“ Tatsache wiederum eine Ursache haben. Diese auch, die nächste auch, und immer so weiter.
Daraus kann man ableiten, dass wir als Menschen so gebaut sind (die Philosophen nennen das „Kategorie“), also auf diese Weise fragen müssen. Wenn wir nun die Fragereihe nach dem „Warum“ an irgendeiner Stelle abbrechen, muss es dafür auch wieder eine Begründung geben, warum wir an dieser Stelle abbrechen dürfen oder können.
Ein Beispiel: Wir fragen, warum wir geboren wurden. Antwort: Weil wir von unseren Eltern gezeugt wurden. Warum? Weil auch sie gezeugt wurden. Und so weiter. Warum wurde der erste Mensch gezeugt? Weil die Evolution es so wollte. Warum gibt es Evolution? Weil Gott es so wollte. Wurde Gott auch gezeugt? …
Hier hört unser Denken auf. Die Kette von Ursachen brechen wir irgendwo ab, entweder
erstens, weil wir sonst unendlich weiterfragen müssten (infiniter Regress) oder
zweitens, weil wir in einen logischen Zirkel geraten, indem wir eine Folge aus vorangegangenen Antworten als Ursache nehmen (was logisch nicht korrekt ist) oder
drittens, weil wir einfach da abbrechen, wo es uns passt. Dann aber liegt der Abbruch an einer willkürlichen Stelle.
Dies ist das sogenannte „Münchhausentrilemma“ von Hans Albert (Münchhausen zog sich selbst aus dem Sumpf, das müssen die Wissenschaftler und Philosophen auch tun, weil sie dem Trilemma, einem Dilemma mit drei Möglichkeiten, nicht entkommen können.) Resultat Alberts: Wissenschaft ist rational (begründet) unmöglich, sie ist nur beschreibend und vorläufig.
Bezüglich der Freiheit ist das so zu verstehen: Wir fragen danach, wo die Freiheit „sitzt“. Sitzt sie in der Selbstbestimmung, der Entscheidung oder der Handlung? In diesen Fällen ist die Antwort prinzipiell unproblematisch. Aber wie sieht es mit der Willensfreiheit aus? Dürfen wir beim „Willen zu wollen“ Halt machen? Warum müssen wir bei unseren Trieben oder beim Gehirn stoppen?
Vier Richtungen bleiben übrig:
- Es gibt keine Freiheit, alles ist durch die Physis bestimmt
(Naturwissenschaften, Materialismus).
- Es gibt Freiheit, und man kann sie logisch einsichtig machen
(Karl Otto Apel, Pragmatismus. Dieser Punkt ist der
schwierigste.)
- Man kann nicht entscheiden, ob es Freiheit gibt, und muss
sich damit bescheiden (Skeptizismus)
- Man kann nicht entscheiden, ob es Freiheit gibt, aber man
kann zeigen, dass wir gezwungen sind, Freiheit anzunehmen,
weil wir uns sonst in Widersprüchen verlieren (Kant: Wir
müssen Freiheit postulieren , denn sie ist die
„Bedingung der Möglichkeit“ für jedes Handeln, insbesondere
für die Frage nach Verantwortung und Schuld. Nur auf diese
Weise können wir „Handlung“ erklären.)
Diese vier Richtungen stehen heute in der Diskussion nebeneinander. Alle sind umstritten, und eine Einarbeitung in den Streit erfordert viel Zeit und Gedankenschmalz. Wenn du es dennoch versuchen möchtest, wünsche ich dir dazu die nötige Geduld und bin auch gerne bereit zu helfen, indem ich die eine oder andere Frage beantworte - wenn ich es kann. Eine einfache und abschließende Antwort auf die Frage ist nach meiner Ansicht unmöglich. Das sollte aber niemanden abschrecken, die Antwort zu suchen - freilich muss die Antwort gut begründet sein.
In diesem Sinne …
Viele Grüße
Thomas Miller