Hallo Helena,
wenn ich es richtig verstehe, vertrittst Du ja die These, dass es für den Erwachsenen möglich sei, die Fremdsprache (nahezu) perfekt zu sprechen und suchst primär eine Bestätigung. Deshalb zunächst ganz kurz und knapp: Das vermutlich beste Beispiel für diese These sind die Hebräischkenntnisse vieler in der Diaspora geborenen und später nach Israel eingewanderten Juden.
Um das jetzt noch etwas aufzudröseln: Hebräisch unterscheidet sich sowohl in der Schrift als auch in der Grammatik deutlich von den Mutter- bzw. Alltagssprachen der meisten Einwanderer. Klar, die Grundzüge der Schrift sowie einige biblische Phrasen kennen/kannten die meisten der Einwanderer schon vor ihrer Ankunft im Land. Zudem müsste man auch eine gewisse Einschränkung im Fall der mizrachim (d.h. der „orientalischen“ Juden) machen, da deren arabische Muttersprache ja relativ nah mit dem Hebräischen verwandt ist. Dennoch sind diese Vorkenntnisse meines Erachtens mehr oder weniger zu vernachlässigen. Denn ich hatte z.B. damals auch Araber in meinem Ulpan, die bisweilen einfachste grammatikalische Konstruktionen im Hebräischen nicht verstanden haben, obwohl es diese eins-zu-eins auch im Arabischen gibt. (Dass gerade die Nähe zur Muttersprache nicht immer von Vorteil ist, kenne ich persönlich auch vom Schwedischlernen.)
Warum ist es nun gerade beim Hebräischen so, dass es sich – trotz der totalen „Fremdheit“ – so leicht lernt? Meiner Meinung nach, weil es ein zwei grundlegende Faktoren erfüllt, die wichtig sind, wenn man eine Fremdsprache (nahezu) perfekt lernen will:
Ort/Art des Sprachenlernens: Vor Ort, muttersprachliche Lehrer, (in der Regel) ausgezeichnete Lehrmaterialien – dadurch lernt es sich zweifellos besser als z.B. im Schulunterricht daheim.
Motivation: Viele (wenn auch bei weitem nicht alle) olim chadashim kommen aus religiösen/ideologischen Gründen ins Land, haben also eine deutlich klarere Motivation, die Sprache ihrer neuen Heimat zu lernen, als so mancher Gastarbeiter, der primär in ein anderes Land geht, um Arbeit zu finden. Die gemeinsame „ethnisch“-religiöse Zugehörigkeit zum „jüdischen Volk“ erleichtert zudem die Integration und verstärkt somit die Motivation, die Sprache zu lernen und oftmals sogar als neue „Muttersprache“ anzunehmen.
Die These lässt sich insofern durch Falsifizierung bestätigen, als dass es in Israel gerade die sich oft in ihre jeweilige Subkultur/Parallelgesellschaft zurückziehenden amerikanischstämmigen charedim und „nicht-jüdischen Juden“ aus der ehemaligen Sowjetunion sind, denen man ihre Fremdsprachigkeit am deutlichsten anhört.
Um diese beiden Faktoren allgemein auszuweiten: Die Chancen, dass man auch als Erwachsener eine Fremdsprache einwandfrei lernt, stehen natürlich immer besser, wenn man eine klare Motivation hat. Das kann z.B. das Leben in einem anderssprachigen Umfeld sein, aber auch der/die Lebensgefährte/-in, dessen Muttersprache man lernen möchte.
Zurück zum Hebräischbeispiel. Da gibt es noch zwei, drei rein sprachliche Aspekte, die einem helfen können, die Nichtmuttersprachlichkeit zu verbergen:
Zum einen wurde die Sprache bei ihrer „Wiederbelebung“ Ende des 19. Jahrhunderts im Vergleich zum biblischen Hebräisch durchaus vereinfacht (bzw. hat sich diese Vereinfachung im Laufe der ersten Jahrzehnte allgemein durchgesetzt). So dekliniert man beispielsweise in der Regel Verben im Präsens nicht „richtig“, sondern hilft sich mit Gerundiumformen, die man nur in Genus und Numerus an die Person anpassen muss.
Hinzu kommt, dass selbst viele Muttersprachler sehr faul sind, was gewisse Aussprache-/Grammatikphänomene angeht. Folglich würde man sich nicht automatisch als Nichtmuttersprachler outen, wenn man diesbezüglich Fehler macht. Man könnte auch noch erwähnen, dass es im Hebräischen ein paar Ethno- bzw. Soziolekte gibt, die einem beim Kaschieren der Fremdsprachlichkeit helfen könnten.
Hoffe, durch die Ausführungen ein paar Anregungen zur Diskussion beigetragen zu haben.
Gruß,
Stefan