Manche Freud-Interpreten ohne Respekt vor Freud
Hi Powenz.
Und bevor sich jemand aufregt, verweise ich
prophylaktisch schon einmal auf die Analyse des
Tychiades, das konjunktivistische Zitat Freuds
betreffend: Man könnte, d.h. nicht, dass ich das
tue!
Es gibt aber eben noch das andere Zitat, die eindeutige Aussage, dass die Annahme der kollektiven Neurose die Ausbildung einer individuellen Neurose erspart. Ich verstehe nicht, warum diese Aussage Freuds und sowie dessen konjunktivische Aussage von Ralf wiederholt als „zugespitzt“, „pointiert“, „missverständlich“ usw. verniedlicht wird. Sehr respektvoll ist das Freud gegenüber gerade nicht.
Natürlich trifft es zu, dass der Aufsatz von 1907 bis zur Stelle von der „universellen Neurose“ religiöse Handlungen und Zwangsneurose im Hinblick auf analoge Strukturen nur vergleicht, also quasi parallel nebeneinander herlaufen lässt. Mir liegt der Text gerade wieder mal vor, die rein analogische Argumentation Freuds bis zu dieser Stelle springt durchaus ins Auge.
Warum aber wird dann die (konjunktivische) Konsequenz, die Freud aus den Häufungen der Strukturgleichheiten zieht, von Ralf nur als übertriebene Pointierung interpretiert? Ist das nicht ein Affront gegenüber Freud, ein Vorwurf, dass diesem im Überschwang eine Formulierung unterläuft, die - in der Sicht von Ralf und wohl auch von Metapher - Freuds eigentlicher Intention gar nicht entspricht?
Wenn eine solche Interpretation hermeneutisch vorbildlich ist, dann muss mir Hermeneutik neu erklärt werden. Ich dachte immer, es gehe dabei darum, den Autor zu verstehen - und nicht darum, ihn besser zu verstehen als er sich selbst.
Ich füge hier aus dem Freud-Lesebuch (Fischer-Verlag) eine den Aufsatz einleitende Passage ein, die von der Herausgeberin stammt (Fr. Schmidt-Hellerau, Privatdozentin für Klinische Psychologie mit Schwerpunkt Psychoanalyse an der Uni Zürich, Lehranalytikerin und Supervisorin):
„Seine frappierende Schlussfolgerung, welche die Zwangserkrankung als eine individuelle Religion und die Religion als eine universelle Neurose bezeichnet, ist immer noch von einer provozierenden Einsicht in die Psychologie der Religiosität …“
Keine Silbe davon, dass es Freud nicht so gemeint hat, nichts von Analogie usw.
Gruß
Horst