Funktion und Grenzen der Sprache

Hi zusammen.

Kann Sprache die Wirklichkeit wiederspiegeln? Oder konstruiert sie nur ein ungefähres Bild von der Wirklichkeit? Oder hat das, was sie an Vorstellungen hervorruft, überhaupt keinen Bezug zur Wirklichkeit (was immer das dann sein mag?)

In welchem Verhältnis also steht Sprache zur Wirklichkeit? Welchen Stellenwert hat sie für das Erkenntnisvermögen des menschlichen Subjekts?

Ich hole – und bitte dafür um Nachsicht – etwas weiter aus, um das komplexe Thema und die damit verbundenen Fragen zu exponieren.

Schon in der Antike gibt es Zweifel an der wirklichkeitsabbildenden Funktion der Sprache. Die Sophisten bezweifeln, dass zwischen Begriffen und Dingen einen relevanten Zusammenhang besteht, vielmehr seien Wörter durch Konvention gebildete Zeichen, die das Bedeutete nicht repräsentieren.

Was das heißt, kann man am semiotischen Zeichenmodell veranschaulichen: hier gibt es 1) das Zeichen, 2) der Gegenstand und 3) die Bedeutung (Vorstellung). Es gibt also das Wort „Pferd“, das ´Ding´ Pferd und die Vorstellung ´Pferd´. Den Sophisten geht es darum, das Band zwischen dem Wort und dem Ding zu zerschneiden. D.h. das Wort „Pferd“ ist ein konventionelles Zeichen, dem kein wirkliches Ding „Pferd“ entspricht. Xeniades geht so weit zu behaupten, dass der Mensch überhaupt nicht in der Lage ist, etwas Wahres zu sagen, da Sprache und Denken nur in die Irre führen.

Platon lässt später Sokrates im Kratylos-Dialog dagegen argumentieren und zu dem Kompromiss gelangen, dass Begriffe halb konventionell, aber auch halb wirklichkeitsabbildend sind.

Aristoteles formuliert dann das Prinzip der sog. Korrespondenztheorie der Wahrheit, die bis zur Intervention von Immanuel Kant weitgehend das Denken in der Philosophie beherrschen wird.

Für ihn haben die logischen Kategorien des Denkens / der Sprache die gleiche Struktur wie die Wirklichkeit, d.h. Denken und Sprache korrespondieren den ontologischen Strukturen der Wirklichkeit. Aristoteles benennt mehrere logische Kategorien, z.B. Substanz, Akzidenz, Quantität, Qualität, Raum, Zeit usw.

Wir erfahren also Raum und Zeit, so der Grieche, weil die Wirklichkeit in dieser Weise strukturiert ist.

Im Mittelalter bestimmt der Aristoteles-Anhänger Thomas von Aquin die Korrespondenztheorie bündig als „adaequatio rei et intellectus“ (Übereinstimmung von Sache und Verstand). Das bedeutet, einfach gesagt: wenn jemand behauptet: „Es regnet“, dann schau aus dem Fenster. Wenn es draußen regnet, dann hat der Sprecher die Wahrheit gesagt.

Ende des 18. Jahrhunderts zerstört Immanuel Kant dieses schöne Gebilde. Er verortet die logischen Kategorien von Denken / Sprache allein im denkenden Subjekt, dem diese Denkgesetze angeboren sind. Das Material der Sinnesempfindungen wird durch die spontane Anwendung der Kategorien durch das Denken strukturiert und dem Bewusstsein zugänglich gemacht (dazwischen liegen noch die Schemata der Einbildungskraft, die zwischen den Kategorien und den Sinnesdaten eine vorstrukturierende Vermittlung herstellen).

Mit Kant heißt Erkennen also nicht mehr: die Wirklichkeit im Bewusstsein abbilden, sondern: ein sprachlich-logisches Muster auf die chaotischen Sinnesdaten projizieren, welches diese in eine begreifbare Form bringt. Die „eigentliche“ Wirklichkeit aber bleibt außen vor – sie ist das unerkennbare „Ding-an-sich“ jenseits des menschlichen Erkenntnisvermögens.

Hegel treibt die Sprachanalyse noch ein Stück weiter und veranschaulicht am Beispiel der Subjekt-Prädikat-Form des Aussagesatzes, wie das Denken irreduzibel in einem Widerspruch gefangen ist.

Das grammatische Satzsubjekt, z.B. „Tisch“, wird durch diverse Prädikate (Eigenschaften) näher bestimmt, wobei die Sprache dazu verführt, eine Substanz (ein Wesen) „Tisch“ anzunehmen, das unabhängig von seinen Prädikaten besteht. Hegel zeigt, dass das Satzsubjekt aber nichts anderes ist als die Summe der ihm zugesprochenen Prädikate. Das irregeführte Denken unterstellt, dass der „Tisch“ ein von seinen Prädikaten unabhängiges Wesen sei oder habe. Die auf ihn projizierte Einheit ist nur ein unter einen Begriff gefasste Bündelung von zufälligen Eigenschaften, die, wenn sie wegfielen, kein eigenschaftloses Wesen „Tisch“ zurücklassen würden.

Da das Denken aber nicht ohne diesen Widerspruch funktionieren kann, folgert Hegel daraus, dass es grundsätzlich aus Widersprüchen gebildet ist, die vom denkenden Subjekt zusammengehalten werden. Da – für Hegel – das Denken aber das Wesen des Subjekts ausmacht, folgt daraus für ihn, dass das menschlichen Wesen prinzipiell in sich gespalten ist – in die Pole des Subjektiven und des Objektiven.

Über Nietzsche, den späten Wittgenstein und den Linguisten de Saussure gelangt die Sprachphilosophie dann zu den diversen Anschauungen des Strukturalismus / Poststrukturalismus (hier besonders Lacan und Derrida).

De Saussure gelingt Anfang des 20. Jahrhunderts eine epochenmachende Entdeckung: Sprache ist nicht aus positiven Entitäten (Zeichen) zusammengesetzt, die sich a u c h voneinander unterscheiden, sondern sie ist durch und durch „differentiell“, d.h. sie sind als Zeichen nur erkenn- und identifizierbar dadurch, dass sie sich von anderen Zeichen innerhalb des gleichen Systems unterscheiden. Das „m“ ist also ein Zeichen insofern, als es nicht „a“, „b“, „c“ usw. ist. Seine Identität bestimmt sich allein über die Differenz zu den anderen Zeichen. De Saussure nennt diese Zeichen „Signifikanten“, denen die Bedeutung, das „Signifikat“, gegenübersteht.

Lacan entwickelt daraus seine Lehre von der Sprache als „Signifikantenkette“, die unaufhörlich Bedeutungen erzeugt, die in keinster Weise klar konturiert sind, da die Kette „gleitet“, was eine punktuelle Ausbildung von Signifikaten verhindert. Für den Psychoanalytiker ist also die Beziehung des Zeichens zur Bedeutung eine sehr asymmetrische: das Zeichen dominiert, die Bedeutung ist nur ein Nebel, dessen Konturen ständig verwehen.

Eine Realität außerhalb der sprachlichen Ordnung ist für Lacan kein Thema, denn sie ist durch und durch sprachstrukturiert. Hier steht er in der Tradition von Kant.

Derrida geht ebenfalls in die Vollen und konzipiert die „differance“, das Prinzip der unaufhörlichen Aufschiebung des Sinns (Bedeutung). Die Sprache ist – für Derrida – kein Instrument der unmittelbaren Präsentation eines Sinns, d.h. es ist keine Präsenz und Selbst-Identität des Sinns möglich. Alle Texte sind in Raum und Zeit endlos miteinander verwoben und an keinem Punkt imstande, einen festen Sinn zu vermitteln. Es gibt keine Identität von Sinn, sondern nur Wiederholungen sprachlicher Zeichen, die immer wieder neue Variationen von Sinn erzeugen. Dies endlose Kette der Sinnproduktion und Sinnverfehlung nennt Derrida „Iteration“. Hinzu kommt, dass alle Zeichen – wie ja de Saussure schon vorgibt – ohnehin keine positive Identität haben, sondern sich nur wechselseitig bestimmen. Somit entsteht auch Sinn immer nur im Spiel ständiger wechselnder Zeichen-Bedeutung-Zuordnungen und kann nie etwas Endgültiges sein.

Woraus für Derrida folgt, dass Wahrheit durch Sprache nicht vermittelt werden kann. Der Prozess der Sinn- und damit Wahrheitsfindung ist prinzipiell unabschließbar.

Also nochmals die Fragen:

Kann Sprache die Wirklichkeit wiederspiegeln? Oder konstruiert sie nur ein ungefähres Bild von der Wirklichkeit? Oder hat das, was sie an Vorstellungen hervorruft, überhaupt keinen Bezug zur Wirklichkeit (was immer das dann sein mag?)

In welchem Verhältnis also steht Sprache zur Wirklichkeit? Welchen Stellenwert hat sie für das Erkenntnisvermögen des menschlichen Subjekts?

Gruß

Horst

Hallo,

Kann Sprache die Wirklichkeit wiederspiegeln? Oder konstruiert
sie nur ein ungefähres Bild von der Wirklichkeit? Oder hat
das, was sie an Vorstellungen hervorruft, überhaupt keinen
Bezug zur Wirklichkeit (was immer das dann sein mag?)

alles dies kann Sprache.
Sie ist keiner bestimmten Qualität allein zuzuordnen.

In welchem Verhältnis also steht Sprache zur Wirklichkeit?
Welchen Stellenwert hat sie für das Erkenntnisvermögen des
menschlichen Subjekts?

Also für das „menschliche“ Erkenntnisvermögen ist sie unverzichtbar
jedoch nicht alles „Erkennen“ setzt Sprache voraus.

Ich hole – und bitte dafür um Nachsicht – etwas weiter aus, um
das komplexe Thema und die damit verbundenen Fragen zu
exponieren.
Schon in der Antike gibt es Zweifel…

usw., das „Ausholen“ bringt eher Verwirrung als Klarheit in die
Fragestellung.
Hast Du wirklich Zweifel ?

Die Sophisten bezweifeln…
Xeniades geht so weit …
Platon lässt später Sokrates im Kratylos-Dialog dagegen…
Aristoteles formuliert …
der Aristoteles-Anhänger Thomas von Aquin …
zerstört Immanuel Kant dieses schöne Gebilde…
Hegel treibt die Sprachanalyse …
Über Nietzsche, den späten Wittgenstein…
De Saussure gelingt Anfang des 20. Jahrhunderts eine…
Lacan entwickelt daraus …
Derrida geht ebenfalls in die Vollen…

Also, da haben wir ja fast alle zusammen, die ihren Senf dazu gegeben
haben und jeder hat da seine eigene Vorstellung

Also nochmals die Fragen:
Kann Sprache die Wirklichkeit wiederspiegeln? …

Ich denke, da mußt Du Dir Deine eigen Gedanken machen, die
„Sprache der Denker“ kann Dir da keine Wirklichkeit vermitteln.
Oder Du nimmst den ersten Satz meiner Einlassung:
„alles dies kann Sprache“.
Und der ist 100% richtig.
Aber das wußtest Du schon -oder ?
Gruß VIKTOR

ontologische Strukturen der Wirklichkeit

Hi Horst,
es hat’s mir fast die Sprache verschlagen, bei deiner Frage danach. Als mündiger Bürger, in meinem Fall hier, als ein Tastaturbesessener , lese ich, nein ich wundere mich was mir dazu alles (nicht) einfällt, deshalb keine belastbare Antwort.

»Wir leben nicht nur mit der Sprache — wir leben aus ihr und von
ihr. Sie formt uns und wir verbrauchen sie. Ein einziges Wort zu
erfinden, ist den wenigsten gegeben: Wir alle zehren von der
Phantasie unserer Vorfahren; ihren Glauben und ihren Aberglauben,
ihr Denken, Fühlen und Wissen, ihre Ängste und ihre Freuden hat
die Sprache gespeichert über zehntausend Generationen hin.«
so leitet Wolf Schneider sein bekanntes Werk: »Wörter machen Leute« ein.

Und der Gauß zugeschriebene Satz fällt mir ein: Wenn Philosophen etwas Wahres sagen, ist es trivial und wenn sie etwas nicht Triviales sagen, ist es falsch.

Die Sprache franst aus, das ist das Schöne daran und »Die Sprache wurde gemacht, bevor die Menschen denken lernten«

Mit Gruß
Tragant

Moin,

Kann Sprache die Wirklichkeit wiederspiegeln? Oder konstruiert
sie nur ein ungefähres Bild von der Wirklichkeit? Oder hat
das, was sie an Vorstellungen hervorruft, überhaupt keinen
Bezug zur Wirklichkeit (was immer das dann sein mag?)

Da all deine Fragen sich auf die „Wirklichkeit“ beziehen, solltest du erstmal definierten, was du mit „Wirklichkeit“ meinst, dann kann man dir auch sagen, ob Sprache dem gerecht wird oder nicht.

Ansonsten sind die Probleme, die du beschreibst, weniger die der Sprache, als die des Nutzers. Wenn jemand sagt: „Da ist nichts“, weil er es nicht sieht, obwohl etwas da ist, dann hat nicht die Sprache versagt.

Gruß
Marion

Das Sein der Sprache

Hi zusammen.

Hi auch

Also nochmals die Fragen:

Kann Sprache die Wirklichkeit wiederspiegeln?

Nein; - Sprache ist Teil der Wirklichkeit und spiegelt nicht.

Oder konstruiert
sie nur ein ungefähres Bild von der Wirklichkeit?

Nein.

Oder hat
das, was sie an Vorstellungen hervorruft, überhaupt keinen
Bezug zur Wirklichkeit (was immer das dann sein mag?)

Nein.

In welchem Verhältnis also steht Sprache zur Wirklichkeit?

Sie ist Teil davon.

Welchen Stellenwert hat sie für das Erkenntnisvermögen des
menschlichen Subjekts?

Das ist abhängig vom Subjekt.

Gruß

dito
Stefan

Gauß und der Positivismus
Hi Tragant.

es hat’s mir fast die Sprache verschlagen, bei deiner Frage danach.

Oh, man fragt schon lange solche Fragen, ich bin nur der Kellner, der die Bescherung auftischt.

“Wir leben nicht nur mit der Sprache — wir leben aus ihr und von ihr. Sie formt uns und wir verbrauchen sie.“ (Wolf Schneider)

Die Frage des Verhältnisses von Sprache und Wirklichkeit wird dabei nicht berührt.

“Wenn Philosophen etwas Wahres sagen, ist es trivial und wenn sie etwas nicht Triviales sagen, ist es falsch.“ (Gauß)

Ok, das sagte Gauß, und der war – in philosophischer Sicht – ein Positivist, also jemand, der Wirklichkeit nur unter dem Gesichtspunkt streng naturwissenschaftlicher Beweisbarkeit akzeptiert. Dementsprechend war Jakob Friedrich Fries (1773-1843) sein Lieblingsphilosoph, also ein erklärter Feind von Transzendenzphilosophen wie Hegel und Schelling.

Von daher kann Gauß´ Rundumschlag nur wenig Gewicht haben, denn seine philosophische Ausgangsbasis ist zwar ehrenwert, aber unzureichend. Immerhin repräsentiert er eine bestimmte Position innerhalb der Sprachphilosophie, nämlich eine solche, die später von der Analytischen Philosophie systematisch ausgearbeitet wurde.

Gruß

Horst

Sprache und Wirklichkeit
Hi Marion.

Was i c h persönlich unter „Wirklichkeit“ verstehe, spielt in dem Post überhaupt keine Rolle. Vielmehr stellte ich verschiedene philosophische Positionen zum Thema „Verhältnis zwischen Sprache und Wirklichkeit“ dar und stellte sie zur Diskussion bzw. möchte damit andere zu eigenen Überlegungen anregen.

Das Problem, um das es geht, ist seit dem Linguistic Turn in der westlichen Philosophie (Anfang 20. Jhd.) sogar die Frage Nr. 1, die jede Denkrichtung erst mal beantworten muss, bevor sie ihr Theoriegebäude ausarbeitet.

Ich denke, du kennst dieses Problem doch aus den Fragestellungen in der buddhistischen Erkenntnislehre. Die dortigen Antworten gehen eindeutig in die Richtung, dass Sprache bzw. sprachlich strukturiertes Denken die Wirklichkeit - im Sinne des Nirvana oder der Shunyata – nicht zu erfassen vermag. „Erfassen“ meine ich dabei im Sinne von „widerspiegeln“ oder „repräsentieren“. Nur in einem pragmatischen Sinne, auf der Ebene des Alltagsbewusstseins, vermag die Sprache (im Buddhismus) einen Nutzen zu haben. Nur sprachlich-gedanklich strukturierte Dinge / Ereignisse können das Objekt von Sprache / Denken sein.

Im groben Prinzip entspricht diese Auffassung – Sprache erfasst nur die Realität innerhalb des alltäglichen Bewusstseinshorizontes – den meisten modernen westlichen Philosophien seit Kant (z.B. auch bei Wittgenstein, der an eine „unsagbare“ mystische Wirklichkeit glaubte). Was die unabhängig davon bestehende Wirklichkeit betrifft, gehen die Meinungen natürlich auseinander.

Andererseits gibt es auch Auffassungen (insbesondere bei den philosophischen Laien, also der überwiegenden Mehrheit), dass Sprache eben doch die Wirklichkeit widerspiegelt. Im Buddhismus heißt das dann bekanntlich „Anhaften an den Formen“.

Ansonsten sind die Probleme, die du beschreibst, weniger die der Sprache, als die des Nutzers. Wenn jemand sagt: „Da ist nichts“, weil er es nicht sieht, obwohl etwas da ist, dann hat nicht die Sprache versagt.

Da handelt es sich aber nur um einen zufälligen Irrtum, der mit dem Prinzip der Fragestellung gar nichts zu tun hat. Die Frage ist (und das in der Philosophie seit Jahrtausenden): vermag Sprache ü b e r h a u p t die Wirklichkeit zu erfassen, oder steht sie dabei vor unüberwindlichen Grenzen?

Gruß

Horst

Moin,

Was i c h persönlich unter „Wirklichkeit“ verstehe, spielt
in dem Post überhaupt keine Rolle. Vielmehr stellte ich
verschiedene philosophische Positionen zum Thema „Verhältnis
zwischen Sprache und Wirklichkeit“ dar und stellte sie zur
Diskussion bzw. möchte damit andere zu eigenen Überlegungen
anregen.

Dann solltest du auch hinzufügen, was jede dieser philosophischen Positionen unter „Wirklichkeit“ versteht. Oder verstehen sie darunter alle das gleiche? Dann was?

Das Problem, um das es geht, ist seit dem Linguistic Turn in
der westlichen Philosophie (Anfang 20. Jhd.) sogar die Frage
Nr. 1, die jede Denkrichtung erst mal beantworten muss, bevor
sie ihr Theoriegebäude ausarbeitet.

Wenn jede Denkrichtung diese Frage bereits für sich beantwortet hat, warum wirfst du sie dann hier wieder auf?

Ich denke, du kennst dieses Problem doch aus den
Fragestellungen in der buddhistischen Erkenntnislehre.

Welches Problem?

Die
dortigen Antworten gehen eindeutig in die Richtung, dass
Sprache bzw. sprachlich strukturiertes Denken die Wirklichkeit

  • im Sinne des Nirvana oder der Shunyata – nicht zu erfassen
    vermag.

Das ist so nicht richtig. Der Buddhismus beschreibt sogar ziemlich genau, was mit Nirvana und Shunyata gemeint ist. Das Problem ist nicht die Beschreibung, sondern das Erreichen dieses Zustands.

„Erfassen“ meine ich dabei im Sinne von
„widerspiegeln“ oder „repräsentieren“. Nur in einem
pragmatischen Sinne, auf der Ebene des Alltagsbewusstseins,
vermag die Sprache (im Buddhismus) einen Nutzen zu haben.

Das ist falsch, da im Buddhismus auch Ebenen, die über das „Alltagsbewusstsein“ hinaus gehen, sprachlich sehr gut erfasst werden können. Aber wolltest du hier nun über Buddhismus diskutieren oder über die westliche Philosophie?

Nur
sprachlich-gedanklich strukturierte Dinge / Ereignisse können
das Objekt von Sprache / Denken sein.

Und warum sollte die „Wirklichkeit“ in welchem Sinne auch immer kein Objekt von Sprache oder Denken sein? Wovon denn sonst?

Im groben Prinzip entspricht diese Auffassung – Sprache
erfasst nur die Realität innerhalb des alltäglichen
Bewusstseinshorizontes – den meisten modernen westlichen
Philosophien seit Kant (z.B. auch bei Wittgenstein, der an
eine „unsagbare“ mystische Wirklichkeit glaubte).

Das ist dann wohl eher ein Problem der westlichen Philosophen, aber nicht des Buddhismus. Im Buddhismus geht man selbstverständlich davon aus, dass es wesentlich subtilere Zustände als den „alltäglichen Bewusstseinshorizont“ gibt, die auch sprachlich beschrieben werden können.

Was die
unabhängig davon bestehende Wirklichkeit betrifft, gehen die
Meinungen natürlich auseinander.

Was glauben denn die westlichen Philosophen, was das ist, eine „unabhängig wovon bestehende Wirklichkeit“? Warum „unabhängig bestehend“? Und warum soll es diese überhaupt geben, wenn doch anscheinend keiner der betreffenden Philosophen diese geistig erfasst hat?

Andererseits gibt es auch Auffassungen (insbesondere bei den
philosophischen Laien, also der überwiegenden Mehrheit), dass
Sprache eben doch die Wirklichkeit widerspiegelt.

Offensichtlich sind Laien hier vernünftiger als die westlichen Philosophen. Meine Nase ist jedenfalls nicht deine Nase. Ganz sicher nicht. Und ich bin mir sicher, dass du auch weißt, was ich meine, wenn ich „Nase“ sage.

Im übrigen hat es hier gerade geregnet. Ganz wirklich.

Im
Buddhismus heißt das dann bekanntlich „Anhaften an den
Formen“.

Blödsinn. „Anhaftung“ bedeutet, dass man nicht in der Lage ist, sich (z.b. geistig) von irgend etwas zu lösen. Wenn ich jedoch feststelle, dass es regnet, dann hafte ich ganz sicher nicht dem Regen an. Anhaftung wäre erst dann gegeben, wenn ich mir wünschen würde, es würde immer weiter regnen. Zudem kann man laut Buddhismus einer falschen Vorstellung von etwas anhaften, z.B. der Vorstellung, dass Regen von sich aus inhärent und völlig unabhängig besteht. Das spielt aber auf der Ebene, über die wir hier reden, überhaupt keine Rolle. Wenn jemand sagt es regnet, wenn es regnet, dann hat er recht, egal ob er denn Regen selbst nun als ein unabhängiges und von sich aus inhärentes Phänomen ansieht oder nicht.

Da handelt es sich aber nur um einen zufälligen Irrtum, der
mit dem Prinzip der Fragestellung gar nichts zu tun hat. Die
Frage ist (und das in der Philosophie seit Jahrtausenden):
vermag Sprache ü b e r h a u p t die Wirklichkeit zu erfassen,
oder steht sie dabei vor unüberwindlichen Grenzen?

Da du nach wie vor nicht definierst, was mit „Wirklichkeit“ in diesem Sinne gemeint ist, kann man deine Frage auch nicht beantworten. Es wäre genau so, wie wenn ich die Frage in den Raum werfen würde, ob Spache vermag „hmpfelstrumpf“ zu erfassen.

Gruß
Marion

Funktion (und Grenzen) der Sprache
Hallo,

Kann Sprache die Wirklichkeit wiederspiegeln?

Ja, und mehr als wiederspiegeln*. Sprache ist das universelle Instrument zur Kommunikation und Beschreibung aller „Wirklichkeiten“. Sachverhalte, Zusammenhänge, Objekte, Gefühle, … Alles „Wirklichkeiten“ für den Sprechenden. In diesem Zusammenhang ein Verweis auf den Beitrag von Pendragon.

Und ergänzend zu Pendragon:
Was ist eigentlich „Sprache“: Sätze? Worte? Buchstaben? Laute?
Taubstummensprache/Gesten? Programmiersprache? …

Mit der richtigen Sprache kann jede regristierte „Wirklichkeit“ kommuniziert und beschrieben werden, vorausgesetzt, man beherrscht dieses Instrument Sprache n.

Dein Posting war für mich übrigens sehr lesenswert, weil du verschiedene Aspekte und Ansätze jeweils auf den Punkt gebracht hast. Persönliche Anregungen für mich, doch einmal das eine oder andere nachzulesen.

Gruß
Der Franke

* Der Schreibfehler stach mir sofort ins Auge :smile:
http://woerter.germanblogs.de/archive/2009/03/06/wid…

Hallo,

Kann Sprache die Wirklichkeit wiederspiegeln? Oder konstruiert
sie nur ein ungefähres Bild von der Wirklichkeit?

Da ist kein Widerspruch in der Aussage.
Sprache kann benutzt werden, um ein Modell der Wirklichkeit zu
vermitteln. Das Modell ist aber nie die Wirklichkeit, sondern
nur ein mehr oder weniger unvollkommnes oder auch abstrahiertes
Spiegelbild.

Oder hat
das, was sie an Vorstellungen hervorruft, überhaupt keinen
Bezug zur Wirklichkeit (was immer das dann sein mag?)

Wenn du per Sprache einen Weg beschreibt, und anhand dessen jeder
den Weg reproduzierbar findet, dann ist das doch ein guter Beleg
für den Bezug zum realen Weg (der Weg kann alles mögliche sein,
z.B. auch die Bauanleitung für ein Ikeanregal oder die BA zum Handy
oder die Dokumentation für eine Atomwaffe oder Rakete).
Zur Sprache würde ich auch gleich noch die Zahlen und mathematischen
Axiome dazuzählen, somit sind alle mathematischen Modelle auch Sprache.

In welchem Verhältnis also steht Sprache zur Wirklichkeit?
Welchen Stellenwert hat sie für das Erkenntnisvermögen des menschlichen
Subjekts?

Da Sprache die Grundlage des Informationsaustausches ist, können wir
mit Sprache lernen. Andernfalls gäbe es keine Wissenschaffen und
keine Technik, keine moderne Medizin, kein Internet usw.
Über die sozialen Aspekte von Sprache kann man auch noch reden.
Gruß Uwi

Hallo,

Also nochmals die Fragen:

Kann Sprache die Wirklichkeit wiederspiegeln? Oder konstruiert
sie nur ein ungefähres Bild von der Wirklichkeit? Oder hat
das, was sie an Vorstellungen hervorruft, überhaupt keinen
Bezug zur Wirklichkeit (was immer das dann sein mag?)

In welchem Verhältnis also steht Sprache zur Wirklichkeit?
Welchen Stellenwert hat sie für das Erkenntnisvermögen des
menschlichen Subjekts?

Deine Frage enthält die Annahme, es gäbe eine unabhängige Wirklichkeit die mit dem Werkzeug Sprache beschrieben werden kann.
Das stimmt, wenn man den Rahmen der Alltagsrealität nicht verläßt. Natürlich kann alles was „wirkt“ und damit „wirklich“ ist, mehr oder weniger gut mit Sprache beschrieben, ausgedrückt - also „wiedergespiegelt“ werden.
Das dieses nur ein „ungefähres Bild“ der bestimmten Wirlichkeit sein kann, liegt schon daran, das sie auf diese Wirklickeit verweist - sie also selbst nicht ist.
Und falls beim Sprechen über diese konkrete Wirklichkeit dieselbe nicht aktuell vorhanden ist - so das sie von Sender + Empfänger sinnlich erfahren werden kann - dann werden die Sprechenden über ihre Erinnerung und Phantasie also über ihre Vorstellung diese erzählte Wirklichkeit „erfahren“.
Wie weit diese Vorstellungen dann einen Bezug zu der Wirklichkeit hat, die von dem Erzählenden gemeint ist, ist ein anderes Thema und hat u.a. mit vergangenen, gemeinsamen, sinnlichen Erfahrungen von Sender und Empfänger zu tun.
Die Werbung versucht z.B. gezielt falsche Vorstellungen mit einer (Produkt-)Wirklichkeit zu verknüpfen um diese attraktiver zu machen:
Rasierwasser - Freiheit …

Verläßt man den Rahmen der Alltagsrealität, dann sieht man, dass der junge Mensch in eine schon vorhandene Erfahrungs- und eine schon vorhandene Sprachwelt hineinwächst.

Die „Wirklichkeit“ wird durch Sprache und Erfahrung konstruiert.
Alleine schon das das Wort „Wirklichkeit“ sich im Deutschen als Substantiv ausdrücken läßt impliziert bestimmte Vorstellungen.

Dinge für die es keine Worte gibt werden irgendwann nicht mehr "wahr"genommen.

Das Verhältnis von Sprache und Wirklichkeit etwas provokant gesagt:
*** Sprache konstruiert Wirklichkeit ***

http://www.google.de/webhp?hl=de&btnG=Google-Suche&l…

Grüße
K.

Zwei Arten der Wirklichkeit?
Hi Franke.

Kann Sprache die Wirklichkeit wiederspiegeln?

Ja, und mehr als wiederspiegeln*.

Den Schreib- bzw. Tippfehler (neben einigen anderen) bemerkte ich zu spät, passierte mir natürlich nur wegen Hektik beim Abfassen.

Sprache ist das universelle Instrument zur Kommunikation und Beschreibung aller „Wirklichkeiten“. Sachverhalte, Zusammenhänge, Objekte, Gefühle, … Alles „Wirklichkeiten“ für den Sprechenden.

Damit scheinst du den Standpunkt zu haben, dass Sprache realitätskonstituierend ist. Zumal du „Wirklichkeiten“ in Anführungszeichen setzt und dann auch noch relativierst – nämlich „für den Sprechenden“.

Das entspricht im Prinzip der Auffassung seit dem Linguistic Turn, dass Wirklichkeit nur relativ zur Sprachstruktur gegeben und erkennbar ist.

Offen bleibt also die Frage – auch an dich – des Verhältnisses der sprachkonstituierten „Wirklichkeit“ zu einer Wirklichkeit unabhängig vom Sprachlichen (die Kant mit dem Zusatz „an-sich“ kennzeichnete, als etwas der Erkenntnis Unzugängliches).

Was die Frage einschließt, ob die sprachkonstituierte „Wirklichkeit“ also überhaupt als Wirklichkeit bezeichnet werden kann – und nicht nur als Trugbild, das zwar ganz gut funktioniert, aber eben doch keinen Bezug zur echten Wirklichkeit hat.

Solche Fragen sind gewiss nicht nur von theoretischer Bedeutung. Gerade im praktischen Leben macht es einen großen Unterschied, in welchem Maße man Denken / Sprache als wirklichkeitsabbildend (oder auch nicht) versteht. Denn Sprache kann – wenn sie denn nur ein Trugbild hervorruft – auch gewaltige Irrtümer produzieren, insbesondere im weltanschaulichen bzw. religiösen Bereich.

Gruß

Horst

Nagarjunas Dekonstruktion des Sprachlichen
Hi Marion.

Vielmehr stellte ich verschiedene philosophische Positionen zum Thema „Verhältnis zwischen Sprache und Wirklichkeit“ dar und stellte sie zur Diskussion…

Dann solltest du auch hinzufügen, was jede dieser philosophischen Positionen unter „Wirklichkeit“ versteht.

Im Prinzip habe ich bei jeder Position klar gemacht, in welchem Verhältnis Sprache jeweils zu „Wirklichkeit“ steht. Die Sophisten hielten sie für unerkennbar (z.B. Xeniades), Aristoteles hielt sie für logisch strukturiert und damit für das Denken erkennbar, Kant hielt sie für unerkennbar („Ding-an-sich“), die Poststrukturalisten hielten sie ebenfalls für (durch Sprache) unerkennbar (Lacan, Derrida).

Das stand alles ganz deutlich dort.

Wenn jede Denkrichtung diese Frage bereits für sich beantwortet hat, warum wirfst du sie dann hier wieder auf?

Erstens kennt das nicht jeder, und zweitens interessieren mich die Ansichten der einzelnen Denker in diesem Brett zu diesem Thema :smile: Vielleicht können wir ja die Philosophie hier ein historisches Stück vorantreiben :smile:

Ich denke, du kennst dieses Problem doch aus den Fragestellungen in der buddhistischen Erkenntnislehre.

Welches Problem?

Das des Verhältnisses von Sprache zu Wirklichkeit natürlich.

Die dortigen Antworten gehen eindeutig in die Richtung, dass Sprache bzw. sprachlich strukturiertes Denken die Wirklichkeit - im Sinne des Nirvana oder der Shunyata – nicht zu erfassen vermag.

Das ist so nicht richtig. Der Buddhismus beschreibt sogar ziemlich genau, was mit Nirvana und Shunyata gemeint ist. Das Problem ist nicht die Beschreibung, sondern das Erreichen dieses Zustands.

Natürlich ist letzteres das, um was es letztlich geht. Aber Voraussetzung dabei ist doch, sich keine „falschen Vorstellungen“ über das zu erreichende Ziel zu machen. Buddhistische meditative Praxis, ganz besonders im Zen, zielt doch eindeutig auf das „Transzendieren“ des (zu recht) als dualistisch gebrandmarkten Denkens, da gerade dieses dem Erkenntnisziel im Wege steht.

Daher sind sprachliche Beschreibung von Nirvana / Shunyata nur von relativer Bedeutung.

Ich zitiere Nagarjuna aus seinem wichtigsten Text.

Dort „dekonstruiert“ er (mit einem modernen Ausdruck) die sprachlich induzierte Illusion, dass Dinge ein selbständiges Sein haben:

Nagarjuna, Die mittlere Lehre, Abschnitt 15 (Sein und Nichtsein):

„Frage:

Die dharmas haben jeder eigenes Wesen (svabhāva), weil mit Kraft (und) Wirken versehen. Wie ein Krug das Wesen eines Kruges, Tuch das Wesen eines Tuches hat. Wenn dieses Wesens Bedingungen (pratyaya) sich vereinigen, gehen (sie) hervor.

Antwort:

In den Bedingungen ist eigenes Sein (svabhāva): diese Sache ist eben nicht richtig. Das eigene Sein geht aus den Bedingungen (pratyaya) hervor: dann heißt es: »gewirkter dharma«. (XV. 1.)
Wenn die dharmas mit eigenem Sein (svabhāva) sind, so würden sie nicht aus Bedingungen hervorgehen. Weshalb? Wenn (sie) aus Bedingungen hervorgehen, dann sind diese gewirkten dharmas nicht wahrhaftig mit eigenem Sein (svabhāva).“

Zitat Ende.

Nagarjuna war einer der ersten dialektischen Sprachkritiker überhaupt. Ich nahm ihn nur deshalb nicht ins Anfangspost auf, um deine Nerven zu schonen :smile:. Jetzt aber scheint mir der Bezug auf ihn unvermeidlich.

Zum Thema „Nirvana“ heißt es im Abschnitt 25 (Das Erlöschen):

„Wenn nirvāṇa ein Sein (bhāva) ist, dann ist nirvāṇa eben gewirkt (saṃskṛta); niemals gibt es einen dharma, der nicht-gewirkt (asaṃskṛta) wäre. (XXV. 5.)

nirvāṇa ist nicht ein Sein (bhāva). Weshalb? Alle Dinge, (die) durch Bedingungen (pratyaya) entstanden (sind), sind ausnahmslos gewirkt (saṃskṛta); nicht ist ein Sein (dharma), das »nicht-gewirkt« (asaṃskṛta) heißt. Obschon ewige dharmas fiktiv »asaṃskṛta« heißen, ist, mit Vernunftgründen gesucht, ein nicht-ewiger dharma wohl nicht, um so mehr ist (ein) ewiger dharma nicht zu erreichen.3 Sehen (sc. eines solchen?) ist nicht erreichbar. Ferner:

Wenn nirvāṇa ist, wie heißt es »ohne Annehmen« (anupādāya)? »Nicht ist es nicht durch Annehmen« aber heißt »Sein« (bhāva). (XXV. 6.)
Wenn (man) sagt: »nirvāṇa ist ein Sein (bhāva)«, dann würde eben das sūtra nicht lehren: »Ohne Annehmen (anupādāya) [170] ist das nirvāṇa.« Weshalb? Es ist kein Sein (bhāva), das, ohne Annehmen, doch ist. Deshalb ist nirvāṇa nicht ein Sein.“

Zitat Ende.

Woraus folgt, dass Nirvana nicht positiv beschreibbar ist. Es kann nur gesagt werden, was es n i c h t ist. D.h. also, es ist sprachlich nicht beschreibbar.

Nur in einem pragmatischen Sinne, auf der Ebene des Alltagsbewusstseins, vermag die Sprache (im Buddhismus) einen Nutzen zu haben.

Das ist falsch, da im Buddhismus auch Ebenen, die über das „Alltagsbewusstsein“ hinaus gehen, sprachlich sehr gut erfasst werden können.

Das geschieht aber nur, um auf der Alltagsebene zu kommunizieren (z.B. von Meister zu Schüler). Dass die von dir angedeuteten, sprachlich beschriebenen Ebenen nur unzureichend und letztlich irreführend dargestellt sind – eben durch Begriffe -, geht aus Nagarjunas Dekonstruktion solcher Begriffe wie „vergehen“ und „entstehen“ hervor.

Im Buddhismus geht man selbstverständlich davon aus, dass es wesentlich subtilere Zustände als den „alltäglichen Bewusstseinshorizont“ gibt, die auch sprachlich beschrieben werden können.

Ja, aber die Beschreibungen sind immer nur von relativer Gültigkeit, denn sie sind, weil sprachlich, immer auch dualistisch, womit sie all dem widersprechen, wofür die buddhistischen Philosophie doch letztlich steht.

Gruß

Horst

Wirklichkeit und Sprache
Hi,

ein weites Feld, das du da beackern willst,
bester Horst!

Kann Sprache die Wirklichkeit wiederspiegeln?

Diese Aussage ist Kernstück der klassischen
Variante der Korrspondenztheorie und
ist als Wahrheitsdefinition und Wahrheitskriterium
philosophisch und erkenntnistheoretisch als naiv
eingestuft worden. In der modernen Variante der
Korrespondenztheorie wird die Übereinstimmung
mit der Wirklichkeit nicht als Abspiegelung aufgefasst,
sondern als eine umkehrbar eindeutige Zuordnung
zwischen Aussage und Wirklichkeit.
(Übereinstimmung als Strukturgleichheit)

Kritiker der Korrespondenztheorie entwickelten
u.a die Kohärenztheorie, die Redundanztheorie,
die Konsenstheorie oder die pragmatische
Wahrheitstheorie.

In den genannten Theorien werden deine Fragen
untersucht.

Wenn du willst, kann ich dir eine Liste
mit Literatur empfehlen.

In welchem Verhältnis also steht Sprache zur Wirklichkeit?

Was meinst du, wenn du Sprache sagst? Welchen Fokus legst
du an? Sprache allgemein und philosophisch, linguistisch
also Sprachfähigkeit, Sprachvarietäten (interessant hier
der Aspekt der Heterogenität der Sprache), Phonetik und
Phonologie wohl eher nicht(?), Morphologie und Syntax
vielleicht, du hast entsprechende Beispiele gebracht…
(So ganz schlau wird man aus deiner Aufstellung nicht.)
Morphologische Verfahren stellen komplexe Wörter oder
Wortformen in einem syntaktischen Zusammenhang her.
Syntaktische Verfahren sind unbeschränkt produktiv
oder rekursiv auf das jeweilige Ergebnis anwendbar
und mit Hilfe von Phrasenstrukturregeln läßt sich die
Bildung komplexer Phrasen beschreiben:

Artikel + Nomen ->Nominalphrase

usw.
Dies nur um die Tiefe deines Interesses auszuloten,
dein, wie du es nennst etwas weiter ausholen, läßt
eine mögliche Antwort nicht so leicht eingrenzen.

Welchen Stellenwert hat sie für das Erkenntnisvermögen des
menschlichen Subjekts?

Einen subjektiven natürlich. Nehmen wir dein posting:
Wenn die menschliche Sprache nicht fähig wäre eine
adäquate Darstellung eines Dings oder einer Vorstellung
oder eines Problems vorzunehmen, wärst du

A) nicht in der Lage, dein Anliegen zu formulieren
B) wären die Leser nicht in der Lage dich zu verstehen

Hier wie schon angedeutet, das interessante Phänomen
der Heterogenität der Sprachen. Ein subjektiv für mich
sehr fruchtbarer Ansatz!

Gruß
Powenz

Wie vergleicht man zwei Wirklichkeiten?
Hi Uwi.

Sprache kann benutzt werden, um ein Modell der Wirklichkeit zu vermitteln. Das Modell ist aber nie die Wirklichkeit, sondern nur ein mehr oder weniger unvollkommnes oder auch abstrahiertes Spiegelbild.

Das wirft die Frage auf, woher du weißt, dass Sprache nur ein „Modell“ liefert bzw. ein unvollkommenes Spiegelbild.

Denn dazu müsstest du wissen, wie die „originale“ Wirklichkeit beschaffen ist. Dieses Problem wird in der Philosophie schon seit Kant hin und her gewälzt, inbesondere aber seit Aufkommen der Analytischen Philosophie.

Mit was, so fragt man dort, kann man denn sprachliche Aussagen überhaupt vergleichen, um zu wissen, w i e weit sie von der hypothetischen „originalen“ Wirklichkeit abweichen?

Eine Antwort darauf geht aus deiner Stellungnahme nicht hervor. Du setzt einfach voraus, dass es ein Original gibt, von dem das Modell oder Spiegelbild mehr oder weniger abweicht.

Meine „sokratische“ Frage wäre also: was lässt dich annehmen, dass 1) Sprache unvollkommen ist und 2) dass „dahinter“ ein Original steht und 3) dass beides miteinander vergleichbar ist?

Denn wir haben doch keinen Standpunkt außerhalb der Sprache, der uns einen Vergleich ermöglichen könnte.

Wenn du per Sprache einen Weg beschreibt, und anhand dessen jeder den Weg reproduzierbar findet, dann ist das doch ein guter Beleg für den Bezug zum realen Weg …

Daran zweifelt ja auch keiner, die Frage bleibt aber, ob der „reale Weg“ ebenfalls nur ein sprachlich-kategorial strukturiertes „Ding“ ist, wie z.B. Immanuel Kant sinngemäß sagen würde. Auch würde er sagen: „Es gibt keinen Weg-an-sich, sondern nur Sinnesdaten, die wir schematisch und kategorial erfassen und ordnen.“

Also ist „real“ in deinem Beispiel nicht beziehbar auf eine hypothetische „originale“ Wirklichkeit – sofern man auf Kants Linie liegt, wie die meisten Philosophen heutzutage.

Da Sprache die Grundlage des Informationsaustausches ist, können wir mit Sprache lernen. Andernfalls gäbe es keine Wissenschaften und keine Technik, keine moderne Medizin, kein Internet usw.

Selbstverständlich. Was aber nur auf einen pragmatischen Nutzen der Sprache hinweist, nicht unbedingt auf einen 1zu1 oder 1zu2 oder 1zu4 oder 1zuX-Bezug zur Wirklichkeit. Das ist ein Unterschied.

Ich betone das, weil es heute in der Philosophie keine relevanten Versionen der Korrespondenztheorie mehr gibt. Die erkenntnistheoretische Sprachskepsis entspringt keineswegs nur meinen persönlichen Präferenzen.

Gruß

Horst

Moin,

Dann solltest du auch hinzufügen, was jede dieser philosophischen Positionen unter „Wirklichkeit“ versteht.

Im Prinzip habe ich bei jeder Position klar gemacht, in
welchem Verhältnis Sprache jeweils zu „Wirklichkeit“ steht.
Die Sophisten hielten sie für unerkennbar (z.B. Xeniades),
Aristoteles hielt sie für logisch strukturiert und damit für
das Denken erkennbar, Kant hielt sie für unerkennbar
(„Ding-an-sich“), die Poststrukturalisten hielten sie
ebenfalls für (durch Sprache) unerkennbar (Lacan, Derrida).

Also gut, ich fasse zusammen: Die von dir genannten Philosophen halten, bis auf Aristoteles, die Wirklichkeit für „nicht erkennbar“. Damit haben sie aber imemer noch definiert, was sie unter „Wirklichkeit“ verstehen. Das ist genau so, als würde ich sagen, der Geumpfeldrumpf ist durch Sprache nicht erkennbar. Weißt du nun irgendwas darüber, was ich mir wohl unter Geumpfeldrumpf vorstelle? Sicher nicht. Es fehlt also immer noch eine Definition.

Wenn jede Denkrichtung diese Frage bereits für sich beantwortet hat, warum wirfst du sie dann hier wieder auf?

Erstens kennt das nicht jeder, und zweitens interessieren mich
die Ansichten der einzelnen Denker in diesem Brett zu diesem
Thema :smile: Vielleicht können wir ja die Philosophie hier ein
historisches Stück vorantreiben :smile:

Dann fang doch mal bei Schritt eins an und definiere, was unter Wirklichkeit zu verstehen ist.

Die dortigen Antworten gehen eindeutig in die Richtung, dass Sprache bzw. sprachlich strukturiertes Denken die Wirklichkeit - im Sinne des Nirvana oder der Shunyata – nicht zu erfassen vermag.

Das ist so nicht richtig. Der Buddhismus beschreibt sogar ziemlich genau, was mit Nirvana und Shunyata gemeint ist. Das Problem ist nicht die Beschreibung, sondern das Erreichen dieses Zustands.

Natürlich ist letzteres das, um was es letztlich geht. Aber
Voraussetzung dabei ist doch, sich keine „falschen
Vorstellungen“ über das zu erreichende Ziel zu machen.

Genau. Und deshalb hat Buddha auch klar definiert, unter diesem Ziel zu verstehen ist.

Buddhistische meditative Praxis, ganz besonders im Zen, zielt
doch eindeutig auf das „Transzendieren“ des (zu recht) als
dualistisch gebrandmarkten Denkens, da gerade dieses dem
Erkenntnisziel im Wege steht.

Eben. Das Ziel lautet unter anderem: Aufgabe des dualistischen Denkens. Das ist sowohl ziemlich eindeutig, als auch sprachlich sehr genau zu definierens. Es gibt hier also kein Problem zwischen zu erreichendem Ziel und Sprache.

Daher sind sprachliche Beschreibung von Nirvana / Shunyata nur
von relativer Bedeutung.

Diese Schlussfolgerng ist von dir ist unlogisch. „Aufgabe von dualistischem Denken“ hat keine „relative“ und „nicht relative“ Bedeutung, sondern meint genau das: Aufgabe von dualistischem Denken. Du konstruierst hier ein Problem, das zumindest im Buddhismus gar nicht besteht.

Ich zitiere Nagarjuna aus seinem wichtigsten Text.

Dort „dekonstruiert“ er (mit einem modernen Ausdruck) die
sprachlich induzierte Illusion, dass Dinge ein selbständiges
Sein haben:

Hier wirfst du mal wieder alles durcheinander. Wie ich in meinem vorigen Beispiel schon ausführte, ist es für den Satz „Es regnet“ und seinen Wahrheitsgehalt völlig unerheblich, ob derjenige, der diese Aussage trifft, nun davon Ausgeht, ob Regen ein „selbständiges Sein“ hat oder nicht. Wenn es regnet, dann hat er recht.

Nagarjuna, Die mittlere Lehre, Abschnitt 15 (Sein und
Nichtsein):

„Frage:

Die dharmas haben jeder eigenes Wesen (svabhāva), weil mit
Kraft (und) Wirken versehen. Wie ein Krug das Wesen eines
Kruges, Tuch das Wesen eines Tuches hat. Wenn dieses Wesens
Bedingungen (pratyaya) sich vereinigen, gehen (sie) hervor.

Antwort:

In den Bedingungen ist eigenes Sein (svabhāva): diese Sache
ist eben nicht richtig. Das eigene Sein geht aus den
Bedingungen (pratyaya) hervor: dann heißt es: »gewirkter
dharma«. (XV. 1.)
Wenn die dharmas mit eigenem Sein (svabhāva) sind, so würden
sie nicht aus Bedingungen hervorgehen. Weshalb? Wenn (sie) aus
Bedingungen hervorgehen, dann sind diese gewirkten dharmas
nicht wahrhaftig mit eigenem Sein (svabhāva).“

Zitat Ende.

Nagarjuna war einer der ersten dialektischen Sprachkritiker
überhaupt. Ich nahm ihn nur deshalb nicht ins Anfangspost auf,
um deine Nerven zu schonen :smile:. Jetzt aber scheint mir der
Bezug auf ihn unvermeidlich.

Siehe oben. Die Darlegung Nagarjunas bezieht sich auf die Frage, ob die Phänomene bedingt existieren, oder ein „eigenes Sein“ haben. Nagarjuna beantwortet diese Frage damit, dass die Phänomene bedingt existieren. Das kann man sprachlich sehr gut ausdrücken und es gibt hier auch nicht das geringeste Sprachproblem.

Zum Thema „Nirvana“ heißt es im Abschnitt 25 (Das Erlöschen):

„Wenn nirvāṇa ein Sein (bhāva) ist, dann ist nirvāṇa eben
gewirkt (saṃskṛta); niemals gibt es einen dharma, der
nicht-gewirkt (asaṃskṛta) wäre. (XXV. 5.)

nirvāṇa ist nicht ein Sein (bhāva). Weshalb? Alle Dinge, (die)
durch Bedingungen (pratyaya) entstanden (sind), sind
ausnahmslos gewirkt (saṃskṛta); nicht ist ein Sein (dharma),
das »nicht-gewirkt« (asaṃskṛta) heißt. Obschon ewige dharmas
fiktiv »asaṃskṛta« heißen, ist, mit Vernunftgründen gesucht,
ein nicht-ewiger dharma wohl nicht, um so mehr ist (ein)
ewiger dharma nicht zu erreichen.3 Sehen (sc. eines solchen?)
ist nicht erreichbar. Ferner:

Wenn nirvāṇa ist, wie heißt es »ohne Annehmen« (anupādāya)?
»Nicht ist es nicht durch Annehmen« aber heißt »Sein« (bhāva).
(XXV. 6.)
Wenn (man) sagt: »nirvāṇa ist ein Sein (bhāva)«, dann würde
eben das sūtra nicht lehren: »Ohne Annehmen (anupādāya) [170]
ist das nirvāṇa.« Weshalb? Es ist kein Sein (bhāva), das, ohne
Annehmen, doch ist. Deshalb ist nirvāṇa nicht ein Sein.“

Zitat Ende.

Woraus folgt, dass Nirvana nicht positiv beschreibbar ist.

Im obigen Zitat beschreibt Nagarjuna lediglich, dass Nivana kein „Sein“ im Sinne von abhängig entstanden ist.

Es
kann nur gesagt werden, was es n i c h t ist. D.h. also, es
ist sprachlich nicht beschreibbar.

Das ist falsch. Wenn ich eine erschöpfende Liste davon erstelle, was etwas nicht ist, dann hab ich es sprachlich beschrieben. Was denn sonst?

Nur in einem pragmatischen Sinne, auf der Ebene des Alltagsbewusstseins, vermag die Sprache (im Buddhismus) einen Nutzen zu haben.

Das ist falsch, da im Buddhismus auch Ebenen, die über das „Alltagsbewusstsein“ hinaus gehen, sprachlich sehr gut erfasst werden können.

Das geschieht aber nur, um auf der Alltagsebene zu
kommunizieren (z.B. von Meister zu Schüler). Dass die von dir
angedeuteten, sprachlich beschriebenen Ebenen nur unzureichend
und letztlich irreführend dargestellt sind –

Das ist deine Meinung, aber keine buddhistische Meinung. Buddha lehrte den Buddhismus durch Sprache und ich kann dir versichern, dass seine Lehre (durch die Sprache) völlig ausreichend ist, um die Ziele des Buddhismus zu erreichen. Sprache ist hier weder unzureichend, noch irreführend.

Im Buddhismus geht man selbstverständlich davon aus, dass es wesentlich subtilere Zustände als den „alltäglichen Bewusstseinshorizont“ gibt, die auch sprachlich beschrieben werden können.

Ja, aber die Beschreibungen sind immer nur von relativer
Gültigkeit, denn sie sind, weil sprachlich, immer auch
dualistisch, womit sie all dem widersprechen, wofür die
buddhistischen Philosophie doch letztlich steht.

Da hast du was falsch verstanden. Wenn ich sage: „Dies ist meine Nase.“ und damit auf meine Nase zeige, dann ist der Irrtum, der beim Hörenden entstehen könnte, dass mit „Nase“ immer das gleiche gemeint ist, dass sie sich also nicht verändert. In diesem Sinne spricht man im Buddhismus von einer „relativen Gültigkeit“. Weil eben meine Nase heute nicht vollständig identisch ist mit dem, was ich gestern als „meine Nase“ bezeichnet habe (es könnte zum Beispiel ein Pickel hinzugekommen sein). Dennoch ist meine Nase auch heute noch meine Nase und eben nicht deine Nase und aus meiner Nase wird heute auch nicht mein Arm.

Wie auch weiter oben durch die schönen von dir angeführten Zitate von Nagarjuna verdeutlicht geht es hier darum, die Phänomene als abhängig zu beschreiben und eben nicht als aus sich selbst heraus existent. Das Problem ist auch nicht, dass die Leute nicht das abhängige Entstehen der Phänomene erkenne würden, denn dies ist ein relativ logischer und wissenschaftlich leicht nachzuvollziehender Vorgang, sondern das Problem ist, dass diese Erkenntnis für die meisten Menschen keine Konsequenz hat, indem sie z.B. an den Phänomenen haften, als wären sie inhärent existent, und dies gilt ganz besonders für das „eigene Selbst“.

Aber das ganze hat nun mit deiner ursprünglich aufgeworfenen Frage von Wirklichkeit und Sprache in der westlichen Philosophie überhaupt nichts mehr zutun.

Gruß
Marion

Hallo,
du wirfst eine grundsätzliche Frage auf und willst dich dann bei der
grundsätzlichen Antwort vom Hundertsten ins Tausendste verlieren.

Auch die unendliche Aufzählung von vermeintlich konträren Meinungen
anderer Philosophen bringt mir persönlich nix, weil da keinerlei
Standpunkt mehr feststellbar ist und es scheinbar bei der Diskussion
nicht mehr um Inhalt sondern nur noch darum geht, eine beliebige
Diskussion zu führen und große Belesenheit zu dokumentieren.

Das wirft die Frage auf, woher du weißt, dass Sprache nur ein
„Modell“ liefert bzw. ein unvollkommenes Spiegelbild.

Nimmst du an, dass Sprache kein Modell sein kann oder ein perfekte
Spiegelbild liefert?
Ok, man soll eine Frage nicht mit einer Gegenfrage beantworten, aber
in dem Fall solle nur demonstrieren, welchen Wert die Frage hat.

Denn dazu müsstest du wissen, wie die „originale“ Wirklichkeit
beschaffen ist.

Ein weites Feld. Geht es jetzt also nicht mehr um die Sprache, sondern
darum, dass die Welt erkennbar ist oder nicht und unsere Erkenntnissen
nicht nur reine Einbildung oder wohin willst du jetzt?

Dieses Problem wird in der Philosophie schon
seit Kant hin und her gewälzt, inbesondere aber seit Aufkommen
der Analytischen Philosophie.
Mit was, so fragt man dort, kann man denn sprachliche Aussagen
überhaupt vergleichen, um zu wissen, w i e weit sie von der
hypothetischen „originalen“ Wirklichkeit abweichen?

Die Sprache selbst ist eine Methode, um z.B. Objekte zu vergleichen.
Warum sollte man diese Methode jetzt mit Objekten vergleichen.
Das unsere Wahrnehmung fehlerhaft ist, wissen wir ja und ich akzeptiere
deshalb rein pragmatisch gewisses Toleranzen. Je nach Art der
Wahrnehmung und Nutzung der Hilfsmittel kann die Toleranz zur Wirklichkeit
größer oder kleiner sein.

Eine Antwort darauf geht aus deiner Stellungnahme nicht hervor.
Du setzt einfach voraus, dass es ein Original gibt,
von dem das Modell oder Spiegelbild mehr oder weniger abweicht.

Hat das noch was mit der ursprünglichen Frage zu tun?

Meine „sokratische“ Frage wäre also: was lässt dich annehmen,
dass 1) Sprache unvollkommen ist und 2) dass „dahinter“ ein
Original steht und 3) dass beides miteinander vergleichbar ist?

zu1) Vollkommen kann sie nicht sein, sonst wären die sprachliche
Darstellung und das Original nicht mehr unterscheidbar.
Das ist aber wohl sicher nicht der Fall, denn in der Regel kann ich schon
unterscheiden, ob über Essen nur gequatscht wird, oder ob ich selber
gerade satt werde.
zu2) Das ist eine grundsätzliche Frage der Weltanschuung, die nicht
Thema war. Ich bin Materialist und nehme deshalb an, das die Natur
real existiert und die Naturgesetze für mich erkennbar sind.
Du darfst irgend was anderes an Wahrhaftig glauben.
zu 3) Ist unter 2) schon beantwortet.

Denn wir haben doch keinen Standpunkt außerhalb der Sprache,
der uns einen Vergleich ermöglichen könnte.

Wenn meine Wahrnehmung (Sinne) die Übereinstimmung des mit Sprache
formulierten Modells der Umwelt feststellt, ist das ein Standpunkt
außerhalb der Sprache.
Die Wahrnehmung kann durch technische Hilfsmittel (Messgeräte)
erweitert sein.

Wenn du per Sprache einen Weg beschreibt, und anhand dessen jeder den Weg reproduzierbar findet, dann ist das doch ein guter Beleg für den Bezug zum realen Weg …

Daran zweifelt ja auch keiner, die Frage bleibt aber, ob der
„reale Weg“ ebenfalls nur ein sprachlich-kategorial
strukturiertes „Ding“ ist, wie z.B. Immanuel Kant sinngemäß sagen würde.

Hä, läuft du den Weg mit der Klappe oder mit den Füßen???

Auch würde er sagen: „Es gibt keinen Weg-an-sich,
sondern nur Sinnesdaten, die wir schematisch und kategorial erfassen
und ordnen.“

Ob es den Weg gibt oder ob du dir alles nur einbildest, ist eine andere
Sache. Das hatten wir oben schon.

Also ist „real“ in deinem Beispiel nicht beziehbar auf eine
hypothetische „originale“ Wirklichkeit – sofern man auf Kants
Linie liegt, wie die meisten Philosophen heutzutage.

Das mit dem „auf einer Linie liegen“, halte ich für ein reine
Behauptung deinerseits.

Da Sprache die Grundlage des Informationsaustausches ist, können wir mit Sprache lernen. Andernfalls gäbe es keine Wissenschaften und keine Technik, keine moderne Medizin, kein Internet usw.

Selbstverständlich. Was aber nur auf einen pragmatischen
Nutzen der Sprache hinweist, nicht unbedingt auf einen 1zu1
oder 1zu2 oder 1zu4 oder 1zuX-Bezug zur Wirklichkeit. Das ist
ein Unterschied.

So, so. Was nun ein 1 zu 4-Bezug zur Wirklichkeit sein soll,
wird wohl dein Geheimnis bleiben.

Ich betone das, weil es heute in der Philosophie keine
relevanten Versionen der Korrespondenztheorie mehr gibt. Die
erkenntnistheoretische Sprachskepsis entspringt keineswegs nur
meinen persönlichen Präferenzen.

Man kann im Detail sicher viele Differenzen finden. Du hast aber erstmal
Grundsätzliches zur Sprache gefragt und gehst jetzt zu grundsätzlichem in
der philosophischen Ausrichtung.

Dat bring ba nix, außer wieder viele leere Worte.
Gruß Uwi

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Lieber Horst!

Drei Dinge möchte ich zu deinem wahrhaft gelungenen Exposé anmerken.

Erstens : Selbstverständlich kann man diese Position ‚Zweifel an der wirklichkeitsabbildenden Funktion der Sprache‘ des Sophistes à Derrida et au-delà als ein Kontinuum konzipieren, wie du das hier getan hast.

Das interessantere Kontinuum ist m.E. aber das des Repräsentationsschemas, dessen Ariadnefaden aus dem Labyrinth der Griechen bis heute reichte und reicht, das aber in steigender Intensität seinen Faden verliert - bei Kant, Wittgenstein, Heidegger, Derrida.

–> Ich würde daher sagen: ein Dekonstruktionist, der hat keine eigentlichen Zweifel mehr daran, ob Sprache denn nun tatsächlich die Wirklichkeit abbildet oder nicht (eher kritisiert er noch die Zweifelnden und die Nicht-Zweifelnden gleichermaßen).
Nein, er hat sich von solchem Fragen …

Kann Sprache die Wirklichkeit wiederspiegeln? Oder konstruiert
sie nur ein ungefähres Bild von der Wirklichkeit? Oder hat
das, was sie an Vorstellungen hervorruft, überhaupt keinen
Bezug zur Wirklichkeit (was immer das dann sein mag?)

… selbst verabschiedet, weil sie schon als Fragen noch auf dem Schema der Repräsentation ruhen.

Sprache erzeugt Wirklichkeit. Wir Sprecher sind die Hüter des Seins (um mal Heidegger ins Spiel zu bringen). Da spielt es keine allem übergeordnete Rolle, dass in vielen Fällen unsere Sprache dann auch Wirklichkeiten widerspiegelt.
Wenn ich sage: „der Schnee ist weiß“, dann ist er weiß, wenn er weiß ist.
Daran, an der Weißheit des Schnees, kann es gar keinen Zweifel geben, der bei seinem Zweifeln nicht alles Lebende unter einer metaphysischen Schneelawine begraben würde.

Nein, die interessantere Frage des Bezugs der Sprache zur Wirklichkeit ist die, weshalb wir den Schnee traditionell zunächst als weiß sehen und nicht etwa als ‚zumfischengeeignet‘ oder als ‚vongottpoliert‘.

Zweitens : Was meint hier der Begriff „Sprache“?
Ein Sprachsystem wie die deutsche Sprache eines ist, die französische Sprache usw.?
Oder eine Univeralsprache (wie sie etwa Noam Chomsky annimmt), die quasi alle menschlichen Sprachen ist.

Oder ist damit eher die Tätigkeit des Sprechens gemeint, Sprechakte (im Sinne der Sprechakttheorie), die gar nicht so sehr nur Zuweisungen von Prädikaten an Subjekte sind, die nicht nur Dinge konstatieren, sondern die in erster Linie „Dinge tun“ (vgl. bloß den Titel von Austins Gründungswerk der Sprechakttheorie: How to do things with words).

Und die daher nicht nur lokutionären, sondern illokutionären und perlokutionären Charakter haben, also Wirklichkeiten nicht nur benennen, sondern dabei auch erzeugen/definieren, Effekte auf die materiale Welt ausüben - und zwar indem sie die Kraft der Wirklichkeit notwendig bereits voraussetzen.

Ein simples Beispiel zur Veranschaulichung: Ein Richter erzeugt qua „Ich befinde Sie schuldig und verurteile Sie hiermit …“ den Tod eines Menschen, also etwas höchst Wirkliches.
Dabei setzt dieser gelungene Sprechakt des Schuldspruchs aber allerlei schon wirkliche Institutionen voraus: die des „Richters“ (denn wenn ein Bäcker jemanden „hiermit …“ zum Tode verurteilt, denn misslingt der Sprechakt, er zeigt keine Wirkung, keine Wirklichkeitskonstitution), die der Todesstrafe, die des Strafsystems usw.

Diese Institutionen/Wirklichkeiten beruhen selbst wiederum auf gelungenen Sprechakten wie dem legislativen Akt der Einführung der Todesstrafe, usw. und werden mit jedem Sprechakt „Schuldspruch“ auch aufrechterhalten (denn wenn es keine Schuldsprüche mehr gäbe, dann gäbe es auch kein System der Strafen mehr) und fortwährend modifiziert.

–> Deine Fragen haben also aus meiner Sicht nur Sinn, wenn man Sprache nicht nur als „Sprachsystem“ versteht, denn so hat man nur den 1000. Aufguss des Platonischen Höhlengleichnisses, dieses mal als ‚linguistic turn‘ verkauft, bei dem ein Mann von Geschmack nur noch müde gähnen sollte, weil er gar so langweilt.

Man muss Sprache m.E. als ein Netz aus Sprechakten verstehen, welches natürlich Grammatik, Semantik usw. einschließt, welches aber v.a. Wirklichkeiten wie die sozialen Institutionen, Normen, Machtverhältnisse usw. voraussetzt - und damit eben auch einschließt.

Es geht mir hier also um das Sprechen, nicht nur um die Sprache.
Und mich dünkt, ein später Heidegger, ein Derrida usw., die sehen das auch so.

Drittens : Ist das wirklich so unbedeutend/unfruchtbar wie Hegel-Schellings „schwarze Kuh in der Nacht“ (um deinen eigenen Hinweis anderen Ortes hier aufzunehmen), wenn man notwendig mit sprachlichen Mitteln nach dem ‚Sprache-Wirklichkeits-Verhältnis‘ fragt?
Kann man dabei davon abstrahieren, dass man hier eigentlich von einem „sprachlichen Sprache-Wirklichkeits-Verhältnis“ spricht? Welchen Preis zahlt man für diese Abstraktion? Den der Hegelianischen Raserei?
Oder ist das doch dermaßen unhintergehbar, so dass man dann aber gezwungen ist mit dem Repräsentationsschema, also der Dualität von Sprache und Wirklichkeit, zu brechen?

_ ℂ Λ ℕ Ð I Ð € _

Sprache und Phantasma
Hi Powenz.

In der modernen Variante der Korrespondenztheorie wird die Übereinstimmung mit der Wirklichkeit nicht als Abspiegelung aufgefasst, sondern als eine umkehrbar eindeutige Zuordnung zwischen Aussage und Wirklichkeit. (Übereinstimmung als Strukturgleichheit)

Du meinst das Isomorphie-Modell von Wittgenstein I, das aber durch die Sprachspiel-Theorie von Wittgenstein II überwunden wurde? Es erinnert im Grunde an die Ansicht von Aristoteles, der eine Korrespondenz von Erkenntnis- und ontologischen Strukturen annahm. Für mich als Kantianer ist das natürlich nicht akzeptabel.

Kritiker der Korrespondenztheorie entwickelten u.a die Kohärenztheorie, die Redundanztheorie, die Konsenstheorie oder die pragmatische Wahrheitstheorie.

Sind mir, bis auf die Redundanztheorie, alle einigermaßen geläufig. Ich favorisiere die pragmatische Wahrheitstheorie, um jene relative „Wirklichkeit“ zu erfassen, die uns im Horizont des Alltagsbewusstseins gegeben ist. Darüber hinaus gehe ich von einer sprachlich nicht beschreibbaren „absoluten Wirklichkeit“ aus.

In welchem Verhältnis also steht Sprache zur Wirklichkeit?

Was meinst du, wenn du Sprache sagst?

Natürlich die Alltagssprache, also die, mit der wir unsere relative Wirklichkeit konstruieren.

Morphologie und Syntax vielleicht, du hast entsprechende Beispiele gebracht…

Ja, es geht mir, wie schon angedeutet, um die grammatische Grundform SP, die das Denken und Erkennen fundamental prägt und damit auch Ursache ist für alle Illusionsbildungen und geistigen Pathologien.

Das grammatische Subjekt (als Substantiv) verleitet zu einem weltanschaulichen Essentialismus, der in pragmatischer Hinsicht sicher seinen Nutzen hat (und auch alternativenlos ist), der in psychologischer Hinsicht aber nur Phantasmen erzeugt. Phantasmatisch ist die Substantialisierung kontingenter, prozesshafter Strukturen zu scheinbaren „Einheiten“, denen das sprachlich irregeleitete Denken und Fühlen ein Selbstsein zuspricht. In Lacans Terminologie ist eine solche Einheit eine „imaginäre“, also auf (Selbst-)Täuschung beruhende.

Die Grammatik verleitet also zur gedanklichen Konstruktion von Schein-Identität, wo keine ist.

Dieser Psychomechanismus hatte auch Platon zur Annahme jenseitiger Urbilder verleitet und Aristoteles dazu, Substanz und Akzidens ontologisch zu trennen.

Genau dieses – philosophisch antiquierte – Denkmuster bestimmt immer noch das Denken und Fühlen der allermeisten Menschen.

Seit Saussure ist aber klar (oder sollte es sein), dass Identität kein a priori positives Faktum ist, sondern einzig ein Effekt aus Differenzen innnerhalb eines Zeichensystems.

Da aber keines der Zeichen als fundamental gelten kann, da sich also alle Zeichen wechselseitig bestimmen, gibt es so etwas wie Identität (Essenz, Wesen, Substanz) gar nicht.

Welchen Stellenwert hat Sprache für das Erkenntnisvermögen des menschlichen Subjekts?

Einen subjektiven natürlich. Nehmen wir dein posting: Wenn die menschliche Sprache nicht fähig wäre eine adäquate Darstellung eines Dings oder einer Vorstellung oder eines Problems vorzunehmen…

Was heißt „adäquate Darstellung eines Dings“? Korrespondenz- , Kohärenz- oder Pragmatismus- bezogen?

… wären die Leser nicht in der Lage dich zu verstehen

Texte, z.B. mein Posting, sind Zeichenketten, die im Bewusstsein des Lesers Bedeutungseffekte erzeugen. Da es aber keine universale Bedeutungs-Identitäten gibt, auf die alle Subjekte simultan Zugriff haben, konstruiert jedes Subjekt die Bedeutung so aus dem Text heraus, wie es seiner eigenen Erfahrung und Vorstellungswelt entspricht.

Und zwar unter Anwendung von „Prototypen“, Schematismen und Lacan´schen Herrensignifikanten, die auf den Text projiziert werden, um eine Interpretation hervorzubringen. All diese Faktoren sind weder angeboren noch aus der Außenwelt abstrahiert, sondern sprachlich vermittelt und unter kontingenten Bedingungen vom Subjekt verinnerlicht worden. Somit ist und bleibt Textverstehen in einem Zirkel begriffen, der zu einer „äußeren Wirklichkeit“ keinen unmittelbaren Bezug hat.

Ich bin gerne bereit, auf Details zu den vagen Ausführungen, die ich gerade machte, einzugehen, wenn du da für dich einen Anknüpfungspunkt siehst.

Hier wie schon angedeutet, das interessante Phänomen der Heterogenität der Sprachen. Ein subjektiv für mich sehr fruchtbarer Ansatz!

Dann interessiert dich vielleicht auch die mittlerweile in Vergessenheit geratene Sapir-Whorff-Hypothese aus den 70ern oder so.

Gruß

Horst

Wirklichkeit innerhalb und außerhalb der Sprache
Hi Klaus.

In welchem Verhältnis also steht Sprache zur Wirklichkeit?

Deine Frage enthält die Annahme, es gäbe eine unabhängige Wirklichkeit die mit dem Werkzeug Sprache beschrieben werden kann.

Dass es eine Wirklichkeit unabhängig von Sprache gibt, davon kann und muss man sogar ausgehen. Selbst wenn kein Mensch auf der Erde leben und sprechen würde, gäbe es „Welt“, also Wirklichkeit. Das Gegenteil anzunehmen, wäre radikaler Solipsismus, den hier im Brett sicher keiner vertritt.

Dass aber Sprache diese Wirklichkeit beschreiben kann, steckt nicht in der Frage. Das Verhältnis kann ja auch ein negatives sein.

Natürlich kann alles was „wirkt“ und damit „wirklich“ ist, mehr oder weniger gut mit Sprache beschrieben, ausgedrückt -also „wiedergespiegelt“ werden. Das dieses nur ein „ungefähres Bild“ der bestimmten Wirlkichkeit sein kann, liegt schon daran, das sie auf diese Wirklickeit verweist - sie also selbst nicht ist.

Was lässt dich annehmen, dass es eine Wirklichkeit 1 gibt (unsere sprachlich strukturierte Wirklichkeit), die von einer angenommenen Wirklichkeit 2 (das perfekte Original) nur eine verzerrte Kopie ist?

Geht es dir darum, dass wir die Wirklichkeit einfach noch nicht präzise genug erkennen? Dass prinzipiell also die Sprache durchaus dafür taugt, Wirklichkeit zu beschreiben, vielleicht sogar in vollkommener Weise, wenn man sich nur genug Mühe macht?

Das würde aber mindestens bedeuten, dass Grammatik und sprachinterne Logik strukturgleich zur Wirklichkeit sind (also „isomorph“).

Das zu beweisen, ist aber eigentlich unmöglich, da wir immer nur Aussagen mit Aussagen vergleichen können und nie eine Aussage mit einer davon unabhängigen Wirklichkeit.

Denn wenn ich sage: „Es regnet“, und ich sehe dabei, dass es regnet, dann koinzidieren nur zwei Aussagen: eine verbale Aussage und eine sprachlich strukturierte gedankliche Aussage. Denn erkennen, dass es regnet, heißt immer nur: (sprachlich) denken, dass es regnet.

Letzteres ist also eine auf Sinnesdaten projizierte Gedankenform - und keine „Tatsache in der Welt“.

Das Verhältnis von Sprache und Wirklichkeit etwas provokant gesagt: *** Sprache konstruiert Wirklichkeit ***

Das ist überhaupt nicht provokant, da es seit den Sophisten und Buddhisten in der Philosophie eine verbreitete, wenn auch natürlich nicht populäre Sicht der Dinge ist.

Gruß

Horst