Lieber Horst!
Selbstverständlich kann man diese Position ‚Zweifel an der wirklichkeitsabbildenden Funktion der Sprache‘ des Sophistes à Derrida et au-delà als ein Kontinuum konzipieren, wie du das hier getan hast.
Ich hatte auch Platon, Aristoteles und Thomas angeführt, die f
ü r das Repräsentationsschema und g e g e n den
erkenntnistheoretischen Zweifel stehen.
Aber auch wer f ü r den Zweifel und g e g e n die Repräsentation ist, der steht nach meinem Dafürhalten dennoch noch immer auf dem Boden des Repräsentationsschemas (ich definiere es weiter unten! darum behalte ich den Begriff hier bei).
Das war mein Punkt.
ein Dekonstruktionist … hat sich von solchem Fragen … „Kann Sprache die Wirklichkeit widerspiegeln? … Oder hat das, was sie an Vorstellungen hervorruft, überhaupt keinen Bezug zur Wirklichkeit (was immer das dann sein mag?)“… selbst verabschiedet, weil sie schon als Fragen noch auf dem Schema der Repräsentation ruhen.
Derrida schloss eine sprachunabhängige Wirklichkeit
keinesfalls aus.
Natürlich schloss er das nicht aus.
Das wäre ja schön blöd von ihm, wenn er sich damit auf diese Weise auf das Repräsentationsschema -und sei es in negativer Form- wieder zurückbiegen würde …
Derrida… Lacan … Beide würden sich an meinen
Formulierungen vermutlich weniger reiben als du.
Ja, Lacan würde das fraglos weniger.
Bei Derrida bin ich mir nicht so sicher, ob er nicht doch schon meinen Bewusstseinsstand erreicht hatte 
Im Ernst, ich bin geneigt, zwischen den beiden Begriffspersonen Lacan und Derrida eine weit längere (Derrida spricht an einer Stelle in „Vergessen wir nicht die Psychoanalyse“ mal von ‚unendlicher‘) Pause einzufügen als du das machst.
Sicher fehlte dir die gefragte Möglichkeit der „Erzeugung“ des
Wirklichen durch Sprache. Touché - den
sozialkonstruktivistischen Aspekt hatte ich beim Abfassen
übersehen.
Nee, nee.
Ich hatte mit der Sprechakttheorie (der auch ein Derrida viel verdankt) argumentiert, aus guten Gründen nicht mit dem Sozialkonstruktivismus.
Darum kann ich es auch nicht so leicht schlucken, wenn du dich auf die ‚Erkenntnistheorie‘ zurückziehen magst (und mich dadurch auf welches Gebiet verweist?), wie du eingangs schriebst.
Ja, darum geht es mir auch. Um Erkenntnistheorie und Ontologie. In keinster Weise nur um Soziologie.
Meine Fragen suggerierten allesamt, dass es eine
sprachunabhängige Wirklichkeit gibt
richtig, das meinte ich mit dem „Repräsentationsschema“.
Sobald man ein Repräsentationsverhältnis denkt, kann man nicht anders denn das Verhältnis von Sprache und Wirklichkeit als eine Dualität zu denken.
- was du, wenn ich dich
recht verstehe (ohne mir da sicher zu sein), abstreitest.
Nein, ich streite nicht ab, dass es eine sprachunabhängige Wirklichkeit geben mag, ich finde „lediglich“ dieses Repräsentationsschema, das als unausgesprochene Voraussetzung erst diesem
„Es gibt (nicht)* eine sprachunabhängige Wirklichkeit“
den Boden bereitet, unfruchtbar und allzu Platonisch.
* ob Position oder Negation - in beiden Fällen liegt das gleiche Schema als Voraussetzung darunter.
Ich glaube, das ist gar nicht so weit entfernt von der Frage nach Gott: Es gibt ihn (nicht). Wie unsymmetrisch, weil bei diesem Aussagenspiel immer Gott gewinnt. Der lacht sich über die Atheisten doch krumm.
Je mehr ich davon spreche, dass es Gott nicht gibt, desto mehr spreche ich von Gott …
Das will ich nicht. Gott muss nicht negiert werden, er muss ignoriert werden. Und Platon und Aristoteles und Thomas auch.
Natürlich fehlten auch in meinem historischen Abriss vor allem
die Positionen von Wittgenstein I und II, Heidegger und Austin
/ Searle (Sprechakttheorie), aber da ich mir keinen Anspruch
auf Vollkommenheit auferlegte, sondern einfach nur das Thema
exponieren wollte und auf weiterführende Debatten (wie hier)
vertraute, hatte ich damit kein Problem.
Das ist schon klar.
Wobei du das jetzt so lapidar sagst, als ginge es um die bloße Vollständigkeit deines Exposés …
Ich denke, wenn du nicht von Lacan zu Derrida übergegangen wärst, sondern von Heidegger zu Derrida, und auch von der Sprechakttheorie zu Derrida, dann hätte die Pointe deines Abriss auch eine andere werden müssen.
Darum ging es mir ja auch mit meiner Replik.
Du hast mehr oder weniger alle Positionen ausgeschlossen oder zumindest nicht vollwertig erfasst, die nach und nach mit diesem Schema gebrochen haben, das ich hier das „Repräsentationsschema“ nenne, und das einfach nur heißt: Annahme oder Ablehnung einer Dualität von Sprache/Geist/Bewusstsein und Wirklichkeit.
Ich sehe hier zwei Begriffsprobleme.
- Man muss, denke ich, zumindest heuristisch „Wirklichkeit“
differenzieren in eine „für-uns“ und eine „an-sich“, was auf
Kant und (explizit) auf Hegel zurückgeht.
Nachdem ich mich hier für eine Position stark mache, die mit dem „Repräsentationsschema“ brechen möchte, werde ich den Teufel tun und genau dieses Schema hier als ein Muss voraussetzen - und sei es tausend mal heuristisch.
Ich kann mir die Wirklichkeit problemlos auch anders vorstellen denn als eine Dualität von An-Sich und Für-Uns.
Ich glaube, damit befinde ich mich übrigens auch in Gesellschaft von 99% der Weltbevölkerung …
Das ist natürlich kein philosophisches Argument, ich weiß, aber es beruhigt ungemein 
Im Prinzip gibt es diesen theoretischen
Kategoriendualismus auch in östlichen Philosophien (Maya vs.
Brahman, Samsara vs. Nirvana z.B.).
hier muss ich mich -mit der Äußerung eines leichten Zweifels, ob man wirklich Samsara vs. Nirvana mit An-Sich vs. Für-Uns gleichsetzen kann- enthalten.
Dazu gibts ja auch massig überaus kontroverse Literatur, gerade auch was Schopenhauers oder Nietzsches Nähen zur östlichen Philosophie betrifft. Und gerade bei Schopenhauer geht es ja ganz direkt um das hier von dir angesprochene.
- Der Begriff „Erzeugen“ schließt diesen (theoretischen,
wohlgemerkt) Dualismus aber aus.
Korrekt.
Denn Erzeugen heißt für mich,
dass etwas geschaffen wird, das es ohne diesen Schaffensakt n
i c h t gäbe.
Das stimmt wohl, wobei ich mich hier vielleicht korrigieren/präzisieren muss:
Wenn man das „Erzeugen“ allzu wörtlich nimmt, dann würde es heißen, dass da etwas erzeugt würde, das sonst nicht da wäre, und dann käme ich schnell zu der Aussage, die ich (siehe oben!) gerade nicht tätigen will:
„Es gibt nicht eine sprachunabhängige Wirklichkeit“
Sagen wir also so (und das hatte ich mit der Sprechakttheorie sinngemäß eigentlich auch schon angedeutet):
Sprache erzeugt Wirklichkeit, Sprache setzt beim Erzeugen von Wirklichkeit immer schon (durch-Sprache-erzeugte-)Wirklichkeit voraus - aber so, dass man aus prinzipiellen Gründen (nicht also nur etwa aus pragmatischen Gründen, wie dem Zeitaufwand oder dergleichen) niemals per Regression eine nicht -durch-Sprache-erzeugte-Wirklichkeit erreichen könnte, weil sich diese Regression aus prinzipiellen Gründen nie von ihrem Ausgangspunkt lösen könnte, und dieser einzig mögliche Ausgangspunkt ist das Hier+Jetzt, nicht ein hypothetischer Urzustand vor der Sprache, denn der ist nichts weiter als eine sprachliche Fiktion/Projektion.
Ich glaube, auch wenn du Derrida sehr Lacanisch zu lesen scheinst, in diesen Ausführungen dürftest du Derrida durchaus erkennen können.
Und hier sehe ich keine Spur mehr von An-Sich vs. Für-Uns bzw. vom „Repräsentationsschema“, sprich der oben definierten Dualität von Sprache/Geist/Bewusstsein vs. Wirklichkeit.
Da kann ich nicht folgen. Das mag aber ein terminologisches
Problem sein, das wir klären müssten. Für mich gilt
jedenfalls, dass eine Wirklichkeit „an-sich“ die logische
Voraussetzung für eine Wirklichkeit „für-uns“ ist.
Natürlich ist es das, wenn du schon ein Für-Uns annimmst, denn in diesem Für-Uns steckt ja schon zwingend sein Gegenbegriff bzw. sein Komplement, also das An-Sich.
Für sich allein genommen hätte die Annahme einer Für-Uns-Wirklichkeit ja absolut keinen Sinn, wenn sie nicht auf eine andere Wirklichkeit verweisen würde …
Niemand zwingt dich aber, diesen Dualismus der Wirklichkeit anzunehmen. Es ist deine Wahl, um damit Sarte doch noch einmal anzuführen - wenn auch nicht in dem Sinne, in dem du ihn (korrekt!) anriefst.
Wenn ich sage: „der Schnee ist weiß“, dann ist er weiß, wenn er weiß ist. Daran, an der Weißheit des Schnees, kann es gar keinen Zweifel geben, der bei seinem Zweifeln nicht alles Lebende unter einer metaphysischen Schneelawine begraben würde.
Die genannte Aussage ist, nach Wittgenstein I, ein
Sachverhalt, der aber, nach Kant, lediglich auf dem Raster von
Begriffen und logischen Relationen beruht, mit der wir die
Sinnesdaten strukturieren. Die Aussage weist nicht auf ein
unhintergehbares, quasi ursprüngliches Faktum hin, das
unabhängig vom denkenden Subjekt besteht.
Soll heißen: an der Aussage „der Schnee ist weiß“ k a n n es
durchaus Zweifel geben, in dem Sinne, dass diese Aussage nicht
absolut, sondern nur relativ gültig ist, auch wenn sie
empirisch richtig ist.
Richtig, ich hab diesen Zweifel aber von vorne herein qualitativ eingeschränkt, dass es ihn nur als metapysischen geben könnte ("… kann es gar keinen Zweifel geben, der bei seinem Zweifeln nicht alles Lebende unter einer metaphysischen Schneelawine begraben würde").
Und das hast du im Grund hier ja auch bestätigt mit der Entgegensetzung absolut vs. empirisch.
Denn das Empirische ist eben keine unhintergehbare Basis des
Erkennens. Es ist - in dem von dir genannten Fall - sprachlich
strukturiert. Es enthält die Subjekt-Prädikat-Form des
Aussagesatzes. Hier wird das Subjekt vom Prädikat getrennt und
sprachlich suggeriert, dass es ein identisches,
quasi-essentielles Ding namens „Schnee“ gibt.
Nein, ganz im Gegenteil!
Wenn man diese von dir angesprochene „sprachliche Strukturierung“ ernst nimmt, dann erkennt man den „Schnee“ als schnödes Substantiv, und gerade nicht als Substanz (oder von mir aus als Essenz).
Die Struktur des Aussagesatzes bewirkt einen imaginären Effekt
- es wird eine Identität, eine scheinbare Essenz, produziert.
Eine Pseudo-Substanz („Schnee“) wird von einem Pseudo-Prädikat
(„weiß“) unterschieden.
Das ist schon richtig, ich verstehe aber nicht, warum du das gerade mir bzw. der Position, die ich hier vertrete, sagst.
Hierin besteht keinerlei Dissens.
Dein Satz: „Wenn ich sage:„der Schnee ist weiß“, dann ist er
weiß, wenn er weiß ist“ vergleicht also nur zwei Aussagen
miteinander, n i c h t aber eine Aussage mit „der
Wirklichkeit“. Es ist ein Zirkel bzw. Regress innerhalb des
Sprachlichen.
Du erschleichst dir hier dein Argument, indem du nicht definierst, was du an dieser Stelle unter „Wirklichkeit“ verstehst, nämlich eine „sprachunabhängige Wirklichkeit“.
Wenn ich den Begriff der „Wirklichkeit“ hier aber nicht sprachunabhängig verstehe (deshalb aber noch lange nicht kurzschlüssig als Wirklichkeit=Sprache bzw. Text=Welt, wie man das den Poststrukturalisten ja immer recht unmotiviert unterstellt), wie ich das oben deutlich gemacht habe, dann habe ich hier auch in keinster Weise einen Zirkel.
Die „Weißheit“ muss
somit als mentales Konstrukt gelten, nicht als objektives
Faktum.
Wieso das denn?
Ich würde die Weißheit als Substantivierung des Adjektivs „weiß“ gelten lassen …
Auf dem Weg von den Sinnesorganen über die
Nervenbahnen zum Gehirn geschieht vieles, das die vom
Bewusstsein vorgestellten Qualitäten determiniert und n i c h
t s mit dem zu tun hat, was als äußerlicher Auslöser der
neuronalen Aktivitäten gelten kann.
Da habe ich gar nichts einzuwenden, solange man das sagt ohne es auf das Threadthema zu beziehen.
Das Problem des Radikalen Konstruktivismus (den du anführtest, und der auch so argumentiert) ist das, dass er solche Dinge, die in den Neurowissenschaften oder von mir aus auch in der Kognitiven Psychologie ohne Zweifel hohen Wahrheitsgehalt haben, mir nichts dir nichts auf erkenntnistheoretische Sachverhalte überträgt - per Analogieschluss.
Dein Beispiel-Satz lässt offen, inwieweit hier Wirklichkeit
„erzeugt“ wird. Für dich gilt offensichtlich nicht, dass die
„Weißheit“ selbst ein Erzeugnis des Subjekts ist, sondern eine
Qualität unabhängig vom Wahrnehmenden.
Dass man „weiß“ sagen muss, wenn man unter bestimmten Umständen „Schnee“ sagt, das ist sowohl etwas sehr subjektives als auch etwas vollkommen übersubjektives.
Wenn ich öfter in den falschen Zusammenhängen solche Dinge sagen würde wie „Schnee ist schwarz/rot/gelb/zumfischengeeignet/vongottpoliert“, dann befinde ich mich bald in der Psychiatrie oder in einem philosophischen Institut. Ich bin dann auf jeden Fall gründlich ex-kommuniziert.
Ich glaube, wenn man den „linguistic turn“ ernst nehmen will, und die alte Dualität von Sprache/Geist/Bewusstsein und Wirklichkeit nicht mehr weiterbehaupten möchte, dann verschmelzen Erkenntnistheorie und Ontologie mit Soziologie und einer Art Sprach-Politik auf eine sehr fruchtbare, nicht-metaphysische Weise.
Was mich wieder auf die
Frage zurückbringt, welche Kategorie, wenn nicht „an-sich“
oder „Qualia“, du für das nicht sprachlich „Erzeugte“ hast.
Nenn mir doch erst mal was nicht-sprachlich konstituiertes!
Wohlgemerkt: ich behaupte nicht, dass es das nicht gibt, ich behaupte nur, dass du mir das aus verständlichen Gründen nicht nennen können wirst 
Zunächst zur „materialen Welt“. Da unterläuft dir, soweit ich
das erkenne, eine „Naturalisierung“, die tatsächlich aber ein
soziales Konstrukt, also ein dualistischer Spracheffekt, ist.
Du sprichst von einer „materialen (= materiellen?) Welt“, als
gäbe es diese objektiv und also unabhängig vom sprechenden
Subjekt.
Natürlich gibt es eine Welt, die unabhängig von mir und dir und jedem anderen sprechenden Subjekt ist.
Dass ich jedoch nicht eine Welt der Dinge annehme, die unabhängig von Sprache und vom Sprechen wäre, das habe ich ja nun schon mehrmals in diesem Post ausgedrückt.
Saussure unterschied zwischen langue und parole, also
Sprachsystem und Sprechen. Das sind beides wichtige Aspekte.
Dass aber das System den Vorrang hat, da es das Sprechen
fundiert, erscheint mir unzweifelhaft. Der Signifikant hat das
Primat, wie Saussure, Lacan und Derrida feststellten.
Primat des Signifikanten: überhaupt kein Dissens.
Mit Sprechen meine ich nicht diese traditionelle Form der parole als ‚Ausdruck/Expression einer Innerlichkeit in Rede‘ (der Derrida in seinem zentralen Werk der Grammatologie zu Recht die Schrift entgegensetzt), sondern ich meine damit die Sprache als gesprochene, als von Sprechern angewandte;
eine Sprache, die nicht besteht außerhalb ihres Gesprochen-Werdens, und die einen unvorhersagbaren Wandel erfährt durch das Gesprochen-Werden, also einen Wandel, der im Sprachsystem selbst nicht vorab festgelegt sein kann.
Das entspricht m.E. durchaus der poststrukturalistischen Kritik am Strukturalismus (an Levi-Strauss wird das m.E. glasklar).
Auch hier würde ich also wieder zwischen „Lacan und Derrida“ mehr Raum zulassen als den, den die drei Buchstaben des ‚und‘ bieten …
_ ℂ Λ ℕ Ð I Ð € _