Funktion und Grenzen der Sprache

Hallo,

Was lässt dich annehmen, dass es eine Wirklichkeit 1 gibt
(unsere sprachlich strukturierte Wirklichkeit), die von einer
angenommenen Wirklichkeit 2 (das perfekte Original) nur eine
verzerrte Kopie ist?

Wie schon gesagt unterscheide ich zwischen dem Alltagserleben und tieferen philosophischen Gedanken.

Im Alltagsleben erlebt jeder (s)eine Wirklichkeit und kann sie mit Sprache beschreibend mitteilen. Die erlebte Wirklichkeit wird als vom Individium unabhängig empfunden (wie Du ja schreibst) und ist „vor“ der Beschreibung. Die Beschreibung/Erzählung versucht dann „ein Bild“ des Erlebten also der erfahrenen Wirklichkeit wieder zu geben.

Philosophischer wird es, wenn man seine Denk- und Erlebnis- MÖGLICHKEITEN als von der Sprache vorgegeben betrachtet.

Die präzisesten Aussagen lassen sich wohl über ein Individium machen:
Paul hat braunes Haar.
Der Dackel Hans hat langes Fell.

Schwerer wird es schon wenn man einen Oberbegriff hat und dafür richtige, für alle umfassten Objekte, Aussagen machen soll:

Menschen haben 2 Beine … ? Alle?
Lebewesen atmen … ? Pflanzen?

Je umfassender der Oberbegriff umso schwerer sind die Aussagen - bzw. es sind nur noch triviale Aussagen möglich - falls sie für alle Objekte gelten sollen.

Die „Wirklichkeit“ ist nun der Oberbegriff schlechthin.
Eine andere Aussage als „Die Wirklichkeit ist“ wäre mit Sicherheit für einige Objekte (die da sind: Tiere, Hans, Gedanken, Träume, Gefühle, Hoffnung, Mut Pflanzen … alles)
falsch!

Weswegen der Begriff „Wirklichkeit“ in unserer Sprache schon zu Denken verführt der vieeleicht in eine Sackgasse laufen muss - denn er verführt dazu etwas zu denken was vielleicht in dieser gedachten Form in der Welt nicht existiert.

Grüße
K.

Hi Horst,

Du meinst das Isomorphie-Modell von Wittgenstein I,

das wäre zu kurz gegriffen, denk eher zurück bis
Russell.

Für mich als Kantianer ist das natürlich
nicht akzeptabel.

Erst wollte ich dir antworten und nun bin
ich eher am überlegen, was in diesem Horst
so vor sich geht. :smile:
Kantianer, das erstaunt mich doch etwas ehrlich
gesagt.

Sind mir, bis auf die Redundanztheorie, alle einigermaßen
geläufig.

Es war lediglich eine kurze Zusammenfassung, um mich
dir paritätisch zu nähern. Redundanztheorie besagt
schlicht formuliert, dass auf Begriffe wie wahr
und falsch verzichtet werden kann, weil sie keine
darstellende Funktion haben und war als Kritik
an Russels Korrspondenztheorie aufgestellt worden,
von Ramsey, falls der dir was sagt.

Ich favorisiere die pragmatische Wahrheitstheorie,
um jene relative „Wirklichkeit“ zu erfassen, die uns im
Horizont des Alltagsbewusstseins gegeben ist. Darüber hinaus
gehe ich von einer sprachlich nicht beschreibbaren „absoluten
Wirklichkeit“ aus.

Peirce versuchte dies durch „praktische Konsequenzen“,
wie er das nannte also wiederholbare Experimente,
die intersubjektiv nachprüfbar waren. Oder ähnlich auch
Dewey.

Du kennst W. James? „Wenn die Hypothese von Gott im
weitesten Sinne des Wortes befriedigt, ist sie wahr.“
Ist deine Anfrage im Relibrett analog zu diesem
posting zu sehen?

Solange du aus deiner „absoluten Wirklichkeit“ kein Dogma
machst, sondern eine Option…

Ich bin gerne bereit, auf Details zu den vagen Ausführungen,
die ich gerade machte, einzugehen, wenn du da für dich einen
Anknüpfungspunkt siehst.

Ich versuche ein Bild von dir zu kriegen und pendle
grade zwischen jemandem, der im Esobrett aktiv
ist und zwischen Lacan und Kant fluktuiert.
Und irgendwo hab ich Wilberianer gelesen,
wenn ich mich richtig erinnere. :smile:

Dann interessiert dich vielleicht auch die mittlerweile in
Vergessenheit geratene Sapir-Whorff-Hypothese aus den 70ern
oder so.

Heftig umstritten, kennst du Kanngießer? (Soziolinguistik)

http://elib.ub.uni-osnabrueck.de/publications/ELibD1…

Gruß
Powenz

Wirklichkeit an-sich und für-uns
Hi Candide.

Du lieferst wichtige Gesichtspunkte zum Thema, die ich in der Tat unterschlagen hatte, aber nicht, weil sie mir nicht bekannt sind, sondern weil ich den erkenntnistheoretischen Aspekt des Themas für vorrangig halte, was eine Einseitigkeit sein mag, ja.

Selbstverständlich kann man diese Position ‚Zweifel an der wirklichkeitsabbildenden Funktion der Sprache‘ des Sophistes à Derrida et au-delà als ein Kontinuum konzipieren, wie du das hier getan hast.

Ich hatte auch Platon, Aristoteles und Thomas angeführt, die f ü r das Repräsentationsschema und g e g e n den erkenntnistheoretischen Zweifel stehen. Das wurde unter dem Begriff „Korrespondenztheorie“ abgehandelt.

ein Dekonstruktionist … hat sich von solchem Fragen … „Kann Sprache die Wirklichkeit widerspiegeln? … Oder hat das, was sie an Vorstellungen hervorruft, überhaupt keinen Bezug zur Wirklichkeit (was immer das dann sein mag?)“… selbst verabschiedet, weil sie schon als Fragen noch auf dem Schema der Repräsentation ruhen.

Derrida schloss eine sprachunabhängige Wirklichkeit keinesfalls aus, auch Lacan nicht. Was sie bezweifelten, war lediglich Essenz, Identität und Sinnpräsenz. Lacan war Kantianer, d.h. er unterschied zwischen sprachstrukturierter „Realität“ und einem Nicht-Symbolisierbaren außerhalb des sprachlichen Horizontes. Beide würden sich an meinen Formulierungen vermutlich weniger reiben als du.

Sicher fehlte dir die gefragte Möglichkeit der „Erzeugung“ des Wirklichen durch Sprache. Touché - den sozialkonstruktivistischen Aspekt hatte ich beim Abfassen übersehen. Meine Fragen suggerierten allesamt, dass es eine sprachunabhängige Wirklichkeit gibt - was du, wenn ich dich recht verstehe (ohne mir da sicher zu sein), abstreitest. Ich selbst aber bin genau davon überzeugt (was gar nichts mit „Repräsentationsschema“ zu tun hat). Und viele andere auch, Paradebeispiel Kant („Ding-an-sich“).

Natürlich fehlten auch in meinem historischen Abriss vor allem die Positionen von Wittgenstein I und II, Heidegger und Austin / Searle (Sprechakttheorie), aber da ich mir keinen Anspruch auf Vollkommenheit auferlegte, sondern einfach nur das Thema exponieren wollte und auf weiterführende Debatten (wie hier) vertraute, hatte ich damit kein Problem.

Sprache erzeugt Wirklichkeit.

Ja, die Frage ist, welche Relation besteht zwischen Sprache und Wirklichkeit. Abbilden, konstituieren - oder erzeugen? Du nennst letzteres.
Ich sehe hier zwei Begriffsprobleme.

  1. Man muss, denke ich, zumindest heuristisch „Wirklichkeit“ differenzieren in eine „für-uns“ und eine „an-sich“, was auf Kant und (explizit) auf Hegel zurückgeht. Auch Sartre dachte in diesen Kategorien. Im Prinzip gibt es diesen theoretischen Kategoriendualismus auch in östlichen Philosophien (Maya vs. Brahman, Samsara vs. Nirvana z.B.).

  2. Der Begriff „Erzeugen“ schließt diesen (theoretischen, wohlgemerkt) Dualismus aber aus. Denn Erzeugen heißt für mich, dass etwas geschaffen wird, das es ohne diesen Schaffensakt n i c h t gäbe. „Wirklichkeit erzeugen“, hieße also nicht, eine relative Form von Wirklichkeit hervorzubringen (eine „für-uns“), sondern eine Wirklichkeit „überhaupt“ (und zugleich „für-uns“). Ein „an-sich“ fällt dabei heraus.

Da kann ich nicht folgen. Das mag aber ein terminologisches Problem sein, das wir klären müssten. Für mich gilt jedenfalls, dass eine Wirklichkeit „an-sich“ die logische Voraussetzung für eine Wirklichkeit „für-uns“ ist. Auch Kant sah das so. Denn die Sinnesdaten entstammen - in welcher Weise, ließ er offen - , der unerkennbaren Welt „an-sich“, sie bilden die Schnittstelle von „für-uns“ (kein Kantischer Ausdruck) und „an-sich“. Das Denken, so Kant, konstituiert aus diesem Material eine strukturierte und somit geordnete Realität „für das Bewusstsein“.

Ich denke also, dass es ohne die kategoriale Differenzierung nicht geht, da andernfalls ein Theorieloch zurückbleibt, auf das ich auch im folgenden eingehe.

Wenn ich sage: „der Schnee ist weiß“, dann ist er weiß, wenn er weiß ist. Daran, an der Weißheit des Schnees, kann es gar keinen Zweifel geben, der bei seinem Zweifeln nicht alles Lebende unter einer metaphysischen Schneelawine begraben würde.

Die genannte Aussage ist, nach Wittgenstein I, ein Sachverhalt, der aber, nach Kant, lediglich auf dem Raster von Begriffen und logischen Relationen beruht, mit der wir die Sinnesdaten strukturieren. Die Aussage weist nicht auf ein unhintergehbares, quasi ursprüngliches Faktum hin, das unabhängig vom denkenden Subjekt besteht.

Soll heißen: an der Aussage „der Schnee ist weiß“ k a n n es durchaus Zweifel geben, in dem Sinne, dass diese Aussage nicht absolut, sondern nur relativ gültig ist, auch wenn sie empirisch richtig ist.

Denn das Empirische ist eben keine unhintergehbare Basis des Erkennens. Es ist - in dem von dir genannten Fall - sprachlich strukturiert. Es enthält die Subjekt-Prädikat-Form des Aussagesatzes. Hier wird das Subjekt vom Prädikat getrennt und sprachlich suggeriert, dass es ein identisches, quasi-essentielles Ding namens „Schnee“ gibt. Ich habe diesen Punkt schon in der Antwort an Powenz thematisiert.
Die Struktur des Aussagesatzes bewirkt einen imaginären Effekt - es wird eine Identität, eine scheinbare Essenz, produziert. Eine Pseudo-Substanz („Schnee“) wird von einem Pseudo-Prädikat („weiß“) unterschieden.

Philosophen wie Heraklit, Hegel, Marx/Engels und Whitehead haben mit Recht betont, dass Wirklichkeit von Grund auf etwas Prozessuales ist. Dem aber steht alles, was Identität und statisches Selbstsein suggeriert, wie eben auch die Satzform SP, diametral entgegen.

Dein Satz: „Wenn ich sage:„der Schnee ist weiß“, dann ist er weiß, wenn er weiß ist“ vergleicht also nur zwei Aussagen miteinander, n i c h t aber eine Aussage mit „der Wirklichkeit“. Es ist ein Zirkel bzw. Regress innerhalb des Sprachlichen.

Letzteres Argument ist in der Sprachphilosophie ein gängiges, es geht zurück auf die Auseinandersetzung mit Tarskis Wahrheitstheorie (Genaueres recherchiere ich noch und komme ein andermal darauf zurück).

Zudem sollte auch der Gesichtspunkt des Radikalen Konstruktivismus (Foerster, Glasersfeld) beachtet werden, dass es unsere biologischen Sinnesorgane sind, die zwischen Wahrnehmung und Außenwelt vermitteln. Die „Weißheit“ muss somit als mentales Konstrukt gelten, nicht als objektives Faktum. Auf dem Weg von den Sinnesorganen über die Nervenbahnen zum Gehirn geschieht vieles, das die vom Bewusstsein vorgestellten Qualitäten determiniert und n i c h t s mit dem zu tun hat, was als äußerlicher Auslöser der neuronalen Aktivitäten gelten kann.
Denn „der Schnee“ ist nicht „weiß“, die „Weißheit“ wird vielmehr mental auf „ihn“ projiziert.

Ich weise in diesem Zusammenhang auf das Qualia-Argument hin (siehe z.B. unter Wiki: Qualia), das in der Philosophie des Geistes viel diskutiert wird.

Nein, die interessantere Frage des Bezugs der Sprache zur Wirklichkeit ist die, weshalb wir den Schnee traditionell zunächst als weiß sehen und nicht etwa als ‚zumfischengeeignet‘ oder als ‚vongottpoliert‘.

(Ein Skifahrer oder Skipistenbetreiber wird beim Anblick von Schnee oft unmittelbar an den Gebrauchswert denken, statt die „Weißheit“ zu konstatieren.)

Dein Beispiel-Satz lässt offen, inwieweit hier Wirklichkeit „erzeugt“ wird. Für dich gilt offensichtlich nicht, dass die „Weißheit“ selbst ein Erzeugnis des Subjekts ist, sondern eine Qualität unabhängig vom Wahrnehmenden. Was mich wieder auf die Frage zurückbringt, welche Kategorie, wenn nicht „an-sich“ oder „Qualia“, du für das nicht sprachlich „Erzeugte“ hast.

Wenn also Sprache, wie du sagst, Wirklichkeit erzeugt, welches Status hat dabei die „Weißheit“? Immerhin schreibst du ja: „erzeugt Wirklichkeit“, und nicht „erzeugt soziale Wirklichkeit“.

Was meint hier der Begriff „Sprache“?

Sprache als Zeichensystem, insoweit dieses grammatisch mehr oder weniger komplex strukturiert ist. Und als Alltagssprache natürlich.

Oder ist damit eher die Tätigkeit des Sprechens gemeint, Sprechakte (im Sinne der Sprechakttheorie), die gar nicht so sehr nur Zuweisungen von Prädikaten an Subjekte sind, die nicht nur Dinge konstatieren, sondern die in erster Linie „Dinge tun“…

Das ist mir durch Habermas natürlich vertraut.

Dass Sprache aber auch unter ihrem formalen Aspekt bereits „Dinge tut“ (indem sie die Wirklichkeit vor-strukturiert, incl. collateral damage betr. essentialistischer Illusionsbildung), habe ich schon versucht aufzuzeigen.

Und die daher nicht nur lokutionären, sondern illokutionären und perlokutionären Charakter haben, also Wirklichkeiten nicht nur benennen, sondern dabei auch erzeugen/definieren, Effekte auf die materiale Welt ausüben - und zwar indem sie die Kraft der Wirklichkeit notwendig bereits voraussetzen.

Zunächst zur „materialen Welt“. Da unterläuft dir, soweit ich das erkenne, eine „Naturalisierung“, die tatsächlich aber ein soziales Konstrukt, also ein dualistischer Spracheffekt, ist. Du sprichst von einer „materialen (= materiellen?) Welt“, als gäbe es diese objektiv und also unabhängig vom sprechenden Subjekt.

Nun ist der Dualismus Geist/Materie aber nichts, was man unhinterfragt voraussetzen kann. Das weißt du natürlich auch, deswegen erstaunt mich diese Formulierung.

Auch setzt du eine „materiale Welt“ als gegeben, ohne ihr den Status des Wirklichen zuzuschreiben (da sie ja kein Spracheffekt ist - oder doch?). Auch hier fehlt mir wieder eine theoretische Kategorie, die anzeigt, unter was das Materiale fällt, wenn nicht unter „Wirklichkeit“.

Man muss Sprache m.E. als ein Netz aus Sprechakten verstehen, welches natürlich Grammatik, Semantik usw. einschließt, welches aber v.a. Wirklichkeiten wie die sozialen Institutionen, Normen, Machtverhältnisse usw. voraussetzt - und damit eben auch einschließt. Es geht mir hier also um das Sprechen, nicht nur um die Sprache.

Saussure unterschied zwischen langue und parole, also Sprachsystem und Sprechen. Das sind beides wichtige Aspekte. Dass aber das System den Vorrang hat, da es das Sprechen fundiert, erscheint mir unzweifelhaft. Der Signifikant hat das Primat, wie Saussure, Lacan und Derrida feststellten.

Ich gehe das nächste Mal näher auf die Sprechakttheorie ein, muss nur vorher noch mein Wissen darüber auffrischen.

… mit dem Repräsentationsschema, also der Dualität von Sprache und Wirklichkeit, zu brechen?

Ich hoffe verständlich gemacht zu haben, dass diese Dualität nur die Wirklichkeit „für-uns“ einschließt und nicht das, was ich - nur ad hoc in diesem Thread - Wirklichkeit „an-sich“ nenne.

Und dass es n i c h t um ein Repräsentationsschema geht, sondern um sprachliche Konstruktion (Konstitution) der Wirklichkeit „für-uns“.

Zum Ausklang heute ein Zitat aus Wilber, „Einfach das“ (dt. 2002), 377:

„Die Auffassung der extremen Relativisten und Konstruktivisten - die zum Beispiel behaupten, dass alle Wirklichkeit sozial konstruiert und daher von Kultur zu Kultur verschieden sei - wurde inzwischen widerlegt von Leuten wie Jürgen Habermas und Karl-Otto Apel (die beide den performativen Widerspruch im Denkgebäude der Konstruktivisten aufzeigen), von John Searle (der zeigte, dass sozial konstruierte Wirklichkeiten auf objektiven Wahrheiten ruhen müssen, da sonst eine Konstruktion gar nicht möglich ist) …“

Das mit Searle muss ich noch ausgraben.

Schönes Weekend und bis Montag

Horst

Lieber Horst!

Selbstverständlich kann man diese Position ‚Zweifel an der wirklichkeitsabbildenden Funktion der Sprache‘ des Sophistes à Derrida et au-delà als ein Kontinuum konzipieren, wie du das hier getan hast.

Ich hatte auch Platon, Aristoteles und Thomas angeführt, die f
ü r das Repräsentationsschema und g e g e n den
erkenntnistheoretischen Zweifel stehen.

Aber auch wer f ü r den Zweifel und g e g e n die Repräsentation ist, der steht nach meinem Dafürhalten dennoch noch immer auf dem Boden des Repräsentationsschemas (ich definiere es weiter unten! darum behalte ich den Begriff hier bei).
Das war mein Punkt.

ein Dekonstruktionist … hat sich von solchem Fragen … „Kann Sprache die Wirklichkeit widerspiegeln? … Oder hat das, was sie an Vorstellungen hervorruft, überhaupt keinen Bezug zur Wirklichkeit (was immer das dann sein mag?)“… selbst verabschiedet, weil sie schon als Fragen noch auf dem Schema der Repräsentation ruhen.

Derrida schloss eine sprachunabhängige Wirklichkeit
keinesfalls aus.

Natürlich schloss er das nicht aus.

Das wäre ja schön blöd von ihm, wenn er sich damit auf diese Weise auf das Repräsentationsschema -und sei es in negativer Form- wieder zurückbiegen würde …

Derrida… Lacan … Beide würden sich an meinen
Formulierungen vermutlich weniger reiben als du.

Ja, Lacan würde das fraglos weniger.

Bei Derrida bin ich mir nicht so sicher, ob er nicht doch schon meinen Bewusstseinsstand erreicht hatte :wink:

Im Ernst, ich bin geneigt, zwischen den beiden Begriffspersonen Lacan und Derrida eine weit längere (Derrida spricht an einer Stelle in „Vergessen wir nicht die Psychoanalyse“ mal von ‚unendlicher‘) Pause einzufügen als du das machst.

Sicher fehlte dir die gefragte Möglichkeit der „Erzeugung“ des
Wirklichen durch Sprache. Touché - den
sozialkonstruktivistischen Aspekt hatte ich beim Abfassen
übersehen.

Nee, nee.
Ich hatte mit der Sprechakttheorie (der auch ein Derrida viel verdankt) argumentiert, aus guten Gründen nicht mit dem Sozialkonstruktivismus.
Darum kann ich es auch nicht so leicht schlucken, wenn du dich auf die ‚Erkenntnistheorie‘ zurückziehen magst (und mich dadurch auf welches Gebiet verweist?), wie du eingangs schriebst.

Ja, darum geht es mir auch. Um Erkenntnistheorie und Ontologie. In keinster Weise nur um Soziologie.

Meine Fragen suggerierten allesamt, dass es eine
sprachunabhängige Wirklichkeit gibt

richtig, das meinte ich mit dem „Repräsentationsschema“.
Sobald man ein Repräsentationsverhältnis denkt, kann man nicht anders denn das Verhältnis von Sprache und Wirklichkeit als eine Dualität zu denken.

  • was du, wenn ich dich
    recht verstehe (ohne mir da sicher zu sein), abstreitest.

Nein, ich streite nicht ab, dass es eine sprachunabhängige Wirklichkeit geben mag, ich finde „lediglich“ dieses Repräsentationsschema, das als unausgesprochene Voraussetzung erst diesem
„Es gibt (nicht)* eine sprachunabhängige Wirklichkeit“
den Boden bereitet, unfruchtbar und allzu Platonisch.

* ob Position oder Negation - in beiden Fällen liegt das gleiche Schema als Voraussetzung darunter.

Ich glaube, das ist gar nicht so weit entfernt von der Frage nach Gott: Es gibt ihn (nicht). Wie unsymmetrisch, weil bei diesem Aussagenspiel immer Gott gewinnt. Der lacht sich über die Atheisten doch krumm.

Je mehr ich davon spreche, dass es Gott nicht gibt, desto mehr spreche ich von Gott …

Das will ich nicht. Gott muss nicht negiert werden, er muss ignoriert werden. Und Platon und Aristoteles und Thomas auch.

Natürlich fehlten auch in meinem historischen Abriss vor allem
die Positionen von Wittgenstein I und II, Heidegger und Austin
/ Searle (Sprechakttheorie), aber da ich mir keinen Anspruch
auf Vollkommenheit auferlegte, sondern einfach nur das Thema
exponieren wollte und auf weiterführende Debatten (wie hier)
vertraute, hatte ich damit kein Problem.

Das ist schon klar.
Wobei du das jetzt so lapidar sagst, als ginge es um die bloße Vollständigkeit deines Exposés …

Ich denke, wenn du nicht von Lacan zu Derrida übergegangen wärst, sondern von Heidegger zu Derrida, und auch von der Sprechakttheorie zu Derrida, dann hätte die Pointe deines Abriss auch eine andere werden müssen.
Darum ging es mir ja auch mit meiner Replik.

Du hast mehr oder weniger alle Positionen ausgeschlossen oder zumindest nicht vollwertig erfasst, die nach und nach mit diesem Schema gebrochen haben, das ich hier das „Repräsentationsschema“ nenne, und das einfach nur heißt: Annahme oder Ablehnung einer Dualität von Sprache/Geist/Bewusstsein und Wirklichkeit.

Ich sehe hier zwei Begriffsprobleme.

  1. Man muss, denke ich, zumindest heuristisch „Wirklichkeit“
    differenzieren in eine „für-uns“ und eine „an-sich“, was auf
    Kant und (explizit) auf Hegel zurückgeht.

Nachdem ich mich hier für eine Position stark mache, die mit dem „Repräsentationsschema“ brechen möchte, werde ich den Teufel tun und genau dieses Schema hier als ein Muss voraussetzen - und sei es tausend mal heuristisch.
Ich kann mir die Wirklichkeit problemlos auch anders vorstellen denn als eine Dualität von An-Sich und Für-Uns.

Ich glaube, damit befinde ich mich übrigens auch in Gesellschaft von 99% der Weltbevölkerung …
Das ist natürlich kein philosophisches Argument, ich weiß, aber es beruhigt ungemein :wink:

Im Prinzip gibt es diesen theoretischen
Kategoriendualismus auch in östlichen Philosophien (Maya vs.
Brahman, Samsara vs. Nirvana z.B.).

hier muss ich mich -mit der Äußerung eines leichten Zweifels, ob man wirklich Samsara vs. Nirvana mit An-Sich vs. Für-Uns gleichsetzen kann- enthalten.

Dazu gibts ja auch massig überaus kontroverse Literatur, gerade auch was Schopenhauers oder Nietzsches Nähen zur östlichen Philosophie betrifft. Und gerade bei Schopenhauer geht es ja ganz direkt um das hier von dir angesprochene.

  1. Der Begriff „Erzeugen“ schließt diesen (theoretischen,
    wohlgemerkt) Dualismus aber aus.

Korrekt.

Denn Erzeugen heißt für mich,
dass etwas geschaffen wird, das es ohne diesen Schaffensakt n
i c h t gäbe.

Das stimmt wohl, wobei ich mich hier vielleicht korrigieren/präzisieren muss:

Wenn man das „Erzeugen“ allzu wörtlich nimmt, dann würde es heißen, dass da etwas erzeugt würde, das sonst nicht da wäre, und dann käme ich schnell zu der Aussage, die ich (siehe oben!) gerade nicht tätigen will:

„Es gibt nicht eine sprachunabhängige Wirklichkeit“

Sagen wir also so (und das hatte ich mit der Sprechakttheorie sinngemäß eigentlich auch schon angedeutet):
Sprache erzeugt Wirklichkeit, Sprache setzt beim Erzeugen von Wirklichkeit immer schon (durch-Sprache-erzeugte-)Wirklichkeit voraus - aber so, dass man aus prinzipiellen Gründen (nicht also nur etwa aus pragmatischen Gründen, wie dem Zeitaufwand oder dergleichen) niemals per Regression eine nicht -durch-Sprache-erzeugte-Wirklichkeit erreichen könnte, weil sich diese Regression aus prinzipiellen Gründen nie von ihrem Ausgangspunkt lösen könnte, und dieser einzig mögliche Ausgangspunkt ist das Hier+Jetzt, nicht ein hypothetischer Urzustand vor der Sprache, denn der ist nichts weiter als eine sprachliche Fiktion/Projektion.

Ich glaube, auch wenn du Derrida sehr Lacanisch zu lesen scheinst, in diesen Ausführungen dürftest du Derrida durchaus erkennen können.
Und hier sehe ich keine Spur mehr von An-Sich vs. Für-Uns bzw. vom „Repräsentationsschema“, sprich der oben definierten Dualität von Sprache/Geist/Bewusstsein vs. Wirklichkeit.

Da kann ich nicht folgen. Das mag aber ein terminologisches
Problem sein, das wir klären müssten. Für mich gilt
jedenfalls, dass eine Wirklichkeit „an-sich“ die logische
Voraussetzung für eine Wirklichkeit „für-uns“ ist.

Natürlich ist es das, wenn du schon ein Für-Uns annimmst, denn in diesem Für-Uns steckt ja schon zwingend sein Gegenbegriff bzw. sein Komplement, also das An-Sich.

Für sich allein genommen hätte die Annahme einer Für-Uns-Wirklichkeit ja absolut keinen Sinn, wenn sie nicht auf eine andere Wirklichkeit verweisen würde …

Niemand zwingt dich aber, diesen Dualismus der Wirklichkeit anzunehmen. Es ist deine Wahl, um damit Sarte doch noch einmal anzuführen - wenn auch nicht in dem Sinne, in dem du ihn (korrekt!) anriefst.

Wenn ich sage: „der Schnee ist weiß“, dann ist er weiß, wenn er weiß ist. Daran, an der Weißheit des Schnees, kann es gar keinen Zweifel geben, der bei seinem Zweifeln nicht alles Lebende unter einer metaphysischen Schneelawine begraben würde.

Die genannte Aussage ist, nach Wittgenstein I, ein
Sachverhalt, der aber, nach Kant, lediglich auf dem Raster von
Begriffen und logischen Relationen beruht, mit der wir die
Sinnesdaten strukturieren. Die Aussage weist nicht auf ein
unhintergehbares, quasi ursprüngliches Faktum hin, das
unabhängig vom denkenden Subjekt besteht.

Soll heißen: an der Aussage „der Schnee ist weiß“ k a n n es
durchaus Zweifel geben, in dem Sinne, dass diese Aussage nicht
absolut, sondern nur relativ gültig ist, auch wenn sie
empirisch richtig ist.

Richtig, ich hab diesen Zweifel aber von vorne herein qualitativ eingeschränkt, dass es ihn nur als metapysischen geben könnte ("… kann es gar keinen Zweifel geben, der bei seinem Zweifeln nicht alles Lebende unter einer metaphysischen Schneelawine begraben würde").

Und das hast du im Grund hier ja auch bestätigt mit der Entgegensetzung absolut vs. empirisch.

Denn das Empirische ist eben keine unhintergehbare Basis des
Erkennens. Es ist - in dem von dir genannten Fall - sprachlich
strukturiert. Es enthält die Subjekt-Prädikat-Form des
Aussagesatzes. Hier wird das Subjekt vom Prädikat getrennt und
sprachlich suggeriert, dass es ein identisches,
quasi-essentielles Ding namens „Schnee“ gibt.

Nein, ganz im Gegenteil!

Wenn man diese von dir angesprochene „sprachliche Strukturierung“ ernst nimmt, dann erkennt man den „Schnee“ als schnödes Substantiv, und gerade nicht als Substanz (oder von mir aus als Essenz).

Die Struktur des Aussagesatzes bewirkt einen imaginären Effekt

  • es wird eine Identität, eine scheinbare Essenz, produziert.
    Eine Pseudo-Substanz („Schnee“) wird von einem Pseudo-Prädikat
    („weiß“) unterschieden.

Das ist schon richtig, ich verstehe aber nicht, warum du das gerade mir bzw. der Position, die ich hier vertrete, sagst.
Hierin besteht keinerlei Dissens.

Dein Satz: „Wenn ich sage:„der Schnee ist weiß“, dann ist er
weiß, wenn er weiß ist“ vergleicht also nur zwei Aussagen
miteinander, n i c h t aber eine Aussage mit „der
Wirklichkeit“. Es ist ein Zirkel bzw. Regress innerhalb des
Sprachlichen.

Du erschleichst dir hier dein Argument, indem du nicht definierst, was du an dieser Stelle unter „Wirklichkeit“ verstehst, nämlich eine „sprachunabhängige Wirklichkeit“.

Wenn ich den Begriff der „Wirklichkeit“ hier aber nicht sprachunabhängig verstehe (deshalb aber noch lange nicht kurzschlüssig als Wirklichkeit=Sprache bzw. Text=Welt, wie man das den Poststrukturalisten ja immer recht unmotiviert unterstellt), wie ich das oben deutlich gemacht habe, dann habe ich hier auch in keinster Weise einen Zirkel.

Die „Weißheit“ muss
somit als mentales Konstrukt gelten, nicht als objektives
Faktum.

Wieso das denn?

Ich würde die Weißheit als Substantivierung des Adjektivs „weiß“ gelten lassen …

Auf dem Weg von den Sinnesorganen über die
Nervenbahnen zum Gehirn geschieht vieles, das die vom
Bewusstsein vorgestellten Qualitäten determiniert und n i c h
t s mit dem zu tun hat, was als äußerlicher Auslöser der
neuronalen Aktivitäten gelten kann.

Da habe ich gar nichts einzuwenden, solange man das sagt ohne es auf das Threadthema zu beziehen.

Das Problem des Radikalen Konstruktivismus (den du anführtest, und der auch so argumentiert) ist das, dass er solche Dinge, die in den Neurowissenschaften oder von mir aus auch in der Kognitiven Psychologie ohne Zweifel hohen Wahrheitsgehalt haben, mir nichts dir nichts auf erkenntnistheoretische Sachverhalte überträgt - per Analogieschluss.

Dein Beispiel-Satz lässt offen, inwieweit hier Wirklichkeit
„erzeugt“ wird. Für dich gilt offensichtlich nicht, dass die
„Weißheit“ selbst ein Erzeugnis des Subjekts ist, sondern eine
Qualität unabhängig vom Wahrnehmenden.

Dass man „weiß“ sagen muss, wenn man unter bestimmten Umständen „Schnee“ sagt, das ist sowohl etwas sehr subjektives als auch etwas vollkommen übersubjektives.

Wenn ich öfter in den falschen Zusammenhängen solche Dinge sagen würde wie „Schnee ist schwarz/rot/gelb/zumfischengeeignet/vongottpoliert“, dann befinde ich mich bald in der Psychiatrie oder in einem philosophischen Institut. Ich bin dann auf jeden Fall gründlich ex-kommuniziert.

Ich glaube, wenn man den „linguistic turn“ ernst nehmen will, und die alte Dualität von Sprache/Geist/Bewusstsein und Wirklichkeit nicht mehr weiterbehaupten möchte, dann verschmelzen Erkenntnistheorie und Ontologie mit Soziologie und einer Art Sprach-Politik auf eine sehr fruchtbare, nicht-metaphysische Weise.

Was mich wieder auf die
Frage zurückbringt, welche Kategorie, wenn nicht „an-sich“
oder „Qualia“, du für das nicht sprachlich „Erzeugte“ hast.

Nenn mir doch erst mal was nicht-sprachlich konstituiertes!

Wohlgemerkt: ich behaupte nicht, dass es das nicht gibt, ich behaupte nur, dass du mir das aus verständlichen Gründen nicht nennen können wirst :wink:

Zunächst zur „materialen Welt“. Da unterläuft dir, soweit ich
das erkenne, eine „Naturalisierung“, die tatsächlich aber ein
soziales Konstrukt, also ein dualistischer Spracheffekt, ist.
Du sprichst von einer „materialen (= materiellen?) Welt“, als
gäbe es diese objektiv und also unabhängig vom sprechenden
Subjekt.

Natürlich gibt es eine Welt, die unabhängig von mir und dir und jedem anderen sprechenden Subjekt ist.

Dass ich jedoch nicht eine Welt der Dinge annehme, die unabhängig von Sprache und vom Sprechen wäre, das habe ich ja nun schon mehrmals in diesem Post ausgedrückt.

Saussure unterschied zwischen langue und parole, also
Sprachsystem und Sprechen. Das sind beides wichtige Aspekte.
Dass aber das System den Vorrang hat, da es das Sprechen
fundiert, erscheint mir unzweifelhaft. Der Signifikant hat das
Primat, wie Saussure, Lacan und Derrida feststellten.

Primat des Signifikanten: überhaupt kein Dissens.

Mit Sprechen meine ich nicht diese traditionelle Form der parole als ‚Ausdruck/Expression einer Innerlichkeit in Rede‘ (der Derrida in seinem zentralen Werk der Grammatologie zu Recht die Schrift entgegensetzt), sondern ich meine damit die Sprache als gesprochene, als von Sprechern angewandte;
eine Sprache, die nicht besteht außerhalb ihres Gesprochen-Werdens, und die einen unvorhersagbaren Wandel erfährt durch das Gesprochen-Werden, also einen Wandel, der im Sprachsystem selbst nicht vorab festgelegt sein kann.

Das entspricht m.E. durchaus der poststrukturalistischen Kritik am Strukturalismus (an Levi-Strauss wird das m.E. glasklar).

Auch hier würde ich also wieder zwischen „Lacan und Derrida“ mehr Raum zulassen als den, den die drei Buchstaben des ‚und‘ bieten …

_ ℂ Λ ℕ Ð I Ð € _

1 Like

Kant mit Sade
Hi Marion.

Die von dir genannten Philosophen halten, bis auf Aristoteles, die Wirklichkeit für „nicht erkennbar“… Das ist genau so, als würde ich sagen, der Geumpfeldrumpf ist durch Sprache nicht erkennbar.

Diese Antwort gehört zu den Highlights in der bisherigen Debatte, ohne Ironie.

Allerdings wurzelt die Annahme von der „Unerkennbarkeit“ des Wirklichen in mehr als nur einer hypothetischen, sozusagen phantasierten Annahme (oder Option, wie Powenz es ausdrückt), dass es eine unerkennbare Wirklichkeit ist.

Die Aussage „Die Wirklichkeit ist denkerisch nicht erkennbar und sprachlich nicht darstellbar“ (um die Annahme zu präzisieren) entstammt eigentlich den mystischen Strömungen. Ich erinnere z.B. an die Anfänge der indischen Philosophie des Brahmanismus. Damals waren Mystik und Philosophie noch nicht getrennt, und schon damals dürfte es den Mystikern/Philosophen bewusst gewesen sein, dass das sprachliche Denken nicht geeignet ist, die mystische Grunderfahrung adäquat zu kommunizieren (an Hörer, die diese Erfahrung nicht kennen). Natürlich versuchte man es dennoch und griff zu Metaphern und Analogien. Der Kosmos der Mythen und Religionen ist voll davon. Der mystische Kern jeder Religion aber - im Christentum von der offiziellen Kirche weitgehend verdrängt - besagt eben jene „Unerkennbarkeit“ (durch das Denken). Die Negative Theologie ist die bekannteste christliche Variante dieser Position.

All das hat immer auch seine Spuren im Denken der Philosophen hinterlassen. Selbst ein so nüchterner Denker wie Wittgenstein schien von einer mystischen Wahrheit überzeugt zu sein, die durch Sprache nicht „sagbar“ ist. Kant, der bekannteste Vertreter einer unerkennbaren Wirklichkeit, hatte seinerseits seltsame, vermutlich neurotische Ansichten über die mögliche Beschaffenheit dieser Wirklichkeit, in der es einen „schrecklichen Gott“ gäbe, vor dessen Angesicht, würden die Menschen ihn wahrnehmen, sie voller Furcht wie Marionetten zappeln würden. Manche Analytiker stellten daher die Hypothese auf, Kant sei ein unbewusster Sadist gewesen.

Von „Geumpfeldrumpfs“ kann also nirgendwo die Rede sein. Wenn Philosophen eine nicht-erkennbare Wirklichkeit thematisierten, dann nie ohne einen (latenten) Bezug auf mystische oder religiöse Vorstellungen.

Weißt du nun irgendwas darüber, was ich mir wohl unter Geumpfeldrumpf vorstelle? Sicher nicht.

Ich stelle mir darunter einen Wolpertinger vor, mit Wollsocken und runterhängenden Hiphop-Jeans, der gerade „Lady Bitch Ray“ aus seinem iPod hört.

Vielleicht können wir ja die Philosophie hier ein historisches Stück vorantreiben :smile:

Dann fang doch mal bei Schritt eins an und definiere, was unter Wirklichkeit zu verstehen ist.

Ich ziehe es vor, von zwei Wirklichkeiten zu sprechen, einer relativen (für-uns) und einer absoluten (an-sich). Das Problem ist, dass letztere sprachlich nicht beschreibbar und damit auch n i c h t definierbar ist. Denn definieren heißt: einen Oberbegriff wählen und die spezifische Differenz benennen. Beispiel: ein Hund ist ein bellendes Tier.

Für „Wirklichkeit“ gibt es aber keinen Oberbegriff.

Buddhistische meditative Praxis, ganz besonders im Zen, zielt doch eindeutig auf das „Transzendieren“ des (zu recht) als dualistisch gebrandmarkten Denkens, da gerade dieses dem Erkenntnisziel im Wege steht.

Eben. Das Ziel lautet unter anderem: Aufgabe des dualistischen Denkens. Das ist sowohl ziemlich eindeutig, als auch sprachlich sehr genau zu definieren. Es gibt hier also kein Problem zwischen zu erreichendem Ziel und Sprache.

Ist diese Aufgabe des dualistischen Denkens nicht aber eine „Methode“ statt ein Ziel? Das Ziel heißt „Erleuchtung“, wofür das Transzendieren des Denkens nur eine notwendige Bedingung ist.

Daher sind sprachliche Beschreibungen von Nirvana / Shunyata nur von relativer Bedeutung.

Diese Schlussfolgerung ist von dir ist unlogisch. „Aufgabe von dualistischem Denken“ hat keine „relative“ und „nicht relative“ Bedeutung,…

Ich sagte: Beschreibung. Wenn Nagarjuna in seiner Rede über das Erlöschen darauf hinweist, dass das Nirvana kein Sein ist, dann heißt das doch, dass das Nirvana nicht beschreibbar ist: „nirvāna ist nicht ein Sein (bhāva).“ Denn nur Seiendes kann Gegenstand der Sprache sein. Da Nirvana aber kein Sein ist, fällt es aus diesem Raster. Man kann nur sagen, was es n i c h t ist. (mehr dazu unten)

Dort „dekonstruiert“ er (mit einem modernen Ausdruck) die sprachlich induzierte Illusion, dass Dinge ein selbständiges Sein haben…

Wie ich in meinem vorigen Beispiel schon ausführte, ist es für den Satz „Es regnet“ und seinen Wahrheitsgehalt völlig unerheblich, ob derjenige, der diese Aussage trifft, nun davon ausgeht, ob Regen ein „selbständiges Sein“ hat oder nicht. Wenn es regnet, dann hat er recht.

Irgendwo in einem Zentext habe ich gelesen, dass es zwei Ebenen gibt, auf denen man z.B. sagen kann: „Die Rose ist rot“. Eine falsche und eine richtige.

Der Unwissende sagt: „Die Rose ist rot“. Er sieht die Dinge so, wie jemand sie sieht, der noch keine Erleuchtung erlangt hat.

Der Schüler sagt: „Es gibt keine Rose, denn Rose ist nur ein Wort“. Er ist bemüht, das Alltagsbewusstsein zu transzendieren, und negiert das, was der Unwissende sagt. Im Zen heißt es ja bekanntlich: „Der Vogel ist ein Nicht-Vogel“.

Der Erleuchtete sagt: „Die Rose ist rot“. Aber er sagt es aus einer Position, die den Dualismus des Alltagsbewusstseins als falsch durchschaut hat. Er sieht die Dinge jetzt in ihrer „wahren Natur“.

Nagarjuna war einer der ersten dialektischen Sprachkritiker überhaupt.

Die Darlegung Nagarjunas bezieht sich auf die Frage, ob die Phänomene bedingt existieren, oder ein „eigenes Sein“ haben. Nagarjuna beantwortet diese Frage damit, dass die Phänomene bedingt existieren. Das kann man sprachlich sehr gut ausdrücken und es gibt hier auch nicht das geringste Sprachproblem.

Ist aber Nagarjuna nicht ein Dialektiker, der Sprache benutzt, um Sprache zu dekonstruieren, d.h. um auf ihre nur relative Gültigkeit hinzuweisen? Gleich zu Beginn seines Hauptwerks rückt er den Begriffen (Kategorien) „entstehen“ und „vergehen“ zu Leibe. Damit stellt er auch das „bedingte Existieren“ (als Denkkategorie) in Frage.

Nagarjuna aus Der Mittlere Weg, Abschnitt 1, Die Bedingungen:

"Ferner: die Dinge entstehen nicht. Warum? Weil es in der Welt offenbar so gesehen wird. Wie in der Welt beobachtet wird, wird zu Beginn des Weltalters (kalpa) Korn nicht erzeugt. Weshalb? Getrennt von Korn zu Beginn des kalpa ist das jetzige Korn nicht zu erreichen. Wenn ohne das Korn zu Beginn des kalpa das jetzige Korn zu erreichen wäre, dann könnte ein Entstehen sein; aber tatsächlich ist es nicht so. Daher gibt es kein Entstehen.

Frage: Wenn es kein Entstehen gibt, so könnte doch ein Vergehen sein?

Antwort: Es gibt kein Vergehen. Weshalb? Weil es in der Welt so beobachtet wird. Wie in der Welt beobachtet wird, wird zu Anfang des kalpa (bestehendes) Korn nicht vernichtet. Wenn es vernichtet würde, so könnte jetzt nicht Korn sein. Aber tatsächlich ist Korn. Daher gibt es kein Vergehen."

Zitat Ende.

Ob seine Begründungen nun nachvollziehbar sind oder nicht - Nagarjuna behauptet jedenfalls das Nichtbestehen von „entstehen“ und „vergehen“.

„Wenn nirvāna ein Sein (bhāva) ist, dann ist nirvāna eben gewirkt; niemals gibt es einen dharma, der nicht-gewirkt wäre. (XXV. 5.) … nirvāna ist nicht ein Sein (bhāva).“

Woraus folgt, dass Nirvana nicht positiv beschreibbar ist.

Im obigen Zitat beschreibt Nagarjuna lediglich, dass Nivana kein „Sein“ im Sinne von abhängig entstanden ist.

Ich sehe nur, dass nur „Gewirktes“ ein Sein sein kann. Da Nirvana aber nicht „gewirkt“ ist, ist es kein Sein.

Es kann nur gesagt werden, was das Nirvana n i c h t ist. D.h. also, es ist sprachlich nicht beschreibbar.

Das ist falsch. Wenn ich eine erschöpfende Liste davon erstelle, was etwas nicht ist, dann hab ich es sprachlich beschrieben. Was denn sonst?

Das Argument ist zirkulär. Denn du setzt dabei voraus, dass man sich das (hier negativ) Beschriebene (mental) vorstellen kann. Das ist aber nur möglich, wenn das (negativ) Beschriebene auch tatsächlich positiv beschreibbar ist, d.h. wenn seine Eigenschaften sprachlich darstellbar sind. Andernfalls gibt es für den Hörer/Leser nicht die geringste Möglichkeit, sich das vorzustellen, was du (negativ) beschreibst.

D.h. du kannst vielleicht mit soundsovieltausend Worten einen Menschen beschreiben, indem du sagst, wie er n i c h t aussieht. Allerdings ist dieser Mensch auch positiv beschreibbar, was Voraussetzung dafür ist, dass man ihn sich überhaupt vorstellen kann. Das Nirvana ist aber n i c h t positiv beschreibbar.

Wie auch weiter oben durch die schönen von dir angeführten Zitate von Nagarjuna verdeutlicht geht es hier darum, die Phänomene als abhängig zu beschreiben und eben nicht als aus sich selbst heraus existent.

Auch das abhängige Entstehen ist nur eine relative Wahrheit, wie Nagarjuna ja gleich zu Beginn seines Buches. Sorry, wenn ich das erst heute zitierte.

Gruß

Horst

Sprache und Haute Cuisine
Hi Uwi.

…es scheinbar bei der Diskussion nicht mehr um Inhalt sondern nur noch darum geht, eine beliebige Diskussion zu führen und große Belesenheit zu dokumentieren.

Das Thema ist nicht beliebig gewählt, und dafür, dass ich darüber etwas mehr gelesen habe als du, entschuldige ich mich, von Reue erfüllt.

Denn dazu müsstest du wissen, wie die „originale“ Wirklichkeit beschaffen ist.

Ein weites Feld. Geht es jetzt also nicht mehr um die Sprache, sondern darum, dass die Welt erkennbar ist oder nicht und unsere Erkenntnissen nicht nur reine Einbildung oder wohin willst du jetzt?

Das Thema ist „Funktion und Grenzen der Sprache“, was auch Erkenntnistheorie einschließt. Was ist daran so erstaunlich?

Mit was, so fragt man dort, kann man denn sprachliche Aussagen überhaupt vergleichen, um zu wissen, w i e weit sie von der hypothetischen „originalen“ Wirklichkeit abweichen?

Die Sprache selbst ist eine Methode, um z.B. Objekte zu vergleichen… Je nach Art der Wahrnehmung und Nutzung der Hilfsmittel kann die Toleranz zur Wirklichkeit größer oder kleiner sein.

Ich hatte angedeutet, wenn auch vielleicht nicht intensiv genug, dass das D e n k e n sprachlich fundiert ist, dass es also die Grenzen hat, die das Sprachliche ihm setzt. Somit bleibt alles Vergleichen immer innerhalb eines sprachlich fundierten und sprachlich begrenzten Horizontes.

was lässt dich annehmen, dass 1) Sprache unvollkommen ist …

zu 1) Vollkommen kann sie nicht sein, sonst wären die sprachliche Darstellung und das Original nicht mehr unterscheidbar. Das ist aber wohl sicher nicht der Fall, denn in der Regel kann ich schon unterscheiden, ob über Essen nur gequatscht wird, oder ob ich selber gerade satt werde.

Es war nicht gefragt, ob man Wörter essen kann. Es war gefragt, ob Sprache als Zeichensystem die Wirklichkeit darstellen kann, und wenn ja, in welchem Maße.

  1. dass „dahinter“ ein Original steht

zu2) Das ist eine grundsätzliche Frage der Weltanschauung, die nicht Thema war.

Das muss hier Thema sein, weil sonst das Thema Sprache im luftleeren Raum hängt, da ohne Bezug zu einem Objektbereich.

Ich bin Materialist und nehme deshalb an, das die Natur real existiert und die Naturgesetze für mich erkennbar sind.

Darüber lässt sich abgründigst debattieren. Ich beschränke mich jetzt auf den Hinweis, dass „Natur“ ein objektivierender Begriff ist, der sich ohne Relation zum „Subjekt“ Mensch, also zur erkennenden Instanz nicht begreifen lässt. Dialektisch gesagt: „Natur“ ist nur „Natur-für-uns“, sie ist, poststrukturalistisch gesagt, ein Diskurseffekt. Weiter: es gibt keine Natur"gesetze", sondern nur Hypothesen, die (im Falle der „Gesetze“) (noch) nicht falsifiziert sind.

Abgesehen davon: auch ein „Spiritualist“ akzeptiert den Begriff „Natur“, soweit dieser nicht reduktionistisch als Basis des Geistigen angesehen wird.

Denn wir haben doch keinen Standpunkt außerhalb der Sprache, der uns einen Vergleich ermöglichen könnte.

Wenn meine Wahrnehmung (Sinne) die Übereinstimmung des mit Sprache formulierten Modells der Umwelt feststellt, ist das ein Standpunkt außerhalb der Sprache.

Eben nicht, wenn gilt, dass Wahrnehmung (der Umwelt) spontan durch das sprachfundierte Denken gefiltert wird, so dass die Sinnesdaten nur kategorial-strukturiert in das Bewusstsein gelangen. Bereits die dualistische Trennung Innen/Außen(Um-)welt ist ein Denkkonstrukt.

Gruß

Horst

Kant mit TSG Hoffenheim
Hi Powenz.

Für mich als Kantianer ist das natürlich nicht akzeptabel.

Erst wollte ich dir antworten und nun bin ich eher am überlegen, was in diesem Horst so vor sich geht. :smile:

Hätte ich geschrieben „ich bin TSG Hoffenheim-Fan“ (was stimmt, auch wenn ich Münchner bin), würdest du dann glauben, ich laufe in Blau und mit Trillerpfeife herum? Wohl kaum. Auch bin ich simultan Wolfsburg- und ein bisschen Bayern-Fan. Also nimm das mit dem „Kantianer“ nicht zu wörtlich.

Vielmehr geht es darum, dass ich mir immer wieder überlegen muss, in welche Formulierungen ich meine Position so verpacke, dass sie von jemandem verstanden wird, dessen geistigen Background ich nicht kenne. Das ist nämlich nicht immer einfach. Ich hätte auch schreiben können: „Wilberianer“ oder „Lacanianer“, aber kann ich dann sicher sein, dass du das verstehst? Also benutzte ich „Kantianer“, was - denke ich - hinreichend zum Ausdruck bringt, dass ich zwei Wirklichkeits-Modi (ein sprachlich beschreibbares „für-uns“ und ein nicht beschreibbares Außerhalb der Sprache) unterscheide.

Redundanztheorie besagt schlicht formuliert, dass auf Begriffe wie wahr und falsch verzichtet werden kann, weil sie keine darstellende Funktion haben und war als Kritik an Russels Korrespondenztheorie aufgestellt worden, von Ramsey, falls der dir was sagt.

Ich muss mich verstärkt mit der analytischen Philosophie befassen, das steht auf dem Programm. Würde mich freuen, wenn du teilnimmst, wenn ich dazu mal ein Post liefere. Intuitiv würde ich sagen, dass - so gesehen - „wahr“ dann aber ein legitimer Ausdruck einer nichtdarstellenden Metasprache sein könnte - oder müsste.

Du kennst W. James? „Wenn die Hypothese von Gott im weitesten Sinne des Wortes befriedigt, ist sie wahr.“ Ist deine Anfrage im Relibrett analog zu diesem posting zu sehen?

Zu letzterem: nein. Reiner Zufall, dass ich auf dieses Paradoxon in einem Text über Slavoj Zizek stieß und das postete, um einmal mehr die Christen auf eine der zahllosen Widersprüchlichkeiten in ihrer Lehre hinzuweisen.

Zu ersterem: ja, natürlich. Allerdings kann ich dem Zitat absolut nicht zustimmen. Wahr ist etwas, wenn es wahr ist, und nicht, wenn es „befriedigt“. Das wäre ja noch schöner :smile: Außerdem finde ich besagte Hypothese höchst unbefriedigend. Wenn daraus folgt, dass sie falsch ist - bitte sehr.

Solange du aus deiner „absoluten Wirklichkeit“ kein Dogma machst, sondern eine Option…

Ich bin kein philosophischer Börsenhai. Und Dogma - das ist doch immer nur das, wovon a n d e r e überzeugt sind, nicht wahr?

Ich versuche ein Bild von dir zu kriegen und pendle grade zwischen jemandem, der im Esobrett aktiv ist und zwischen Lacan und Kant fluktuiert. Und irgendwo hab ich Wilberianer gelesen, wenn ich mich richtig erinnere. :smile:

Nimm Wilber und stufe ihn zwei oder drei Ligen herunter, dann hast du mich :smile:. Allerdings berücksichtigt Wilber nirgendwo Lacan. Was das Esobrett betrifft: mein dortiges Engagement ist Vergangenheit. Das Brett hat zu geringes Niveau, vor allem durch die „Kritiker“ mit ihren Hauptschüler-Manieren.

Gruß

Horst

Hi Horst,

Hätte ich geschrieben „ich bin TSG Hoffenheim-Fan“ (was
stimmt, auch wenn ich Münchner bin), würdest du dann glauben,
ich laufe in Blau und mit Trillerpfeife herum?

Warum nicht?! :wink: Mit Sicherheit hätte ich aber geglaubt,
dass dein Herz für deren Belange schlägt.

Also benutzte ich „Kantianer“, was - denke ich -
hinreichend zum Ausdruck bringt, dass ich zwei
Wirklichkeits-Modi (ein sprachlich beschreibbares „für-uns“
und ein nicht beschreibbares Außerhalb der Sprache)
unterscheide.

Ich kenne Kantianer, denen würden sich die Nackenhaare kräuseln,
wenn sie das lesen könnten! :smile:
Aber gut, ich glaube ich verstehe was du meinst.

Du kennst W. James? „Wenn die Hypothese von Gott im weitesten Sinne des Wortes befriedigt, ist sie wahr.“

Zu ersterem: ja, natürlich. Allerdings kann ich dem Zitat
absolut nicht zustimmen. Wahr ist etwas, wenn es wahr ist, und
nicht, wenn es „befriedigt“. Das wäre ja noch schöner :smile:

Du sagtest doch selbst,

Ich favorisiere die pragmatische Wahrheitstheorie,
um jene relative „Wirklichkeit“ zu erfassen, die uns im
Horizont des Alltagsbewusstseins gegeben ist.

und dies ist eben eine provozierende Position dieser
pragmatischen Wahrheitstheorie. Wenn ein Placebo,
das absolut keinen Wirkstoff in sich trägt, in
der Lage ist, einen Kranken zu heilen, ist
es dann wahr dass es heilt oder nicht?
Du kannst jetzt sagen, es ist der Glaube der
heilt, aber dazu bräuchte es kein Placebo.
Ist Gott diese, wie du sagst, unbeschreibliche
Wirklichkeit oder ist er nicht existent?
Wenn etwas nur wahr ist, wenn es wahr ist,
wie du sagst, es aber keine Wahrheit gibt,
was wirkt dann? Oder aber wenn diese Wirklichkeit
nicht beschreibbar ist, dann ist es gleichgültig
ob es wahr ist oder nicht, jedenfalls wirkt es.
Das ist eben dieses „pragmatische“. :smile:

Ich bin kein philosophischer Börsenhai.

Ich kenne dich nicht? :wink:

Und Dogma - das ist doch immer nur das,
wovon a n d e r e überzeugt sind, nicht
wahr?

Nicht wenn man eine fallibilistische Position einnimmt.
Im übrigen bin ich persönlich nicht so streng, ich sehe
nicht nur das Dogma, sondern auch die menschliche Not,
die hinter diesen Glaubenssätzen steckt.

Du sagtest:

Darüber hinaus gehe ich von einer sprachlich
nicht beschreibbaren „absoluten Wirklichkeit“ aus.

Wenn man solche Prämissen verfolgt, gerät man
leicht ins Fahrwasser doxastischer Logik, ein
Glaubenssatz wird zum modalen Operator. Die
Konklusionen erscheinen oder sind sogar
schlüssig, aber das Subjekt erkennt nicht,
dass es sich in einer Tautologie bewegt.

Deshalb sind solche nicht erwiesenen Aussagen imho
besser im Bereich des Hypothetischen aufgehoben,
als mögliche Option.

Gruß
Powenz

Welt vs. Wirklichkeit?
Hi Klaus.

Im Alltagsleben erlebt jeder (s)eine Wirklichkeit und kann sie mit Sprache beschreibend mitteilen. Die erlebte Wirklichkeit wird als vom Individium unabhängig empfunden (wie Du ja schreibst) und ist „vor“ der Beschreibung. Die Beschreibung/Erzählung versucht dann „ein Bild“ des Erlebten also der erfahrenen Wirklichkeit wieder zu geben.

Ja, das nenne ich in diesem Thread ad hoc „Wirklichkeit-für-uns“. Sie entsteht durch eine Spaltung im Bewusstsein des Subjekts in den subjektiven und den objektiven Pol. D.h. Objekte sind immer durch subjektive bzw. intersubjektive, also sprachlich vermittelte Schemata konstituiert, was dem Subjekt aber nicht bewusst ist (in der Regel).

Philosophischer wird es, wenn man seine Denk- und Erlebnis- MÖGLICHKEITEN als von der Sprache vorgegeben betrachtet … Die präzisesten Aussagen lassen sich wohl über ein Individuum machen: Paul hat braunes Haar.

Präzise im Sinne von Richtigkeit einer Aussage innerhalb eines sprachstrukturierten Erkenntnisrasters, ja. Wobei Sprache die (grammatischen) Kategorien Subjekt und Prädikat (philosophisch: Substanz und Akzidenz) schon vorgibt. „Wirklichkeit“ wird auf diese Weise präformiert.

Schwerer wird es schon wenn man einen Oberbegriff hat und dafür richtige, für alle umfassten Objekte, Aussagen machen soll…

Das betrifft die „extensionale“ Ausdehnung eines Begriffs: nämlich alle konkreten Objekte, die darunter fallen. „Intensional“ ist die mit einem Begriff verbundene mentale Vorstellung des Objekts. Letzteres geht in der Analytischen Philosophie auf Frege zurück, was seine Nachfolger Carnap und Quine dann in Richtung Bedeutung = (ausschließlich) Extension abänderten.

Die „Wirklichkeit“ ist nun der Oberbegriff schlechthin.

Das hatte ich gestern ähnlich in meiner Antwort an Marion so formuliert, wobei ich schwöre, dass ich deinen Artikel noch nicht gelesen hatte, sondern mir für heute aufgehoben.

Eine andere Aussage als „Die Wirklichkeit ist“ wäre mit Sicherheit für einige Objekte (die da sind: Tiere, Hans, Gedanken, Träume, Gefühle, Hoffnung, Mut, Pflanzen … alles) falsch!

Ich möchte davon zwei Begriffe herausgreifen, die ein typisches Sprachproblem darstellen: „Hoffnung“ und „Mut“. Du nennst sie Objekte, aber in welchem Sinne sind sie das?

Das exemplarische Problem liegt hier in der Substantivierung, die suggeriert, dass es sich dabei um „Dinge“ oder Wesenheiten handelt. Tatsächlich aber sind Hoffnung und Mut etwas Relationales: Mut ist eine Verhaltensdisposition (Peter hat Mut = er tendiert in einer konkreten riskanten Situation dazu, die Herausforderung anzunehmen), und Hoffnung ist ebenfalls eine Verhaltensdisposition (Peter hat Hoffnung = er tendiert in einer konkreten schwierigen Situation dazu, das Problem für lösbar zu halten).

Ähnliches gilt für alle Abstrakta wie z.B. Freiheit, das Gute, Gerechtigkeit usw. Problematisch sind die Substantivierungen (und damit Substantialisierungen), weil der jeweilige Begriff wie eine Fahne geschwenkt werden kann, ohne etwas Aussagekräftiges bedeuten zu müssen. Sprache wird so zu Blendwerk.

Weswegen der Begriff „Wirklichkeit“ in unserer Sprache schon zu Denken verführt das vielleicht in eine Sackgasse laufen muss - denn er verführt dazu etwas zu denken was vielleicht in dieser gedachten Form in der Welt nicht existiert.

Hier unterscheidest du „Welt“ und „Wirklichkeit“, letztere anzweifelnd, aber durch ersteres wieder ins Spiel bringend :smile:

Gruß

Horst

Moin,

Allerdings wurzelt die Annahme von der „Unerkennbarkeit“ des
Wirklichen in mehr als nur einer hypothetischen, sozusagen
phantasierten Annahme (oder Option, wie Powenz es ausdrückt),
dass es eine unerkennbare Wirklichkeit ist.

Nämlich? Worin wurzelt diese? Warum muss es denn über das, was Erkennbar ist hinaus überhaupt irgend etwas geben?

All das hat immer auch seine Spuren im Denken der Philosophen
hinterlassen. Selbst ein so nüchterner Denker wie Wittgenstein
schien von einer mystischen Wahrheit überzeugt zu sein, die
durch Sprache nicht „sagbar“ ist. Kant, der bekannteste
Vertreter einer unerkennbaren Wirklichkeit, hatte seinerseits
seltsame, vermutlich neurotische Ansichten über die mögliche
Beschaffenheit dieser Wirklichkeit, in der es einen
„schrecklichen Gott“ gäbe, vor dessen Angesicht, würden die
Menschen ihn wahrnehmen, sie voller Furcht wie Marionetten
zappeln würden. Manche Analytiker stellten daher die Hypothese
auf, Kant sei ein unbewusster Sadist gewesen.

Ich würde eher sagen, dass ist ein Problem der Gottgläubigen. Wenn man an einen Gott glaubt, dann muss man sich ja auch überlegen, wo dieser denn wohl stecken mag. Also siedelt man ihn im Bereich des „Mystischen“ an. Wer jedoch frei von einer Gottesvorstellung ist, braucht auch das Mystische nicht. Ich wiederhole meine Frage: Warum muss es nach Meinung der westlichen Philosophen außer dem Erkennbaren überhaupt noch etwas geben?

Ich stelle mir darunter einen Wolpertinger vor, mit Wollsocken
und runterhängenden Hiphop-Jeans, der gerade „Lady Bitch Ray“
aus seinem iPod hört.

Siehst du, und genau so ist das mit der „Wirklichkeit“. So lange jemand nicht definiert, was er damit meint, stellt sich darunter jeder etwas anderes vor. Wie soll man aber sinnvoll über etwas reden, worunter sich jeder ewas anderes vorstellt. Also was ist nun mit einer Definition? Gibt es in der westlichen Philosophie etwa keine?

Ich ziehe es vor, von zwei Wirklichkeiten zu sprechen, einer
relativen (für-uns) und einer absoluten (an-sich).

Bei meiner Frage weiter oben hast du es abgelehnt darzulegen, was du unter Wirklichkeit verstehst. So kommen wir doch nicht weiter. Aber gut. Was ist denn die „für-uns“ und die „an-sich“ Wirklichkeit deiner Meinung nach? Ich kann mir unter den Begriffen nichts vorstellen.

Das Problem
ist, dass letztere sprachlich nicht beschreibbar und damit
auch n i c h t definierbar ist.

Und warum gehst du dann davon aus, dass es letzteres überhaupt gibt?

Eben. Das Ziel lautet unter anderem: Aufgabe des dualistischen Denkens. Das ist sowohl ziemlich eindeutig, als auch sprachlich sehr genau zu definieren. Es gibt hier also kein Problem zwischen zu erreichendem Ziel und Sprache.

Ist diese Aufgabe des dualistischen Denkens nicht aber eine
„Methode“ statt ein Ziel? Das Ziel heißt „Erleuchtung“, wofür
das Transzendieren des Denkens nur eine notwendige Bedingung
ist.

Nein. In dem Moment, wo du das dualistische Denken aufgegeben hast, bist du erleuchtet. Die Methode ist die Arbeit mit dem eigenen Geist.

Daher sind sprachliche Beschreibungen von Nirvana / Shunyata nur von relativer Bedeutung.

Diese Schlussfolgerung ist von dir ist unlogisch. „Aufgabe von dualistischem Denken“ hat keine „relative“ und „nicht relative“ Bedeutung,…

Ich sagte: Beschreibung. Wenn Nagarjuna in seiner Rede über
das Erlöschen darauf hinweist, dass das Nirvana kein Sein ist,
dann heißt das doch, dass das Nirvana nicht beschreibbar ist:
„nirvāna ist nicht ein Sein (bhāva).“ Denn nur Seiendes kann
Gegenstand der Sprache sein. Da Nirvana aber kein Sein ist,
fällt es aus diesem Raster. Man kann nur sagen, was es n i c h
t ist. (mehr dazu unten)

Falsch. Nagarjuna beschreibt doch selbst das Nirvana. Also ist es auch beschreibbar. (mehr dazu unten).

Wie ich in meinem vorigen Beispiel schon ausführte, ist es für den Satz „Es regnet“ und seinen Wahrheitsgehalt völlig unerheblich, ob derjenige, der diese Aussage trifft, nun davon ausgeht, ob Regen ein „selbständiges Sein“ hat oder nicht. Wenn es regnet, dann hat er recht.

Irgendwo in einem Zentext habe ich gelesen, dass es zwei
Ebenen gibt, auf denen man z.B. sagen kann: „Die Rose ist
rot“. Eine falsche und eine richtige.

Was für Ebenen?

Der Unwissende sagt: „Die Rose ist rot“. Er sieht die Dinge
so, wie jemand sie sieht, der noch keine Erleuchtung erlangt
hat.

Du meinst, ein Erleuchteter kann nicht mehr erkennen, dass eine Rose rot ist? Dann hätte er ja an Erkenntnisfähigkeit eingebüßt.

Der Schüler sagt: „Es gibt keine Rose, denn Rose ist nur ein
Wort“.

Natürlich ist „Rose“ ein Wort. Das bedeutet aber nicht, dass es nichts gibt, was eine Rose wäre.

Der Erleuchtete sagt: „Die Rose ist rot“. Aber er sagt es aus
einer Position, die den Dualismus des Alltagsbewusstseins als
falsch durchschaut hat. Er sieht die Dinge jetzt in ihrer
„wahren Natur“.

Und was wäre die „wahre Natur“ der roten Rose? Ist es etwas, was eine rote Rose z.B. von einer gelben Rose unterscheidet?

Ist aber Nagarjuna nicht ein Dialektiker, der Sprache benutzt,
um Sprache zu dekonstruieren, d.h. um auf ihre nur relative
Gültigkeit hinzuweisen? Gleich zu Beginn seines Hauptwerks
rückt er den Begriffen (Kategorien) „entstehen“ und „vergehen“
zu Leibe. Damit stellt er auch das „bedingte Existieren“ (als
Denkkategorie) in Frage.

Nein. Der Punkt ist, ob man überhapt von „entstehen“ und „vergehen“ reden kann, wenn sich etwas doch nur verändert. Wenn zum Beispiel aus einem Regentropfen eine Schneeflocke wird, ist dann der Regentropfen vergangen und die Schneeflocke entstanden, oder hat sich lediglich das Wasser in seiner Form verändert? Auch wenn man der Meinung ist, nichts ist entstanden oder vergangen, sondern das Wasser hat nur seine Form verändert, kann man dennoch davon sprechen, dass etwas „bedingt existiert“, ja es muss sogar bedingt existieren, sonst könnte es sich ja nicht verändern. In dem Moment, wo du „bedingtes Existieren“ in Frage stellst, stellt du auch die Möglichkeit der Veränderng in Frage.

"Ferner: die Dinge entstehen nicht. Warum? Weil es in der Welt
offenbar so gesehen wird. Wie in der Welt beobachtet wird,
wird zu Beginn des Weltalters (kalpa) Korn nicht erzeugt.
Weshalb? Getrennt von Korn zu Beginn des kalpa ist das jetzige
Korn nicht zu erreichen. Wenn ohne das Korn zu Beginn des
kalpa das jetzige Korn zu erreichen wäre, dann könnte ein
Entstehen sein; aber tatsächlich ist es nicht so. Daher gibt
es kein Entstehen.

Frage: Wenn es kein Entstehen gibt, so könnte doch ein
Vergehen sein?

Nein. So ist das nicht gemeint. Man geht davon aus, dass bestimmte Ursachen und Umstände vorhanden sein müssen, damit etwas bestimmtes entsteht. So muss, damit ein Korn entstehen kann, die für Korn bestimmte Ursache vorhanden sein, die eine Verbindung zum Korn hat. Anders ausgedrückt: Wenn du nur einen Apfelkern hast, dann kannst du daraus kein Getreide ziehen, sondern bestenfalls einen Apfelbaum.

Ob seine Begründungen nun nachvollziehbar sind oder nicht -
Nagarjuna behauptet jedenfalls das Nichtbestehen von
„entstehen“ und „vergehen“.

Ja und?

Es kann nur gesagt werden, was das Nirvana n i c h t ist. D.h. also, es ist sprachlich nicht beschreibbar.

Das ist falsch. Wenn ich eine erschöpfende Liste davon erstelle, was etwas nicht ist, dann hab ich es sprachlich beschrieben. Was denn sonst?

Das Argument ist zirkulär. Denn du setzt dabei voraus, dass
man sich das (hier negativ) Beschriebene (mental) vorstellen
kann. Das ist aber nur möglich, wenn das (negativ)
Beschriebene auch tatsächlich positiv beschreibbar ist, d.h.
wenn seine Eigenschaften sprachlich darstellbar sind.
Andernfalls gibt es für den Hörer/Leser nicht die geringste
Möglichkeit, sich das vorzustellen, was du (negativ)
beschreibst.

Grundsätzlich würde ich dir Recht geben. Du vergisst allerdings, dass das, was hier beschrieben wird, die Lehrheit ist. Und die kann man nunmal nur dadurch beschreiben, was sie nicht ist. Das ist aber kein Problem von Sprache und Verständnis sondern liegt in der Eigentschaft von Lehrheit begründet. Wenn ich sage „Der Eimer ist leer“ kann sich ja auch jeder etwas darunter vorstellen, ohne dass ich diese Lehrheit positiv beschreben müsste.

Auch das abhängige Entstehen ist nur eine relative Wahrheit,
wie Nagarjuna ja gleich zu Beginn seines Buches. Sorry, wenn
ich das erst heute zitierte.

Vielleicht solltest du dich erstmal informieren, wie Buddhisten „Wahrheit“ definieren. Sonst läufst du in die Grumpfelstrumpffalle und stellst die was mit Wollsocken vor, während Nagarjuna etwas ganz anderes im Sinn hatte.

Gruß
Marion

Hallo,

Ja, das nenne ich in diesem Thread ad hoc
„Wirklichkeit-für-uns“. Sie entsteht durch eine Spaltung im
Bewusstsein des Subjekts in den subjektiven und den objektiven
Pol. D.h. Objekte sind immer durch subjektive bzw.
intersubjektive, also sprachlich vermittelte Schemata
konstituiert, was dem Subjekt aber nicht bewusst ist (in der
Regel).

In der Tradition des Advaita könnte man sagen: Der Sehende, das Sehen und das Gesehene entspringen dem „Urgrund“ - dem Selbst - wobei das „ich“ sich mit dem Sehenden identifiziert und als getrennt von allem Übrigen empfindet …

Ich möchte davon zwei Begriffe herausgreifen, die ein
typisches Sprachproblem darstellen: „Hoffnung“ und „Mut“. Du
nennst sie Objekte, aber in welchem Sinne sind sie das?

Präziser gesehen ist „Objekt“ in diesem Fall wahrscheinlich falsch. Es sollte eigentlich nur deutlich werden, das diese „Dinge“ „wirklich“ sind und somit wie die konventionellen Objekte auch vom „Wirklichkeitsbegriff“ erfasst werden müssten.

Weswegen der Begriff „Wirklichkeit“ in unserer Sprache schon zu Denken verführt das vielleicht in eine Sackgasse laufen muss - denn er verführt dazu etwas zu denken was vielleicht in dieser gedachten Form in der Welt nicht existiert.

Hier unterscheidest du „Welt“ und „Wirklichkeit“, letztere
anzweifelnd, aber durch ersteres wieder ins Spiel bringend :smile:

Ja ich weiß :o). Aber da ist halt die Schwierigkeit über diese Dinge zu sprechen.
Letztlich kann man als Mensch aber oft die Bedeutung -den Sinn, die Intention - des Gesprochenen erfassen ohne an den Worten zu kleben.

Konsequenter - wie ich finde, richtiger - wäre allerdings, das es tatsächlich eine andere Wirklichkeit gäbe - wenn die Sprache eine andere wäre.

Grüße
K.

Die Nirvana Task Force im chromatischen Raum
Hi Candide.

Im Ernst, ich bin geneigt, zwischen den beiden Begriffspersonen Lacan und Derrida eine weit längere Pause einzufügen als du das machst.

OK, in Zukunft schreibe ich nur noch „Lacan uuuuuuuuunnnnnnnnndddddddd Derrida“.

Ja, darum geht es mir auch. Um Erkenntnistheorie und Ontologie. In keinster Weise nur um Soziologie.

Prima, dann ist das Programm ja komplett.

Meine Fragen suggerierten allesamt, dass es eine sprachunabhängige Wirklichkeit gibt

richtig, das meinte ich mit dem „Repräsentationsschema“. Sobald man ein Repräsentationsverhältnis denkt, kann man nicht anders denn das Verhältnis von Sprache und Wirklichkeit als eine Dualität zu denken.

Aber genau dieses Repräsentationsverhältnis stellte ich zur Diskussion, mit dem deutlichen Wink, dass es „möglicherweise“ eine sprachlich n i c h t repräsentierbare Wirklichkeit gibt (die Wirklichkeit-an-sich, die nicht beschreibbar ist, für die es allerdings haufenweise Signifikanten gibt, was sie in minimaler, also negativer Weise doch repräsentierbar macht, als das „ganz Andere“).

Lacan z.B. sprach seit den 60ern verstärkt vom „Realen“, also dem Nicht-Symbolisierbaren, das den Bedeutungseffekt des Symbolischen zugleich unterläuft und fundiert. Es „zeigt sich“ z.B. in der Ekstase (der jouissance unter dem Zeichen des Todestriebs) und, laut Zizek, im Grauen (Horrorfilme thematisieren den Einbruch des „Realen“ in unsere vertraute Wirklichkeitskonstruktion).

…ich finde „lediglich“ dieses Repräsentationsschema, das als unausgesprochene Voraussetzung erst diesem „Es gibt (nicht)* eine sprachunabhängige Wirklichkeit“ den Boden bereitet, unfruchtbar und allzu Platonisch … Ich glaube, das ist gar nicht so weit entfernt von der Frage nach Gott: Es gibt ihn (nicht).

Es ist durchaus legitim, eine Existenzaussage zu verneinen. Das Problem, das du ansprichst, ist ein psychologisches, kein sprachlogisches oder philosophisches.

Zunächst mal: du liegst da auf einer Linie mit Quine, der Sätze wie „Es gibt kein Einhorn“ als verkappte Existenzaussage betrachtete und statt dessen Formulierungen forderte wie (jetzt nur vereinfachend rekonstruiert): „Es gibt kein x, für das gilt: x ist ein Einhorn“.
Auf diese Weise wird die visuelle Vorstellung „Einhorn“ syntaktisch entschärft. Mehr aber nicht. Semantisch ist das „Einhorn“ nicht totzukriegen.

Wie unsymmetrisch, weil bei diesem Aussagenspiel immer Gott gewinnt.

Vielleicht ist dir aufgefallen, dass ich das Wort „Gott“ immer (bzw. zuallermeist) in Anführungszeichen setze. In diesem gravierenden Fall folge ich also Quines Vorgabe, dass man die Nichtexistenz von etwas auch auf der Zeichenebene kenntlich machen sollte (sofern man davon überzeugt ist).

Je mehr ich davon spreche, dass es Gott nicht gibt, desto mehr spreche ich von Gott …

Du musst „ihn“ nur in Anführungszeichen setzen, schon indizierst du, dass es um eine Vorstellung geht, die rein mental ist und nichts denotiert.

Gott muss nicht negiert werden, er muss ignoriert werden.

„Gott“ ignorieren statt negieren, das wäre so etwas wie eine einseitige Abrüstung. Die andere Seite würde nur gestärkt.

Im Prinzip gibt es diesen theoretischen Kategoriendualismus auch in östlichen Philosophien (Maya vs. Brahman, Samsara vs. Nirvana z.B.).

hier muss ich mich -mit der Äußerung eines leichten Zweifels, ob man wirklich Samsara vs. Nirvana mit An-Sich vs. Für-Uns gleichsetzen kann- enthalten.

Ich hatte im Text davor das Für-uns v o r das An-sich gesetzt, was heißt, dass ich Samsara mit dem Für-uns parallelisierte und Nirvana mit dem An-sich. Das ist so falsch sicher nicht, zumal ich nicht von „Gleichsetzung“ sprach, was allzu grob gerastert wäre.

Wenn man das Für-uns als die Dimension des Ich-Bewusstseins (Samsara) und das An-sich als die Dimension des All-Bewusstseins (Nirvana, mit darin „aufgelöstem“ Ich-Bewusstsein) setzt, dann ist die Parallelisierung aus der Sicht des Bewusstseinsparadigmas (Wilber) nachvollziehbar.

Oberhalb des personalen Bewusstseins (mit seiner von sich entfremdeten Objektwelt) lokalisiert Wilber die Ebenen des „psychischen“, des „subtilen“, des „kausalen“ und des „nichtdualen“ Bewusstseins, letzteres die Ebene des An-sich (mit meinem Begriff aus dem Dt. Idealismus). Auf dieser höchsten Ebene gilt die buddhistisch-mahayanistische Formel „Form ist Leere, Leere ist Form“.

In Wilbers Worten: „Wenn das Bewusstsein den Zustand … der kausalen Absorption ohne Manifestation voll durchlaufen hat, soll es endlich wieder zu seiner ursprünglichen und ewigen Wohnstätte als absoluter Geist erwachen, strahlend und alles durchdringend, eins und vieles, einziges und alles - die vollständigen Intergration und Identität manifester Form mit dem unmanifestierten Formlosen … Streng genommen ist das Absolute nicht eine Ebene unter anderen, sondern die Realität, Bedingung oder Soheit aller Ebenen.“

Soweit Wilber (er ist übrigens - jetzt 60 - seit einigen Jahren schwer krank und bettlägrig, er leidet an einem Mix aus mehreren Krankheiten, u.a. Multiple Sklerose).

Sprache erzeugt Wirklichkeit, Sprache setzt beim Erzeugen von Wirklichkeit immer schon (durch-Sprache-erzeugte-)Wirklichkeit voraus …
in diesem Für-Uns steckt ja schon zwingend sein Gegenbegriff bzw. sein Komplement, also das An-Sich …

„Durch-Sprache-erzeugte-Wirklichkeit“ (dein Begriff, H.Tr.): das hatte ich mehrfach ähnlich formuliert, z.B. „sprachlich konstruierte Wirklichkeit“. Und d i e hatte ich definitiv mit der Wirklichkeit-für-uns gleichgesetzt. Über diese Wirklichkeitsform sind wir uns also einig.

Die „nicht-durch-Sprache-erzeugte-Wirklichkeit“ wiederum (die ich „an-sich“ nenne) - darüber sind wir uns nicht einig.

Im Moment fällt mir kein logisches Verfahren ein, mit dem ich jetzt für dich das An-sich aus dem Für-uns deduzieren könnte, da muss ich mal bei Sartre nachfragen, was gerade nicht geht, denn sein Handy ist ausgeschaltet.

Ich beschränke mich daher auf zwei Hinweise.

Erstens ist die Geistesgeschichte randvoll mit philosophisch-mystischen Strömungen in Ost und West, die allesamt von einer Wirklichkeit jenseits bzw. über „unserer“ alltäglichen Wirklichkeit berichten. Diese Lehren sind sich darin einig, dass der „Zugang“ zu jener Wirklichkeit nur über die Transzendierung des Ich-Horizonts führt. Damit wird jene Wirklichkeit als eine charakterisiert, die nicht „für-uns“ (also für ein Ich) ist, sondern einfach nur „ist“ (also an-sich).

Zweitens überbewertest und verabsolutierst du möglicherweise die Relevanz der Ich-Position, also der Perspektivität. Mit „ich“ meine ich hier den subjektiven, also perspektivischen Blick auf die Wirklichkeit, der durch die Sozialisation des Individuums und die Engführung seines Geistes durch die Dimensionen des Imaginären und des Symbolischen zustande kommt. Dieser perspektivische Blick auf die Wirklichkeit erzeugt reflexiv beim Subjekt den Eindruck, die Wirklichkeit sei überhaupt n u r konstruiert. Das Subjekt denkt: „Ich sehe alles nur aus meiner Perspektive, und jedem anderen geht es genauso.“ Daraus folgert es: es gibt n u r Perspektiven. Perspektivität wird somit verabsolutiert.

Dabei handelt sich sich tatsächlich aber nur um eine perspektivische Verkürzung der Wirklichkeit, welche auch o h n e das Subjekt „ist“. Es ist eine Verkürzung von Wirklichkeit, nicht eine „Erzeugung“.

Daher meine These, dass das An-sich die logische Voraussetzung des Für-uns ist. Das An-sich ist vorgängig - das Subjekt aber ist, wie Sartre sagt, nur ein „Riss“ im An-sich. Oder wie ich oben sagte: ein perspektivischer Blick.

Hier wird das Subjekt vom Prädikat getrennt und sprachlich suggeriert, dass es ein identisches, quasi-essentielles Ding namens „Schnee“ gibt.

Wenn man diese von dir angesprochene „sprachliche Strukturierung“ ernst nimmt, dann erkennt man den „Schnee“ als schnödes Substantiv, und gerade nicht als Substanz …

Nur wenn man kritisch auf den Effekt der Sprachstuktur reflektiert - nicht aber beim naiven Gebrauch der Sprache. Die quasi-mythische Essentialisierung von „Schnee“ zeigt sich doch in all den Metaphern und Sentimentalitäten, die um ihn ranken („weiße Weihnacht“, „Leichentuch“, „Schnee von gestern“, „Schneemann“ usw.).

Dein Satz: „Wenn ich sage: „der Schnee ist weiß“, dann ist er weiß, wenn er weiß ist“ vergleicht also nur zwei Aussagen miteinander, n i c h t aber eine Aussage mit „der Wirklichkeit“.

Du erschleichst dir hier dein Argument, indem du nicht definierst, was du an dieser Stelle unter „Wirklichkeit“ verstehst, nämlich eine „sprachunabhängige Wirklichkeit“.

In deinem Beispielsatz sehe ich eine außersprachliche Wirklichkeit als implizite Voraussetzung der Aussage: „der Schnee ist weiß“. Das „wenn er weiß ist“ indiziert eindeutig eine Wirklichkeit, in der der Schnee weiß ist, auch wenn das Subjekt „nicht hinguckt“. Du hast hier also eine außersprachliche Wirklichkeit vorausgesetzt, jedenfalls dem Buchstaben nach. Da brauche ich keine Wirklichkeit zu definieren, du hast sie schon geliefert.

… dann habe ich hier auch in keinster Weise einen Zirkel.

Dass „Schnee weiß ist“, ist kein angeborenes Wissen. Das ist sozial erworben, durch Spracherwerb und Erlernung der Regeln der Sprachanwendung. Auch die Innen/Außen-Perspektive ist erworben, d.h. sozial erzeugt. Das „wenn er weiß ist“ bleibt genau in diesem Rahmen der Sprachregeln und Außenwelt-Konstruktion.

Also besteht ein Zirkel, denke ich. Vergessen wir nicht Derrida: es gibt keine Präsenz von Sinn. D.h. es gibt keine Präsenz von „weißem Schnee“. Es gibt nur diese Signifikanten, aber keinen unmittelbar präsenten Sinn dahinter.

Die „Weißheit“ muss somit als mentales Konstrukt gelten, nicht als objektives Faktum.

Wieso das denn?

Weil „Weißheit“ (oder „weiß“) ein Quale ist und damit eine mentale Qualität, in die das Subjekt die neuronal empfangenen Daten transformiert. Ich zitiere dazu Maturana / Varela (und die müssen es wissen):

„Wir erleben nicht den ‚Raum‘ der Welt, sondern wir erleben unser visuelles Feld, wir sehen nicht die ‚Farben‘ der Welt, sondern wir erleben unseren chromatischen Raum.“ (Maturana, Varela 1987, 28)

Wenn ich öfter in den falschen Zusammenhängen solche Dinge sagen würde wie „Schnee ist schwarz/rot/gelb/zumfischengeeignet/vongottpoliert“, dann befinde ich mich bald in der Psychiatrie oder in einem philosophischen Institut.

Oder im Kabinett von Frau Merkel.

Was mich wieder auf die Frage zurückbringt, welche Kategorie, wenn nicht „an-sich“ oder „Qualia“, du für das nicht sprachlich „Erzeugte“ hast.

Nenn mir doch erst mal was nicht-sprachlich konstituiertes!

Mit Sprache? Schwierig :smile: Aber Hinweise habe ich oben schon gegeben. Ich verweise dazu auch auf die letzten Postings an Marion, wo es wieder mal um meine Geheimwaffe, Special Agent Nagarjuna von der „Nirvana Task Force“, geht.

Natürlich gibt es eine Welt, die unabhängig von mir und dir und jedem anderen sprechenden Subjekt ist … Dass ich jedoch nicht eine Welt der Dinge annehme, die unabhängig von Sprache und vom Sprechen wäre, das habe ich ja nun schon mehrmals in diesem Post ausgedrückt.

Du unterscheidest damit, wenn ich das richtig sehe, eine „Welt“ und eine „Welt der Dinge“. Können wir das so fixieren? Die erste ist sprachunabhängig, die zweite sprachabhängig. „Welt“ scheint dabei mit „Wirklichkeit“ gleichgesetzt zu sein.

Meine daran sich anschließende Frage muss lauten: was hat es mit jener Welt 1 auf sich, in der es scheinbar keine „Dinge“ gibt? Die interessiert mich jetzt vorrangig. Die Welt 2 (der Dinge) ist ja weitgehend unkontrovers. Im Hinblick auf jene Welt 1 möchte ich noch fragen, was sie unterscheidet von jener von mir oben vorgeschlagenen „Wirklichkeit-an-sich“, innerhalb derer es die „Risse“ (Sartre) der vielen perspektivischen „Wirklichkeiten-für-uns“ gibt.

Gruß

Horst

Nirvana und Samsara
Moin,

hier muss ich mich -mit der Äußerung eines leichten Zweifels, ob ::man wirklich Samsara vs. Nirvana mit An-Sich vs. Für-Uns ::gleichsetzen kann- enthalten.

Wenn ich mich hier mal einschalten darf, deine Zweifel sind berechtigt :smile:

Ich hatte im Text davor das Für-uns v o r das An-sich gesetzt,
was heißt, dass ich Samsara mit dem Für-uns parallelisierte
und Nirvana mit dem An-sich. Das ist so falsch sicher nicht,
zumal ich nicht von „Gleichsetzung“ sprach, was allzu grob
gerastert wäre.

Nur um mal zu definieren, was mit Nirvana und Samsara im buddhistischen Sinn gemeint ist:

Samsara bedeutet nichts anderes, als den beständigen und bedingten Wandel, oder auch das bedingte Werden und Vergehen im endlosen Daseinskreislauf.

Nirvana bedeutet hingegen nichts anders als „verlöschen“, also die Beendigung dieses Daseinskrauslaufs.

Mit „an sich“ und „für uns“ hat das überaupt nichts zutun und ich weiß auch nicht, warum du die Begriffe Nirvana und Samsara plötzlich mit deinen eigenen Inhalten belegen willst. Sowas stiftet doch nur Verwirrung.

Wenn man das Für-uns als die Dimension des Ich-Bewusstseins
(Samsara) und das An-sich als die Dimension des
All-Bewusstseins (Nirvana, mit darin „aufgelöstem“
Ich-Bewusstsein) setzt,

Das kann man aber nunmal nicht so setzen. Das ist Unsinn. Nirvana ist keine Bewusstseinsbrühe, in der sich das „Ich-Bewusstsein“ auflöst. Im Buddhismus gibt es auch kein „All-Bewusstsein“. Was soll denn das sein?

Nenn mir doch erst mal was nicht-sprachlich konstituiertes!

Mit Sprache? Schwierig :smile: Aber Hinweise habe ich oben schon
gegeben. Ich verweise dazu auch auf die letzten Postings an
Marion, wo es wieder mal um meine Geheimwaffe, Special Agent
Nagarjuna von der „Nirvana Task Force“, geht.

Nur leider funktioniert deine „Geheimwaffe“ nicht. Man kann nicht einfach Nagarjunas Schriften nehmen, und da beliebig irgend ein Zeug reininterpretieren, um damit vermeintlich eigene Behauptungen zu stützen. Das ist unseriös und unwissenschaftlich.

Gruß
Marion

Lieber Horst!

Im Ernst, ich bin geneigt, zwischen den beiden Begriffspersonen Lacan und Derrida eine weit längere Pause einzufügen als du das machst.

OK, in Zukunft schreibe ich nur noch „Lacan
uuuuuuuuunnnnnnnnndddddddd Derrida“.

:wink:

Meine Fragen suggerierten allesamt, dass es eine sprachunabhängige Wirklichkeit gibt

richtig, das meinte ich mit dem „Repräsentationsschema“. Sobald man ein Repräsentationsverhältnis denkt, kann man nicht anders denn das Verhältnis von Sprache und Wirklichkeit als eine Dualität zu denken.

Aber genau dieses Repräsentationsverhältnis stellte ich zur
Diskussion

Ok, das stimmt.
Meine erste Antwort auf deine Ausgangsfrage war daher auch keine „korrigierende“ (ich sprach ja nicht nur aus Höflichkeit von einem gelungenen Exposé deinerseits), sondern eine, naja, „ergänzende“, vielleicht „abrundende“.

Lacan z.B. sprach seit den 60ern verstärkt vom „Realen“, also
dem Nicht-Symbolisierbaren, das den Bedeutungseffekt des
Symbolischen zugleich unterläuft und fundiert. Es „zeigt sich“
z.B. in der Ekstase (der jouissance unter dem Zeichen des
Todestriebs) und, laut Zizek, im Grauen (Horrorfilme
thematisieren den Einbruch des „Realen“ in unsere vertraute
Wirklichkeitskonstruktion).

Ich kenn das schon bei Lacan, auch das, was Zizek da macht.

Ich frage mich halt, ob dieses „Reale“ ins Symbolische von einem radikalen Außen einbricht (wie Lacan dies konzipiert) oder ob dieser „Einbruch“ (Effekt des Symbolischen selbst ist im Sinne einer "Rückkehr ausgeschlossener Signifikanten, die das Symbolische „verworfen“ (nicht, ob man diese beide Dinge, über die wir uns einig sind, mittels des ‚Repräsentationsschemas‘, hier: An-Sich/Für-Uns, auseinander halten sollte.

Ich habe alternativ dazu oben das Schema des Verdrängens/Verwerfens/Vergessens in knappen Worten skizziert, welches aus meiner Sicht den unschlagbaren anti-metaphysischen Vorteil hat, nicht vorab und uneinholbar eine Dualität von ‚sprachlich-konstituierter Wirklichkeit‘ und ‚Wirklichkeit jenseits der Sprache‘ setzen zu müssen, sondern eher den Operationsmodi des Symbolischen nachgehen kann, seinen Ausschließungen und seinen Heimsuchungen, kurz: seinem Außen, also dem Außen, das das Symbolische selbst hervorbringt, und von dem her es ‚Einbrüche des Realen‘ erfahren muss.

Um hier nochmal einen Rückgriff auf mein erstes Posting zu tun: die Übergänge zwischen diesen Schemata (ich würde der Einfachheit halber sagen: von Metaphysikkritik) sind bei Kant sichtbar, bei Hegel, bei Lacan, bei Derrida sowieso usw. (quasi als Lesartendifferenzen) - deshalb war mein Beitrag zu deinem Thread der Hinweis, dass man mit denselben Begriffspersonen auch ein anderes Exposè hätte schreiben können, also ein Exposè, das ein anderes ‚Schema‘ akzenturiert.

Im Moment fällt mir kein logisches Verfahren ein, mit dem ich
jetzt für dich das An-sich aus dem Für-uns deduzieren könnte,
da muss ich mal bei Sartre nachfragen, was gerade nicht geht,
denn sein Handy ist ausgeschaltet.

… oder Hegel exhumieren.

… erzeugt reflexiv beim Subjekt den Eindruck, die Wirklichkeit
sei überhaupt n u r konstruiert. Das Subjekt denkt: „Ich sehe
alles nur aus meiner Perspektive, und jedem anderen geht es
genauso.“ Daraus folgert es: es gibt n u r Perspektiven.
Perspektivität wird somit verabsolutiert.

Das ist natürlich ein bekanntes Muster, mit dem gern und oft alle erkenntnistheoretischen Position, die man dann in Abgrenzung von sich als „postmodern“ zusammenfasst, zurückgewiesen werden. In gleichem Sinne hattet du ja schon Searle zitiert. Sokal wäre die Personifizierung dessen.

Ich denke, es geht (dem Poststrukturalismus, der Dekonstruktion usw.) um etwas anderes, nämlich um die Analyse der mannigfaltigen Bedingungen und Voraussetzungen einer Aussage (dazu gehören auch soziale Bedingungen, auch Aussagen die die Subjektbildung betreffen, aber eben auch andere Ebenen von Bedingungen, vor allem textuelle; es ist also kein sozialkonstruktivistisches Programm), verbunden mit der Kritik, diese Bedingungen und Voraussetzungen nicht einfach unter den Tisch fallen zu lassen indem man Aussagen aus ihren (textuellen) Bezügen, die sie konstituieren, löst.

Entscheidend ist hier auch das angesprochen kritische Verhältnis. Mit Hegel könnte man sagen: diese Position will weder affirmieren noch final aufheben, sie kreist immer um die bestimmte Negation herum.

Daher, als bestimmte Negation, hat sie natürlich viel mit Pespektivität zu tun, m.E. aber rein gar nichts mit der Postulierung eines „absoluten Perspektivismus“ oder eines Relativismus.

Daher meine These, dass das An-sich die logische Voraussetzung
des Für-uns ist.

Das ist ja unstrittig; strittig war und ist, ob man diese Dualität selbst denken muss.

Hier wird das Subjekt vom Prädikat getrennt und sprachlich suggeriert, dass es ein identisches, quasi-essentielles Ding namens „Schnee“ gibt.

Wenn man diese von dir angesprochene „sprachliche Strukturierung“ ernst nimmt, dann erkennt man den „Schnee“ als schnödes Substantiv, und gerade nicht als Substanz …

Nur wenn man kritisch auf den Effekt der Sprachstuktur
reflektiert - nicht aber beim naiven Gebrauch der Sprache.

Selbstverständlich!

Dein Satz: „Wenn ich sage: „der Schnee ist weiß“, dann ist er weiß, wenn er weiß ist“ vergleicht also nur zwei Aussagen miteinander, n i c h t aber eine Aussage mit „der Wirklichkeit“.

Du erschleichst dir hier dein Argument, indem du nicht definierst, was du an dieser Stelle unter „Wirklichkeit“ verstehst, nämlich eine „sprachunabhängige Wirklichkeit“.

In deinem Beispielsatz sehe ich eine außersprachliche
Wirklichkeit als implizite Voraussetzung der Aussage: „der
Schnee ist weiß“.

Selbstverständlich gibt es eine Wirklichkeit außerhalb meines konkreten Sprechens „Der Schnee ist weiß“.
(bitte betone „konkret“ statt „meines“ um nicht an Perspektivismus zu denken)
Da bin ich ganz bei dir.

Du hast hier also eine
außersprachliche Wirklichkeit vorausgesetzt

Soweit muss ich bei meiner Voraussetzung sicher nicht gehen.

Allein schon eine Wirklichkeit wie die „Wirklichkeit der Sprachgemeinschaft“ würde als Voraussetzung hier völlig reichen, um meine Aussage mit „der Realität“ zu vergleichen bzw. sie an ihr zu verfizieren.

Dass „Schnee weiß ist“, ist kein angeborenes Wissen. Das ist
sozial erworben, durch Spracherwerb und Erlernung der Regeln
der Sprachanwendung. Auch die Innen/Außen-Perspektive ist
erworben, d.h. sozial erzeugt. Das „wenn er weiß ist“ bleibt
genau in diesem Rahmen der Sprachregeln und
Außenwelt-Konstruktion.

ja, eben!
(siehe oben)

Also besteht ein Zirkel, denke ich. Vergessen wir nicht
Derrida: es gibt keine Präsenz von Sinn. D.h. es gibt keine
Präsenz von „weißem Schnee“. Es gibt nur diese Signifikanten,
aber keinen unmittelbar präsenten Sinn dahinter.

Ich dachte in diesem Thread jede Sekunde an Derrida.

Die „Weißheit“ muss somit als mentales Konstrukt gelten, nicht als objektives Faktum.

Wieso das denn?

Weil „Weißheit“ (oder „weiß“) ein Quale ist und damit eine
mentale Qualität,

M.E. ist das Sprachliche etwas nicht auf „Mentales“ reduzierbares.
Daher meine rhetorische Frage und meine Aussage, dass ich die „Weißheit“ eben in erster Linie als Substantivierung des Adjektivs „weiß“ verstünde.

Natürlich gibt es eine Welt, die unabhängig von mir und dir und jedem anderen sprechenden Subjekt ist … Dass ich jedoch nicht eine Welt der Dinge annehme, die unabhängig von Sprache und vom Sprechen wäre, das habe ich ja nun schon mehrmals in diesem Post ausgedrückt.

Du unterscheidest damit, wenn ich das richtig sehe, eine
„Welt“ und eine „Welt der Dinge“. Können wir das so fixieren?

Hier war es nur eine Unvorsichtigkeit des Ausdrucks. Entschuldige.

_ ℂ Λ ℕ Ð I Ð € _

Status Quo
Hi,

ohne mich hier einmischen zu wollen,… nur kurz:

Naja, wir sind uns einig, dass Sprache an der Konstitution von
Wirklichkeit beteiligt ist.
Wir sind uns wohl auch einig, dass es eine Wirklichkeit gibt,
die man nicht vollständig sprachlich ‚abbilden‘ kann,
erschöpfend und einfürallemal auf den Begriff bringen kann -
oder wie immer man das dann ausdrücken möchte.

Nicht abbilden kann oder NOCH nicht abbilden kann,
oder hängt es nicht auch am (hypothetischen) Verstehen
als an der Abbildungfähigkeit?
Von den ersten Grunzlauten prähistorischer Menschen,
bis zu eurem Gespräch hier sehe ich doch eine gewisse
transzendierte Wirklichkeit und ich sehe keinen
vernünftigen Grund, warum diese, wie Horsts Freund
Wilber das nennen würde, „Tendenz zur Transzendenz
von Formen höherer Komplexität“, (ohne hier ins
Teleologische abdriften zu wollen), sich gerade
jetzt verabschieden sollte.

Gruß
Powenz

Funde - Spuren - off topic
Moin Marion,

schönen Dank hierfür:

Daseinskrauslaufs.

Der Begriff ist schön und einleuchtend.

Schöne Grüße

MM

1 Like

Hallo Martin,

Daseinskrauslaufs.

Der Begriff ist schön und einleuchtend.

*lach*. Ja, das spiegelt sich wohl gerade mein ganz persönliches Samsara :smile:

Lieben Gruß
Marion

Hallo!

ohne mich hier einmischen zu wollen,… nur kurz:

gerne

Naja, wir sind uns einig, dass Sprache an der Konstitution von
Wirklichkeit beteiligt ist.
Wir sind uns wohl auch einig, dass es eine Wirklichkeit gibt,
die man nicht vollständig sprachlich ‚abbilden‘ kann,
erschöpfend und einfürallemal auf den Begriff bringen kann -
oder wie immer man das dann ausdrücken möchte.

Nicht abbilden kann oder NOCH nicht abbilden kann,

Da ich in diesem Thread, sagen wir mal,
poststrukturalistisch-dekonstruktionistisch argumentiert habe,
meinte ich damit schon ‚prinzipiell nicht vollständig
abbilden bzw. beschreiben können‘.

Das Standardargument dafür (bzw. eine seiner Variationen) -
auf Lehrbuch-Niveau trivialisiert:
Jede Bescheibung der Welt ist Welt-konstitutiv, weil
selbst ein Teil der Welt, weshalb es zumindest den eigenen
Beschreibungsvorgang selbst nicht mit beschreiben kann - und
so notwendig einen Rest überlässt, der einen neuen
Beschreibungsvorgang erfordert. Ad infinitum. Zurück bleibt
die Spur eines steten Neu-(Be)schreibens der Welt.

Vielleicht -weils auch schön zu meinem Eingangspost passt, in
dem ich auf dieses andere Schema neben dem
‚Repräsentationsschema‘ und seine Wurzeln ab Kant und Hegel
anspielte- darf ich hier Derrida zitieren (Grammatologie, stw
417, S. 48):

Der Horizont des absoluten Wissens ist das Erlöschen der
Schrift im Logos, die Resumtion der Spur in der Parusie, die
Wiederaneignung der Differenz, die Vollendung dessen, was wir
an anderer Stelle die Metaphysik des Eigentlichen genannt
haben.
Und doch kann alles, was Hegel in diesem Horizont gedacht hat
-das heißt alles außer der Eschatologie-, auch als Überlegung
zur Schrift gelesen werden. Hegel ist auch der Denker der
irreduziblen Differenz … Hegel ist der letzte Philosoph
des Buches und der erste Denker der Schrift
.

oder hängt es nicht auch am (hypothetischen) Verstehen
also an der Abbildungfähigkeit?

nach der oben skizzierten Logik der irreduziblen Differenz:
Nein.

Von den ersten Grunzlauten prähistorischer Menschen,
bis zu eurem Gespräch hier sehe ich doch eine gewisse
transzendierte Wirklichkeit und ich sehe keinen
vernünftigen Grund, warum diese, wie Horsts Freund
Wilber das nennen würde, „Tendenz zur Transzendenz
von Formen höherer Komplexität“, (ohne hier ins
Teleologische abdriften zu wollen), sich gerade
jetzt verabschieden sollte.

Das Argument, wenn ich es richtig verstehe, funktioniert m.E.
wohl nur, wenn man voraussetzt, dass das Abzubildende sich
durch sein Abgebildet-Werden nicht verändert. Genau das nimmt
die obere Logik aber nicht an.

_ ℂ Λ ℕ Ð I Ð € _

Lieber Candide,

Da ich in diesem Thread, sagen wir mal,
poststrukturalistisch-dekonstruktionistisch argumentiert habe,
meinte ich damit schon ‚prinzipiell nicht vollständig
abbilden bzw. beschreiben können‘.

Innerhalb dieses Sammelbeckens fällt es mir
schon schwer ein gemeinsames Prinzip zu
erkennen, wenn Derridas Grammatologie
Recht behält, reden wir ohnehin nur aneinander
vorbei, ohne den eigentlich singularen Gehalt
unserer jeweiligen Aussagen zu verstehen. :smile:

Wie ich unten schon zu Horst gesagt habe,
solange man diese poststrukturalistische
Haltung als Option ansieht und nicht in
imperativer Fatalität mündet, kann ich deinen
Argumenten schon folgen. Nur ist die Gefahr
tautologischer Irreführung einfach gegeben.
Nicht alles was schlüssig ist, ist auch richtig.

Jede Bescheibung der Welt ist Welt-konstitutiv, weil
selbst ein Teil der Welt, weshalb es zumindest den eigenen
Beschreibungsvorgang selbst nicht mit beschreiben kann - und
so notwendig einen Rest überlässt, der einen neuen
Beschreibungsvorgang erfordert. Ad infinitum. Zurück bleibt
die Spur eines steten Neu-(Be)schreibens der Welt.

Das vornehmliche Problem der neurobiologischen Forschung z.B.
ist das Problem des Zirkels, ganz klar, kann das Gehirn
sich selbst erkennen? Wenn(!) die Welt aber einen
homozentrischen Mittelpunkt hätte, könnten
homozygote Fakten/Dynamiken eine monovalente Bindung eingehen.
Ein analoges Beispiel (nur zum besseren Verständnis,
nicht argumentativ!) wäre die Zen-Meditation.
Die Zen-Meister lehren sich auf sinnentleerte Koans
zu konzentrieren, um den homozygoten Charakter
nicht subjektiv zu kontaminieren. Angesichts
determinierter Vergänglichkeit halte ich Begriffe
wie „Ad infinitum“ für äußerst gewagt.

Vielleicht -weils auch schön zu meinem Eingangspost passt, in
dem ich auf dieses andere Schema neben dem
‚Repräsentationsschema‘ und seine Wurzeln ab Kant und Hegel
anspielte- darf ich hier Derrida zitieren (Grammatologie, stw
417, S. 48):

Imho hätte Derrida seine Finger besser von Hegel gelassen! :wink:
Aber gut.

Der Horizont des absoluten Wissens ist das Erlöschen der
Schrift im Logos, die Resumtion der Spur in der Parusie, die
Wiederaneignung der Differenz, die Vollendung dessen, was wir
an anderer Stelle die Metaphysik des Eigentlichen genannt
haben.
Und doch kann alles, was Hegel in diesem Horizont gedacht hat
-das heißt alles außer der Eschatologie-, auch als Überlegung
zur Schrift gelesen werden. Hegel ist auch der Denker der
irreduziblen Differenz … Hegel ist der letzte Philosoph
des Buches und der erste Denker der Schrift
.

Mein Ansatz war die Sprachdynamik! Ob ich das nun halbwegs
verständlich in dem Medium entsprechender Komprimiertheit
schaffe zu erläutern, bezweifle ich, das mal a priori.
Mag der Horizont des Absoluten auch frei der Schrift oder
Sprache sein(?), so bleibt doch die sublimierte Dynamik
selbiger. Wäre Wittgenstein II ohne Wittgenstein I möglich
gwesen? Ich bin ein Verfechter der ganzheitlichen, nicht
differenzierten Variante seiner Philosophie und denke
im Fahrwasser Hegels: Das Ganze ist das Wahre.
Den homozygoten Kern findet man in seiner „Wende“,
dem Nonverbalen, das durch das Sprachliche
eingegrenzt und umrissen wird.

Das Argument, wenn ich es richtig verstehe, funktioniert m.E.
wohl nur, wenn man voraussetzt, dass das Abzubildende sich
durch sein Abgebildet-Werden nicht verändert. Genau das nimmt
die obere Logik aber nicht an.

Das ist die Frage! Verändert es sich oder geht es mit
fortschreitender Parität eine monovalente Bindung
ein?

Gruß
Powenz

Lieber Powenz!

Jede Bescheibung der Welt ist Welt-konstitutiv, weil
selbst ein Teil der Welt, weshalb es zumindest den eigenen
Beschreibungsvorgang selbst nicht mit beschreiben kann - und
so notwendig einen Rest überlässt, der einen neuen
Beschreibungsvorgang erfordert. Ad infinitum. Zurück bleibt
die Spur eines steten Neu-(Be)schreibens der Welt.

Angesichts
determinierter Vergänglichkeit halte ich Begriffe
wie „Ad infinitum“ für äußerst gewagt.

Moment!

  1. Dieses „ad infinitum“ bezieht sich auf die innere Dynamik des Prozesses des (Neu)Beschreibens, auf nichts anderes.
    Ich kann nicht erkennen, inwiefern diese Dynamik aus sich selbst heraus „vergänglich“ sein müsste.
    Dass selbstverständlich die Beschreibung der Welt durch das Ende der Welt selbst an ein Ende kommt, ist klar, das hat aber nichts mit der inneren Dynamik dieses Prozesses zu tun, sondern damit, dass seine Voraussetzungen wegbrechen.

Oder auf welche andere „determinierte Vergänglichkeit“ spielst du an?

  1. Ich habe Horst gegenüber erläutert, dass man den Poststrukturalismus als Metaphysikkritik verstehen muss, nicht als Metaphysik.
    Entsprechend sind seine Aussagen als „Kritik“ zu verstehen, also als die zurückweisende Anknüpfung an andere Aussagen (ich sprach von „bestimmter Negation“).
    Daher setzt dieses „ad infinitum“ des Beschreibensprozesses nicht unmittelbar die Unmöglichkeit eines Endes dieses Prozesses, sondern es weist ‚lediglich‘ all jene Setzungen eines notwendigen Endes des Prozess des Beschreibens zurück (Stichwort Hegel), indem es zeigt, auf welchen Ausschließungen und Resten diese Setzungen beruhen (das Nicht-Identische), und wie dadurch immer wieder notwendig eine Neu-Beschreibung erfolgen muss.

Das vornehmliche Problem der neurobiologischen Forschung z.B.
ist das Problem des Zirkels, ganz klar, kann das Gehirn
sich selbst erkennen?

Das beginnt m.E. bereits mit Hegels Phänomenologie.
Sobald das Bewusstsein sein Wissen von Sich (Selbstbewusstein) erfasst hat, weiß es notwendig mehr als zuvor, was heißt, dass es sein Wissen doch nicht vollständig erfasst haben kann (Differenz zwischen Bewusstsein und Selbstbewusstsein) - und in einem nächsten Schritt dann …

Zum Stichwort Neurobiologie würden mir übrigens noch Begriffe wie der vom „blinden Fleck“ oder der von der Differenz der Beobachtung erster und zweiter Ordnung im Sinne von Maturana/Varela einfallen, die ja auch in diese Richtung zielen._ ℂ Λ ℕ Ð I Ð € _