Lieber Horst!
Ich nehme deine Anregung für ein neues Frage-Post auf, was das
ontologische Thema betrifft.
In Anbetracht dessen -und der Tatsache, dass ich mich gleich in den Garten legen will- nur noch vergleichsweise kurz und abschließend:
Es gibt keine Notwendigkeit, davon auszugehen, dass das psychoanalytisch relevante Mutter-Kind-Verhältnis erst postnatal beginnt.
Es gibt aber auch keinen Grund, pränatal eine ursprüngliche Mutter-Kind-Einheit anzunehmen. Es gibt da ja auch im biologischen Diskurs entsprechende Modelle einer sich-selbst-organisierenden Plazenta, die Mutter und Kind von Anfang an trennt.
Sofern man überhaupt den Begriff jener Mutter-Kind-Einheit in
Betracht zieht, kann sicher nur von einer relativen Einheit im
Sinne von „Verschmelzung“ o.ä. die Rede sein. Dass von Beginn
der Schwangerschaft an eine grundsätzliche Differenz gegeben
ist, versteht sich … Es geht um
das pränatale „verlorene Paradies“ des nährenden und
schützenden Mutterleibs, das auch das unbewusste Ziel jener zu
sein scheint, die bei bewusstseinsmindernden Drogen wie
Alkohol und Heroin ihr Glück suchen. Es geht also nicht um
faktische, sondern um ersehnte „Einheit“ mit bzw.
Komplettabsorption durch das begehrte Objekt (Mutterleib).
Gut, dann sehe ich in dieser Einheitssehnsucht aber entweder etwas „Symbolisches“ (so ein bißchen im Sinne von Freuds „Urphantasien“, nur strukturalistischer gedacht) oder etwas „Imaginäres“, jedenfalls nichts, woraus etwas „Reales“ entspringen könnte.
Damit aber ist für mich die Lacansche Unterscheidung Reales/Symbolisches/Imaginäres hinfällig. Ich konnte sie ohnehin noch nie leiden
Entsprechend bestehen überall Kontinua, und ‚überall‘ heißt: auch dort, wo empirisch Differenzen zu erkennen sind, bestehen „in Wirklichkeit“ Kontinua …
Das hatte ich so nicht gesagt. „Kontinuum“ bezog ich nur auf
die Wilber´schen Bewusstseinsebenen mit dem Sinn, dass sich
zwischen diesen Ebenen fließende Übergänge denken lassen,
Wenn man „eine universelle Energie, die alles durchströmt“ postuliert, dann nimmt man dabei doch zwangsläufig überall „Kontinua“ an …
(Ich bezog das gar nicht direkt auf Wilbers Bewusstseinskontinuum.)
Ich schrieb nirgendwo „kosmische Einheit“, das würde ich nie
so formulieren, aus Gründen, die ich zuvor nannte.
ok
Auch das
mit der „Energie“ ist nur ein provisorischer und philosophisch
unergiebiger Begriff
Um das alles bedingende X zu benennen, bedarf es also eines
Ausdrucks, der keine positiven, also irgendwie anschaulichen
Konnotationen hat - und das leistet „Shunyata“ ziemlich gut.
Gut, das leuchtet mir schon ein (wobei „Shunyata“ natürlich ebenfalls beträchtliche Konnotationen dadurch besitzt, dass -und sei es als bloßer Signifikant- dem Buddhismus entnommen ist).
Dennoch hilft mir das natürlich nicht bei meiner Frage weiter, was es mir an Erkenntnisgewinn bringt, ein „alles bedingendes X“ zu postulieren.
Die Mystik gründet nicht auf Annahmen, sondern Erfahrungen, die nachträglich in Aussagensystemen artikuliert werden.
Dabei müsste dieses Schema aber zwangsläufig wiederum die überaus gewagte Annahme begründen, weshalb es Erfahrungen voraussetzen kann, die nicht bereits auf Begriffen und ‚Aussagesystemen‘ beruhen.
Als Mystik kann dies begründungslos geschehen, wenn sie aber Anschluss an die Philosophie sucht (und das sollte sie für mein Empfinden, weil das für beide Seiten ein Gewinn ist), dann kann sie sich diesem Begründungszwang nicht entziehen, weil dieser quasi die oberste Spielregel der Philosophie ist.Die Mystik hat, wie gesagt, schon lange „Anschluss“ an die
Philosophie
schon klar.
Und was das „Begründen“ betrifft:
Letztbegründungen sind in der Postmoderne (die es eigentlich
gar nicht gibt, da die Moderne anhält) nicht mehr en vogue.
Schon, aber darum gehts ja nicht. Unter „begründen“ verstand ich nicht „letztbegründen“ oder „fundieren“, sondern schlicht: „einen Grund, ein Argument dafür angeben“.
Gerade durch den Verzicht auf Letztbegründungen ist dieser „Begründungszwang“, der die oberste und konstitutive Spielregel der Philosophie darstellt, eher noch akzentuiert worden.
Wer nicht begründen (nicht: „letztbegründen“!) kann oder will, der darf sich auch nicht einen Philosophen nennen.
(Das ist ja unstrittig und auch unspektakulär.)
Sie sind auch gar nicht möglich in dem Sinne einer wirklichen
rundum logisch überzeugenden, d.h. zwingend logischen
Fundierung der empirischen Welt. Das liegt eben daran, dass
das absolute X (sofern man eines zugrunde legt) sprachlich
nicht beschreibbar ist (wir kommen immer wieder auf diesen
Punkt zurück).
Richtig
Auch auf die Frage, warum und mit welchem Recht man es dann zu Grunde legt.
Wir sollten vielleicht mal über „das Virtuelle“ bei Deleuze sprechen, wie das bei ihm zu lesen ist, dann würde man sich dieser Frage wohl ganz anschaulich nähern können.
Deleuze steht in der langen Tradition europäischer Denker, die sich mit der Kritik des Essentialismus beschäftigten (Spinoza, Nietzsche). Was sollte jedoch an dessen Stelle treten? Für Deleuze war dies das All-Eine, die Totalität von Allem, die das gesamte physikalische Universum und seine Möglichkeitsbedingungen umfasst. Deleuze richtete sich damit auch gegen den Platonismus. Platons Auffassung war, dass die Dinge der Welt nur unvollkommene Manifestationen von Ideen seien, die selbst vollkommen, ewig und unveränderlich sind. Deleuze setzte dem seine Vorstellung von der Welt des Virtuellen entgegen. Jede Realisierung von Gegenständen in der Welt ist ein Nexus (Ort eines Verbundenseins) von Virtualitäten, die notwendigerweise unvollkommen miteinander interagieren. Da sie unvollkommen sind, stören sie auch die zukünftige Realisierung von Virtualitäten.
http://de.wikipedia.org/wiki/Gilles_Deleuze
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