aber weil ich mir doch die Mühe machte:
Lieber Raiko,
ich will nicht deine Nerven strapazieren, aber du sprichst ein
wenig pauschal, darum habe ich ein bisschen Fliegenbeine
gezählt. Und so ist der Text etwas länger geworden.
Ich habe den Duden mit der neuen Rechtschreibung, nachdem ich mir alle (!) Änderungen angeschaut habe, in den Keller gebracht,
Dies war sicher ein Fehler, weil du nun für eine fruchtbare
Auseinandersetzung mit der NR nicht optimal gerüstet bist.
I) Da ich die „NR“ in meinen Schriftstücken nicht verwende, muß ich den entsprechenden Duden auch nicht dauernd griffbereit haben.
II) Anschauen bedeutet bei mir nicht „eben mal überfliegen“, sondern ordentlich durchstudieren. Ich habe mir schon eingeprägt, welche „Fortschritte“ ich keinesfalls gehen möchte.
aber einige Punkte kann ich Dir natürlich nennen:
Keiner der von dir genannten Punkte rechtfertigt deine
Einschätzung, die NR leiste der Sprachverderbnis Vorschub.
So etwas ist natürlich immer Ansichtssache. Ich sage, die genannten Punkte sind hinreichende Rechtfertigung, Du sagst,
daß sie es nicht sind.
- die ganzen Anglizismen, zum Beispiel das Wort „Shoppingcenter“ - völlig überflüssig, da wir das lange bewährte Wort „Einkaufszentrum“ haben
Freilich ist das Wort überflüssig, aber es existiert, wird
gebraucht, ist im allgemeinen Sprachbewusstsein besser
verankert als manche schöne Konjunktivformen.
Die Anglizismen werden durch die NR - versuchsweise - in eine
einheitliche Form gebracht, um so unterschiedliche
Schreibungen wie:
Shopping Center / Shopping Centre / Shopping-Center / shopping
center / shopping-center, die ich alle schon gelesen habe, zu
vermeiden.
Die NR versucht also einen Missstand, der sich seit Jahren
ausgebreitet hat, möglichst gering zu halten.
Schön, aus vielen koexistierenden nicht notwendigen Formen wird eine für richtig erklärt. Ich finde, wenn eine Form überflüssig ist, darf sie auch beliebig sein.
dann die Ersetzung des „ph“ bei aus dem griechischen stammenden Worten durch „f“.
Ob ich Delfin, Asfalt, Telefon, Fotografie, Filosofie,
Filantrop usw. oder Delphin, Asphalt, Telephon, Photographie,
Philosophie und Philanthrop schreibe, sagt nichts über die
Güte eines Textes oder die Qualität des im Text geschriebenen
Deutsches aus - und schon gar nichts, wenn der Text gesprochen
wird. Die Schreibung ist Konvention. Wir sind in der
Situazion, dass es inzwischen verschiedene zum Teil sehr
widersprüchliche Konvenzionen gibt. Die NR versucht auch hier
nur einen Hinweis zu geben, wohin eine eine neue allgemein
akzeptierte Konvenzion vorbereitende Entwicklung gehen könnte,
indem sie zunächst beides akzeptiert und die „germanisierte
fonetische Schreibung als die leichtere und damit erwünschtere
anbietet. Und die Zeit wird entscheiden, wohin die Entwicklung
geht. Dazu der Legasthenikerartikel am Ende.
I)Ob irgendwo Delphin oder die NR-Variante in einem Text zu lesen ist, sagt mit Sicherheit etwas über die Bildung des Verfassers aus, weil kaum jemand, der sich mehrere Jahre in Schule und Studium mit der altgriechischen Sprache beschäftigt hat, einfach so dieses Wissen über Bord wirft. Wenn ich in Texten auf Delphin mit „f“ stoße, dann ist mein erster Gedanke:
Der Verfasser hat bestimmt nicht Altgriechisch gelernt.
II) Nach neun Jahren Lateinunterricht ich den Eingriff der NR, den Du an dem Wort Konvention demonstrierst, allenfalls mit vulgärsprachlichen Ausdrücken kommentieren, weshalb ich schweige.
III)Zweifellos ist Sprache Konvention, aber die Güte einer Konvention steht und fällt mit der Qualität der an ihr Beteiligten.
IV) Wie war das bei Einstein? Alles ist relativ?
die weitgehende Eliminierung des „ß“ und die drei „f“ und die Trennungserlaubnis für „st“
Das Trennverbot von „st“, das Eszett und die gänzlich
unlogische Regel:
„Drei gleiche Konsonanten hintereinander gibt es nicht!“ also:
Schiffahrt! trotz Schiff und Fahrt!
mit der noch absurderen Zusatzbestimmung:
„Wenn aber nach drei gleichen Konsonanten weitere Konsonanten
folgen, werden die drei Konsonanten doch gesetzt, daher auch
schon früher: Sauerstoffflasche!
verdanken wird der Übereinkunft von Druckern und Setzern des
letzten und des Anfangs dieses Jahrhunderts. Dabei spielte oft
weniger Sprachlogik als ein razioneller Arbeitsablauf eine
entscheidende Rolle.
„… von 1903 bis 1915 gab es einmal einen „Buchdruckerduden“,
der in seiner Detailliertheit weit über den allgemeinen Duden
hinausging“ Dieter E. Zimmer
Auch hier beseitigt die NR nur ins Kraut geschossene
Einzelentwicklungen; an Stelle von ad hoc aufgestellten
Regelungen durch eine sich an keine übergeordneten Regeln
halten könnende Dudenredaktion von vor -zig Jahren sind nun
übergeordnete Regel: Ausrichtung an der Etymologie und
Wortverwandtschaften
??? Was nur leider nicht für Delphine und Konventionen gilt !!!
, Schreiben wie man spricht
Nee, aba doch nun wirklich nich. Mihr ist nich bekannt, daß ich jetz so schraibn darf wii ich spreche
, Wahrung der
Laut- und Buchstabenbestandes etc.
- die zum Teil haarsträubend klingende attributive Verwendung von Orts- und anderen Eigennamen
Dazu kann ich nichts zu sagen, da mir nicht klar, was da die
Haare sträuben lässt.
- Zeichensetzung weitgehend im Ermessen des Schreibenden
Dazu wäre Goethe zu zitieren, der zu diesem Thema sagte, dass
er es da mit dem Konsistorialrat Wieland halte, der meinte,
dass Religion und Kommasetzung Privatangelegenheiten seien.
Dann sollen doch bitte alle Regeln bezüglich der Zeichensetzung aufgehoben werden, alle !!!
- die Erlaubnis „wegen“ mit Dativ zu verwenden
Damit zeigt die Kommission einen klaren Blick auf die
„Verhältnisse“, die wieder einmal „nicht so sind“. Das zu
verbieten wäre ungefähr so sinnvoll wie ein Verbot der
Anglizismen, irgendwie like spitting in the fan.
Richtig wird eine Sache nicht, wenn die Mehrheit von ihr überzeugt ist. Aber das hat eigentlich schon nichts mehr mit Sprache zu tun, sondern gehört in den Bereich der Weltanschauungen. Das gilt auch für den von Dir zitierten Artikel. Ich bin leider nicht den Wissenschaften gläubig ergeben, bezweifle übrigens auch stets den Wahrheitsgehalt von Nachrichtensendungen, da Wahrheit nach meiner Erfahrung immer mehr zu einer Frage des Standpunktes wird oder vielleicht sogar schon immer war. Höre Dir an einem Tag nacheinander die deutschsprachigen Nachrichten von China Radio International, Radio Moskau und der Deutschen Welle an, dann wirst Du mich eventuell besser verstehen.
Ich danke Dir für die intensive Beteiligung an der Besprechung meiner Anregungen.
Gruß
Raiko