Gedenkfeiern noch zeitgemäß?

Moin,

die aktuelle Nachreicht, dass Vertreter des Zenralrats der Juden in Deutschland einer Gedenkfeier des Bundestags für die Opfer des Nationalsozialismus fernbleibt http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,603… mit der Begründung, sie hätten keine Lust mehr sich als „Zaungäste“ behandeln zu lassen (was ich gut verstehen kann) bringt mich zu der Frage, ob solche Gedenkfeiern überhaupt noch zeitgemäß und sinnvoll sind, oder ob hier nicht etwas zur inhalltsleeren Äußerlichkeit erstarrt ist, das man eben mal macht, weils auf dem Kalender steht.

Ich frage mich, wie ein sinnvoller Umgang mit der deutschen Vergangenheit und ein Gedenken z.B. der Opfer des Nationalsozialismus in der Öffentlichkeit heutzutage aussehen kann? Soll man von „offizieller“ Seite, also von Seiten der Bundesregierung solche Veranstaltungen überhaupt noch durchführen und falls ja, wie könnte sowas aussehen?

Wie stellt ihr euch einen bedeutsamen Umgang mit der deutschen Geschichte vor? Irgendwelche Ideen?

Gruß
Marion

Hi

Wie stellt ihr euch einen bedeutsamen
Umgang mit der deutschen Geschichte vor? Irgendwelche Ideen?

Ich habe das Gefühl, daß es teilweise einfach zu viele Gedenktage gibt.
Vorallem in den runden Jahren wie 50 Jahre nach…, 60 Jahre nach… habe ich festgestellt, daß die Leute nicht mehr gedenken, sondern vom Thema einfach nur noch genervt waren.
Fast jeden Tag wurde einem in den Medien eingehämmert was damals passiert ist. Was ja einerseits gut ist, damit es nicht in Vergessenheit gerät, aber sich andererseits allmählich als Schuß in den Ofen bzw. nach hinten erweist,

Eine Möglichkeit wäre vielleicht, die Gedenktage zusammenzufassen und einmal im Jahr einen Erinnerungstag/Wochenende/Woche (oder wie auch immer man das nennen will) abzuhalten.

Aber ich fürchte, daß auch in diesem Jahrhundert noch kein wirklich „guter“ Umgang mit diesem Teil der deutschen Geschichte möglich ist.

Gruß
Edith

Hi,

Eine Möglichkeit wäre vielleicht, die Gedenktage
zusammenzufassen und einmal im Jahr einen
Erinnerungstag/Wochenende/Woche (oder wie auch immer man das
nennen will) abzuhalten.

und dabei gleich Seminare für Zivilcourage halten.
Die psychologischen Hintergründe beleuchten,warum Menschen sich so verhalten wie damals im 3.Reich.Keiner will wahrhaben,dass dieses Verhalten immer noch in uns allen verankert ist,und menschlich ist,solange Machtstrukturen durch das Angstprinzip regieren.
Diskriminierung,Verfolgung,Folter und Wegschauen gehören doch auf der ganzen Welt nicht der Vergangenheit an.
Nötig wäre,die Menschen hier und jetzt mit ihrer dunklen Seite zu konfrontieren.
Man fragt sich natürlich,ob der angstfreie Bürger von der Politik gewünscht wäre.Wahrscheinlich nicht.
Alle diese Gedenktage sind doch nur leere Hülsen.

grüsse
Heidi

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Hallo!

Wie stellt ihr euch einen bedeutsamen
Umgang mit der deutschen Geschichte vor? Irgendwelche Ideen?

Das finde ich eine gute Frage. Es ist natürlich Sache jedes einzelnen, mit seinem Gedenken umzugehen.

Was ich eine sehr gute Idee finde sind die Stolpersteine in Osnabrück:
Im Pflaster vor Häusern, in denen verschleppte Juden gewohnt haben, sind Messingklötze mit ihren Namen und den wichtigsten Daten eingelassen.

Siehe, wie so oft, Wikipedia:

http://de.wikipedia.org/wiki/Osnabrück#Stolpersteine

Das ist nicht sehr aufdringlich, aber man stolpert im Alltag im wahrsten Sinne des Wortes immer wieder über sie, und gedenkt dann halt.

Nicht für lange, aber man trifft ja bald auf den nächsten Stein.

Viele Grüße!
Ph.

Moin
In der Zeitung (nicht Springer) wurde der heutige 150.Geburtstag von Kaiser Wilhelm II. diskutiert, insbesondere weil und warum es keine Gedenkfeiern diesbezüglich gibt. Der Kaiser, so wurde berichtet, hatte sich immerhin gegen die Rassenideen der Nazis gewandt.
Gruß,
Branden

Hallo Marion,

die aktuelle Nachreicht, dass Vertreter des Zenralrats der
Juden in Deutschland einer Gedenkfeier des Bundestags für die
Opfer des Nationalsozialismus fernbleibt …

Wen interessiert’s, was der Zentralrat der Juden macht?

… bringt mich zu der Frage, ob solche Gedenkfeiern überhaupt
noch zeitgemäß und sinnvoll sind …

Meiner Meinung nach sind sie das auf alle Fälle. Solange es noch Überlebende gibt, mit Sicherheit. Stell dir mal vor, wie die sich fühlen müssten, wenn nun gesagt würde, „ach was, dieses Jahr feiern wir mal die Befreiung von Auschwitz nicht, weil es schon so lange her ist“. Ich könnte mir vorstellen, dass sie darüber nicht sehr erbaut wären.

Wie stellt ihr euch einen bedeutsamen
Umgang mit der deutschen Geschichte vor? Irgendwelche Ideen?

Ich würde zu so einer Kranzniederlegung oder etwas dieser Art auch nicht gehen - ganz einfach, weil mir das zu langweilig wäre.

Besser fände ich es, wenn es an wichtigen Tagen (z.B. 9.11.) Gedenkveranstaltungen mit Vorträgen oder evtl. Autorenlesungen gäbe. Es erscheinen doch ständig neue Bücher über die Shoa - warum soll man nicht die besten davon in dieser Form öffentlich vorstellen?

Schöne Grüße

Petra

Hallo,

Was ich eine sehr gute Idee finde sind die Stolpersteine in
Osnabrück:
Im Pflaster vor Häusern, in denen verschleppte Juden gewohnt
haben, sind Messingklötze mit ihren Namen und den wichtigsten
Daten eingelassen.

In Düsseldorf gibt’s diese Stolpersteine auch. Ich finde das auch eine sehr gute Idee. Zwar lese ich sie nicht, aber jedesmal, wenn ich an so einem Stein vorbeigehe - und das ist sehr oft - werde ich an dieses Kapitel der deutschen Geschichte erinnert. Und ich denke dann z.B. an einen Film, den ich darüber gesehen habe, oder an ein Buch, das ich gelesen habe. Die Stolpersteine sind für mich eine kleine Erinnerung: „Da war doch was …“. Es gerät sonst im Alltag leicht in Vergessenheit.

Schöne Grüße

Petra

Hallo Marion,

die Begründung des Zentralrats ist doch eigentlich peinlich einigermaßen bescheuert. Ich empfehle dazu den offenen Brief von Henryk Broder:

Die schlechte Nachricht ist Deine Begründung für die Nichtteilnahme der Vertreter des Zentralrates an der diesjährigen Holocaust-Feier. Als Grund hast Du die Erfahrungen der letzten Jahre angeführt: Die Vertreter des Zentralrats, die auf der Zuschauertribüne Platz genommen hatten, seien nie persönlich begrüßt worden. Ja, das ist in der Tat eine Kränkung, die man nicht hinnehmen kann. Sogar meine Mutter, die irgendwann im Jahre 1944 in Auschwitz ankam, ist persönlich begrüßt worden. Weniger kann man auch im Jahre 64 nach der Befreiung nicht erwarten…
http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,603…

Viele Grüße

Iris

Hallo Petra,

die Stolpersteine wollen ganz allgemein an Menschen erinnern, die in der Nazi-Zeit deportiert wurden, egal ob sie Sinti, Roma, Juden, Widerstandskämpfer, Homosexuelle, Kommunisten etc. waren.

Den Grundgedanken hinter den Stolpersteinen finde ich gut: Nämlich daß aus den anonymen Zahlen konkrete Menschen werden, auf die man sich bezieht, also ein Akt der Personalisierung statt Anonymisierung.

Allerdings macht es mir - und den meisten religiösen Juden, die ich kenne - große Mühe, daß diese Steine in den Boden eingelassen sind.
Wenn sie in der Hauswand auf Augenhöhe eingelassen wäre, wäre das eine gute Sache. Da in der jüdischen Tradition der Name eine besondere Bedeutung hat, ist es schon heftig, daß jeder über diese Steine laufen kann: eine gräßliche Symbolik.

Wenn die Steine dann längere Zeit eingelassen sind, dann werden sie dunkel, verschmutzen, und keiner kümmert sich darum. Eine würdige Form des Gedenkens? Abgesehen passiert es auch immer wieder daß die Stolpersteine angespuckt oder angepinkelt werden.

Ich bin froh, daß es einige - wenn auch nur wenige - Orte gibt, die sich dieser Form des Gedenkens verweigern.

Viele Grüße

Iris

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Hallo,

die haben nur die falschen Leute gefragt.
Ich habe wie jedes Jahr des Kaisergeburtstags gedacht.

Gruß,
Markus

Hallo Markus,

Du auch?
Ich ebenfalls!

Monarchistische Grüße - Rolf

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Hallo Iris,

Ich bin froh, daß es einige - wenn auch nur wenige - Orte
gibt, die sich dieser Form des Gedenkens verweigern.

Nein, ich finde die Stolpersteine wirklich gut, mir würden sie fehlen.

Allerdings macht es mir - und den meisten religiösen Juden,
die ich kenne - große Mühe, daß diese Steine in den Boden
eingelassen sind.

Das kann ich allerdings nachvollziehen. Es ist übrigens auch der Grund, warum ich noch keinen gelesen habe. Ich bin einfach zu schüchtern, mich da mitten in der Innenstadt mit dem Bodenbelag näher zu befassen. (Es würde eh nichts bringen, weil ich diese Leute ja nicht kenne.)

Abgesehen passiert es
auch immer wieder daß die Stolpersteine angespuckt oder
angepinkelt werden.

Und Hunde gibt’s ja auch noch … Allerdings geht es den Stolpersteinen, die ich „kenne“, gut. Da war noch nie irgendetwas dieser Art.

Wenn sie in der Hauswand auf Augenhöhe eingelassen wäre, wäre
das eine gute Sache.

Auf diese Idee bin ich noch gar nicht gekommen. Stimmt: Das wäre besser. :smile: Aber auch ungleich komplizierter. Das Haus hat einen Eigentümer, während der Gehweg öffentlicher Grund ist.

Da in der jüdischen Tradition der Name
eine besondere Bedeutung hat, ist es schon heftig, daß jeder
über diese Steine laufen kann: eine gräßliche Symbolik.

Ich lauf ja nicht drüber, da passe ich schon auf, dass ich nicht draufsteige. … Allerdings verstehe ich nun den Grund, warum jemand gegen diese schönen goldenen Erinnerungssteine sein kann. Danke für die Erklärung.

Schöne Grüße

Petra

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Hallo Iris,

ein wunderbarer Artikel!
Danke, dass Du mich auf ihn aufmerksam gemacht hast; ich hätte ihn womöglich überlesen.

Gruß - Rolf

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Moin Iris,

die Begründung des Zentralrats ist doch eigentlich
peinlich einigermaßen bescheuert.

Ich konnte die Begründung des Zentralsrats sehr gut nachempfinden und fand sie alles andere als bescheuert.

Ich
empfehle dazu den offenen Brief von Henryk Broder:

„Bescheuert“ tifft meiner Meinung nach da schon eher auf den Brief von Broder zu. Wenn man in ein paar Sätzen Themen wie Auschwitz, Gaza, Iran, Mutti, eine bestimmte Schweizer Schokoladenmarke, den Zentralrat und haste nicht gesehen zusammenquetscht (fehlt eigentlich nur noch die Finanzkrise und die Klimaerwärmung), dann kommt da wenig Gehaltvolles bei heraus. Broder erscheint mir wie ein verbitterter alter Mann, der um sich beißt, wann immer und gegen wen auch immer er eine Gelegenheit dazu bekommt und dessen Ziel es ist, Gräben aufzureißen, statt Menschen zusammenzubringen. Irgendwas Konstruktives habe ich von ihm jedenfalls noch nicht gelesen.

Schade, dass ein Vorgang (wie der Boykott des Zentralrats bei der Gedenkveranstaltung), der doch vielleicht endlich mal zu einer sinnvollen Auseinandersetzung mit unserer „Gedenkkultur“ Anlass geben könnte, durch Artikel wie den von Broder lediglich zum Klamauk abrutscht (Watt ham wir doch wieder jelacht, wie der den Zentralrat abjeputzt hat, nä? *schenkelklopf*). Wieder mal eine Chance verpasst. Ich hätte es jedenfalls begrüßt, wenn der Spiegel sich mit der Postition des Zentralrats auseinandergesetzt und diesem mehr Raum zur Erläuterung und Diskussion eingeräumt hätte, statt diesem Gesabbel von Broder.

Aber vielleicht habe ich hier ja auch was missverstanden. Wo siehst du denn den konstruktiven Ansatz im Sinn meiner Ausgangsfrage nach einem gehaltvollen umgang mit der deutschen Geschichte?

Gruß
Marion

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Moin Petra,

die aktuelle Nachreicht, dass Vertreter des Zenralrats der
Juden in Deutschland einer Gedenkfeier des Bundestags für die
Opfer des Nationalsozialismus fernbleibt …

Wen interessiert’s, was der Zentralrat der Juden macht?

Das führt zu der Frage, für „wen“ wir solche Gedenkveranstaltungen eigentlich abhalten? Was meinst du? Vielleicht täuscht mich ja mein Eindruck, aber auch wenn ich mir die Resonanz auf meine Frage hier anschaue, dann erscheint es mir so, dass der überwiegenden Mehrheit der Menschen in Deutschland solche Gedenkveranstaltungen und ihr Inhalt doch völlig Wurscht sind. Wen interessiert denn überhaupt noch ob überhaupt und was zu diesem Anlass im Bundestag stattfindet und von wem werden diese Menschen repräsentiert?

Gruß
Marion

Moin,

In der Zeitung (nicht Springer) wurde der heutige
150.Geburtstag von Kaiser Wilhelm II. diskutiert, insbesondere
weil und warum es keine Gedenkfeiern diesbezüglich gibt.

Meinst du also, statt dieser Gedenkfeiern zur Befreiung von Auschwitz sollten wir lieber dem Geburtstag von Kaiser Wilhelm gedenken? Warum erachtest du dieses Ereignis (den Geburtstag von Kaiser Wilhelm) als mindestens so gedenkenswert wie die Befreiung des Lages Auschwtz?

Gruß
Marion

Moin,

Das finde ich eine gute Frage. Es ist natürlich Sache jedes
einzelnen, mit seinem Gedenken umzugehen.

Also gar keine „offiziellen“ Gedenkveranstaltungen von Regierungsseite mehr?

Gruß
Marion

Moin,

Eine Möglichkeit wäre vielleicht, die Gedenktage
zusammenzufassen und einmal im Jahr einen
Erinnerungstag/Wochenende/Woche (oder wie auch immer man das
nennen will) abzuhalten.

So eine Art „Projektwoche“ Nationalsozialismus und Verfolgung im Jahr? Finde ich gut, die Idee.

Aber ich fürchte, daß auch in diesem Jahrhundert noch kein
wirklich „guter“ Umgang mit diesem Teil der deutschen
Geschichte möglich ist.

Was mir aber eher daran zu liegen scheint, dass kaum jemand dies ernsthaft noch diskutieren will.

Gruß
Marion

Moin,

und dabei gleich Seminare für Zivilcourage halten.
Die psychologischen Hintergründe beleuchten,warum Menschen
sich so verhalten wie damals im 3.Reich.Keiner will
wahrhaben,dass dieses Verhalten immer noch in uns allen
verankert ist,und menschlich ist,solange Machtstrukturen durch
das Angstprinzip regieren.
Diskriminierung,Verfolgung,Folter und Wegschauen gehören doch
auf der ganzen Welt nicht der Vergangenheit an.
Nötig wäre,die Menschen hier und jetzt mit ihrer dunklen Seite
zu konfrontieren.

Guter Punkt.
Gruß
Marion

Hi

So eine Art „Projektwoche“ Nationalsozialismus und Verfolgung
im Jahr? Finde ich gut, die Idee.

Ja, so in die Richtung könnte das laufen.

Aber ich fürchte, daß auch in diesem Jahrhundert noch kein
wirklich „guter“ Umgang mit diesem Teil der deutschen
Geschichte möglich ist.

Was mir aber eher daran zu liegen scheint, dass kaum jemand
dies ernsthaft noch diskutieren will.

Was eigentlich nicht wirklich verwunderlich ist, irgendwann wird einem ja selbst ein tolles Lied zuviel, wenn man es tagein, tagaus ständig hört - auch wenn der Vergleich natürlich gewaltig hinkt.

Es fragt sich aber vielleicht ohnehin eher, ob man das derzeit ernsthaft diskutieren könnte ohne irgendeine Anti…ismus Ansicht vorgeworfen zu bekommen. Egal welche Seite man vertritt, irgendein Anti…ismus findet sich, denn man sich an den Kopf werfen kann.

Gruß
Edith

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