Guten Morgen Ce,
wie unten schon einmal erwähnt, halte ich es mit der Differenzierung „direkte“/„indirekte“ Gewalt. Beides ist für mich in Beziehungen (welcher Art auch immer) nicht tragbar; und ich kann auch behaupten, dass Ersteres nie in meinen (Liebes-)Beziehungen vorgekommen ist, Letzteres einmal, aber da habe ich die Beziehung auch beendet.
Bei der indirekten Gewalt geht es das strukturelle Moment (da halte ich es mit dem Friedens- und Konfliktforscher Galtung): Hier handelt es sich um die Diskrepanz zwischen aktueller Verwirklichung und der potenziellen Verwirklichung. Wird auf einem Menschen Zwang/Beeinflussung ausgeübt, der ihn daran hindert, seine potenzielle Verwirklichung zu erreichen, ist es Gewalt - vorausgesetzt der aktuelle Zustand ist ein vermeidbarer.
Da also die Entscheidung „Nudeln oder Reis“ kaum ein Bestandteil der Verwirklichung darstellt, kann auch nicht von Gewalt die Rede sein. Es handelt sich um einen Konflikt, der gelöst werden kann. Sollte es hingegen ein dauerhaftes einseitiges Nachgeben eines Partners sein, was sich dann sicherlich auch auf Bestandteile der Verwirklichung auswirken wird (Zementierung von Machtstrukturen), gilt es als Gewalt (z.B. im Thread unten: der „Wunsch“ des Partners, dass die Frau nicht mehr arbeitet).
Anderes Beispiel (auch vor dem Hintergrund, dass Du „Verweigerung“ ansprichst - ich ergänze es noch durch „Forderung“ ): Mein Göttergatte hatte bis Mitte 30 keinen Führerschein und ließ sich immer von mir chauffieren. Ich war es leid und äußerte den Wunsch (man könnte es auch als Forderung verstehen), er möge seinen Führerschein zu machen. Wenn ich keine Lust hatte, ihn mal wieder irgendwo hinzufahren, ließ ich es (was man als Verweigerung verstehen könnte).
Dies könnte man als Gewalt bezeichnen. Ist es aber laut obiger Definition nicht, da ich ihn animiert habe, seine Potenziale auszuschöpfen (und er ist mir dafür sehr dankbar!
. Die Gratwanderung ist selbstredend gegeben: Hat ein Mensch das „Recht“, von seinem Partner alles das zu fordern, was er selbst als Potenzialerfüllung ansieht? Nein, hat er nicht. Das Potenzial muss von dem jeweiligen Individuum auch als solches wünschenswert sein - die „Forderung“ kann nur unterstützend sein und nicht durch Verweigerung/Drohung in eine Erpressung münden.
Gewalt in verbaler Form: Die Inhalte: Beleidigungen sind Gewalt, da versucht wird, den Beleidigten sein Recht auf die Verwirkliung eines gesunden Selbstbewusstsein zu nehmen (das klassische „Klein-Halten“). Dies ist aber nicht zu verwechseln mit „Kritik“. Wenn mein Mann mir sagt, dass mir z.B. die Hose nicht steht, ich doch besser die andere anziehen soll, ist es keine Gewalt - schließlich kann ich noch entscheiden, in welchen Klamotten ich mich wohler fühle; was aber wiederum nicht gleichbedeutend ist, dass ich seine Kritik nicht auch (mal) annehme.
Lautstarke Auseinandersetzungen müssen hingegen nicht sofort Gewalt bedeuten. Hier geht es mehr um die Streitkultur der Paare. Wenn mein Partner und ich diskutieren, wird es häufig laut, wir unterbrechen uns gegenseitig, aber wir „brauchen“ diesen Streit auch, um unsere Potenziale jeweils auszuschöpfen.
Aggressionen: Jeder Mensch besitzt sie! Sie sind lebensnotwendig - und ihr Vorhandensein hat auch nichts mit Moral zu tun. Es ist aber eine Frage, wie die Aggression kanalisiert wird - und hier ist es schon eine Frage, was gesellschaftlich sanktioniert wird.
Aggression in Form von körperlicher Gewalt wird (glücklicherweise) zunehmend gesellschaftlich nicht mehr gebilligt (dem Spruch „Ein Klaps auf den Po hat noch niemanden geschadet!“ stimmen immer weniger Menschen zu).
Manche bauen ihre Aggressionen über Sport ab, manche fressen sie in sich hinein (auto-aggressiv), manche „kotzen“ sich bei Freunden aus, manche schmeißen mal Türen, werden laut - alles normal: hier steht und fällt es mit dem Begriff „Streitkultur“, von „Gewalt“ kann man hier nicht automatisch sprechen.
Du fragst nach der Duldung? Ich dulde keine Gewalt. Wenn mein Partner mich auch nur ein einziges Mal am Handgelenk festhielte, schmisse ich ihn raus. Sollte mein Partner versuchen, mich in meinem Wirken einzuschränken, wäre ich weg. Das ist - ich hoffe, das habe ich oben klar gemacht - nicht gleichbedeutend mit dem, dass mein Partner keine Wünsche äußern kann, die konträr zu den meinigen sind: Aber hier handelt es sich um einen Konflikt antagonistischer Interessen, der mittels (jeweils ausgewogener) Kompromisse gelöst werden kann, ohne dass Gewalt im Spiel ist.
Viele Grüße zum Jahresende
Kathleen