Moin,
Buddha hat zweifellos gelehrt, dass es der Wille (cetana) ist,
der dem Karma Gestalt gibt. Es hilft wenig, wenn man Gewalt
pauschal ablehnt, dabei den Begriff ‚Gewalt‘ aber nur nach
rein objektiven Kriterien definieren will.
Zum Glück müssen wir Gewalt nicht selbst definieren. Ich denke, es besteht kein Zweifel, dass Gewalt Leid erzeugt. Das Erzeugen von Leid ist aber keine heilsame Handlung.
Das ist
unrealistisch, welt- und menschenfremd. ‚Gewalt‘ als ethische
Kategorie lässt sich nicht trennen von dem das Handeln
motivierenden Willen. Es ist dieser Wille, der einem ethischen
Urteil unterworfen werden kann (und sollte). Das nackte
Handeln – ohne Anbetracht des Willens – lässt sich allenfalls
nach Kriterien der Zweckmäßigkeit beurteilen.
Da sehe ich einen Widerspruch. Zweckmäßigkeit beinhaltet ja einen Zweck, also eine Absicht. Es gibt aber keine Absicht ohne einen Willen, somit ist „Zweckmäßigkeit“ als Kriterium für „nacktes Handeln ohne Anbetracht des Willens“ meiner Meinung nach nicht geeignet.
Man kann sie vom
Standpunkt einer normativen Ethik beurteilen und man kann sie
vom Gesichtspunkt praktischen Handelns aus beurteilen.
Wie du selbst zu Recht sagst, gibt es eine entsprechende normative Ethik im Buddhismus nicht. Die buddhistische Ethik gründet sich auf den Silas und die Silas sind Anleitungen zum praktischen Handeln und dennoch eindeutig.
Aber zum Problem wird dies, wenn die Weigerung eines Anderen,
sich vorbehaltlos einer theoretisch begründeten normativen
Ethik zu unterwerfen (und deren Praktikabilität dabei außer
Auge zu lassen) interpretiert wird als ein inhaltliches
Verwerfen ethischer Ideale.
Ich habe kein Problem damit, wenn ein Mensch die buddhistischen Silas für sich selbst nicht anerkennen oder befolgen möchte. Ich habe auch kein Problem damit, wenn ein Mensch die Silas befolgen möchte, aber daran scheitert, passiert mir selbst oft genug. Ich habe aber durchaus ein Problem damit, wenn gewissen Handlungen wie „Töten von Lebewesen“ als mit den buddhistischen Silas vereinbar hingestellt werden. Das sind sie nämlich meiner Meinung nach nicht. Letztendlich ist dies auch keine Frage der „Praktikabilität“. Leidvolles Handeln wie Gewalt beruht auf Gier, Hass oder Verblendung. Wenn man beim „finalen Rettungsschuss“ mal Gier und Hass als Motiv ausklammert, bleibt immer noch Verblendung. Hier sollte man meiner Meinung nach ansetzen, um den möglichen inneren Konflikt für sich selbst zu lösen und nicht bei „Praktikatilität“.
Dann ist dies eine Weigerung, die
theoretische Ebene zu verlassen - man interpretiert
Widersprüche, die sich aus praktischem Handeln ergeben, als
ein Verwerfen theoretischer Ideale - als das Propagieren einer
anderen, ‚zweifelhaften‘ Ethik.
Ganz im Gegenteil. Meiner Meinung nach ergeben sich diese Widersprüche nicht aus dem praktischen Handeln sondern aus der mangelnden Einsicht. Ziel sollte es sein, seine Einsicht zu erweitern, um die Widersprüche aufzuheben, und nicht, die Silas aufzuweichen, um die Widersprüche aufzuheben.
Es ist nach meiner
Auffassung richtig, dass die buddhistische Ethik keine
absoluten Verhaltensnormen kennt
Hier stimme ich dir zu. Aber nur weil die buddhistische Ethik keine absoluten Verhaltensnormen kennt, heißt das nicht, dass sie z.B. keine klare Aussagen darüber gemacht hat, was Heilsam und was nicht Heilsam ist. Schließlich ist die buddhistische Ethik ja kein Selbstzweck sondern sie will einen Weg aufzeigen.
Im Dharma gibt es keine transzendente
Quelle ethischer Norm, weshalb buddhistische Ethik speziell
von christlicher Seite auch gerne als reine Zweckethik abgetan
wird - was gar nicht so falsch, aber mE auch durchaus nicht
ehrenrührig ist.
Auch hier stimme ich dir zu. Nur sollten wir doch den Zweck nicht aus den Augen verlieren dabei.
Es gibt im Dharma also keine absoluten ethischen Normen - aber
es gibt Ideale. Klassisch ausgedrückt: ‚Wege‘. Wege, die
gegangen werden sollen, Ideale, die eingeübt werden sollen,
weil sie heilsam, kusala, sind. Diese ‚Heilsamkeit‘ ist der
schon angesprochene ‚Zweck‘ jeglicher buddhistischen Ethik.
Einer dieser ‚Wege‘, der sicherlich wichtigste und zentrale,
ist Ahimsa, Nicht-Verletzen.
Ganz genau.
Nun ergeben sich aus dem praktischen, alltäglichen Handeln
zwangsläufig Konflikte mit diesem Ideal Ahimsa.
Diese Konflikte ergeben sich meiner Meinung nach nicht aus dem alltäglichen Handeln sondern aus der mangelnden Einsicht.
Gerade Nothilfe und Gefahrenabwehr sind Situationen, wo sehr
schwer zu beurteilen ist, wie da nun auf beste Weise Ahimsa zu
üben ist.
Du sagst es. Wo es schwer fällt, ein Urteil zu fällen, da mangelt es an Einsicht. Das müssen gar nicht die „Großen“ Dinge im Leben sein. Aus diesem Grund gibt es ja die Silas, um eine Orientierung zu geben.
Auch hier ist nach meiner persönlichen Auffassung
das Sich-Zurückziehen auf abstrakte Normen, das
Sich-Verweigern, das Nicht-Tun der vielleicht bequemere Weg -
ein Handeln nach Schema.
Natürlich, da gebe ich dir vollkommen Recht. Ein stumpfes Befolgen der Silas ist sicher nicht Sinn und Zweck der Sache. Jedem der achtsam versucht, die Silas zu befolgen, wird der von dir angesprochene Konflikt irgendwann begegnen (was ist in dieser speziellen Situation nun „heilsameres“ Handeln). Nur wie gesagt, kann die Antwort darauf eben nicht in der „Anpassung“ der Silas nach Belieben liegen, sondern die Antwort auf den Konflikt kann nur in der Erweiterung der eigenen Einsicht liegen.
Notwendige Zwischenbemerkung - dieses Handeln, sei es so oder
so, kann aus der Sicht des Dharma letzlich nur vom Handelnden
selbst beurteilt und bewertet werden.
Richtig. Allerdings kann man durchaus feststellen, ob eine bestimmte Auffassung nun buddhistisches Denken ist oder nicht.
es geht darum, dass zuverlässige ethisch-moralische
Urteile über das Handeln Anderer nicht möglich sind, solange
das Wissen über den Bedingungszusammenhang, in dem sie
stattfinden, nicht vollständig ist. Dieses vollständige Wissen
über den Bedingungszusammenhang (pratityasamutpada) ist nichts
anderes als bodhi, Erwachen/Erleuchtung.
HAH! Hier sagst du es ja selbst. Nur dass diese Beurteilung des Handelns natürlich nicht nur das Handeln anderer, sondern auch das eigene Handeln betrifft. Ich bezweifele aber, dass wir in jedem Fall ein vollständiges Wissen um den Bedingungszusammenhang brauchen, um einen Anhaltspunkt für „richtige“ Handlungsweise zu finden. Schließlich hat Buddha ja nicht nur das Ziel gelehrt, sondern auch, wie man da hin kommt
Es dürfte allerdings auch aus dieser Diskussion klar geworden sein, dass es ohne eine intensive Auseinandersetzung mit der Problematik nicht geht.
Die angesprochenen ‚Situationen‘ müssen sich gar nicht
übermäßig dramatisch darstellen. Die Frage, wie wir in unserer
Praxis, unserem täglichen Handeln, dem Ideal Ahimsa folgen,
stellt sich schon bei so alltäglichen Dingen,
Zustimmung.
Da geht
es konkret um Ahimsa - und unser praktisches Verhalten hier zu
klären ist vielleicht sinnvoller, als theoretisch über
Hitler-Attentate zu sinnieren oder über Bedrohungen unserer
Kinder und ob wir bereit oder doch fähig wären, zu ihrem
Schutz zu töten.
Das sehe ich etwas anders. Selbst wenn wir persönlich nicht in eine bestimmte Situation kommen, dann sind wir dennoch Teil dieser Welt und dieser Gesellschaft und dies verlangt uns auch Stellungnahmen dazu ab,ob wir es befürworten, wenn jemand unsere Freiheit mit der Waffe in der Hand am Hindukusch meint verteidigen zu müssen oder ob wir es in Ordnung finden, wenn jemand Hühnern den Hals umdreht, damit wir ein leckeres Süppchen genießen können. Dies sind Auseinandersetzungen mit grundsätzlichen Fragen, die auch unseren Alltag berühren.
Gruß
Marion