Moin Marion,
Buddha hat zweifellos gelehrt, dass es der Wille (cetana) ist,
der dem Karma Gestalt gibt. Es hilft wenig, wenn man Gewalt
pauschal ablehnt, dabei den Begriff ‚Gewalt‘ aber nur nach
rein objektiven Kriterien definieren will.
Zum Glück müssen wir Gewalt nicht selbst definieren. Ich
denke, es besteht kein Zweifel, dass Gewalt Leid erzeugt. Das
Erzeugen von Leid ist aber keine heilsame Handlung.
Dieses Argument verlagert mE das Problem lediglich auf eine dann notwendig werdende Definition von „Erzeugen von Leid“. Jemandem ein Bein abzuhacken, erzeugt zweifellos Leid. Wenn man ‚Gewalt‘ objektiv definieren will, fällt ein solches Handeln sicher auch unter ‚Gewalt‘. Die entscheidende Frage ist aber doch, ob der Betroffene damit getötet oder verstümmelt werden soll oder man ihn mit einer Amputation vor dem Tod durch Wundbrand bewahren will. In letzterem Fall wäre eine solche Handlung zwar leiderzeugend, aber (falls erfolgreich) auch heilsam.
Aus diesem Grund ist nach buddhistischer Lehre eben nicht das objektive Handeln karmisch bedeutsam, sondern lediglich der Wille / die Absicht, die das Handeln motiviert.
„Es wurde ferner gesagt, daß man das Wirken (karma) zu erkennen hat, sowie seine bedingte Entstehung, seine Verschiedenartigkeit, sein Ergebnis, seine Aufhebung und den zu seiner Aufhebung führenden Weg. Warum aber wurde dies gesagt? Den Willen (cetana), ihr Mönche, bezeichne ich als das Wirken (karma), denn, sobald der Wille entsteht, vollbringt man das Wirken, sei es durch Körper, Sprache oder Geist.“
Nibbedhika Sutta (A VI.63)
Das ist
unrealistisch, welt- und menschenfremd. ‚Gewalt‘ als ethische
Kategorie lässt sich nicht trennen von dem das Handeln
motivierenden Willen. Es ist dieser Wille, der einem ethischen
Urteil unterworfen werden kann (und sollte). Das nackte
Handeln – ohne Anbetracht des Willens – lässt sich allenfalls
nach Kriterien der Zweckmäßigkeit beurteilen.
Da sehe ich einen Widerspruch. Zweckmäßigkeit beinhaltet ja
einen Zweck, also eine Absicht. Es gibt aber keine Absicht
ohne einen Willen, somit ist „Zweckmäßigkeit“ als Kriterium
für „nacktes Handeln ohne Anbetracht des Willens“ meiner
Meinung nach nicht geeignet.
Das war von mir unsauber formuliert, aber Du hast mich da grundsätzlich schon richtig verstanden. Es ist der Wille / die Absicht, der oder die einem ethischen Urteil unterworfen werden können. Das durch den Willen ausgelöste / motivierte Handeln kann lediglich danach beurteilt werden, wie weit es in Bezug auf den Willen zweckmäßig ist – geeignet, diesen Willen umzusetzen. Das objektive Handeln für sich ist kein Gegenstand ethischer Bewertung.
Ich habe kein Problem damit, wenn ein Mensch die
buddhistischen Silas für sich selbst nicht anerkennen oder
befolgen möchte. Ich habe auch kein Problem damit, wenn ein
Mensch die Silas befolgen möchte, aber daran scheitert,
passiert mir selbst oft genug. Ich habe aber durchaus ein
Problem damit, wenn gewissen Handlungen wie „Töten von
Lebewesen“ als mit den buddhistischen Silas vereinbar
hingestellt werden.
Wir haben da wohl unterschiedliche Auffassungen von den Sila. Ich sehe die Sila nicht als ethische Normen (analog zu den christlichen ‚zehn Geboten‘) sondern als Übungsfelder. Das Problem ist nicht, ob „Töten von Lebewesen“ mit den Sila vereinbar ist oder nicht. Das Problem ist, dass „Töten von Lebewesen“ gar nicht zu vermeiden ist. Wenn Du Fleisch isst, tötest Du Tiere. Wenn Du Vegetarier bist, tötest Du Pflanzen. Wenn Du Penicillin schluckst, um eine Infektion zu bekämpfen, tötest Du Bakterien. Wenn Du Dich wie ein frommer Jaina zu Tode hungerst, tötest Du Dich selbst.
Leben heisst, Leben nehmen. Die Sila geben Ideale vor – Ideale, die im Samsara unerfüllbar sind, die jedoch - und das ist das Entscheidende - über Samsara hinausweisen.
Letztendlich ist dies auch keine Frage der
„Praktikabilität“. Leidvolles Handeln wie Gewalt beruht auf
Gier, Hass oder Verblendung. Wenn man beim „finalen
Rettungsschuss“ mal Gier und Hass als Motiv ausklammert,
bleibt immer noch Verblendung. Hier sollte man meiner Meinung
nach ansetzen, um den möglichen inneren Konflikt für sich
selbst zu lösen und nicht bei „Praktikatilität“.
Die Praxis (sic!) der Sila ist mE sehr wohl eine Frage der Praktikabilität – nicht im absoluten Sinne, sondern in dem Sinne, was für Dich persönlich, hier und jetzt praktikabel ist. Das ist DEINE Übung - nur für Dich selbst kannst Du auch ausloten, was praktikabel ist und was nicht. Nicht für Sebastian, nicht für mich und auch sonst für niemanden.
Dann ist dies eine Weigerung, die
theoretische Ebene zu verlassen - man interpretiert
Widersprüche, die sich aus praktischem Handeln ergeben, als
ein Verwerfen theoretischer Ideale - als das Propagieren einer
anderen, ‚zweifelhaften‘ Ethik.
Ganz im Gegenteil. Meiner Meinung nach ergeben sich diese
Widersprüche nicht aus dem praktischen Handeln sondern aus der
mangelnden Einsicht. Ziel sollte es sein, seine Einsicht zu
erweitern, um die Widersprüche aufzuheben, und nicht, die
Silas aufzuweichen, um die Widersprüche aufzuheben.
Womöglich hattest Du mich da falsch verstanden oder ich Dich – ist es nicht so, dass du Sebastian eine zweifelhafte Ethik vorwirfst? Meinetwegen auch „mangelnde Einsicht“. Wie oben schon angesprochen, sind nach meiner Auffassung Widersprüche zwischen den Sila als Ideal und praktischem Handeln in Samsara unausweichlich. Möglicherweise lassen sich diese Widersprüche durch Einsicht auflösen – für Dich persönlich. Vollständig auflösen lassen sie sich nur durch vollständige Einsicht. Gib mir Bescheid, wenn Du soweit bist
.
Das ist nichts anderes, als wenn ich sage, dass wir so handeln, wie wir es mit unserer buddhistischen Praxis einüben. Jeder so gut er kann. Das „Ziel“, das Du da nennst, nennst Du zu Recht – aber in dem Moment, wo Du handelst, nützen Dir Deine Ziele nichts. Dann handelst Du so, wie Du bist – nicht, wie Du sein willst.
Ein stumpfes
Befolgen der Silas ist sicher nicht Sinn und Zweck der Sache.
Jedem der achtsam versucht, die Silas zu befolgen, wird der
von dir angesprochene Konflikt irgendwann begegnen (was ist in
dieser speziellen Situation nun „heilsameres“ Handeln). Nur
wie gesagt, kann die Antwort darauf eben nicht in der
„Anpassung“ der Silas nach Belieben liegen, sondern die
Antwort auf den Konflikt kann nur in der Erweiterung der
eigenen Einsicht liegen.
Leider – oder vielmehr sollte ich sagen zum Glück - lässt sich Handeln nur selten so lange aufschieben, bis die richtige Einsicht dämmert. Wir müssen schon mit dem bißchen Einsicht handeln, die wir haben. Eben das ist Übung, ist Praxis – und nur durch sie entwickelt sich Einsicht.
es geht darum, dass zuverlässige ethisch-moralische
Urteile über das Handeln Anderer nicht möglich sind, solange
das Wissen über den Bedingungszusammenhang, in dem sie
stattfinden, nicht vollständig ist. Dieses vollständige Wissen
über den Bedingungszusammenhang (pratityasamutpada) ist nichts
anderes als bodhi, Erwachen/Erleuchtung.
HAH! Hier sagst du es ja selbst. Nur dass diese Beurteilung
des Handelns natürlich nicht nur das Handeln anderer, sondern
auch das eigene Handeln betrifft.
Selbstverständlich.
Ich bezweifele aber, dass
wir in jedem Fall ein vollständiges Wissen um den
Bedingungszusammenhang brauchen, um einen Anhaltspunkt für
„richtige“ Handlungsweise zu finden.
Da hast Du mit Sicherheit recht – was unser eigenes Handeln angeht. Wenn wir uns allerdings zutrauen, das Handeln Anderer zu beurteilen, ist das alles schon sehr viel schwieriger, da wir dann keinen unmittelbaren Einblick in deren Motivation haben. S.o. – in karmischer Hinsicht entscheidend (d.h. ob heilsam oder nicht) ist der Wille, die Motivation.
Schließlich hat Buddha ja
nicht nur das Ziel gelehrt, sondern auch, wie man da hin kommt
-) Es dürfte allerdings auch aus dieser Diskussion klar
geworden sein, dass es ohne eine intensive Auseinandersetzung
mit der Problematik nicht geht.
Unbestritten.
unser praktisches Verhalten hier zu
klären ist vielleicht sinnvoller, als theoretisch über
Hitler-Attentate zu sinnieren oder über Bedrohungen unserer
Kinder und ob wir bereit oder doch fähig wären, zu ihrem
Schutz zu töten.
Das sehe ich etwas anders. Selbst wenn wir persönlich nicht in
eine bestimmte Situation kommen, dann sind wir dennoch Teil
dieser Welt und dieser Gesellschaft und dies verlangt uns auch
Stellungnahmen dazu ab,ob wir es befürworten, wenn jemand
unsere Freiheit mit der Waffe in der Hand am Hindukusch meint
verteidigen zu müssen oder ob wir es in Ordnung finden, wenn
jemand Hühnern den Hals umdreht, damit wir ein leckeres
Süppchen genießen können. Dies sind Auseinandersetzungen mit
grundsätzlichen Fragen, die auch unseren Alltag berühren.
Das siehst Du durchaus nicht anders als ich. Du sprichst hier von ganz konkreten Anforderungen, die sich uns im Alltag stellen. Sich diesen zu stellen, ist buddhistische Praxis – nicht das theoretische Erörtern konstruierter Fälle. Darauf wollte ich hinaus - meistens soll mit diesem Theoretisieren etwas gerechtfertigt werden. Solche „hidden agendas“ bergen selten Heilsames.
Freundliche Grüße,
Ralf