Hallo Marion,
der aufmerksame Beobachter wird vielleicht mitbekommen haben,
dass es am Samstag in Jerusalem zu gewaltsamen Ausschreitungen
bei Demonstrationen orthodoxer Juden gekommen ist,
nö, bis jetzt nicht. Das kommt leider immer wieder mal vor.
bei denen
es um die Nutzung eines Parkplatzes geht.
http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,633023,…
Ok. Ich kann verstehen, dass es einer religiösen Gruppe nicht
erlaubt ist, an einem bestimmten Tag z.B. kein Auto zu
benutzen.
Was ich nicht verstehe? Warum kümmert es diese Gruppe nun so
sehr, ob andere an dem Tag ein Auto benutzen? Und zwar
so sehr, dass man gegen diese anderen sogar gewalttätig
wird.
Dieses Vorgehen - und schon gar nicht die gewalttätige Variante - ist mit jüdischer Ethik nicht kompatibel.
- Auto fahren ist nicht erlaubt
- Tragen ist nicht erlaubt, also auch nicht Steine aufheben.
- Jemand verletzen ist nicht erlaubt
- Und Feuer anzünden ist erst nach Schabbatende erlaubt aber nicht die Zerstörung fremden Eigentums durch Feuer.
Und das ist meine zweite Frage, kann es sein, dass es für
orthodoxe Juden am Sabbat zwar nicht erlaubt ist, Auto zu
fahren, jedoch es kein Problem darstellt, am Sabbat andere
Menschen anzugreifen und sich Prügeleien mit der Polizei zu
liefern?
Soweit würde ich nicht gehen. Ich denke, daß es eher um inkonsistentes Verhalten geht, also um Normen, die man zwar hat und in diesem Fall anderen auferlegen will, aber selber anders handelt.
Ob andere am Schabbat ein Auto benutzen etc. kann einem orthodoxen Juden im Prinzip egal sein, solange es ihn nicht tangiert.
Schabbat hat auch mit Gemeinschaft und mit einer bestimmten Atmosphäre zu tun. Und wer sich in Jerusalem aufhält, weiß, daß er sich in einer religiösen Stadt befindet. Und ich denke, da können nicht-orthodoxe Menschen (egal ob jüdisch oder sonstige) auf die Belange orthodoxer Juden Rücksicht nehmen.
Ich vermute mal, daß sich der Parkplatz in einem orthodoxen Viertel befindet. Und da ist mir dann nicht einsichtig, warum gerade dieser Parkplatz am Schabbat geöffnet sein muß und dann natürlich auch mit dem Auto angefahren würde, was eine Störung für orthodox lebende Juden bedeuten würde.
Es gibt einfach orthodoxe jüdische öffentliche Räume und die kann man als nicht-orthodxer Mensch respektieren. Wenn ich Party machen will, dann gehe ich am Schabbes eben nach Tel Aviv.
Oder anders gesagt: Ich habe orthodoxe Freunde, die in Basel in einem Mietshaus wohnen, in dem nur orthodoxe Familien leben. Nicht, weil sie was gegen Nichtjuden oder gegen liberale Juden haben, sondern, weil sie davon ausgehen, daß man Nichtjuden bestimmte Standards nicht abverlangen kann. Und sie - wie auch die anderen orthodoxen Familien möchten eben am Schabbes nicht: Geräusche von elektrischen Geräten hören egal ob Waschmaschine, Spülmaschine, Fernsehen und Stereoanlage.
Die Atmosphäre, die dadurch entsteht, daß man bestimmte Dinge an Schabbes tut und andere läßt, hat eben für orthodoxe Leute eine hohe Bedeutung - un selbst für liberale Exemplare wie mich eine gewisse Faszination. In der Diaspora müssen da immer irgendwelche Abstriche gemacht werden. Aber wenn Leute dann unter Umständen extra nach Israel auswandern und die Mühen des israelischen Lebens auf sich nehmen um einen bestimmten Stil von orthodoxem Leben realisieren zu können, dann wird es schwierig, wenn säkulare Israelis darauf bestehen, daß nun just dieser Parkplatz in diesem orthodoxen Viertel auch am Schabbes zugänglich sein muß.
Ich weiß nun auch keine Details über diesen Parkplatz, aber ich kann es mir nur so vorstellen, weil orthodoxe Juden sich am Schabbat in Israel nicht in Shoppingcentern aufhalten, sondern in Vierteln, die von der eigenen orthodoxen Community geprägt sind.
Wenn ich mich in einem orthodoxen Umfeld bewege, dann halte ich mich an die dort üblichen Standards - und gut ist es. Es bricht mir kein Zacken aus der Krone, wenn ich dann einen Rock statt Hosen anziehe und die Arme bis zu den Ellenbogen bedeckt sind etc. Ich denke, es ist eine Frage des guten Willens und der Gesprächsfähigkeit. Und die scheint mir im vorliegenden Bericht bei beiden Seiten defizitär zu sein.
Viele Grüße
Iris