Hallo Branden,
Man kann Laing ja viel nachsagen, aber das nun wirklich gerade
nicht.
da habe ich andere Informationen. Zum einen soll das Zitat, das ich brachte, von einem Schizophrenen sein. Ich finde es gerade deshalb gut, weil man hier einmal Patienten zu Wort kommen lassen kann, die in der damaligen Zeit die Sache miterlebt und auch Auswirkungen dieser seltsamen Ideologie namens Antipsychiatrie persönlich erfahren haben. Zum anderen werden Laings und Coopers Positionen in Schriften aus der Zeit ähnlich bewertet, wie ich sie darstellte:
„Einige ‚Antipsychiatrie‘-Psychiater, etwa Laing und Cooper, gehen so weit zu sagen, nicht der psychotische Patient sei krank, sondern die Gesellschaft und daß wir von den Schizophrenen lernen sollten, statt zu versuchen, sie zu heilen“ (S. 77/78)
Und weiter heißt es in Anspielung auf „double-bind“, „schizophrenogene Mütter“ usw.:
„Wer der Auffassung ist, daß diese Störungen auf irgendeine dunkle Weise die Folge entweder unserer Gesellschaftsform oder die Folge elterlicher oder familiärer ‚Zusammenrottung‘ gegen eine unschuldige Einzelperson sind, läßt einfach gut begründete Fakten außer acht, die die Unhaltbarkeit dieser Vorstellungen beweisen. […] Laing vergrößert die schon übermäßig große Trauer und Sorge der Eltern um eine unzumutbare Last von Schuldgefühlen, wenn er sie wegen ihres Verhaltens für den psychotischen Zusammenbruch verantwortlich zu machen versucht, den ihre Kinder erlitten haben. Er unterläßt es, darauf hinzuweisen, daß, wenn Kinder schizophrener Mütter diesen nach der Geburt weggenommen werden, sie trotzdem schizophrene Störungen und schizoide Verhaltensmuster in viel größerem Ausmaß entwickeln als adoptierte Kinder normaler Mütter. Nur wenn man Tatsachen dieser Art und andere Tatsachen, die auf die schwere Last der Erblichkeit aller psychotischen Erscheinungen hinweisen, unterdrückt, können Laing, Cooper und ihre Kollegen Unkundige beeinflussen“ (Eysenck, H.-J. (1976). Die Zukunft der Psychologie, S. 78/79).
Dir werden sicherlich auch die Vorstellungen, daß die Mütter und Familien die Schuld an der Entwicklung von Schizophrenie, Autismus usw. tragen, bekannt sein, die u.a. dazu führten, daß mit dem Finger auf die angeblich „schizophrenogenen“ Mütter gezeigt wurde. Von diesen Hypothesen ist nicht viel übrig geblieben, nachdem sie einmal genauer untersucht worden waren. Und das ist doch ein Skandal: Theorien wurden aufgestellt und angewendet, die massive Schwierigkeiten für Eltern von Schizophrenen oder Autisten zusätzlich zum Leid aufgrund der Krankheit ihrer Kinder mit sich brachten, ohne daß diese Theorien ausreichend abgesichert waren.
Noch skandalöser finde ich es, wenn heute immer noch Leute diesen Vorstellungen das Wort reden, so wenn sie behaupten, psychische Störungen seien v.a. gesellschaftlich / sozial bedingt, eine soziale Konstruktion, die Ergebnisse sozialer Normierung usw. Sie sind es auch, aber nicht in erster Linie. Das Umgekehrte zu behaupten, ist der große Irrtum (oder die große Lüge), der schwere negative Konsequenzen nachsichzöge, wenn er sich durchgesetzt hätte bzw. sich durchsetzen würde.
Die Familienstruktur zu beachten, ist m.E. natürlich o.k. (z.B. in Bezug auf den Kommunikationsstil in Familien -> „high expressed emotions“). Aber man sollte nicht das Feld psychischer Störungen zum Gebiet des Klassenkampfes erklären oder psychisch gestörte Menschen als edlere, bessere Menschen im Vergleich zu psychisch Gesunden bezeichnen. Klar werden mit solchen Thesen Bauernfänger auf dem Psycho-Markt bei verzweifelten Menschen den schnellen Euro machen können, weil sie bei diesen Menschen Hoffnungen wecken, etwas Besonderes zu sein, zum ersten Mal „verstanden“ zu werden usw. Diese Hoffnungen können aber nur enttäuscht werden, weil nichts daran wahr ist. Es ist nur ein Potemkinsches Dorf.
Gruß,
Oliver Walter