Liebe Anuschka,
ih weiß nicht, obich das bejahen kann, was du sagst. Nimm
einmal an, dass man dich gelehrt hat, dass du jemanden
umbringen darfst um dir Nahrung zuverschaffen. Du lernst, dass
dies der einzig richtge weg sei. Nun könntest du ja immernoch
sagen, dass du das nicht machst, sodern dir deine Mörchen
selbst anbaust. Aber welcher Einfluss wird wohl stärker sein.
Der Einfluß meines Denkens, meines Willens. Habe ich einen schwachen Willen (jeder nimmt ja die Qual des Anderen beim Tötungsakt wahr), werde ich mich der Handlung meiner Zeitgenossen beugen, und tun, was jeder tut -unfreiwillige Handlung durch Prägung-. Denke ich aber nur eine Sekunde über das, was ich tun soll nach, komme ich wohl möglich zum Schluß, daß mein Handeln nicht richtig ist. Indem ich es für mich innerlich nicht mehr als Richtig empfinde, unterlasse ich diese Handlung, und stelle mich möglicherweise auf Seiten des Opfers -freiwillige Handlung durch freie Entscheidung-. Ebenso kann ich mich natürlich auch entscheiden, daß ich weiter töte -auch das wäre der freie Wille-.
Der Freie Wille setzt da ein, wo bewußt die Dinge wahr genommen werden, und darüber nachgedacht wird. Im übrigen der erste Schritt zur Selbstdisziplinierung. Einst fing die ‚Aufklärung‘ auf genau diesem Weg an, und die Ethik funktioniert auch genau so.
Betrachte die Dinge, denke darüber nach, und entscheide frei, wie Du reagieren willst -wobei ‚Nicht Reagieren‘ auch stets ein Reagieren darstellt. Das ist es, was das ‚Menschsein‘ ausmacht. Wäre dem nicht so, wären wir wie die kleine Ameise, die nur macht, was die Natur ihr zugesprochen hat.
Gerade das Beispiel von Diktaturen beweist dis doch. Jungen,
die in der Nazizeit erzogen wurden, sei es, was wahrscheinlich
ist,durch die HJ, dann werden sie kaum Einwände gegen die
Ermordung von Juden haben (sicher es gibt Ausnahmen, aber wohl
nicht in repräsentativer Zahl), dennoch kannst du ihnen
ausheutiger Sicht ein moralisch verwerfliches Verhalten
vorwerfen.
Nein, denn sie wußten nicht, und konnten deswegen nicht darüber nachdenken. Sie wurden geleitet wie primitive Wesen oder wie die Ameise, wenn Du so willst. Wie leid ihnen ihre Handlung tat (nachdem sie sehen mußten, was sie taten), kannst Du daran erkennen, wie lange dieser Staat an Schulgefühlen litt -und noch immer leidet (Reue wird so etwas wohl genannt). Werden unseren Kindern nicht genau deswegen Bilder dieser Schrecken gezeigt, damit sie achtsam sind, und früh genug anfangen zu denken, und entsprechend handeln können, wenn ein fanatisch rassistischer Diktator das Licht der Welt erblickt? Diese Kinder (wir) würden sich schuldig machen, ließen sie eine solche Führung zu.
Dies jedoch machst duaus der Motiation heraus, dass
du nämlich anders erzogen wurdest. Könnte es nicht sein, dass
dieseJungen sich gar nicht anders hätten etscheiden können,
weil der Einfluss der Faschistenzu groß war? Können wir
wirklich frei entscheiden?
Ja, können wir. Würde ich meiner Prägung unterliegen, und so sein, wie meine Umgebung mich erzog, könnte ich Dir heute nicht schreiben, weil ich damit beschäftigt wäre, die Fehler meiner Eltern nachzueifern.
Wenn du sagst, du kannst dich dafür
entscheiden bei Rotüber die Ampel zu gehen anstatt bei Grün
und du tust dies ach, um es jemandem zu beweisen, war dann
nicht einfach der Einfluss, deines Beweisenwollens so groß,
dass du über die rote Ampel gingst? Wie hättest du es sonst
beweisen sollen? Unser denken unterliegt doch stets einer
Prägung. Entweder durch Schule, Eltern, andere Bildung,
Erfahrungen. Ohne diese und eben genau diese würdest du viele
Dinge doch anders entscheiden odr?
Es kommt darauf an, ob ich gewollt beweisen will. Will ich nur beweisen, um zu bestätigen, oder will ich mir selbst die Richtigkeit meiner Aussage beweisen. Will ich die Konsequenz aus meinen Handeln tragen, oder lieber die Herausförderung rückgängig machen, und die Schuld meinem Herausforderer zuschieben? Freier Wille heißt auch, die volle Verantwortung mit allen Konsequenzen für das jeweilige Handeln übernehmen.
Unser Denken setzt in der ersten Sekunde unseres Lebens ein. Unser Bewußtsein setzt irgendwann im Kleinkindalter (meist zwischen dem 3. und 6. Lebensjahr) ein, nämlich genau dann, wenn ein beeindruckendes Erlebnis statt fand. Hier erst wird das bewußte Gedächtnis aktiviert, und die ersten Erinnerungen gespeichert.
Lieben Gruß,
fionny